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A-lemaii nia.
Treltiura im Breisgau
Uerlag uoii $r. Griisl Jehsciileld
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C. A. Wägers Univernitäts-Bnchdnickerei, Freiburg i. Bi.
Inhalt.
Seito
Archivar Dr. Richard Krebs, Amorbach: Die WeistOmer des
Gottesliauses und der Gottesliausleute von Amorbacli.
Schlussbemerkungen , . . . . 1 — 24
Professor Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Gesundheitspflege im
mittelalterlichen Freiburg im Breisgau. 1 25— 48
Professor Dr. B. Kahle, Heidelberg: Ober einige Volkslied-
varianten. 1. Das Volkslied vom Eisenbahnunglück.
2. Die Mordtat des Soldaten. 3. Der heimkehrende Sol-
dat. 4. Vor der Einstellung 49— 56
Dr. Oskar HafTner, Freiburg i. Br. : Die Pflege der Volkskunde
in Baden. 1 57— 62
Amtsrichter a.D. Pavl Beck, Ravensburg: Briefwechsel zwischen
Schubart und Lavater über den Wundertäter Gassner . 68— 69
Professor Dr. F. G. G. Schmidt, Eugene, Oregon: Christian Gott-
fried Böckhs Altdeutsches Glossarium 70— 76
Geh. Kegierungsrat Dr. Wilhelm Groos, Konstanz: Auswanderer
aus den Ämtern Emmendingen und Karlsruhe in der
sQdungarischen Gemeinde Franzfeld 81—103
Professor Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Gesundheitspflege im
mittelalterlichen Freiburg im Breisgau. II. (Schluss) . 104—152
Professor Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. Br. : DorfsprOche oder
Ortslitaneien aus dem badischen Oberland 158—160
Lehramtspraktikant Dr. Karl Bertsche, Karlsruhe: Die volks-
tümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt. I.
Vorwort 161—163
Einleitung 163—167
Zur Geschichte von Möhringen 167—169
Allgemeines über Entstehung der Ruf- und Schimpf-
namen 169—174
Allgemeine phonetische und grammatische Vor-
bemerkungen 174 — 176
Rufnamen 176 — 217
Schimpfnamen 217-224
VI Inhalt
Seite
Prof. Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. Br.: Freiburger Bruchstück
einer mitteldeutschen Stephanuslegende 225—227
Oberlehrer Dr. Julius Miedel, Memmingen: Noch einmal der
Name Achalm 228—232
Prof. Dr. Hermann Mayer, Freiburg i. Br. : Sprachliches aus den
Senatsprotokollen der Universität Freiburg (Filz, Beifils) 238—234
Prof. Dr. Karl Baas, Freiburg i. Br.: Notiz Ober Heinrich Louffen-
bergs Gesundheitsregiment (1429) 285—237
Dr. 0. HafTner: Die Pflege der Volkskunde in Baden. II. . . 238—240
Lehramtspraktikant Dr. Karl Bertsche, Karlsruhe: Die volks-
tOmlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt.
11. (Schluss)
Schimpfnamen 241 — 271
Kinderspitznamen 271 — 277
Anhang. Fastnachtsverse 277 — 280
Professor Dr. Hermann Mayer, Freiburg i. Br.: Zur Geschichte
und Statistik der Universität Freiburg i. Br. im XVII. Jahr-
hundert 2i<l— 298
Professor Dr. Ludwig SUtterlin, Heidelberg: Abergläubisches
aus Heidelberg 299—304
Fragebogen des Badischen Vereins für Volkskunde .... 805—306
Cieh. Regiorungsrat Dr. Wilhelm Groos, Konstanz: Eine Appen-
zeller Landsgemeinde 807—810
Anzeigen und Nachrichten.
Professor Dr. Fridrich PfafT, Freiburg i. Br.: Badischer Verein
fflr Volkskunde 77
Professor Dr. B. Kahle, Heidelberg: Umfragen zur Volkskunde.
— t <^
Professor Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br.: Umfrage, Dorfspruch
von Schweigmatt 79
Moscheroschdenkmal in Willstätt 80
Paul Diergart, Berlin: Sprachgeschichtliche Anfrage (Terra
sigillata) 80
0. Meisinger: Die Appellativnamen in den hochdeutschen Mund-
arten. 1. Besprochen von Prof. Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br. 80
Dr. J. Kälin: Franz Guiilimann, ein Freiburger Historiker von
der Wende des 16. Jahrhunderts. Besprochen von Archiv-
rat Dr. P. P. Albert, Freiburg i. Br 811-318
Dr. Eugen Balzer: Überblick Ober die Geschichte der Stadt
Bräunungen. Besprochen von Archivrat Dr. G. TumbQlt,
Donaueschingeu 818 — 814
Inhalt VII
Seite
Dr. Eugen Baixer: Die Freiherren von ScIielJenberg in der Baar.
Besprochen von Archivrat Dr. G. TumbOlt, Donaueschingen 314 — 315
Dr. Max Fischer: Unser Schwarzwaid-Bauernhaue. Besprochen
von Professor Dr. F. Pfaff, Freihurg i. Br 315—316
Huldreich Zwingii, Sämtliche Werke herausgegeben von Egli und
Finsler. Besprochen von Kustos Dr. A.Götze, Freiburg i.Br. 31 ß— 319
Professor Dr. F. Pfaff, Freiburg i. Br.: Vom Vollcstrachtenfest
in Oberprechtai 320
Gehelmrat Friedrich von Weechf 320
Weistümer des Gotteshauses und der
Gotteshausleute von Amorbacli.
Schlussbemerkungen.
Von Richard Krebs.
In den Bänden drei und vner der neuen Folge der Alemannia
habe ich, ausgehend von den Weistümern, aber mich nicht
auf sie beschränkend, das urkundliche Quellenmaterial zu einer
Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Klosters Amorbach ver-
öffentlicht. Gewissennaßen als Nachtrag hierzu sollen jetzt
diejenigen Urkunden, die Weistum-Charakter haben, nach be-
stimmten Gesichtspunkten besprochen werden.
Besonders alte Weistümer sind uns nicht erhalten. Sehen
wir von den beiden 1366 zu Keinhardsachsen und 1372 zu
Neudorf a. d. St. gegebenen ab, so finden wir die frühesten in
dem Urbare von 1395. Außer bei Hombach, wo genau Jahr
und Tag der Weisung beigefügt ist (16. August 1397), be-
zeichnet sich allerdings nur noch der Eintrag bei Gottersdoif
ausdrücklich als Weistum. Neben diesen geben aber zweifel-
los noch zahlreiche andere Einträge des Urbars den Inhalt
von Weistümern wieder, wenn sie äußerlich auch nicht als
solche eingeführt sind. Hierher gehören z. B. die einschlägigen
Stellen bei Beuchen, Boxbrunn, Dornberg, Erfeld, Gerolzahn,
Kirchzell, Neubrunn, Ober- und Unterneudorf, Otterbach.
Ripperg, Rütschdorf, Unterschefflenz und Waldhausen. Im
ehizelnen lässt sich jedoch nicht näher feststellen, ob die be-
treffenden Weistümer erst damals auf Veranlassung des Abts
Boppo ausgesprochen worden sind, oder ob sie jährlich an
bestimmten Tagen wiederholte Weisungen dai'stellen, die nur
Alemannia N. F. 6, i. i
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Weistüm
itnßerlich als aolch^s gekonnzeiclinpteK Weistum aiifüliifii. iliis
Yiin Kütschdorf '.
Fragen wir nach dem Anlasse der Weisungen, so liofit
in wpitans den meisten Fällen ein Ananehen des Klosters vor.
Snr die nicht aiisdrilcklich nach Jalir mul Tag festgelegten
Einträge der beiden Urbare gehen möglicherweise auf die von
den Schöffen jährlich zu bwstinimten Fristen wiederholten Fest-
-•lelliingeii des herki'immlichen Itechts zurück, die übrigen
W'eistüniei' sind fast ansnahtnstos von eigens gehegtem Ge-
liohte auf besonderes Verlangen des Klosters ausgesprochen
wonlen. Sei es, dass dasselbe infolge irgendwelcher Streitig-
keiten einer Weisimg seiner 'jerechtsame gegenöber seinen
«irnnrtholden odei' gegenüber andern Berechtigten be<lurfte, sei
<.-s. das« dfr neu gewählte Abt bei seinem Amtsantntte aller
i h-ten das alte Herkommen neu bestätigt zu sehen wünschte.
iJia'ch boMoniU-re Zwistigkeiten veranlasst sind z. B. die Weis-
tilmer von Hesselbaeh (2n. November Hlö und 14. November
14(}5). Hombach (20. Mai 1423t, Laudenberg (27. Januar U62),
Miiteaherg, Untemeudoi-f (Ift, August I4ft4) und Waldhausen
(erwähnt unt*i" dem 21. Oktober 14f)ri). Zahlreicher sind die
Weisungen, welche durch das Bestreben der verschiedenen
Äbte, die Klostei-gorechtsame sorgfältig zu wahren, hervor-
gerufen sind. Jedem neu gewählten Abte musste daran ge-
legen sein, sich zu flberzeugon, dass die hergebrachten Rechte
soines Klosters noch iil)erall anerkannt und ausgeübt wurden.
Besonders dringend wurde diese Pflicht für den , dessen Vor-
gänger eine lange Amtstätigkeit beachieden gewesen war, in
deren Verlauf sieh nicht nur die Personen, sondern auch die
geändert hatten. Das Krgebnis der Bemühungen
1
I de ren '
Den KintrA^ äva L*r1iHrt< vuti l'MTt niiT lil. ili) bringt dun Ziuabut^ti
U,SS. Teil II. Ül. 29» -~ aSenhar aurUnind einer andern, nicht mehr
«rbollenen (Juello — mit folgender Einteitiing: Diese hemirh gcscliriebeii
i-p«Ut vnil artickel hnben die urmeii leiiiit tn RutEelsdorff jn dem Obern
ttril KU reell) gewysen Tnd genpruchen. Mit dem Ztusbucb von 153V
■^iinnieii dann (Iberein Jas Giilne Buch (Bl. äC2), das Zinsbnch U (Bl. lim
der 2. AbleJlnngl. dnu Erbnchiache Lager Bncb von Ui^S (Bl. 451; Rowie
m VV.
iTnil 11. Bl. STÜ.)
1'
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4 Kn4rs
<ier Ahus Bijppo. Dietrich und Heinrich, die Kechtsansprueh«.-
d*Ä Kkr^ter» ;?icherzu»t eilen, liegt uns in den beiden großen
Urbaren und in den vielfach in doppelter Ausfertiguog über-
lieferten Weistümem Dietrichs vor: spater sehen wir die Äbte
meist die Huldigung benutzen, sich feierlich das alte Her-
kommen bestätigen zu lassen. So wurden bei der Abt Johann IL
{[geleisteten Huldigung nahezu an allen Orten gleichzeitig die
Klostergerechtsame gen^iesen. wiederholt unter Zurückgreifen
auf einen schon früher gegebenen Schöffenspruch. Auch die
spatem Äbte hielten hieran fest, wie sich aus den Proto-
kollen der beiden .Bucher der Huldungen* ergibt.
Doch nicht nur auf Seiten des berechtigten Klosters be-
stand der Wunsch, die überkommenen Rechte stets von neuem
anerkannt zu sehen, das gleiche begehrten auch die Pflichtigen
Grundholden und Untertanen. Auch sie dringen auf Verlesung
der alten Weistümer. damit sie wissen, .was das Closter
Amorbach oder ain jeder Abtte desselbigcn bey Ihne für Recht
hette* \ und häufig machen sie ihre Huldigung davon abhängig,
dass der Abt vorher sorgfaltige Innehaltung dessen, was von
alters Herkonunen sei. zusichere*. Man hat das Weistuni inso-
fern ganz zutreffend die Verfassungsurkunde der deutschen
BaueiTiseliaft genannt, die die gegenseitigen Rechte wie Ob-
liegenheiten enthielt, und auf die sich vor der Huldigung Hen-
schaft und Untertanen gleichmäßig vei-pflichten mussten. Wie
zähe hierbei auch die Bauern an dem Inhalte des Weistunis fest-
hielten, wie hartnäckig sie darauf bestanden, dass ihnen ihre
Rechte in vollem Umfange gewährleistet wurden, zeigen nament-
lich die bei Albert besprochenen Huldigungen aus dem Anfange
des If). Jahrhundei'ts. Und dass sie mit ihren Forderungen
fast ülK^rall durclidraimen ^ beweist, wie verkehrt es ist, vom
' So in der Huldigung der Tntcr- und Obi'meudorfer von l*>8."i.
^ Vgl. hierzu die Vorj^äu/|i:e }>ei der Huldigung zu Amorbach und zu
Mudau 1408. die von Albert in seinen ^Neuen Weistüniem* angeführten
Tatsachen sowie die Huldigungsprotokolle von 15^5. 1465 wollen die
Schöffen zu Hesselbach erst Aveisen, wenn ihnen die Dorfherrschaft zu-
sichert, ,8ie by recht bliben zu laßen".
' Es ergibt sich dies, abgesehen von den Huldigungen, aus d^n
vni^fassten Farteistaiidpiinktc ans die .aniieii Leute" iti der
i^eit vor dem Baiiernkriego als rcrlitlos ihifn Herren pm«-
iaejEelien hinzustellen.
Nach allgeineinev Anschauung winde das Weiatum zu-
iiäcliNt nur mündlich von einer Geiieratioii auf die andere ver-
vrlit. Und auch später noch setzten, wie man annimmt, die
Schfiffen einer schi-iftlielien Festlegung offenen oder geheimen
U'idci-stand entgegen. Es mag dahingestellt hieiben, oh das
Fehion alter Weistüraei' beim Kloster auf diesen mehr oder
weniger stark aitsgepi-ilgten Widerwillen zuriickziifüliren ist.
«^nler ob solche ehemals vorhanden gewesen, später aber ver-
loron gegangen sind, JeJenfallf können wir als sicher an-
nehmen, dass die ei-ste Aufzeichnung von Schöffensprüchen
nicht von den Schöffen, sondern von denen ausgegangen ist,
<lie aus irgendwelchem Grunde ein Interesse an ihrem Inhalt*
hatten. Um sich desselben stets bedienen zu können, brachte
man einen StOn-eiber (Not«r) mit und liel) diesen das tiehörte
uiedorschreiben. Einem Zufalle venlanken wir es. dass wir
auch über die Aufzeichnung der Weistßmei' im Urbar von
l:ä95 etwas wissen. In der Hombacher Kundschaft vom 8. ,hili
1422 erwähnt Berriuger Fertig, dass er „vor eziten als Schul-
meister des klosters czu Amorbach'' das Weistum von 1397
,niit seiner eigen hant yn des abtz von Amorbaeh czinlJbuch
iieschribwn* habe. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wii'
auller diesem noch zahlreiche andere Einträge des Urlmi« auf
Fertig znrückftihien.
Abt Dietrich lieü bei der Aufzeichnung die meiste Sorg-
falt walten. Entweder zog er einen Notar, einen „geswomen
otfen Schryber" Ik'I, dei- .dye wysunge vnd vllspruche der
recht in eynen offen brieff vnd jnstmment zu seczen" hatte',
odyr er veranlasste benachbarte Adlige oder Mainzisi^he Beamte,
«k'r Weisung beizuwohnen, ül>er die Vorgänge bei derselben
EoUIrcicIien in jener Zeil iirrolt;;cndpii Kcgeliingen hciagUch iler Ki'oii- iitxi
AlKschiildigkeil; s. Duxl>ruim 1523. Brcitenbucli 1517, Neubninn l.'iUl
un>l 1^23. Ober- niid ITiiterDeadurF 1Ö17, ßcinhArilaachacii 1Ö28.
' fit in dem Ni)tnriiitBitiHtruinen( de« Notar« Rychaniiia Urinnsti
. Oktol
1411 <ll)er das Wvl
ichtsictien.
J
oiiH» rikundo uiiszustelleu und diene zu beglaubigen. Ja öfters
lii^lS er ein und denselben Schöffenspruch nicht nur durch einen
iWVi'ntlichcn Schreiber, sondern außerdem noch durch andere
llrkundspersonen aufzeichnen, so dass uns beispielsweise die
Weistilnier von «erichtstetten (1411), Hombach (1423) und
Uunipfen (Ul;^) jetzt noch sowol in Beurkundungen seitens
eines Notars wie seitens anderer anwesender Zeugen vorliegen.
Spiiter finden wir bald diese, bald jene Form gewählt; manch-
null sind beide in der Weise vereniigt, dass die Notariats-
urkunde auf Ansuchen der Zeugen noch durch Adligi-
U^glaubigt wurde. So sind beispielsweise die Huldigungs-
protokolle des Notiirs Joli. Urynie von 1484: regelmäßig noch
von vei'schiedenen adligen Herren durch Besiegelung bestätigt.
Allnuihlich, namentlich seitdem wir die Weisung meist mit
der Huldigung zusanmienfallen sehen, überwiegt das Notariats-
iustrument.
Dass ein Weistum von den Schöffen selbst beurkundet
wird, kommt demgegenüber ganz selten vor: von sämtlichen
t^'haltenen Klosterweistümern ist nur der Mudauer Centgerichts-
spruch von 14(J2 über den Bezug des Besthaupts zu Lauden-
1hm>j von den SchötVon siebst ausgestellt. Es liegt nahe, dies
auf die oben angezogene Tatsache zurückzuführen, dass die
Silu'^tYtMi jeder srhriftliihen Festlegung ihrer Sprüche wider-
et rt^ueu und nicht geneitit waren, irgendwelchen schriftlichen
Quollen deui von Mund zu Munde fort geerbten , in jedes ein-
zelnen SehölVen Brust leluiulen llerkonunen iresrenül>er (.Teltunj:
und Kiurtuss ein/uniumeu. Diese Abneiilunü: kommt in höchst
iHveiihneuder Weise in vier ebi-n erwähnten Laudenberger Ur-
kunde .um Ausdruek » obwol hier die Sehöffeu selbst die Auf-
. eiehnunu \eraula.s>t und über ein^r möglichst sorgtiütigen
KrtuUuu^ aller KrMndiehkeiten » BeMi-^rluni;» gewacht hal>en.
\ \\\ \\w StreiitViUe ent>elieiden /u kvMuun. verhören die ^^ehöffen
lebeiuhiie KuihUi hati . l^iirtV. Uüelii r u:id Uoiiislor. Dar utt
Nie ..etmuutluh n rrv ht i;e^pvev*un, e.a> >ol:rh lebt-ndiii kunt-
*^» h,nU iueJ\ii:'. v\ \«u\ M\Ih»i -^v\!t^, d. I:. dii' Aussage leWn-
diM .'eiu:rn \\\u\ \\'k\\ Cw^ m l^vt^liv :u TikMü-io hal^ den Aus-
WeisKln»'!
Trotzdem gewinnt die sclirif tl iclie Festlegung lies Scliöflen-
sprucliis, iiaclidem sie iibt'iliaupt einmal zur Anwendung ge-
kiinimen, immer mdir an Buden. 14fi9 fragen die um Wei-
sung angegangenen Schöti'en zu (äötziiigen, oh das Kloster
,eyncherley schriefft do von habe, sie lassen zu hi>ren". lu
ähnlicher Weise läast Abt .Tost 14B0 den Scliiiffen zn Kirch-
zeil wie zu Obenieudorf vor ihrem Spruch seine Bücher vor-
lesen, Abt Johann bezieht sich HHÜ den Bewohnern der Cent
Miiilau gegenüber anf des „elosters sallbuch vnd andere
schriffte". und seit der Huldigung von löOll wii-d bei derWei-
üimg der Klostergerechtsame in der Mehrzahl der Fälle auf
frühere St^hüflFensprüche zurückgegiiften. Diese wei-den ver-
lesen, anerkannt und wörtlich iii itas neue Protokoll iiber-
iinmnien.
Haben wir uns bisher mit der Überlieferung unserer
Klosterweiatüiner beschäftigt, so sei jetzt hervorgolioben, was
hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalt» von allgemeinerem
Inteivsse ist.
Die wesentlichen Erfordernisse jeder richtigen Weisung:
i-echte Hegung durch den tlerichtshemi . i-eife Überlegmig
seitens der Schöffen, VerkUndung des einliellig oder von der
Mehrzahl gefundenen Urteils durch ein Mitglied des SchKIfeu-
gericbts. Zustimmung und Anerkenntnis seitens des Utnstands,
dev Gesamtheit der zum Schöffenstuhl GehBrigen, dies alles
linden wir bei dem einen Weistum in grüLlerer, bei dem andern
in geringerer Vollständigkeit und Schäi'fe vor. Ks mag hier
genügen, auf die Weistilmer von Gerichtstetten (Uli), Hessel-
bach tl4I5 und 14fi.j), Hettigeiibeuera (1412), Kirchzeil (!4B0).
< )beniendorf (146U und 1484), Unterneudorf (1457), Volmers-
dorf (1456) und Weilbach (UK.j) als besondei-s charakteiisti-
»che Beispiele zu verweisen.
Ein Hofweistum im engem Sinne, d. h. ein Weistuin,
<las ausgesprochen von grundhörigen Bauern, nur die Bezie-
hungen des Grundherrn zu seinen (Jnuidholden zum Gegenstand
hat, liegt, wenn wir von den undatierten Einträgen der beiden
Urbare absehen, nur in den Weisungen von übei'sclietftenz
ll44.->) und Itunii'feii (141:!| vor. In den beidi-M Urbaren finden
8 Kn-J-
>iili allenliim^ noch zahlivii-lu- Anualim iviii liiifi(-c-litlk*ln
Xatur ~ so unter DornlHTir. KrfVM. Xtckar>nlm. Kinsclilieiii
UipjHM'g, rntoi-schoftlonz. \'olini'i-s'lnit um! \>'etterMlnif -
nur steht hei diesen, wie hiivit> «iheii au>i:etuhit wunK\ vie
tiuli nicht fest, inwieweit diis^-lhiu uisprünirliihe Schuftei
>pnK*he oder einseitig!' Aufzeii-luinnut-n dr> Klo>tei*s da
<TelIen. Was insonderheit die Vtrhältni»e dt-r rrt«nh"»ft\ ihi
Lri>tuni:en und ilire lkn"i»elitii:imi:tn LH-ui-nfiU-r dt-ni Kh»st<
anlanut. s^i nvhou uns hieriUnr aului* lUn UrUiriak'inti'ägc
iViil. Kinswangen. Hettingen. KUin H..»ni!iarh. Mudau. Xeii
hi^l", Koigheiin. Sindolsheinii hau|>t>;u-h]irh dii* Paehtverträ!
AnfM-hhi». \'oni ITi. .lahrliundert an s^hen wir die l^*zi
liunuen zwisihen den InhalH^rn tli-r Uviinvrhticten Hofe d
Klosti-i-s und dii-M'Ui als lirundlurrn nur C\m\\\ *\k' Leiliebrie
i;rreuflT. Krtft'hi'U sieh Zwi>tii:kiittn. >•• tindi-n wir die
nii-ht dureh Weisungen >i'iti*n> dt-r gruntlluingen Zeit- od
Krhln^Ntänder, sondern dnnh WrgKiihr inlt-r sihieilMiehtt
lirhe Kntsrheide U^iurK^ut. V»:!. hvi>i»it !*»wii-Hf Hi-ttingen n4'
und 14S1M und Mudau il4ir>).
Die übrigen Weistümer >iud v.'U P.^itgtiiihti-n gi-geht
d. h. von SrliötVongeriehton, wililu- *Vw gi-r^iuitr l>orfniar
i;euosM»nsi'han vtTtivten, lileiihuüitii:. o\* iinu-rhall» dri"selh
rill oder mehrere («rundiierri'U vurhandt-ii >ind. oh *\\r>v gh*ie
zoitig die N'o^tt'ilirhkeit ausiilKU, »^It-r i»h dir In-reehtsai
ile> iirund-, (loriehts- und l.audt'>ht n!\ in diii liäniK*n v
ViM*M*hiodi»nen Urrei'htiuten lieüiu.
\\v'\ dem llofwoistuni hegt da>(üriv!-t lit-r «iiundlierr
in eigriuM* INmsou oder dunli >einrn WrüxttV — . hiini Do
woistum ent»H|Mrrhend «Kr «ierii lM>].t ! : . tu niht>hrrr m
da»H Klo^^tor in den iKutern. in liriun « -* t :itwtihr alU^in oi
diu-li in an-*»Hi"hlam:ehi'ihh'r N\ i*i«*i i\v.\\\ •:;• V..i:ti-ilirhkrit a
.•niihi'u hallt'': hirr konntr i'> daiiv >'it!V»it v«ui Meh j
dii' \N oi^uni; M-inrr tuMTi Itt^nne \ i v.K.'.,i»-. '. Andi'r> da.
dii* \i»i;hMhi hkril niihl ilun. Nx^n,i^ :v. Ma : /. Kurpfalz o«
l"'* ».iiui tili N. ,» l».;, -»,!•., 1« \ .'• V- ^ ■ - '.■. «r.r.i? Wrill»;
liii li-muni Ol |x, lutirti \ ,«m tii :■, v .' •■■ \ >». ■ ■. '.7. riiii 1**. ■';
IlllIhliMl liiM h :-.riMltili:-.l miMi'.«
liiieni der zalili-eiclien in der tiej^eiid ansä^igcn Adels-
gi'sclileclitei- zustand. Hier iiiuaste sich das Kloster, wenn e«
buiiio Keclite erneuert haben wollte, an diese als die Vögte
iiihI Oerielitsheiren wenden und von ihnen Uegung des tiericlits
begeliren. Dementsprechend sehen wir auf Bitten des Abts
in Dornberg Peter Ötettenberger, in Hettigenbeuom die Adels-
hfim, in Kiri:hzell. Mudau und Weilbaeh die Mainzischen Amt-
lente, in Voliiiersdorf ('uncz Üüde und Diether von Neyppurg
<lie ächölTen zur Öffnung der Klostergercchtsanie anhalten.
Außsclilielilieh dem bestimmten Zwecke, über das Best-
haupt zu entscheiden, diente das Schöffengericht bei dem so-
;renannten Siebenden, der am siebenten Tage nach dem Tode
stattfindenden Erbschaft sregelung. In der Mehrzahl der li'älle
Initte der Siebende nichts zu tun. als die jeweils zu ent-
richtenile Erhschai'tsabgalie festzustellen , das , beste Haupt
zu zielien". Doch waren manchmal auch Fragen von gnmd-
sätzlicber Bedeutung zu entscheiden, ob überhaupt und an wen
tliLs Besthaupt zu geben sei. Vgl. I^andenberg (144>^), Rümpfen
(UDM. Intemeudorf (U(i4). Volmersdorf (1430, 10. März)
und Woldhausen (14(i."i. -21. Oktober).
Auch da , wo das Kldster nicht Gerichtsherr. woi aber
•ler alleinige Grundherr war. hatte es den Siebenden zu hegen.
Wenigstens in der Zeit des eigetithchen Mittelalters, solange
noch das Bestliaupt ansschlieLllich oder doch zum ganz Über-
wiegt^ndeij Teile aU öliterfall dem (irundherm zustand. Vgl.
hierzu die eini^cblügigen Bestimmungen unter Hettigenbeuern
(U12), Kirdizell (139r,). Hipperg(139J) und Bclmeoberg (1440).
Noch ein Wort über die Bestätigung durch den Vmstand.
Laiiiprecht in seinen bereits früher erwähnten Ausführungen '
ItUst diese vom 14. Jahrhundert an immer melir an Bedeu-
tung vertieren. Fiü' unsere Wei-ttümer ist dies jedoch kaum
zutreffend. Gei-ade als die Fortbildung der Weistümer nach-
lü-wt. als die einmal gefundene Form einfach wiederholt wii-d,
und den Schf^ffen keine schöpferi.'^che Tätigkeit mehr innc-
Di-ii
Wir
ii'UarUilclH'ti im MittHalter
] Krelis
wohnt, gewinnt die Anerkennung des Herkömmlichen durcli
die Gesamtheit an Bedeutung. Mehren sich daher vom Ende
des 15. Jahrhunderts an die FäUe, dass frohere Weisungen
ohne weitem Zusatz übernommen werden, ja kommt es l>ei
manchen Huldigimgen vor. dass man sich statt auf ein )>e-
stimmtes Weistum ganz allgemein auf das alte Herkommen
vei-pflichtet, so sehen w^ir demgegenüber Grund- und Vogtei-
heiTen um so mehr Wert darauf legen, dass nicht nur die
Schöffen . sondern auch ,die andern gemeins menner dessen
gestendig* sind'.
Einige Beispiele von Weisungen durch eine höhere In-
stanz liegen uns in den Mudauer Centgerichtsspiüchen für
Hesselbach (1415) und Laudenberg (1462) vor. Wenn das
Dorfgcncht einen Kechtsfall aus irgendwelchen Gründen nicht
entscheiden konnte oder wollte, sei es, dass es ^des i-echtes
nit wyse was*", oder dass vorauszusehen war, dass sich die
eine Partei dem Urteile nicht unterwerfen würde, so zog e>
die Sache an das Cent- oder Landgericht. Hier haben wir
einen Oberhof für das einfache Dorfgericht, denn das Cent-
gericht entscheidet hier nicht die ihm unter allen rmständen
vorzulegenden Centfalle, sondern in den Bereich des Dorf-
gerichts gehörige Angelegenheiten gewissernialSen als zweite
Instanz. Und dieser Oberhof war im Wesen von dem Dorf-
geiichte nicht verschieden. Denn w^enn das sich aus den er-
fahrensten Schöffen mehrerer Dorfgerichte zusaninionsetzende
('entgericht diese auch durch die Zahl wie die geistige Be-
deutung seiner Richter übertreffen mochte, es waren doch
immer Bauern und nicht gelehrte Juristen, die das Beeilt
fanden und aussprachen. Die angeführten Centgericlitssprüche
' y. Solcher reclit oröffcniing sein die andern ;jjeni<'ins menner da selbst
i^eHteudig gewesf. ho heißt es schon 14?^4 zu Oberneudoif, (ilashofen.
IleHselbadi und Heinhardsachsen; hei den spätem Huldigungen kelirt
dies Anerkenntnis regelmäßig wieder. Vgl. auch Volniersdorf (14')r)J. wo
<li«* Schöffen seihst den l'nistand zur Äußerung auffonlern. Ebenso wendet
y^'u-h der Schultheiß ]>eini Salgericht zu Amorbach (1544 i au den Inistanu
und fragt, <d» jemand etwas an den verlesenen Salgi'richts-lJerechtsainen
auszusetzen, zu berichtigen oder ergänzen habe.
sind dabei" auch iiiu deswillen von Interesse, weil sie zeigen,
^lasä es nur bedingt richtig ist, wenn man das Fehle» einer
gleichartigen Appellationainstanz als einen der Uründe für
das Verschwinden ()er Weistihner bezeichnet hat.
Wenden wir uns dem luhalt» der Weistümer zu , so
müssen wir stets im Auge behalten, dass wir es fast aus-
wchlieülich mit Weisungen zu tuu haben, die auf unmittel-
bare Veinn lassung des Klosters gegeben wurden. Dessen
Rechte kommen daher in erster Linie zur Feststellung: was
ihm an Abgaben als Uerichts- und tinindlierrn zukommt,
welche Dienstleistungen es anzusprechen hat, wie seine Stel-
lung zum Vogt und Landcsherrn ist. dies und ähnliches bildet
in den meisten Weistiimern den Hauptinhalt. Deingegenflber
treten die herkömmlichen Gewohnheiten der Gemeinde in Be-
wirtschaftung und Pflege der Felder. Nutzung von VVnld,
Wasser und Weide, Feld- inid Doi-fpolizei mehr in den Hinter-
grund.
Näher auf den Weistum-InhaU. einzugehen, ist hier nicht
der Ort'. Nur auf zwei hesiindei-s auffällige Erscheinungen
sei kurz hingewiesen: wir linden in den sämtlichen Weis-
tßmern sehr wenig von des Klosters Uechten auf Wald, Jagd
imd Fischerei, nichts von seinem Zehntrecht.
Das erwtere erklärt sich daraus, daas das Kloster trotz
si-iiier Lage inmitten der ausgeilelmten Forste des 4)denwalds
»elbst nur wenig Wald besass. Abgesehen von dem Wolkniaun-
bei^ in unmittelbarer Nähe von Amorljucli, der dinch beson-
dere küniglicbe Schenkung an das Kloster gekommen war,
hatte dasselbe ei-st nach und nach durch verschiedene Käufe
von Adligen einige gröliere Waldbezirko an sich gebracht : in
zahlreichen Ortschaften hatte es nur die Hechte als Mark-
hnltch verhielt es sich mit Jagd und Fischerei,
iders dagegen steht es hinsichtlich der Zelmtgorccht-
Diese wart'U für ilas Kloster von so hervorragender
•iJL'li vldlrii-bl s|iätor
12 Krebs
Bedeutung, dass ihre Nichterwälumng in den eigentlichen
Weistümem auf keinem Zufall beruhen kann. In der Tat
sclieini es, als habe das Kloster mit bewusster Absicht daran
festgehalten, seinen Zehntbezug als ein auf göttlicher Satzung
beruhendes Recht nicht der Weisung der Bauernschaft zu unter-
stellen. Daher besitzen wir über die Zehntverhältnisse auch
aus der Zeit der Weistum blute nur Kundschaften über die
von alters her ausgeübten Zehntrechte, Vergleiche zwischc*n
verschiedenen Zehntberechtigten ül)er den Umfang ihrer Ge-
rechtsame, schiedsrichterliche, oberhirtliche oder landesherr-
liche Entscheidungen über die Art und Form der Zehnt-
entrichtung.
Die Frage nach der inneni Entwicklung unserer Weis-
tümer, ihrer Fortbildung und ihrem allmählichen Vei^chwinden
nötigt uns, mit ein paar Worten die allgemeine Anschauung
von dem Wesen des Weistums zu streifen. Nach dieser wur-
den die Weistümer an bestimmten Tagen des Jahrs zu-
nächst nur mündlich ausgesprochen und enthielten das sich
unveränderlich gleichbleibende Gewohnheitsrecht, wie es von
einem Schöffen auf den andeni, von einer Generation auf dii^
andere vererbt wurde. Hierauf gründet sich dann die weitere
Annahme, dass uns in den Weistümern ein getreues ^Bild
der ältesten Gestaltung des Rechts-, Gesellschafts- und Kultur-
lebens unserer bäuerlichen Gemeinden" entgegentrete. Es
mag dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung, die in dem
Weistum nahezu unveränderliche Rechts- und Wirtschafts-
gewohnheiten niedergelegt sieht, für die frühesten Schöflfen-
isprüche zutreffend ist. Unsere Weistümer. die allerdings nicht
besonders alt sind, befinden sich jedenfalls in fortwährender
Bewegung und Umgestaltung ^ Gewiss, die bäuerlichen Zu-
stände waren stetige, im grolien und ganzen sich gleich-
bleibende. Veränderungen, namentlich auf wirtschaftlichem Ge-
l)i(*te, vollzogen sieh nicht sprunghaft, sondern langsam, kaum
' Schon V. Iiiaina-StiTiiegg ( Cbor d. Quollen d. deutst-beii Wirt-
.scliaftsj^osrli.. Wifii 1^77. S. lö.Mf. i hat davor j:owariit. die UnverändtT-
lirlikeit des liäuoilichen Hochtshowusstsoins. der bäuerlichen wii-tscliaft-
lirht'u Zustände zu ühertreihon.
Wri
Hlbllfll
13
merklich. Zudem mochte im Weitttum iiiaiiclifs noch längere
Zeit hinJurch in der alten Fassung festgehalten werden, was
sich in der Wii-klichkeit bereits verschoben hatte. Trotzdem
sind misere Si^hötfensprilche keine schablonenhaften, ängstlich
An die Überkommene Form sich Iclammernden Wiederholungen
von Urväter Zeiten her. Im Gegenteil, gerade solange die
Schöffen noch wirklich aus lebendiger Überlief er im g und
i!iclhtiitäDdigem Ui'teile heraus wiesen, trugen sie auch den
wechselnden äul^em Verliältnissen ateta Rechnung. Daher
ein Erläutern und Ergänzen, ein Abändeni, A'erbessern und
Fortbilden selbst da, wo man auf frühere Weisungen zurllck-
griff und diese zunächst unbedenklich in ihrer ursprünglichen
Form wiederholte.
Vom Ende de« 1-1. bis zmu Anfang des 1(5. Jahrhunderts
können wir dies vei-folgeu. Ho ist der Htfinhardsachsener
Sehöffensprueh von 1484 völlig unabhängig von dem von \'MHy
gegeben. In Kircbzell wenden die Schöffen 14(50 bei Erneue-
rung des Weistums von 1395 sofort die der veränderten Zeit
entsprechenden Personennamen an. In Kaltenbrunn ist die
Wei.sung von lö07 mit; den 1498 neu geschaffenen Zuständen
in Einklang gebracht. Das Glaahofener Weistum von 1413
finden wir beim Sehöffensprueh von 1484 durch einige neue
Bestimmungen vermehrt, in Götzingen erhalten 1469 die Ar-
tikel in des Klosters Buche verschiedene Zusätze, und in
Hornbach erweitern die Schöffen bereits 1404 ihren Spruch
von 1397. Ähnlich ist es in Hambrunn (1420 und 1516} nnd
Üntemeudoi-f (Hir), ]4.'i7 und 1484). Und die ,unwissen-
haftig, vergessen leut' zu Hornbach, die sich 1513 zur Unter-
stQtzung ihres Gedächtnisses die frühem Weisungen vorlesen
laSBOD, stellen trotzdem noch von sich aus eine Reihe von
Kechtssätzen auf.
Aber neben einer solchen Betätigung der Schöffen, die
das Weistum noch als Haiiptquelle de» Rechts oi-scheinen
lässt, werden vom letzten Drittel des 15. Jahrhunderts an
auch Zeichen des Rückgangs, des Welkens wahrnehmbar. Wol
am deutlichsten tritt die Tateacht', dass den WeistOraern nach
und nach ihre frühere Bedeutung verloren ging, darin zu Tfige.
]4 Krebs
(lasH wir vom 16. Jahrhundeii an Klosterweistümer nur noch
aus klösterlichen Vogteiorten haben. In diesen werden die
Weistünier herkömmlicherweise bei den Huldigungen wieder-
holt, an andern Orten sehen wir das Kloster gar keinen Wert
darauf legen, dass seine Gerechtsame durch das Schöflfengericht
ei'neut ausgesprochen und bestätigt werden. Etwas andei-es
muss also schon an die Stelle des Weistums getreten sein
und es ersetzt haben. Was ist dieses andere, und welches sind
die Ursachen, die zu dem allmähhchen Verschwinden der Weis-
tünier geführt hal>en? Lamprecht, in seinen wiederholt er-
wähnten Ausführungen^ von der Annahme ausgehend, dass
^ die Weisung urspiiinglich als alleinige, jede andere Fonn der
Überliefenmg aussehlie(iendo Quelle des Rechts angesehen
wunle", lässt „den Verfall des Weistums entschieden sein,
sol)ald überhaupt eine weitere Itechtsquelle in irgend einer
Kichtung erschlossen wurde*. Als solche Kechtsquelle nennt
er voi* allem den Vertrag, der zunächst nur zwischen ver-
schiedenen Berechtigten, nach und nach aber auch zwischen
Gerechtsamel)erechtigten und Leistungsverpflichteten Platz
gegritfen habe und als gleichwertig neben das Weistum ge-
treten sei.
All dies erscheint mir zu sehr vei*standesmäßig konstruiert.
Sicher gab es stets Fälle, wo sich beim feindlichen Zusammen-
stoßen der verschiedenen Interessen die eine Partei nicht bei
«ler Weisung, bezw. dem Gehoi'sam heischenden Befehle der
andern beiuhigte, und nicht ei-st vom l:^. Jahrhundert an ent-
wickelten sich Verhältnisse, die neben dem Schöflfensprucli
den Vertrag und, wie wir gleich hinzufugen müssen, den Ent-
.scheid notwendig machten.
Beides, \*erträge und Si*hiedsspiüche, gehen jedenfalls,
soweit unsere l herlief erung zurückreicht, stets neben den
Weisungen einher-, und wir können nicht sagen, dass das
• l>eutsrhes WirtM-lrnftsIebfu im Mittelalter II, ^SfF.
- Ks sei \\'\vv nur auf die unter Amorbach angeführten Mainztschen
Kntsrheitle aus dem 14. .Tahrhundert. sowie auf Erfeld (1361), Gericht-
stetteu yVMy,\K Mudau 14i:»\ Neudorf a. d. St. (1416» und Pfllfringen
, 1:^1 »4 1 verwiestMi.
1.)
Weistnm hierdureli zurückgedrängt oder sonst ungünstig be-
einfluBst worden sei, Haben doch geiade unsere Klosterweis-
tümer ihm reichste Äusgeatattung und Entwicklung im 15. Jahr-
hundert gefundenl
Mir will Mcheineu. als sei das Abhüngigwerden von der
scUi'iftUchun Aufzeielmung für das Weiatuni \'on besnndei's
nacliteih'gem Einflüsse gewesen. Diese Abliangigkeit aber ti-at
fin. als man aiiiliörte, das Weistum in regelmillligen Fristen
zu wiederholen. Solange das Weistum jährlich oder wenig-
stens alle paar Jalue eraeuei-t wurde, blieb es frisch im (le-
«lächttii» der Scliütfen, Vei-wochslung und Irrtum waien so
gut wie ansgeseliloBsen. Wurden die Zwischenräume, die zwi-
schen den einzelnen Wiedeiholungen lagen, größer, die Pausen
länger, .so wuchs damit auch die Möglichkeit, dass die stetige
t' bei'Iiefernng abriss, und es konnte kommen wie zu Unter-
neudoi-f, wo die Schöffen mit der ganzen (iemeinde 1457 er-
klärten: .wir seint der nierteil alle jung vnd haben solichs
nye czum rechten hören wysen". Und wenn die ünter-
iieudorfer. Bezug nehmend auf die Inierlieferung, dass „solchs
vonnols von irn eitern gewiesen vnd . , dann besehrieben vnd
vei'brietr sie", .solche gcschrifft czii boren begern", um „dan
fzu wysen. was [ihnenj recht dünckt", so machen sie selbst
sich von der schriftlichen Aufzeichnung abhängig. Und wie
ihnen geht es allen, die ihrem Gedächtnisse durch Verlesung
früherer, niedergeschriebener .Schöffensprüche zu Hülfe kommen
wollen. Sie, die ungelelirten Schöffen, müssen dem Schreiber
wie dem. dei- das tieschriebone zum Vortrag bringt. Glauben
schenken, und während sie voi-dem die alleinigen Träger des
Itechts waren, ordnen sie sich jetzt dem unter, was ihnen
Grund- oder Vogteiheiren aus ihren Büchern vorlesen lassen.
Ist aber die Niedei'schrift ei-st einmal maßgebend für die SchöiTen
geworden, so lässt sie dieselben bald ganz Ubei'Hüäsig er-
scheinen. Denn welchen Zweck hat es noch, ein Schöffen-
gericht abzuhalt«n mid all die mit einem solchen verbundenen
Weitläufigkeiten auf sicli zu nehmen, wenn die Schöffen selbst
sich doch auf die achnfthche Überlieferung stützen müssen,
und diese bereits in völlig rechtsgültiger Form niedergelegt ist!
16 Krebs
Sehen wir das Weistuin hier an Bedeutung und Wert
verlieren infolge der Entwicklung, die die Weisungsübung im
Laufe der Jahre genommen hat, so sind es daneben eine Reihe
äulierer Umstände, die seinem Ansehen und seiner Greltung
Abbruch tun. Das Eindringen des kanonischen und des römi-
schen Rechts, die Herausbildung eines eigenen Richterstands
von gelehrten Juristen, die durch das Aufkommen des Buch-
drucks begünstigte Ausbreitung territorialer Oerichtsordnungen.
die Regelung des Strafrechts für das ganze Reich durch die
Carolina, vor allem aber der Umschwung, der sich in der
Stellung der Herren zu ihren gi-undhörigen oder leibeigenen
Bauern nach dem Bauernkrieg vollzogen hat, dies alles wirkte
zusammen, um das Weistum immer mehr zurückzudrängen
und schließlich völlig übei-flüssig zu machen.
Ein bezeichnendes Beispiel von der veränderten Lage
nach dem Bauernkriege tritt uns in dem Hombacher Weis-
tum von 1530 entgegen. Kaum können wir es noch einen
aus dem freien, selbständigen Urteil der Schöffen hervor-
gegangenen Rechtsspruch nennen, viel eher ist es eine durch
den Vogt und Gerichtsherni gegebene Dorfordnung, denn stets
w^enden sich „die inwohner mit vndertheniger, vleisiger bith"
an Leonhard von Dürn als ^ihre obrigkeit", und dieser , be-
williget vnd beschließt" dann, was er als Vergünstigung zu-
lassen will. So wird die lebendige Kundschaft und Über-
lieferung abgelöst durch das Sehreibwerk und den Druck, das
immer neue Finden und Weisen des Rechts durch die Gesetz-
bücher und landesheiTlichen Verordnungen. Der Inhalt des
Weistums aber wird übernommen von dem Amtsbuch '.
^ Es ist vielleicht nicht überflüssig, nochmals ausdrücklich zu be-
tonen, dass sich das GesajLcte zunilchst nur auf die Weistümer des Klostor>
Aniorbach hezielit und darüber hinaus höchstens den Anspruch erhebt,
für das ganze (lebiet, aus dem diese Weistümer stammen, also für die
Gegend zwischen M«in, Tauber und Neckar, zutreffend zu sein. All-
gemein gültige Sätze über Wesen, (ieltung und Verschwinden der Wei>-
tümer sollen damit nicht aufgestellt werden. Solche lassen sich bei der
Vielgestaltigkeit der territorialen Verhältnisse in Deutschland vielieiciit
überhaupt nicht aufstellen. Und Schlussfolgerungen, dio für einen be-
stimmten Kreis räumlich oder zeitlich begrenzter Erscheinungen richtig
WciBtQmci' vim Aniorbiii-li 17
Gk ist Iiiei- nicht dei' Üit, die Entstehung des Anit^buchs
im einzelnen naehzuweiBen. Die sich schärfer geltend machende
Staatsidee, die den einzelnen Keichsständeit gestellten neuen
Aufgaben, die hierdurcli bedingte Änderung in der Beaniten-
arganiäation , dies alles hat mitgewirkt, das Amtabnch zu
schaffen, ohne dass wii' hier naher auf die mannigfach inein-
andergreifenden Eintlüsse eingehen können. Wir müssen uns
damit begnügen, die Tatsache festzustellen, dass im 16. Jahr-
hundert in allen großem und kleinem Territorien damit be-
jtonnen wuixle, dasselbe, was früher die Schöffen gewiesen
hatten, schiiftlicli in besondern Büchern ' festzulegen.
Öo nimmt, um einige Beispiele zu nennen, die pfälzische
Regiemng in den fünfziger Jahren Michael Sulzer zu einem
Kenuvator ,dei- Saal: Landt: vud Aiubts Bücher" des Amts
Mosbach an, lötil vollendet derselbe ,des ampts vnd kellerei
Lorbach weiiithurab buch vlwr ein jeden desselbigen ampts
Dachgeschribnen vnd angeliorigen tlecken, was für ober: vnd
herligkeit, recht vnd gercchtigkeit, gebrauch vnd altherkom-
men die Ohurfurstiich Pfalntz in jedem besonder hat". In
ähnlichei' Weise erfolgte die Aufzeichnung der landesherr-
lichen Gerechtsame in den andeiTi Amtei'n*. Im Ilochstifte
sind, werden falscb. sobald tnaQ sie vorechnell Terallgemeinert. Trotzdem
glaube ich. daSH speziell id der zuletzt berührten Frage nach dem all-
mftbliclien Verschwinden der WeistHiner die oben vertretene Anschauung
eine allgemeine Auadehnnng ziitttsst. Wenigstens steht die etnscIilSgige
Literatar naheza Übereinstimmend auf dem gleichen Standpunkte, dass
Rftmlich das 16. JahrhuDilert das Ende der lebendigen Weisungs-
ilbnng bedeute. Wenn Weiatftmer nouh im IT. und 18. JHhrhundert
aufgeneicbnet wardeu sind, ho beweist dies noch nicht, dass auch ihr
Inhalt damals noch im Bewusatsein der Dorfgenosaen lebte und für Tun
und Lassen derselben entscheidend war. Auch die Ausffihrungen von
Franz Arena in seinem äußerst grCIndlichen Werke .Dos Tiroler Volk
in seinen WeistUmern' (.Gotha, 1904. Vgl. S. 5. U. 9T, 100) kennen
midi nicht Dberzeugen. dass wirklich .noch bis ins IS). .Jahrhundert
Weiatamer ergangen" uud nicht eiufach als historische Urkunden er-
neut aufgeschrieben worden sind.
' In dem hier in Frage kommenden Ciebiete iwischen Main, Neckar uud
Tnuher iat der gebräuchlichste Name neben Amtebuch Jurisdiktionalbucii.
' .Saiil Buch Amts Hilabach 1. Jan. ITilü. Vm ist wahrschciulicii
!
I
WUrzburg kam es wählend der Hegienmgszeit des Ffirat-
biscliots Julius zu einer in allen Ämtern diircligeführton , zu-
sanimenfaseenden Darstellung der „Hcri-lich Kecht : vndt CJerech-
tigkaidten, Ucwönheidten, (rebräuchen \Tidt Altherkommen* '.
Li den ritterschaftlichen Orten wai-en es die adligen Dorf-
herren selbst, die die rechtlicben, wirtacliaftlichen und kiiHii-
rellen Verhältnisse ihrer Untergebenen i-egelten und die vei-
schiedenen Verfügungen und Satzungen in besondem üerichts-
hüchem zusammenstellen tieDen. So gab Albrecht von Kusen-
herg l.'ifil fiir all seine Vögte. Sciniltlieiüen luid Gerichte eine
„Oi-dnung gemeiner Polizei", indem folgenden Jahre ergänzte
er dieselbe durch verschiedene Verordnungen speziell für Unter-
schöpf, 1564 für AngelthÖm. 1589 erlassen die Ganerben
fiir Hainstatt eine Dorfordnung, deren Schluss ~ bezeichnend
fili' die veränderte Stellung der Herren zu ihren Bauern —
lautet: ,doch vnli, vnseni nachkommen vnd erben hierinnen
vorbehalten, solche ordtnung jederzeit zu mehren, mindern,
oder gar abzuthun, noch vhkhh vnd vnserer nachkommen vnd
erben wolgefallen".
Im Erzstifte Mainz hatten zwar einzelne Amtleute bereits
im Ifi. Jahrhundert mit der Anlage von Amtsbüchem begonnen,
zu einer einheitlichen, in allen Landesteilen gleichmäßig durch-
geführten Aufzeichnung „aller des hochioblichen ErtzstiSt
Maiiitz habenden hohen und nidern Jurium, Jurisdictionaticn.
Geist- und Weltlichen Gerechtigkeiten, auch Gefäll vndt Ren-
then"' kam es jedoch erst nach dem DreiUigjäbrigen Kriege,
das Jahr, in dem luit der Aalage des Bui^Uh 1i[^):(iiiii?n worden ist:
uiaDcherlei Eintrüge rühren erat ans den aulitziger Jahren. In Maytr-
hoIcT und Uliissi-hrSder. Die Weistnmer der Rheinpfulz, ist !^. 10
unter ÜHlhviiH bemerkt; Gemeinde -W ei sth um, aufgenommen gelegentlich
der kurpRlI»! sehen Verordnung betr. .die Emewemng vnnd üeachreilrang
}des cirtä habenden ^rechtigkeitten*. 14. August 1565.
' So in dem .Fürstlich Würtzburgiaehn Ambt oder Saalbucli Tb«
das Ambt Hardtheimb' vom Jahre 1594. Im Amorbiichcr Archiv noek «in
undatiertes Urbarium von Lauda aus der gleichen Zeit. Die meiBt«n Wfln-
burKischeii AmtsbOcber befinden sich in dem Kgl. Kreiaarchive zu Wünburg.
General- und Special Beachreibung Aller de» hochl. Ertsstifft
Maintz im Ambt Biachoffabeim nn der Tauber habenden Jurium etc. ICOrt.
Weistiin
I»
als Kurfürst .lohaTin Philipp tlii' Besclimbiin^ „nllcr Jura' iiii-
ordnete '.
Natiirlicli sind die Amtsbüchw niclit etwas ganz Neues,
sdtidem in gewissem Sinne nur eine Poi-t-setzung der frilherii
Urbare. Aber während die alten Urbare in sich die Einträge
über die mannigfachen Zinsen und Gefälle, wie über die vor-
sichiedenen Berechtigungen und Pflichten vereinigten, verweist
man jetzt die Einzelabgaben in besondere Bücher (Zins- und
Gült-, Lager-, Sa!- und Schatzungsbücher) und stellt daneben
andere über die Gerechtsame vorwiegend öffentlichrechtlicher
Xatur auf. Auch das Verfahren bei Anlegung der Amtsböcher
ist von dem früher geübten verschieden. Denn gehen die
Urbare von der mündlichen tjberlieferung aus und stützen sip
sich namentlich in ihren Angaben über die rechtlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen auf die vorher-
gehende autonome Weisung seitens der Schöffen, wenn sie
nicht überhaupt den Schöffenspruch wortgetreu übernehmen,
so ist das Wissen der jeweils lebenden Oieueration für die
AmtsbOcher nur von ganz untergeordneter Bedeutunft. Ihnen
dient in erster Linie die von der Zentrale, der Landesregierung
ausgearbeitete Instruktion , das voi-gelegte Modell ' als Richt-
schnur, deien Fragen sind zu beantwoilen und zwar zimächst
auf Grund der Akten und Urkunden der Amtsregiatratur bezw.
'■ F(lr driH OborHint Aiiioilmtli lioll bei epicU weise der Amtuiami
Hans Heinrich von HeiisenBtanim bereits ].571 ein .Ambt buch" anlegen.
I6."iß Juri«ii«tiDnal Buch der CVndt«n Amorbncli, Mudaw. Buclien. Wnl'
tbOrti Tod Bureken. 1ß6ü Lftgerbncli aller Recht vnd (ierechtigkeltcn.
SU liOchntgedaclit Ihro Churfstl. (inaden vad deru horhlOblich KrtzatifR
MainU in der Statt Miltenberg, vnd an^eliOrigen Dorfbcbaften . . . vun
AlterH hergebracht. ItiltV Amorbacher Ambts Jiiriadielional Buch. l(i(iH
-lurisdiotinnalbnch der EelJerey KttlÜheimb. Weitere MüinziHche Amta-
htlflit-r befinden sich Im Kgl. Kreisitrcblve zu Wliriburg.
* Im Amorbacher Anihts Jurisdictioniil Buch von' 1668 heißt ca;
DeniD*i:h Ihre Churfflrstl. Gnaden zu Mayne undemi 12. Septembna
-Inno Iflfi? mit Iteylegimg eines gewislien Modalla gnädigsten Befelch er-
^phen lasen, dnll alle Jura im Ambt Amtirbacb gemelten Modell gemeti
*iJafUhrlich beschrieben uiidt vor [Mingaten lauffenden 166«. Jabra
-*!»--Bcbickt werdtcJl »ölte.
J
20 Krebs
des Landesarehivs '. Nur im Notfalle, wenn einmal das schrift-
liche Quellenmaterial versagt und keinen genügenden Aufschlus^
gewährt, werden die Schultheißen, Qerichtspersonen oder alte
Leute über diesen oder jenen zweifelhaften Punkt vernommen.
Zum Schlüsse, wenn das Amtsbuch fertig ausgearbeitet vor-
liegt, wii-d es „vor versambletem gericht vnd gantzem vmb-
Htandt öffentlich furgelesen", manchmal wird bei dieser Ge-
legenheit eine förmliche Anerkennung des Inhalts gefordert.
Und diese Anerkennung wird stets ohne Widerrede aus-
gesprochen: „was öffentlich furgelesen worden, haben das ge-
richt vnd gemoindt einhelliglich also angenomen, affirmirt vnd
gestanden** ^ Denn die Mitwirkung von Schöffen und Gemeinde
war reine Formsache; mir ist wenigstens kein Fall bekannt
geworden, in dem diese bei Anlegung des Amtsbuchs gegen
irgendwelche Einträge desselben Einspruch erhoben hätten.
Daher rührt es denn auch, dass sich beispielsweise die Bücher
des Klostera wie die des Erzstifts Mainz für ihre Angaben
gleichmäßig auf das Anerkenntnis der betreffenden Gemeinde
berufen können, obwol dieselben keineswegs überall überein-
stimmen, ja manche Einträge sich geradezu widersprechen.
In di»r Wirklichkeit behaupten sich dann freilich nur die
Hintrüge des Amtsbuchs. So wenig das Kloster bei einem
WiihMstriMto der Interessen seine Ansprüche gegenüber den
frohen, sich immer mehr zu einheitlichen, geschlossenen Staat*-
wcstMi entwifkelndon Territorialgewalten durchzusetzen ver-
inorhte, s(» wonig fanden die Angaben seiner Bücher gegenüber
{\ou nndors hiutvntlen des Amtsbuchs Berücksichtigung. Es
st»i liiiM'-' nur auf das Beispiel von Wettersdorf verwiesen, wo
' Vtun .liiriMdit'titinulUuoh der C'oiuiteii Amorbach etc. (l<>5ß) heißt
rs: iiuli vililen Htiwt»hl hry i\v[\ Horhlöblichon Ertz 8tifft« Arcbiuo all)
biowimT . . . Ainbts Hopositur iK'tindtlirboii Nacbriobtungen . . . verfast
\ml /ns«unuoiim»trrt«rn ilunb IJ. Pb. (uvitfoiulaii von Vollraths.
^ So im l.obrbarbiM' W fiUtbiiinb-lbub von 1. *>(>!.
' \\\\ oin/.ohirn naoii/uwrison. wir v'uw i^anzo Reibe von Gerccht-
sanuMi \Wh Kittstors im Laufe der Zoit ein^escbränkt , ibrea Wertes be-
raulil . ja \i\\\\K \\\\{vv\\\\Wki worden sind. >ei »ler oben angedeuteten
ViImmI Ubrr dir luu'bts- nuil \\ irtscbaftsirosrbicbte des Klosters vor-
bi ballt'u.
WeirttllmiT
LM
dem althergebmcliten , urkundlich wol beglaubigten Hec-Iite des
Kluatere, Gericlit zu halten, einfach durch den Ausspruch dos
Auitshiichs die Anerkennung versagt wurde.
Eb Hegt auf der Hand, dass unter diesen Umständen den
Büuhern des Klosters, soweit sie von den Gei-echtsaiiien im
Allgemeinen handeln, keine besondere Bedeutung zukommt.
Wenn wir daher im folgenden trotzdem auf dieselben ein-
gehen, 8u geschieht es nur aus dem Grunde, bei dieser Ge-
legenheit die verechiedenen Binflilsse, die schlielJlich das gänz-
liche Verüchwinden der Klosterweistümer herbeigeführt liaben^
nochmals kurz zusammenzuatellcn.
Wir erinnern uns dei' Tatsache (s. oben S, 14), dass wir
aus der Zeit nacli dem Bauei-nkriege Klosterweistümer nur noch
aus klösterlichen Vogteiorten besitzen. Im Ziiisbuch von 152S
ist zwar bei Überschefflenz nachgeti'agen (Teil 1 Bl. 13H).
<laös die nchopffen im Jahre 1562 von des klosters wegen an-
gehalten worden seien, .alle herligkeit vnd freiheit, so das
kloster daselbst hat. zu eroffnen"; trotzdem ist es zu keinem
förmlichen Weistum melir gekommen. Denn die Schöffen haben
fiich einfach darauf l)eschränkt, „durch ein vi-teil zu erklem,
das niemand soy. der düni kloster l)eger etwas an seiner ge-
richtigkeit abzubrechen oder zunenien, vnd sie auch nit'. Im
übrigen sehen wir das Kloster da. wo es ausschlielilich gimid-
herrliche ll«chte besas.s oder mir Gefälle zu erheben hatte,
vor allem bestrebt, stets die Einzelabgaben und die einzelneu
Abgabepflichtigen sorgfältigst zu verzeichnen und auf dem
nt-uesten Htande zu erhalten. Dieses ist ihm auch gelungen.
.Seine Zinshllcher geben tatsäcltlicb die jeweils giebigen Zinsen
und Galten wieder, und die Anerkennung der verscliiedenen
Kt?novationen durch die betreuenden Abgabepflichtigen ver-
leiht denselben, da sir keine leere Foim ist ', nmllgeliende
Gültigkeit.
Anders steht es mit di^n Einträgen über die mannigfachen
< Im ZiiutbiicLe l' Hl IhH unUr Uadc-nberg : .Alle Zintl vuil GQldt'
li'lltli hob^ii vif ermaliniiDg vnd uffeulialire Torleaung wilkUrlicb alle lirr-
iiHcligescIiriebcn nutemig veijelien vml bekent, HoßgenomnieD den
ä
22 Krebs
sonstigen Gerechtsame wie Anteil am Gericht, Anspiiich auf
Atzung und Frondienste, die Ausflösse der Gnindherrlich-
koit usw. Diese schliellen sich immer wieder engstens an die
hotreflfenden Stellen der fiühern Zinsbüeher an, und wenu
Schultheißen, Gerichtspersonen und alle und jede Zinsleut und
Untertanen dieselben auch stets frei und gutwillig gestehen
und anerkennen*, so werden sie doch hierdurch noch nicht
ilen vei-anderten Zeitverhältnissen entsprechend. Hier tritt
oben zu Tage, dass den Schöflfengerichten keine selbständige
Binloutung mehr innewolmt: der einzelne Zinsmann verwahrt
siih gegen unrichtige, ihn l>erührende Angaben, die Gesamt-
heit aber besitzt kein Oi-gan mehr, das befähigt und befugt
gewesen wäre, die allgemeinen Interessen zu verti^eten. Stoßen
dann derartige Einträge in den Klosterbüchem mit den in-
zwischen anders gewordenen Zuständen oder auch nur mit
den neuen Ansprüchen zusammen, wie sie infolge der sich
stärker geltend machenden Staatsidee in den Amtsböchern zum
Ausilrucke kommen, so werden sie kaum beachtet, den Aiis-
M'hlag gibt das Amtsbuch.
In einer Reihe der dem Kloster vogteilich untergeordneten
Dörfer findet zwar bei der Huldigung im Jahre 1585 eine
Wiederholung der alten Weistümer statt, aber nur durch Ver-
lesen, ohne dass die Schöffen selbst dabei mitgewirkt, geschweige
denn auf den Inhalt des Weistmns irgendwelchen Einfliiss
jiefibt hätten. Und schon aus dem ei-sten Drittel des 17. Jahr-
hunderts hal>en wir auch hier Dorfordnungen, die der Abt kraft
seiner Vogteigewalt einseitig von sich aus abändert und
,l>es8ert"*. Hiennit ist auch für diese Orte die Bedeutiu)g
der Schöffengerichte zu Ende. Nichts gilt mehr ihr Wissen,
nichts ihr Urteil, das früher selbständig das Recht fortbildete.
• So in tler iIla>hi»foiU'r HonovatiiMi vmi l"»9s im sogenannten Grünen
l»uili {\^\. 22S\ Vnn all den EruiMierungen dieses Buchs aus dem letzton
Jahrzohnt des lf>. Jahrliuiidoriii heilit ergänz formelhaft: in Ci^genwertiu-
kvii der In^tr. Htnoilitftfn. wolfhe solches alles, wie hernach volgt.
also frevwilliu «t^siendi:; trewesen.
* Im Zinshucho l" Hl. l',»7 und i!*^^ zwei verschiedene Dorfordnungeii
für lilasliofcn und Ki'in]iard>at*list'n.
niaUgcbeiKl sind allein die einzelnen Paragraphen der vom
Teri'itoriallienn gegebenen Ordnung. Damit diese nicht in
Vergessenheit geraten, ist bestimmt, dass in legelmäßig wieder-
kelii-endeu Zeitabschnitten das Buch mit dem Doi-frecht zur
\erlö8Ung komme'. Machen sieh im Laufe der Zeit Ergän-
zungeu odor Abänderungen notwendig, so ist es wiederum der
Abt, der von sich aus die entsprechenden Bestimmungen er-
lässt. Es sei hierbei nur an die i'älle erinnert, wo derselbe
— wie in Boxbrunn und fcihishofen — die Huldigung be-
nutzt, derartige Verfügungen zur allgemeinen Kenntnis zu
bringen imd seine Untei'tanen sogleich auf dieselben zn ver-
pflichten.
Wenn uns in dem vei-öffentlichten Matei'ialu acheiiibai'
noch aus dem 17. und IS. Jalirliunderte Weistümer begegnen,
indem der Abt sowol zu Breitenbuch (1678) wie zu Waldauer-
bach (1731) vom Schöffengericht bezw. der Gesamtheit der
Einwohner die Klostergereclitsamc erfragt, so dürfen wir uns
durcli die Ähnlichkeit der Form doch nicht über das WcBcn
dieser Vorgänge täuschen lassen. Dieselben stellen kein Weis-
tum im alten .Sinne dar, keinen Rechtsspruch, kein Urteil, sie
sind vielmehr nur Zeugenaussagen, Kundschaften. .
Nur die Schöffen des Amorbacher Salgerichts liaben den
Wandel der Zeiten überdauert. Ununterbrochen * haben sie
über richtig Mall und Gewicht, über Ehrlichkeit in Handel
und Wandel gewacht und die Übertreter vor ihr Gericht ge-
zogen. In sorgföltiger Beobachtung aller ergangener Kechts-
tipi-üche haben sie sich stets von der Überlieferung leiten lassen,
besonders wichtige Entscheidungen, „Exempla deß Herbringetis"
haben sie zu einer rasch benutzbaren Samndung veieinigt.
Aber auf Grund des so gewonnenen Materials sind sie, seilet
wieder neues Recht schaffend, zu ßiuem Ausbau der alten Be-
stimmungen fortgeschritten und haben jedem Articul eine ,Er-
' Art. 33 der Dnrforduung von Ulsshofen: Es sollen hucIi ilie
l'uncten o<ler Dorffsnrcltimng tüwegcD liey dem nngedellteii gericht vtrr-
IfS^n werden, «larmjt ein jeder wilk, wall er buU rQegen.
■ Bio Pi'utokolle über die gehaltenen Sttlgerichto aiiid vom Jahre
I-'>40 Hii vorliiindfii.
U't
vö**
'' der Ae«^-r.nr^^^ "t^^«^^
U*
ftuftxö^-^^-
\<\ostev
Qestmdheitspflege im mittelalterlichen
Freiburg im. Breisgau.
)f kiillnrgra,-hi<-lilliiUi' Stu,li,> v<..i Knrl BHaw. t'nü.mi;
I. Allgemeine Anlage der Stadt in gesundheitlioher Hinsicht '.
Auf fiiKT sunft luu'li AW.sttTi iiUfnllcrulfiL Fliklio filiol.
-rifh mit annälicriKl tiecliseckigtjm, jtdocli unregelmäßigem
tiinindrlBs das alte Freiburg, dessen gröllter Durchmessei- etwa
*)i)n m lietrag«n haben mag; mit miwesentlicheii , kleineren
Änderungen bewahrt dei' Korn der heutigen, beträchtlich um-
fangreicheren ätadt den Plan, wie er bei der ersten Grün-
dung festgelegt wuido.
Zwei ungefähr senkreclit sich schneidende Hauptstralicn
gaben die Gnindeinteilung; etwa von Süden nach Norden
dui-chzog die Mitte der Stadt die in ihrei' anfanglichen Un-
mgelniälligkeit der Breite noch uns sich darbietende .grofle
Gasse", jetzt Kaiseratraße genannt. Annähernd rechtwinklig
kreuzte sie die lieutige Salz- und Bertoldstraße . welche in
' Um stetige Wiederholungen zu veniieiden, sei hier angeführt, dass
benuttt «ui-den: Dia Lehr- und Handbtiuher der Geschichte der HediKin
Ton Sprengel, Hauer, Hirsch, .1. H. Baas. Pagel, ruachroiinn,
Vou Loknlgesd lichten usw.: .Schreibi*r, Gesvfaicbt« der ^tadt uod der
Universitilt FruiLurg; Dcra., Urkmideiibuch der Stadt Freihurg; Bader,
rtesehk-hte der Stadt Fieibiirg: Veröffentlichungen aus dem Archiv
der Stadt Freiburg; n) Urkunden des Heiliggeistspitals und des
Uutlonthauses; b} Geschichtliche Ortsbeschreibung; c) Hftuserhuch:
Kriegk, Deutarheo BOrgertum im Mittelalter; Bnoa. (ieachlchte der
rheinischen ,Stlidtekultur; L'hlhorn. Die chriatliche LiebesUtigkeit;
Heyne. Fflnf Bücher deutsi-her HttusaltertOmer: Monographien nur
deulschen Kul tiirgeBchichf e: Petera, Der Aret; Liebe, Das Juden-
trirn n. ». rn.
2(i Baas
iTohogonoin Lauf vom Schwabentor ost-westlieh nach dem
Lehonortor lunfiihrte. Kleinere, jedoch für niittelalteriiche
Verliältnissi» zieniHch bi-eite Gassen teilten die ungleichen
Stadtviertel in zweckmäßige Abschnitte für die einzelnen
Häusenuilagen: die Größe der letztem war ursprünglich gleich-
mälng In^messen, wie auch der älteste Stadtplan deutlieh zeigt
und wie sogar in weniger von eingreifenden Umbauten l>e-
trolfenen jetzigen Straßen noch gut erkennbar ist.
Die Bauweise selbst würde unsem verwöhnten Augen
wol ländlich und ärmlich, vor allem aber gesundlieitlich recht
si»hlecht ei^schienen sein: denn mögen auch ziemlich bald neben
den Kirchen und Klöstern einige größere städtische und
private Gelväude entstanden sein, so müssen wir doch nach
dem uns simst Bekannten annehmen, dass wol die grolk*
Mehrzahl der Häuser schlecht oder gar nicht unterkellerte
Kaohwerkl^uiten waren mit kleinen Fenstern, die in enge
Höfe si^hauten, und mit weit überstehendem Stroh- oder
Schindeldach, unter dem der Rauch, über welchen schon
Tacitus klact. seinen Ausweg suchen mochte, da Schornsteine
fehUeu. Nicht allzuviel Luft und Licht konnte da in die Woh-
nung\ni eindringen; und die Reinlichkeit ließ auch im alten
Kivibui-g elvns^niel zu wüus^^hen übrig, wie wir dies von
andon*» mittelalterlichen Städten les^n, l>abei war die Häuser-
;:ahl. wie wir aus dem Häus^rbuch wi>sen, etwa im 14, Jahr-
hundert in der Altstadt ><hen auf 1«»7;» angewachsen: außer
der nJ^ht unlvi rächt Hohen Anrahl von Mensehen beherbergten
daj;« die Hefe mit ihrx^i StalJimgen oder die Straßen eine
Men*:v n ers^^hit^lenariiiÄr Hansrieiv. die daselbst recht unge-
liiruien ilir NVt>^^n tneK^n. wie ivvh in enirötzüeher Weise zu
Nr:^h:or. s<;:5 wirvi.
Vor dv:i \L^;xni r.::: ihrxn Türmen, welche die innere
S:^dt in o:u:vr Ki'.^>chi:t .nm^ hie::en. sitxie^ien sich frühzeitk
.^.:e Vx>rst^d:o ar*: its nvAi: v^>r^^un^ nrl: der Erwahnuns; genuii
jiv'ar, >^:r.. *ia>s r^^V. Sf^kr. .v\ An .>ii-r Schneokenvorstadt
:v.;: *ur inr^TÄ;:. V:>v>,trs:: ur*t: vkr*: ObenieJer Winkel.
^VÄ^h \>e>:or. c.:v l.<>-.>,r vvkr *:>>\ii^ rvc-rstAdl nebst dem
K^-^x-r^rs^cxk iv.ki 'i .::\; v^i.h N.r.k*:: Ax W^rsiadl Xeuburg enl-
ludhi-itsjilli'i:!'
nittelalti-ilithen Fi-pÜm
stand, in welch lutztiTe lias Armeiifipital frühzeitig verlfj^t
wurde.
Wie bereite angedeutet, war die Hauptatialie der Stadt,
die äogenamite „groHe Gasse", im ganzen und besonders atveckeii-
Wfcise reclit breit, bo dass sie siclierlicli nach den Begiiffen
jener Tage als laiiggestrecktei' Platz galt, auf welchem ja
iuich z. B. um den „Fischbninneu" der Fischmarkt, in der Nähe
des Martinstnrs der Fleisciiniarkt oder andere Märkte abge-
halten wurden, nach dem, wol 1262, der vielleicht urspiting-
lichste Marktplatz ' an der St. Marti iiskapelle aufgegeben worden
war. An des letztern Stolle trat der Friedhof der Fi'fliizis-
kaoer, die daselbst ihr Kloster errichtet hatten, wie überhaupt
inmitten der Häuser auch im alten Freiburg die Begräbnis-
stätten sich befanden. So hatto» die Doniiniknuer bei dem
heutigen Unterlindenplatz, die Augustiner bei dem uralten
Oberiirden, die Wilhelmiten in der Schneckeavorstadt ihre
.Kirchhöfe", ebenso wie St. Peter in der Lehener Voi-stadt
und St. Nikolaus in der Neiiburg; auch die verschiedenen
Spitäler hatten je innerhalb ihres Bezirks ihren Gottesacker,
z. B. das Heiliggeistspital an der KaiserstraDe, die Johamiiter
lind Deutsehoi'densleuto in der Neubui'g bei ihren Häusern.
Den gröüten „Kirchhof" hatte natürlich die Huuptkirche der
Stadt; es ist sehr bemerkenswert, das» es fast ein Zehntel
der gesamten alten Stadtääche woi', das um dos Münster aiis-
geäpart wurde, allerdings aber auch, soweit es aiillerhalb der
ehemaligen Friedhofsmauer lag, zu Verkehrszwecken, z.B. dem
Korn- oder Brotmarkt, diente. Wenn auch an sicii die An-
lage der Begräbnisstätten iimeriialb der Stadt gesundheitlich
nicht zweckmäßig war, so verhaJfen sie doch in der Folge-
zeit zu freien Plätzen , mit welchen das Mittelalter sonst
kargte und die bei den engen Stralien i-ecbt sehi' in Betracht
kamen. Dabei waren Freiburgs Gassen durchschnittlich lange
nicht so eug, wie man sie in den alten Hömerstädten, etwa
Worms, Mainz oder Köln, beute noch antrifft; freilieb inuss
' Vgl. hiei
iitiyi-foi-lllell); ■
s lieutsclii'll t-tädtewi
s
man bedenken, dasa wiedor viel Licht und Luft dadurch
loren ging und abgehalten Hurd»:\ dass, wie mau es jetzt
noch an einigen cihalteneii Hänsern aus etwa dem 15, Jahr-
hundeH sehen kann, die obern Stockwerke überragend gebaut
und die Dächer weit vorgekragt werden durften. Die Au;;-
□utzung dicEor Vorteile ging aihnäldich so weit, dass schÜeli-
lich der Stadtrat durch Erlass von Bauvorschriften gegen dii-
eingeschlichenen Misshräuche einschreiten musste.
Von den Häusern hatten viele keine Kamine, der Uaach
entwich durch Türen und Fenster oder durch Lucken auf
dem Bodenraum; von den Dächern troff das Hogenwasser auf
die Straßen oder in die Höfe, wohin überhaupt die AbEäJJe
des taglichen Lebens entleert wuiden. In letzterer Hinsicht
iat besonders hervorzuheben, dass die selir einfachen Älwrt-
aukgen in selten geleerten Versitzgniben bestanden; üiin, iiber-
liaupt flüssige Stoffe, wurden wol zumeist in den Hof wler
auf die StralSe laufen gelassen, bestenfalls in die ätadtbäche
geschüttet. Was da in gewiss nicht gesundheitsfördernder
Weise alles in den zum Glück sehr dui-chlässigen GeröUboden,
auf welchem Freiburg erbaut ist. eindringen musste und ein-
drang, das ci-sehen wii- heute noch, wenn bei Neubauten au
der Stelle der vielfach noch ganz alten Häuser deren und der
Höfe Untergrund ausgehoben wird und sich uns eine sonst
ganz ungewohnte, schwarze, lehtnartige Erde darbietet.
Und nicht nur innerhalb der Höfe, sondern auch auf deii
StraLlen lagerten wochenlang alle festen Abfallstoffe : lesen wir
doch, wie von anderwärts', so auch von Freiburg noch aus
i späteren Zeiten polizeiliche Verordnungen, die uns einen
von mittelalterlichem Reinlichkeitssinn
zumal bei schlechtem Wetter, bereits sin
Tage zuweilen beschwerlich, in den ungepffnsterten tiasscir
weiterzukommen, so wird es bei Nacht manchen Unfall ^•■
geben haben trotz der Laterne, ohne welche nach Einbnitit
^iibof, Dir öffeiitliihe Ui-sumllieil»
FestBclirift zur Eröflimni; des ni
iiiid Krank <Mi|>tlp^ in
len Ki'flnkpnittiusf« »i
Geaundheitspliego im mittPUlttrliulien KiPÜmrg 29
der Dunkelheit laut behördlicher Vorschrift kein ehraamer
Bürger ausgehen sollte.
Und doch war freiburg eine mindestens ebenso, wenn
nicht eine reinlichere Stadt als damals manche andere. A'on
dem vielhei-Uhmten Nürnberg hat vor knrzem Mummenhof
iSchilderungen entworfen, die uns zu jener Annahme boi-echtigen ;
und heute uns sonderbar klingende alte Straßennamen, wie
z. B. der wohlbekannte .Enteupfuhl' in Koblenz, erwecken
gleichfalls merkwürdige Vorstellungen von der Stralienhygiene
in der guten, alten Zeit. Eret Epidemien, wie etwa die
, Blattern' am Ausgang des 15. Jahrhundeiis . gaben Ver-
anlassung zu einer Bestimmung, die wir in den Freiburger
Uatsprotokollen von 14fl7 lesen können, dass man „von der
(^ntzel verkündt, dass man die tiaasen allenthalb räume und
sauber halte" ; und so heilit es auch noch in den Ratsprotn-
kollen aus dem .Jahre 1552, wo doch die Erfahrungen fi-flherer
Seuchen mit ihrem großen Sterben sicherhch schon viel in
dieser Beziehung gebessei't haben mochten ' ;
.Welcher mist uss dem seinen uff die gassen schüttet
und den ufs lengst in drey oder vier tagen nit hinweg
fucret, sondei' uff der gassen ligen lasst, der soll zu straff
fünff Schilling Happen vei-fallen sein."
Metzger dürfen den Mist einen Monat (!) daselbst liegen
lassen, bei Strafe von ebenfalls .'i Schilling Kappen; für
andere Fälle gelten weitere Bestimnnmgen, deren noch einige
folgen mögen;
„Es sollen auch die grempler dhein wasser von
haringen, stockvischen noch platislen auf die gassen,
sonnder in die bäch schiltten,"
,So soll auch nymandt dheine genss not-h moi'en in der
alten statt haben, desgleichen dheine sew, jung oder alt
uf den gassen g6n lassen"
welch letzt«m Gebrauch wir auch in der Hamburger Pest-
ordnung von 1597 noch verboten linden -.
' Kempf, Beiträge zur Kultur- luiii Sittenguscbiclite der Stadt Frei-
burg. ScliBuinsItind Bd. 2~, l'J'.iO.
' J. Michael, (IcsL-IiicIite des ärztl. Vervin« iihw. 7,u Hanilmrg, l^iM.
,30 "«"''
,Und soll nymaiidt dliein raist, strow.
ilie bäcli schütten.
. . . .dass nymandt dlieinerley wuost noch luiBaubcr
Wasser, so man fleisch, kraut, wyndeiii oder annders wesehet.
oder die geschirr schwenket, in die bronnen sehütfat . . .*
Und ähnliche Verordnungen wurden über die Stadtgräben
erlassen, welche auch nicht immer im appetitlichsten Zustande
gewesen sein müssen.
In den eben angeführten Bestimmungen sind nun zwei
Einriclitungen erwähnt, denen für die Gesundheit der Stadt eine
beträchtliche Bedeutung zukam, die Stadtbaclie nnd die Brunnen.
Heute noch be-steht die bis in die ältesten Zeiten Freiburgs
liinaufreichende Verteilung der Stadtbächlein . welclie durch
fast alle Sti-allen dos inneren Stadtki'eises ihr klares Wasser
in eiligem Lauf dahinführen; aber wenn, abgesehen von den
««genannten (.iewerbebäclien , sie jetzt uns fast als blolier,
eigenartiger Schmuck erscheinen, so hatten sie damals die
Aufgabe, welche in unserer Zeit, natürlich vollkommener, die
Kanalisation erfüllt, recht und schlecht zu leisten, so wie es
eben ging.
Am Schwabentoi', dem höcliütgelegenen Punkte der Stadt,
trat der weiter oben aus der Dreisam abgeleitete Hauptbach
in die Oberstadt ein und teilte sieh sofort an der Linde, die
schon lii^l erwähnt wird, in seine beiden Hauptarme: off<m
in gepflasterten Rinnen floBsen die vielen Abzweigungen in
gewundenem Lauf dm-cb die Hassen . um schlielilicb mit dem
schon genannten Uewerbebach sich wieder zu vereinigen und
nunmehr zur Wieseubewässeiung verwendet zu werden. Des
Gewerbebachs werden wir nochmals gedenken müssen, wenn
wir genauer mit den Bädern uns bescliäftigen : in seinem uns
angehenden Teile tlosa er gleichfalls von der Gegend des
Scliwabentora aus durch die Schneckenvoratadt und vereorgte
daselbst aulier den Mühlen und ähnlichen Anlagen noch die
verschiedenen, teila Privatleuten, teils dorn Spital gehörigen
Badeanstalten.
Welcherlei Verunreinigungen in die Stadtbäche gelangt«!),
das lässt uns eine Bestimmung ahnen, welche vorschrieb, das*
Gesundheit »pflege im iilitteluUcrlidicti Freibiii'ü :i|
erst mit eingebrochener Dunkelheit Ärgemia erregende Stotfe
in dieselbüH geschüttet werden durften; und ti-agikomisch
mutet eß uns an, wenn wir, worauf an anderer Stelle noch-
male zurückzukemmen sein wird, die Klagen der Apotheker
hören, dass sie nach dem Urteil der Visitatoren ihre mit
vielem Gelde gekauften und bereiteten, jetzt aher fttr untaug-
lich erklärten Arzneien in die Bäche schütten milssten.
Ungleich wichtiger als die bis jetzt betrachteten Wasser-
läufe war natürlich die Wasservei-sorgung ' im eigentlichen
Sinne; es ist klar, dass in einer am Fufie eines wasseiTeichen
Uebirgs gelegenen Stadt dies Bedürfnis frühzeitig durch
Wasserleitungen gedeckt wurde.
In der Tat sind nur späi'licbe Nachrichten über gegrabene
Brunnen vorhandeu; doch wissen wir, daKS Schöpf- oder Zieh-
brunnen an verschiedenen Stellen der Stadt existierten und
noch heute trifft man bei Kelleranlagen oder Fundamentierußgs-
arbeiten auf solche. An Oberlinden, in der großen Gasse,
im Hofe des Itathauses. in einigen Stadttürmen befanden sich
derartige; noch im 1^. Jalirhundert* verfügte das St-adtregi-
ment in Kricgstäuften, dass die ,Galgbrunnen" sollten gesäu-
bert, das Wasser bei Oberlinden wieder hergestellt. Pumpen
in »täud gesetzt werden usw. Im grolien und ganzen scheint
aber diese Art der Wassergewinnung von Anfang an zurück-
getreten zu sein, da sie den Ansprüchen wol bald nicht mehr
genügte. Für sie trat die Quellwasserleitung ein, welche, wo
sie mögUch war, überhaupt dem germanischen Empfinden von
jeher mehr zusagte; wie wir von andern Orten und Gegenden
Deutschlands wissen, dass es im 11. und 12. Jahrhundert der-
artige Leitungen gab, so dürfen wir wol auch für Freiburg
»solche annehmen.
Zwar finden wir die früheste Erwähnung hierselbst erst
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, doch muss sie um
<Ue»e Zeit schon lange bestunden Jtaben, gut ausgeführt und
Bescbreibang der Uruniit^nleitnng zu PreÜJUrg l>*i>*.
•. Zur Witt« ngeacbichtp der ßtndt Freibiiift. Beilage xu:i
32 *^**»
bald mastergültig gewesen sein. 1318 wii-d in einer Urkunde
vom 23. August ' der Brunnen auf dem jetzigen Franziskaner-
platz erwähnt, welcher heute noch von der alten Leitung ge-
speist wird*. Etwas Genaueres erfahi'en wir über die Her-
stellung einer Leitung aus dem Bruchstück einer Freiburger
Stadtrechnung im Karlsruher Archiv, wo es heißt:
,Anno dom. MCCCXXVII an sante Gallus abende lühen
die bürgere meister Selzelin dri wasser-nagebere und das
dar zue hoeret, die waren 10 pfunde wert, und das geriiieste
und dri bickele und zwo houwa, und befullen ime ouch do
den brunnen und die biiiggen.* ^
1336 ist von der Witwe Wemhers des Brunnenmeisters
selig die Rede, während aus dem Jahre 1333* uns die An-
stellungsurkunde des Brunnen- und Brückenmoisters Johann.
Bürgers zu Freiburg, erhalten ist. In dieser ist bereits von
einer ganzen Anzahl von Brunnen die Rede, darunter einer
in der Vorstadt, .,dem man sprichet der holtzeman, bei der
steininen bi-ugge**, einer im Spital, bei den Klöstern usw.
Auch dass die Brunnen aus eichenem Holz waren^^lässt auf
ein langes Alter schon der damaligen Anlage schließen, die
vorbildlich gewesen zu sein scheint, da Basel 1407 den Brumien-
meister erbat und bei der Rückkehr hoch verdankte^.
Noch heute besitzt die Altstadt eine größere Anzahl
öffentlicher, laufender Brunnen, die aus dieser Anlage ihr
Wasser hernehmen, welches bei manchem Alt-Freiburger auch
in besondei-er Wertschätzung steht. Hin und wieder kommt
es sogar vor, dass jetzt noch die uralte Leitung eintreten
muss für die natürlich viel reichlichere moderne. Erst vor
wenigen Jahren konnte man bei einem Hauptrohrbruch gerade-
zu idyllische Szenen wie in der mittelalterlichen Stadt beob-
* Poinsiguon, Geschichtliche Ortsbeschreibung der Stadt Frei-
bm*g I.
- Urkunden des Heiliggeist spitals I, Kege^ 241.
•*' Mone. Zeitsclirift f. d. (lesch. d. Oberrheins XII, 20. — Nageber.
]»esser nabegt^r =: Bohrer. P.
* »Schreiber, Urkundenbuch I, 30.
'• Soll reiber, Geschichte der ^tadt Freiburg II, 234.
(.icsuiiillu'it'^plle^t- im luiltelnltoiliclioii Frcibiir^ 33
achten, o!s ßiiiigc Tage hindureh in den Häusern das Wasser
ausblieb und nun liei jeneu üii (ganzen spärlich verteilten alten
Brunnen die Mädchen und Frauen mit Eiiuei'u und Zubern
^•t»^de1l und schwatzten.
Ihren Ursprung hatte luid hat diese Anlage im sogenannten
Möslewald, etwa ein Kilometer oberhalb des Schwabentoi^,
am Fülle des Brombergs, mit erst einer, später vier Brunnen-
stuben; in Holzteuchebi floss das Wasser über die beiden
l>reisambrücken in die Stadt, woselbst es vorwiegend öfTent-
liche, aber auch private Brunnen speiste: 1535 waren aO Öffent-
liche und 11 private Brunnen vorhanden. 1501 war versucht
worden, die Holzröhien durch tönerne zu ei-setzen : doch kehrte
man wieder za den hfilzeruen zuriick, bis mi \erliusäenen Jahr-
hundert, wie in der neuen, so auch in dei alten Anlage eiserne
Köhren eingeführt wui den Außer dei .Mösleleitmig' waren
uoch einige kleinere \on untei geordnetei Bedeutung vor- .
banden, die übergangen werden können
Eiiie besondere, traurige Rolle spielte die erwähnt«, älteste
Brunnenstube bei der Judenvei-folgung des Jahrs 1349, die
auch in Freiburg mit der unsinnigen Bescliuldigung begann,
dftss von den Juden Gift in jene geschüttet worden sei, wor-
auf nochmals zurückzukommen sein wird. Welchem tatsäch-
lichen Missbrauch aber die öffentlichen Leitungen ausgesetzt
waren, das zeigt recht augenfällig die früher angezogene stadt-
rätliche Strafbestimmung bei Brunnenverunreinigung. Und
auch darhi lag, wie bei allen derartigen, auf lange Strecken
außerhalb des Maiierkrcises verlaufenden Anlagen, eine mancli-
mal eingetretene Gefahr, dass vom Feinde das Wasser für
die ganze Stadt abgeschnitten odef unbrauchbar gemacht wer-
den konnte. ~
Bei dem Überblick über das mittelalterliche Freiburg
sollen an dieser Stelle nur in Kürze noch zwei Einrichtungen
betrachtet werden, die späterer eingehender Würdigung vor-
behalten sind; es sind dies die Anstalten für Kranke und Ge-
brechliche sowie die Hadatuben.
AuUer den mit den KlöstetTi zusammenhängenden , in
ihrer Wirksamkeit naturgi-mäß beschränkten Spitälern ist da
34
llnfl»
in erster Linie de» HeiliggeiNtäpitalu zu gedenken,
Koziisa^eii eine äunime verschiedenartiger Stiftungen zu mild-
tätigen Zwecken begriff. Den I^tttelpunkt derselben bildete
stets da.H ini engern Hiinie Heiliggeiätspital geiiHnnto Haus,
oder besser die Häuuer, die den größten Teil des BaubliH-ks
zwisclien Münsterplatz und Kaiaersti^atie einei'seit«. Miiiistcr-
stralle und heutigem Bezirksamt anderseits umfasBleii. Nelieu
diesem, das auch das , reiche" oder .mehrere '-Spital genaiml
wai^d. bestand frühzeitig das „mindere" oder Amienspital in
der Vüi-stadt Nenburg, in welcher aulierdem noch das Blatteni-
haus, das Findelhaus, die Elendeiüierberge und das älteste Aus-
sützigenhauis sich befand: letzteres kam jedoch frilhzoitig in
den Süden auf das Feld vor der Scluieckenvorstadt, dahin etwa,
wo heute das alte Sunnenwirtshaus an der Basleratmlie stt'ht.
Anhangsweise kann liier erwähnt werden, dass in der
Vorstadt Neuburg nahe bei dem Henkersbäuslein das Franen-
Iiaus gelegen war, welches in der derbtretfenden Weise des
Mittelalters das Haus ,zur kurzen Freud" genannt wurde.
Was nun die Bäder betrifft, so waren dieselben in ihrer
Mehrzahl an den Lauf des (jewerbebachs gebunden, jener Ali-
zweigmig aus der Ureisani, die gleichfalls in der Nähe de»
Schwabentors in die Schneckenvui-stadt eintrat, dieselbe ganz
durchlief, um dann westlich an der Lehener Vorstadt in dii'
Wiesen überzutreten. Städtische, dem Spital gehörige und
private Badstuben waren daselbst: zu oberst scheint das
„Schwabsbad" gelegen zu haben, j«>wie die „rote Männer'- und
die »rote Frauen "-Badstube, die Bäder des Spitals, und zit
Unterst müssen wir wol bei der l'aradiesmflhle das .Faradies-
batl' suchen, welches in privatem Besitz sich befand. AuUer
diesen seheinen noch mehrere Budstubeii innerhalb der Stadt
vorhanden gewesen zu sein; denn in den Steuer- oder Ziiis-
ti.steu vom Ende des 14, .lahrhunderts sind mehrfach Namen
von Badern oder Schereni erwähnt, welche in der lieutii;eii
Bertold-, Kaiser- oder Eisenbalm^tralie gewohnt haben iinii
Bailstiihen daselbst hatten.
Übrigens lag an diesem untersten Teile des Gewei-!iehatli>
Ldaa städtische Schlachthaus, welches nach der mittel-
llc»LinillieJts|.flcgt^ i]>i mitU-liillinlii'liHi Frc-iUiir^ ;{,i
altvrlicheii Sitte und nach dem Muster anderer Städte
— 1519 hatte Freiburg einen Werkmeister nach Basel ge-
schickt, um das dortige zu besehen' — au dos fließende
Wasser gebaut woi'den war; erst in der neuesten Zeit hat es
diesen seinen Platz bei der Ernehtuiig des jetzigen Baus auf-
gegeben.
Vielleicht ist es nicht unzweckinäliig, im Anschluss an
den gegebenen Überblick über das medizinisch Interessiereudo
der alten ätadtaiilage noch einige Betrachtungen Über das
Leben in derselben anzustellen, soweit es in Fragen der tie-
Füuidheits- oder Krankheitspflege hereinspielt.
Uanz allgemein angesehen musstun die unsichem Verhält-
nisse des Mittelalters aus mannigtadion Gründen zu allerlei
Ki'arikheit Anlass geben. Üie vielen Raub- und Kiiegszüge
kleiner und groÜer Herren macht:en ein ruhiges, geregeltes
Leben vielfach unmöglich; Annut und Elend wai- die Fülge.
und so kann es uns nicht wundem, wenn Krankheiten die
Menschen in einer Weise heimsuchten, wie wir sie heute nur
von Schilderungen kennen aus Landein, deren Kultur jetzt
noch einen ähnlichen Tiefstand wie jene alte Zeit aufweist.
Und im besondem, so lassen uns die sehr zahlreichen Be-
stimmungen der Stadti-echte von Freiburg über Hanfliändel,
Mord und Totschlag ahnen, welche Gesnndheitsschädigungen
da vorkommen nmssten; von einzelnen derartigen Schlägereien
nnd Verletzungen lesen wir nocli in den Protokollen und Ver-
handlungen, die darüber stattfanden und die zugleich uns
einen Einblick gewähren in die Art und Weise, wie und von
wem die „gerichtsärztliche' Beurteilung solcher Fälle aus-
geführt wurde. Auch die Klagen der Bürger über das un-
verschämte Verhalten der Dirnen*, die „der Wirt mit ehr-
baren Leuten an einen Tisch setze", die notwendige Aufstel-
lung imd Einschärfung dei' Ordnung des Frauenhauses, welches
dem Henker unterstand, die Festsetzungen der Gründungs-
urkunde, des Stadtrodele und sonatige Verfügungen, über das
MaldoDera Kt|<ertur
KatsbcsflilUäM- v-(iii
3ä
Uuii»
frühzeitigö Heiraten, aulierehelichen Utiscbleclitevericehr, S^Kn-
dung, Hurerei u. t^l. gewähren uns tiefe Einblicke in dii-
Nachteeiten des mittelalterlichen Lebens. Fast komisch be-
rülirt es uns aber, weiin dann — darin »dieinen auch die
alten Studenten besonderes geleistet zu haben — das .un-
gebührliche Fressen und Saufen", das Zutripken und Schreien
getadelt wird; auch die Kleiderordnungen mit ihren Bestim-
mungen gegen den Überhandnehmenden Luxus oder die gei-ade-
zu unanständigen Trachten der Herren und Knecht« sind Zeichen
finer Lebenshaltung, die gesundheitlich eine Iteihe von Ge-
fahren in sieh barg. Die Unmöglichkeit, diesen Übeln an der
Wurzel beisukomnieii, bildete mit eine Ursache, die die vielen
Anstalten zur Betätigung der Näclistenliebe ins Werk rief,
an welchen gerade die mittelalterlichen Städte so reich sind,
imd in welchen die christliche Kii-che in edelster Weise mittel-
bar oder uimiittelbar auf die Versöhnung mit der Not de*
Lebens tiinarbeitete. Freilicli aber karm aucli das nicht ver-
schwiegen weiMien, dass gerade durch Einrichtungen der letz-
teren, die Männer- und Fraiienklöeter, den Zölibat u. a,. Ver-
irruDgen allerlei Ai-t henorgerufen wurden, die der Vollcswitz
in Freiburg z, B. in Benennmigen von Häusern wie das ,zuiii
geilen Mönch' oder „zur geilen Nonne', welche in der Salz-
stralie unmittelbar »noijiander grenzten, entsprechend geiselt«'.
IL knie, Wundärzte, Apotheker und sonstiges „Heil personal".
Als im Jahre 805 Karl der Große im Kapitulai'e von
Thionviile den von ihm gegiilndeten Klöstern . Reichenau.
St. Gallen, Fulda u. a., auch die Aufgabe gestellt hatte, ihre
Zöglinge, die künftigen Geistlichen, in der Ai-zneikunst zu
unterweisen, da knüpfte er an eine alte Einrichtung der
christlichen Kirche an, welche bereits seit Jahrhunderten
durch ihre Gliedei', vom Erzbisehof bis zum Pfarrei- und
Mönch, Krankenpflege und ärztliche Tätigkeit hatte ausüben
lassen, und in deren Schoß gerade durch die Benediktiner die
ist meist = ,fiiJliIiih".
güil bedüiiten, äunilc
ii.llii>it^|ifl.->:
iiitleliiltci-liclicii Fi-ciburj:
arflbiacli-römische bzw. griccliiscltp Mwlizin gepflegt wurde.
Alls Italien wurden die Lehrer geholt, und Kleriker waren
zu allermeiat in lleutschland die ersten Ärzte, wenn wir von
jildischen n«d vereinzelten arabischen Heilkllnatlem absehen,
äie in der Anfangszeit für das Volk nicht in Betracht kamen;
^i-fit in der zweiten Hftlfte des Mittelalters begegnen uns,
aber auch da noch in geringer Zahl. Laienärzte. die nicht
-luden wai-en, in Stellungen von Leibärzten fürstlicher Per-
sonen, oder Ärzte in Städten und eigentliche „Stadtärzte",
An ihrem nunmehrigen Aufkommen war zu einem guten Teile
sdinid, daas die Kirche infolge der eingerissenen Missbräuchf
sich niehrtiich im 12, und 13. Jahrhundert genötigt gesehen
liafte, den geistlichen Pei'sonen dos Praktizieren, insbesondoi*
in der t'hinugie. zu verbieten '; hinderlich aber war durch das
ganze Mittelalter hindurch und noch spätei. dass auch die
niclitgeistlichen Ärzte nur innere Krankheiten behandeln
«lui-ften, woduich das Volk in den meisten Krankheiten ge-
zwungen wurde, tm den Sclierern und Badern, als den V\iind-
ärzten. oder zu allerlei Kurpfuschern seine Zuflucht zu nehmen.
Die Ausbildung in den Klostersehulen war unter dem
Titel der Physik in das sogenamite Quadrivium eingereiht,
und geschah vorwiegend theoretisch nach gatenisclier Art;
vielleicht wurde in den Spitälern der Klöster in geringem
"Umfang auch praktischer Unterrieht erteilt. Danach be-
»tinimte sich dann später die ärztliche Tätigkeit so, dass sie
in der Hauptsache im Urinschauen, Fulsfiihlen und im Ver-
schreiben der verwickelten Rezepte liestand. Sofern es sicli
nni Stadtäi'ztc handelte, hatten sie noch die Überwachung des
gesamten sonstigen Heilpersonals; sie mnssten die Apotheken
räitieren. die Apotheker pi-üfen, der Bereitung groller Kom-
{Kislte, der Theriake, Mithridato. Antidote beiwohnen, die
Bader und Sclierer beaufsichtigen sowie die Hebammen. Bei
schwierigen Verletzungen, insbesondere solchen gerichtlicher
Xatur. wui'den sie um Ijutaehten angegangen; bei Epidemien
' VkI. Mugiiiis. Mi-dizin und Keliieio
Att'rlJKiniRi'heü RUH der llltPHt^ii K[ri'li(>ii^*'8t']
iiri;;.-ii /in- lies.liU-litr «I.t «lti'lirisllirhr.|i l.i
sollten sie mteti, obwol sie in praxi von alledem viedfurh
herzlich wenig verstanden, auch gar nicht selbst zu unter-
suclien brauchten. Über Land zn geben waren nie nicht
verpflichtet, doch sollten sie sich dessen ohne Grund auch
nicht weigern; dann aber muesten Koss. Fahrt und Zehrun^
hin und her gestellt werden nebst entsprechendem Arztlobn.
,als oft er einen ganzen tag still liegt", einen rbeiniscbi'ii
Gulden zu fiO Kreuzern'.
Die Bezahlung ihrer ärztlichen Tätigkeit nniss auch in
Fl-eiburg gut gewesen sein; zwar liegen aus dem Mittelaltei-
keine Nachnchten hierüber in den städtischen oder sonstigen
Urkunden mehr vor, doch kennen wir es daraus schliebeii,
(lass die meisten der alsbald zu nennenden Ärzte begütert
waren. Und auf einem Umwege wird jene Annahme weiter-
hin dadurch tiestätigt. dass vielfach vom .Ubemehmen* dif
Ketle ist, nicht nur in Beachwerdeschriften und Klagen der
damaligen Apotheker, die sich zum Anwalt des Publikum»
dadurch stempeln wollten, sondern auch in städtischen Ver-
fügungen imd Voi-schriften. Doch dürfen wir hieraus keinen-
falls auf ein etwa wirkliches Übervorteilen der Kranken
schließen oder auf fehlende Menschenfreundlichkeit, besondere
da wir gerade aus Freiburg Beweise für den mildtätigen Sinn
der Ärzte besitzen; sicherlich traf auch für sie zu, da^ sie
, armen dörfftigen Krannckben ono einiche belonungumb Uottes
willen aus christenlicher brüderlichen lieb und in erwegun^
das ine solches von Gott in andre weg erstattet worden niaa.
gewertig und willig seyen'*. Vielmehr ist es ein Ausfluss di->
Selbstbewusstseins, welches ja äuüerüch aucli in Haltung imil
Tracht hervortrat. Und dass Freiburger Ärzte schon daniab
sich eines guten Anaehenn sogar bis weit ausserhalb des
Stadtbezirks ei-freuten, werden wir alsbald zu sehen haben.
Von manchen Stadtlasten waren, wie schon bei den Kömem,
die Ärzte, ähnlich den Apothekern, befreit; wurden die Bürger
mit Annbrust, Schild und Speer zur Vorteidigimg anf die
1 4. JttÜ i.-.t;
telallyrlii'lieiL Frerhuij;
;(9
Mau«ni lind an die Tore gerufen, -so ging der Arzt zur Ver-
KEimiiilung der Obristen auf den Mtin»terplatz mit Harnisch
lind Gewehr. Die bevorzugte Stellung — der Ring, welchen
der doktorierte Arzt hei der Fiomotion erhielt, war ilas
Zeichen seiner ritterlichen Würde ~ bezeugt außei-dem noch
die Kleideroi'duung'. die — in üiner spätem Abfassung —
iiiih lehrt, dass zur vieiten (Ordnung gehörten die ,öelehrtini,
so graduui doctoratus ve! licenttatus würdig erlangt haben",
wahrend zur fünften Oi-dnung, die hinsichtlich der Kleider
itnboschi'änkt war und , Adeliche, andere graduirte Satzbörger
und vomehmste Stattbedienten ' iimfasHte, die Stadtärzfe ge-
xäldt wurden, —
Nur Vermutungen sind i.!s viidfuch. lÜe wii' über Fi-ei-
hurgs älteste Ärzte aufstellen können: aber auch die Legende,
welche von einer frühesten ärztlichen Tätigkeit daselbst er-
zählt, enthält ein Körnchen geschichtlicher Wahrheit. Als-
bald nach der Dründung von Reicheiiau vernehmen wir aus
dem Jahre K2;i, dass unter den Mönchen ein Sigihertus
inethcuH gewesen ; aus den folgenden Jahrhundert«n * wird von
ila und dort eine Anzahl von geistlichen Ärzten überliefert,
von denen noch , Krater Heinricns sacerdns et niedicus".
der 12iil zu Thennenbach war, genannt werden möge, Dass
sidcfae auch in Fi'eiburg tätig gewesen, das mag der liistorische
Kern der Erzählung sein, welche von dem berühmten Ki'euz-
prediger Bernhard von Clairvaux berichtet wird'. Danach
,war ein Knappe vom Pferde gestürzt und hatte, schwer
verletzt, das Bewusstscin verloren: trotzdem er vorher in
Schroähi'eden gegen den frommen Abt sich ei'gangen hatte,
erweckte ihn dieser wieder zum Leben, worauf er das Kreuz
nahm, nm später einem Sarazenensäbel zum Opfer zu fallen.
Tlieologischen Beigeachmack, wie diese Legende, mögen wol
viele der geistlichen Heilungen gehabt haben.
' Dainmei't. Kleid eronlimug der Stallt Kmburg i. Br. des Jahn
(Eeitschrift der (.iesellschaft fUr (.leechii-htskande V.
' Vgl. Mone, Zeit«clirift für die G«scbichte des Ob(>rrl]eiiis; Bd. XII
n- lind Ivronkeniitiege im 13. bis 16. Jahrbunilert.
' Vgl. Undi-r. l.!es*Llii..ln.- .It-r Sladt KrtihurB I. Ii:
d
Fällt diese Erzählung in die nächste Zeit nach Preilrargs
Gründung, so ist uns aus dem ersten Drittel des IT). Jatir-
liunderts bis heute ein dichterisches Zeugnis des (wahifiuheiu-
lichen) ärztlichen Wirkens eine» Klerikers unserer Stadt er-
halten'; die MOnchener Bibliothek bewahrt auf 157 Blättern
eines vorzilglicli erhaltenen Manuskripts mehr als IJiOOO Verse
des Regimen sanitatis, welches 142^ ein Freibnrger Priester.
Heinrich Louffenberg, verfasst hat.
Das Buch ist, der Zeit entsprechend, in vSUig aiabi&tischeni
tieiste geschrieben; es hat t-ine lange aetrologisclie Einleitung
und füllt dann auf der galenischen Lehre von den dementen
mit ihi-en Qualitäten und Komplexionen. Dem l'nbJikam ent-
jsprechend, an das es sieb wenden sollte, werden ausfiihrlicli
Imuptsüchtich Diiitvorecliriften gegeben; den schwangeren
l'ranen, der Pflege der Kinder, dem Regiment in Zeiten der
l'estilenz sind lange Kapitel gewidmet, in deren Anlage -an
manchen Stellen oft eine ganz auffällige Ül>ereinstimmiuig
mit dem „äpeculum naturale" des Vincenz von Beaurai-'^
und mit Avicenna zu Tage tritt. Wie dem auch sei, so gehl
aus allem hervor, dasa Heinrich Louffenberg recht gründ-
lich auch medizinische Werke studiert haben muss: ja mau
gewinnt den Eindruck, dass er selbst praktisch tätig gewesen
sein könne, da wir uns das Zustandekommen eines solchen
Lehrgedichta, aus welchem doch eigene Erfahrung zu sprechen
scheint, nicht ohne eine gewisse Ausübung der Medizin denken
können. Anderseits weist er an sehr vielen Stellen seines
Buchs die Hilfsbedürftigen an den Hat der weisen Ärzte,
vor deren Wissen und Können er eine hohe Achtung hat; in
letzter Linie aber zeigt er auf (jott. der die Arzneien ge-
Kchaften und die Kenntnis derselben den Ärzten übermittelt
liat. Mit der Bitte um die ewige Seligkeit schliellt das Bucli-
Von dem Inhalt desselben soll an dieser Stelle im ge-
naueren der vierte Hauptteil angeführt werden, der wenige»"
tiiedizinischc Einzelheiten enthJUt, iils eine Darlegung dcr-
., iin Aiizci«i'v ftii Hk- Kimdp iIph tl.'iLl^dii'n Mi«*a:
(ii'B<mrl)it.'it3pl1eut' im TnitlflulU-rlicIieti l''rMliiii^ 41
wenn man es so nennen will, allgcmein-pathologisc-lifn Auf-
lassung und Denkweise seines Verfassers, die, wie oben er-
wähnt, natilrlicli ganz im Banne seiner Zeit stellt:
H!fi hebet an wii- »ich der nu-ntMch noI fanlt<>ii in Kcsuntlieil siiw
Ulli'.* mit ilbmife wnchpti Klolfen ewseu trinken lo^iNen bnden rroiden
nnil lindern dln)ren und rohet iin das rlerdc teil di-<
bnclilinn.
- Lio
<ii>si-hnff(Mi in
Ze lyli« und *
Dtia die »ei« ,\
«it-bildet nnch
Valteu iiud wil sagfu wii;
Ein yeglicli tnentacii innic biiltiin »idi
Jn nmnöeii dingfii Hiinderlicli
Dn« ('S duBt« Ii-ngor blybe BUBniit
Ala nnü die tii<fistcr litind vericuiit
VVonii sidt das gott den mentsthcn
batt
a<> adclliHi
lu ist goHch
I klärten bor
L'nd dem lybe liütt »nns ze er
An j^irli Kenuininen nnd becleit
L'nd bett den mit veiscit
Do« er b6 bat versorget wui
Bitrutnbe niun bilUob gbmbeu Hill
Dm er dem lybe liie bett geben
AHxuye das i^r iiitt^ lelieii
Destor Iwiger iu der zit
Ob« es die ((öttliclie yi'n''' B.vt
Und er Ktrh linite iirdeTitüi^li
im leben ihh^ er frixteii t«icb
Nach wyaer leiv anlange y.-
StL-rlieii üol und uterbeii mus^
Kein Ai-tKnj'e du für ist buxit
Buch mag fr aicb fristen
Mit wyser artzot liston
Den gott git xe kenni-nd u'iil
Wie man den inentschen friNtea »i
^V'oiin mauger stirbet den gott n
DasB ur nui^li lenger fristen solt
ppr yme selber mit nntirdeiibi-il
Keinen mutwlllen vereeit
Wider der natnre kntft
Yme selber der den todc «rbnlft
Der noch wol möi'rhte besser wen
SöJle er leben hie nff erden
Und inUcbte verdienen lones vll
Hie utf erde in lebenszil
Danimbe so bett geKcliflift.'ii ^rilt
Die ai^tznye one spott
Der nientsch lieben nalure
Ze lieb in huber Icure
Und het ze wiseend geben in
Was gut oder flchode mag »in
DsB nyeina yme selber gebe
i^acbe Jas er dester kllrtzer lein:
. dn» e
i' hii-
In einem zweiten Alisi'linitt folgt nnn:
Wie dais jAre Iu vi<
Jeglichen sin eyi^unHi-liafft
fm nsture und siinilei i:miTt
rnil HHn.leltj.l -.i.b div tvl..
irelellt ist.
Duniinbe solt im gesebrybe
Dum dn solt wiesen one wnn
Yeder zitcn Conplexi uu
D«rnarh «ji macht» iialten dieli
Als du wirst hie vcnienjen niii:h
42 J^aas
Abschnitt 3 sagt uns:
Das erste Kite des Jares helsset das glentz.
Wann und feucht ist seine Komplexion:
Und wechset das blut in diser zit
In der libcn andren wit
Darumbe soltu dem vlysseu dich
'JVinken essen, nidsseclich
Und ordenlich regiereu
Mit lossen und purgieren.
Nach einigen Vorschriften über leichte Speisen verschie-
dener Art folgt die Mahnung:
Und hüte dich hie alle tag
Vor allem das entzünden mag
Das ))lüte und es mag meron
woran die vergleichende Schilderung gefügt ist:
Die blümly springent uff ze haut In dem mentschen zu der zyt
Die brunnen geratent quellen Das reget sich denn sunder me
Die fögellin erschellen Ks sye gesuntheit oder we
Und was das ertrich gebirt Davon so soltu sunder dich
Von dem tode erkiket wirt Halten gar wol behütlich.
Darumbe ouch was verborgen lyt
Abschnitt 4 sagt in Betreff des Sommers, der von warmer
und trockener Komplexion sei:
So hüte dich vor allen sachen
Die dir hitze kunneut machen
Oder trückenent ze vil
Als übunge gross und der mynue spil.
Vielmehr soll wenig Speise genossen werden: Sirup mit
Kosenwasser mag man trinken, aber ohne Not nicht zur Ader
lassen. —
Vom Herbst heißt es:
Dis Zite ist fuchte und ouch kalt
Und wechset mellancolya bald
Doch sol nieman vergessen
Er sol der lybe machen reyn
Mit drenken lossen als ich mevn
Als vme denn zu gehöret
Und in ein artzot leret.
l.ipliegi'
i Frfiblirt;
4.'t
Im Winter aber, lier von koltuf und trockener Kom-
jilexion sei, soll man essen, was Wanne bringt; niclit aber
„lossen" («ler .trenke nenien vil".
(rewissemiiilien znsanimenfaiJHend Iclirt nun der folgende
Abschnitt:
-Hie merke wie üifii ein lueDtNche fc iiBcb dem xite sol Imiteii
ein hfihütche Ipre**:
.Hu-s
.ii.kn II
Sa merkefltu gnr eigenlich
Dum <ias yare noch yedeni stat
Vivrerl(>ye natnren hat
Dornncli sich ouch die lybe hie
Verwmndlent Ire nntiiren ye
DnrHn verstost da hie ze stnndp
Ilus ein zyte mnchte sin geeundi'
UaB ander zyte sehade wer«*
Von dieser wandelbere
So miiBt du ye reeieren diüh
AIh yedes Eite heischet sieh
Alsii tiind doch die tier zeliand
Die enfcein Vernunft iiant
Der wyge die atorken, die swolmeii
Wenn der wint durch die halmen
Wäget so liQnnent die nlch
Wol hewaren gar sicherlirh
I'er woiff der leoparte
Yedes nach ancr arte
Kall »ifb gelialten iiiith vedem clte
Wvaer man de« laHse oiich nit
Dinen mantel soitu liereii iJnr
D« yedcr winde wnvget liiir
Der sieche und der gosuiidc
H>nt imgeliche etuude
Davon so ist dem einen gut
IIa» dem RDdem ne tut
Der alt« und der juuge
Hand ander waiideluuge
All der kelte an der liitze
Mun folgt eine allgemein
im besontlern Betrachtunj
isehen angeachl
Diivun so betlarlTe tnuii wil/e
Dei' Hrtzot und der wysen
Die alt«n uiid die grysen
Hant empfunden vil liievor
Den gloube obe dn iiit bist ein tor
Der mentschen leben ntat gar blll
So sint die invu-lle one nHisn
Einer dein, der ander gross
Die uft' des iiientscheii leben guiiil
Des wir billich in tturgen stond
Des hyniels stemen eyenschafft
Und aller elementen rratft
Lnfft WRHser ffire und erden
Und was von in mag werden
Zeinengeleit das mag wol sin
Unnsera leben« tode und pin
L'nd denn nach allenneyst«
Die unsichtbaren geiste
DtH liant wir allesaut verachult
Mit sDnde und güttlicber Unschuld
Doch ist gott ulso gut«
Dan er uns hat in »Iner hüte
Durch sich und imch die kuntte sin
Die er mann i gern flflsset in
Domit er shUb lernen wie
.Mnn libe und sele gebelffen )iie
Den snllent wir volgen alle zvt
Wonn unns sfi gott zu gOttcii gyt
Diiri'li Linsern nutze und gOttJii'h er
Sy t rluch UKS giill flltsHet kunattt
patliologisclie Übersicht, welcher
i;en über die vier Komplexionen
44
linas
Hie merke wie alle mentschen von den vie element^n »ind natupet
nnd heissent vier conplexion.
,Also recht nach des jares quart
Ist viererleye nature und art
Der mentschen nach elemente schon
Und heissent vier complexiou
Nacli den ouch aller mentschen
kindt
Naturet und elementet sindt
Die müstu wissen und studieren
Wiltu dich rechte noch kunste re-
gieren
Wonn wisse alles das do lebett
In vier den elementen s webet
Und ist geschaffen grobe und pur
Von ir conplex und ouch natur
Das ist von für wasser und erde
Von luflft do mitt das daniss werde
Ein tier ein mentsch und was so]
leben
Das füre das kan die wermy geben
Das wasser blut und fuchtigkeit
Erd fleisch und beine luft oten treit
Doch soltu wissen eben hie
(.lehoren wart kein mentsche nye
Nach der naturen louff uff erde
Das nit von in gementschet werde
Doch so hett eins me vom füre
Das ander von der stüre
Des Wassers das dritte mant vvnt
Das me von der erde nint
Das vierde von dem lufft me
Ir widerstrvten machet we
Gebresten imd siechtageus not
Und ze leste ouch den tod
So kelti wider strvtet
Der hitze und su gebfitet
Das trinken wider fuchtigkeit
Und welches den gesige trait
Das mag sich lange nit ergon
Es komme we und schade dovuir
Von welchem elementen nu
Nvmest allermeiste du
Darnach so wirstu ouch genant
Wie wol du s& haust alle sant
Die selbe neygung du aller meyst
In diner natur complexi treist
Darnach müstu dich leren
Mit artznye erneren
Wonn alle dinge roögent nit allen
Gesunt sin und wolgevallen
Davon wil ich dich leren liie
Wie du macht bekenne die
Und was jedem gesmide sy
Machtu wissen ouch do bv
Doch Wissens nyeman eiget
Alles doruff sich neiget
Sin complexion als ich schier nage
Wonn er dowider leben mag
Und mag naturen stiUen
Mit sinen eigen willen
Als ich dir ouch vor hau gescit
Von der zeichen underscheit."
Von der ersten conplexion heinset sangwineui»*
Die erste conplexion ze haut
Die ist sangwinea genant
Warme und füchte ist ye süss
in seiner nature sangwineus
Und i.st nach luftes arte geton
Die ist die beste conplexion
Wann di<» dike \än^e lebent
In IVoiden froilicli strobent
Milt und gutes mutes
Und vol gesimdes blötes
Spylen und ouch singen
Seyten spil und springen
l.'nd was den froiden höret zu
Das were ir leben spate und frii
ir sinne sindt subtvle
Das sie in deiner wvle
^ Ä»ä^^^^
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^^H GmilulllcitsptlegL- im IT
ittelulteriicheu Freiliiirg 45 1
Iierent vil imd uiicb vil e
Ii' aiitljt das ist ro^nvar ^^^^|
Denn eunet yeiuftnt anders mo
Uatig mit den guten ^^^^|
Doch sind sie dike unstete
Zornig mit nnbehüten ^^^^B
An vortun und g«tBtp
Hie by machtn bekennen in
In zamo sie such nit Itclite
Wer aangwineuB mflge sin
Koment von geacliiclit«
Diaer hedarff auch sunder hass
Doch 30 der zorne sn bestat
(Jöter apyse obe syneni niflas
KJQ hartes niirken die denn hat
Die zarte und ouch edel sy
ßoch verdent 9U balde gütig
Und kalte und fflehte bab ouch do by
Mil tagent senftmlltig
L'nd senfCecliche spyse
8u ptleg;ent onch der nivtiiie
Wonn er ist zarte und lyse
Vaate in jrein Hvnne
1-11(1 tut ynime grobe spyae we
Mil den wrhen frolicli pir
FilrbnsBer denn anderen ine. m
Von der andern <'uii|ili-\i»ii dem tolerfctiN. |^^^^^|
Colera dii- conpl^xion
Und vaate liep gewyiineiil ' ^^^^W
Ist die ander und davuij
Hau sindt sA an dem lybe "
Wil ich dir hie sagen nisus
Und tragent hasse aud kybe
Wisse das ein cokricus
sagend allein durch ere
lat von nature truken heiss
Und sind siibtyle uff lere
Dem ffire gelich ata ich das weiss
Uy wyhen haut sfl froide
Dero »unimer er auch glichet int
Und vallend licht in leyde
Und fcaii vil trugenthaffter list
Witze und oucb vil kOndikeit
Bleich vor ist er Alsuflt
Ut uns dike von in geaeit
Ind ruhe von höre umb die brüst
L'nd wonn nu diser hitzig ist
Von Eome ist er gar gehe
In esaen soi er halten list
UetfirBtig und oucb wehe
Das sine spyse föchte sy
Schnelle iet rede und gunge nin
Vui in kelÜ ouch doby
Oueh so !i»e ich vo» in
Nit hitzig darutf sfi wesen
Das sie die frowen myiiiicja
1)11 siii-he hon ich goluaen.
Von der drillen c«ii|ile\i..n dum flefiuattlcü8. ^^J
FIe((nifttti.!ua sc. heisset fi-
ludreu fbllen ^^^|
Der dritte vrijtn wissi^n wur
Das siuca willen ^^^H
Kr sy nach siner conplexioii
Die flegma holst sn hör dovon
Bj wyben ist er ungeineit ^
Der ist dem wasser glich nntuvet
Vil wyatigkert ymme eigeu 1
Kall» und fßchte. als man s|>&ret
L"ff gesucht ist er genciget 1
Ful trfige und von syunen grobe
Wil der voi siechtagen hüten aicb 1
l'nd »cUoffet vil dein ist sein lobe
H« esse Ibtzel das rate ich 1
^'un l.Tbe ist er wei^e
Und warme spyse uud die SDbtyl 1
Karge spöttig ich inn licissf
Obe .r giaunf beljbeu wil. 1
46
Baas
Ton der rierten conplexion dem inellancoliciiH.
Die vierde conplex mellancolig
Von deren sage ich dir wie die sig
Woiiii mellancolicus der hatt
Ein nature nach der ei*deu stat
Kalte lind truken ist sin art
8in antlit zu der erde gekart
£r förchtet sich und ist ein zag
Das ist davon als ich dir sag
Das er hett deine hitze
Die inii ze turstekeit spitze
Wann sie hitze geturstkeit tut
An tieren und in mentschen mut
Daruiube so ist der löwe gran
Von fiires hitze, die er sol han
Ouch ist der mellancolicus
Träge in louffe und wurken süss
Das kommet von der kelti sin
Die striket die gelider in
Nvd und hasse ist er vol
Ohe er sich nit kan ziehen wol
Selten mag er lachen
Und liitzel schimpfe machen
Sin geberde sint trurig ungenieii
Und hett ein hertze vol g}'tigkeit
Doch so muss ich loben in
Uff kunste und wyssheit stot sin sin
Er nympt der Ifiten deine acht
Und sorget vil den tage und nacht
Kunste und schätze verbirget er vil
Niemans er sich bekumbem wil
Dis mag er von nature han
Doch mag er ymme wol widerstan
Das er ein teyl mag fliehen
Ein teyl mag ymme geziehen
Also stot es in aller kur
Die da kommet von natur
Nach siner nature so höret dem zu
FAchte spyse spat und frü
Die ymme ouch ettwas wermy geh
Das er gesunt deste lenger leb.
Der Inhalt dieser Verse über die Komplexionen erscheint
als eine freie Behandlung der beträchtlich kürzeren Charak-
teristik, welche das saleniitanische Lehrgedicht folgender-
ma.ssen ausdrückt:
1. De sanguineo: Largus, amans, hilaris, ridens. rubeique coloris.
Cantans. camosus, satis audax atque benignus.
2. De colerico: Hirsutus. fallax, irascens. prodigus, audax,
Astutus, gracilis, siccus. croceiqui coloris.
De Üegniatico: Hie somnolentus. piger. et sputamine niultus.
Est huic sensus hebes, pinguis Facies, color albus.
De nielancolico: Invidus et tristis, cupidus, dextraeque tenacis,
Non expers fraudis. timidus. lividique coloris.
•>.
1^'ie man nit yedernian sol alle zite nach der conplexion schetsen
nnd das sich die conplex rerandert.
»Svdt ich nun underscheidenlich
Und kurtze han imderwvset dich
Von vierlev ziten in dem vor
Und wo man sich sei hfiten vor
In vedem zite und ouch da )>v
Was yede conplexe sy
Und ir ouch zu gehöre
Nach Ordnung der lere
IlllttV
Kroibrirg
il ii-li
Die geeUBtheit
Aber hie
[In »yest iiiHü alJ wyp
-■^o äoltu ain geschybe
t.'iiil kab« nieman da für
t^lit.
AU man in Ton amen sieht
■Si<l eiua ning ftiidcis leben
Ui'nii yiiime naturv hft gebi'ii
l'iid atot itlaii in aller kur
Die dn kommet vnn natiir
Sil wirt der hKse dike gut
L'nd gewinnet der gutr bösou mnt
Sil sint oueh vil gubHrde
Der nientscbe off der erde
Im valsther byeggerje'
\Va« yederniann deun sye
Diis nmg wissen suiidtr ein
Nieinaii denn gutt nilein
Doch kannt'iit die wysen
Hy der cnupli-xe pryfeu
War 2U sfi (lieh ueyget
t*nd lichte wii-d heweyget
Dnvon rnn^ oncti ein wyaov iniiii
.'Sifh dester baa« iii hüte han
L'iid mag sich selber ziii^lieu
Vom bQsen und das fiieheii
Dar zu er geneiget i»t
Dem eygen willeo mit geliriilil
Der Htot ledig und fry
Obe er böse oder gut sy
AIsu wiese ouch an dbwr statt
Des iiuniger ein coaplexe bntt
Div gut und edelwert gelioni
Aber er hett sfi verlorn
Mit wüster fullerj-e
Mit lybes truserye '
Und sust mit vil unordenhvit
Das er ein bSse conplese treil
Die in mit »iechtag machet mott
Reibe tett selber hutt
Wer ain selber iiit »ehonen kari
Dur tunket mich ein tumber iniin
Onch ao soltii wiasen hie
Das die conplexe sich yo
Dihe endert in der mygent
Nach dem alter und der jugent
Nach dem liilfte und nach der apyae
Dai wissen t wol die artiot wise.
Aus etwa dei-selben Zeit bewahrt das im Stadtarchiv he-
tindliche Seelbiicli des Klosters St. Maria Magdalena eine hieriier
{gehörige Nachrit-ht, indem unter dem (i. November 1507 der
Eintrag sielt findet, dass „Meister Filibertus was unser
arzut. der uns vil güts getoii lief. Von vermutlich dem-
selben Meister ,Pln]ipertus' sagt uns das Häuserbuch der
.Stadt Freiburg, dass er «m 14WI das Hans „zum Hom* (jetzt
Kaiserstralie Jl und ein Teil des Bezirksamts) besessen bat.
Wahrscheinlich war er kein eigentlicher Arzt, da in dieser
Zeit der Meistertitel fiir solche schon nicht melu' gebräuchlich
war; aber nur Ammhmen könnten hierüber gemacht werden,
■la irgendwelche bestimmtere Nachrichten über diesen Manu
bis jetzt nicht vorliegen. —
' Mild, b
egger
e = Gl
ißnerei.
1'.
• \V«1 la
mlst.
rosse.
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e, franz.
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en, tru
osina,
drüsem
beiDiufenb
H.x
1- u. niederd. Wll
, 373.
P.
i
48 Haas — Gesundheitspflege iui mittelalterlichen Freibarg
Das frühe Vorhandensein jüdischer Ärzte in Freiburg
lässt sich aus dem Bestehen einer für jene Zeit gi'ößeren
jüdischen Gemeinde mit einer „Schule", d. h. Synagoge, an und
für sich schon vermuten; gab es doch eine Talmudvorsclirift,
welche besagte, dass niemand eine Gemeinde bewohnen solle,
in welcher (u. a.) ein Bad und ein Arzt fehle. In Überein-
stimmung damit kann die Tatsache, dass, wie vielfach, .sc»
auch hier in Freiburg bei der großen Pestepidemie des Jahi's
1349 und in spätem ähnlichen Fällen die Juden in auffallender
Weise von der Seuche verschont blieben, wol auf ein
größeres, auf alter Übung beruhendes, medizinisches Ver-
ständnis oder auf unmittelbare ärztliche Beratung zurück-
geführt werden. In der Tat gibt Schreiber^ an, dass von
Zeit zu Zeit in dringenden Fällen sich Juden als Ärzte ein-
fanden, und dass jüdische Wanderäi'zte in Freiburg noch bis
in das 16. Jahrhundert vorkamen: 1375 erhielt Meister
Guot leben, der arzet aus Kolmar, auf zwei Jahre das Wohn-
recht in der Stadt, wofür er für sich und zwei andere bei
ihm 30 Gulden zu zahlen hatte *. Dass die jüdischen Ärzte
aber auch außerhalb des Kreises ihrer Stammesgenossen
vielfach tätig waren, davon unterrichtet uns das gegen sie
gerichtete Verbot des Bischofs von Konstanz vom Jahre 1383»
welches bestimmte, dass kein Christ die Hilfe eines solche».^
in Anspruch nehmen dürfe ^; und lange vorher hatte ja scho'Kn
die medizinische P'akultät von Paris ein entsprechendes Stattzml
erlassen, nämlich im Jahre 1220, welchem gleichsinnige B^^^
Schlüsse von Konzilien, so zu Toulouse 1225, B&iers 124 ^>
Alhi 1255 u. a. gefolgt waren.
' Jich reiber, Bürgerlebeii zu Froiburg im Mittelalter: im Adr»^- ^^'
biu'b von IXMI».
- Lew in. Juden in Freibmg S. *)t) und 34.
'" Schreiber. (M'scbichte der Stadt Freiburg III, 40.
( Fortsetzinig folgt.)
1. Das Volkslied Tom Eisenbahnung^ltlcli.
In der Zcitsclirift des Vereins iür Vi.lksUuiKle 11,S. 45Df,
teilt M. Adler aus dem Liederheft eines Zu tzscli dorfer Müdcheos
das Lied einer BKuerin ans Auerstedt mit, das den Selbstmord
eines verführten jungen Bliidcliens behandelt. Das Mädchen
stammte aus Bergsulza nnd Hell sich auf der Hahnstrecke von
Kulza nach Küsen von einem Zug aherfahren, und zwar um das
Jahr 1870 herum. Adler stellte fest, dass das Lied in dem Ge-
biet zwischen Auerstedt, Suha, Kosen, Nauiuburg, Weillenfels
und dem Geiseltal sowie Freiburg a. U. bekannt ist und nach der
Melodie: „Seht ihr drei Rosse vor dem Wagen" gesungen wird.
Dieses Lied ist auch weiter nach Sliden gedrungen
£. Marriage iu ihren , Volksliedern aus der badischen Pfalz'
zeichnet es in zwei Fassnngen aus Handschuhsheini a. d. Bergstr.,
jetzt Vorstadt von Heidelberg, und aus Kirchardt bei Mosbach
anf. Das von Adler aufgezeichnete Lied war ihr unbekannt.
Da es vielleicht nicht uninteressant, ist, die Wandlungen fest-
zustellen, die das Lied durchgemacht hat, bringe ich es hier
Abdruck,
Der Zug von Hamburg.
1. Ein MMddieu schOn imtl jung von Jiihrt'ii.
Verfuhrt von einna Buraehf^n Hund.
Allein Kie hat schon Ifingat «rfabren,
Was Caisdie Lielie stiften kann.
2. Vom Kltenibaus vratA sie verstoßen,
Das war für sie ein harter Grau«,
In ihrem Herzen wnr'ci geHuhlossen.
Kie wiederzukehren ius EltcrahauB,
H. Sie gin^ von Hamburg bis nncli Bremen,
Sie fasste a lob den harten Plan.
Bie wollt ibr Hanpt aufs Schienen legen
tirad wo der Zug von Hamburg kam.
i« N. F. 8, 1.
60 Kable
4. Die Schaffner hatten'« längst gesehen.
Sie bremsten ein es mit Gewalt.
Allein der Zug, er blieb nicht stehen,
Ihr* Haupt rollt blutend in den Saud.
.">. Blaue Äuglein, blonde Haaren,
Die haben mich verrückt gemacht.
Und wer's nicht glaubt, der soll's erfohren,
Was falsche Liebe stiften kann.
Handschuhsliei m.
B.
1. Ein Mädchen von den besten Jahren,
Die solche Tat verübet hat,
Die kaim und muss es jetzt erfahren,
Was falsche Lieb für Folgen hat.
2. Ihr Herz war gänzlich hingerissen
Von eines Burschen Schmeichelei.
Im Stillen tat sie Tränen gießen,
Sie fühlte, dass sie Mutter sei.
8. Vom Mutterherzen ganz verstoßen.
Ging sie am Donnerstag mittag aus.
In ihrem Herzen fest entschlossen,
Nie wiedei-zukehren ins Elternhaus.
4. Sie ging gerad nach der Stadt Gesen,
Wo grad der Zug von Hamburg kam.
Auf d' Schienen tut sie sich hinlegen.
Dass ihre Schand ein Ende nahm.
.'>. Die Schaffner haben dies gesehen,
Sie bremsten mit Gewalt heran.
Allein der Zug, der blieb nicht stehen,
Ihr Haupt rollt blutend in den Sand.
6. Die Kinder kommen von der Schule.
Weil niemand sie erkennet hat.
Begrub man sie ins Tal der Schönen.
(lott lohnte ihre edle Tat.
Kirchardt.
Strophe 1 von A und B ist eine Kombination von Stropl^ ^
2 und 1 des Originals (0); Strophe 2 in B eine solche vcf ""^^
O 2 und B (den ganzen Tag rang sie die Hände [0] = im still(^^ ^^
tut sie Tränen gie(^en). A 2 B 8 sind gleich 4, B 8 h -^^
dabei die von Adler mitgeteilte Variante .,Donnerstag mitta
festgehalten. 5 heißt :
lois nach Eüseu
Von Siilea
Uad bei Schulpforta
ßip tut ihr Haupt auf ScbivD
Wi'i] eben der Zug i
I Naumburg kniii
Die erste Zeile lautet niicli: „Sie ging von Naumburg: aiis
mich KOsen" oder „Und so giiiy sie tbit von Küsen (von
jede«.)".
Der ersten Zeile von A 3 Hegt nun offenbar die erste Va-
riante :iu Onmde. Doch wurde aus dem in dieser Gegend »ol
wenig bekannten Naumburg Hamburg, und damit ergab sich
ilie Änderung von Kiisen, das wol auoli nipht bekannt ist, zu
Bremen. In B 4 dagegen ist Küsen in der verstümmelten Form
Gesen beibelialteu und nur Naumburg zu Hamburg geworden.
.\ 4 B r» stimmen daun mit 6 tiberein.
ü 7 fehlt in A, in B ti sind die Schüler von Sclmlpfort^,
<lie die Leiche begraben, einfach zu Kindern geworden, die von
der Schule kommen. Dass sie bei der Beerdigung tätig waren,
wird nicht erztihlt. Aus der Zeile in O (die Schüler haben)
,au3 älitleid sie so schön begraben" ist das sinnlose , begrub
man sie ins Tal der Schiinen " geworden. Die Schlussstrophe
von fehlt in beiden Fassungen, dafür ist in .\ eine Wonder-
sfrophe. die von Frl. Mamage als Anfang eines Liebeslieds
{Köhler und Meier No. 49, Erk-Böhme 11 519) und als letzte
Strophe eines Farbenlieds des 18. Jahrhunderts nachgewiesen
wird, hinzugefügt worden, die gar nicht in den Zusammenhang
passt. Veranlassung waren die letzten beiden Zeilen:
L'tHl wei'*s uicbt glaubt, ^Icr aall'B prfalireD.
Wo» falsche Liobe stiften karju.
die an die Zeilen der ersten Strophe
Allchi sie bat Sülion längst erfahren,
Was ftilache Lielw stEften kann
anklaugen. Dos Lied kehrte so am Schluss scheinbar zu dem
eingangs angeschlagenen Grundthema zurücli.
2. Die Hordtat des Soldaten.
Aus gleicher Quelle teilt sodann Adler in dei-selben Zeit-
fichrift 11, 400 ein zweites Lied von der Mordtat eines Soldaten
mit (A). John Meier wies alsdann (ebd. 12, S. 2'2HT.| nach, dass
52^
Kahle
dies Lied auch sonst noch bekannt sei: in den von C. Köhler
und ihm herausgegebenen Volksliedern von der Mpsel und Saar
No. 265 in gekürzter Form (K). Voretzsch hat es sodann mit
17 Strophen in dem Liederbuch eines Musketiers des Inf.-Reg.
Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (L Magdeb. No. 26) gefunden
(vgl. Zeitschr. f. deutsche Phil, 30, S. 257 Anm. 1). Diese
Fassung (V) hat er Meier mitgeteilt. Wie in K ist die Tat in
Erfurt lokalisiert, die Mordtat geschieht in der Augustastrafie,
die Verwarnung des Gefangenen in der Stadthauptwache und
auf dem „Berg**, auch hier nennt der Mörder seine Geliebte
wie in A Luise Hagemann, während er selbst jedoch in A
„Karl Gottfried Möcke** heißt, nennt er sich in V n^&i'l Chri-
stian Necke". Eine weitere Fassung aus Westpreußen, mit-
geteilt von Alexander Treichel, bringt nun Meier a. a. O. zum
Abdruck (T). Auch diese Fassung spielt in Erfurt, die Straße
heißt Angerstraße, die Namen des Paars werden nicht ge-
nannt.
Auch zu diesem Volkslied stellen sich zwei neue Aufzeich-
nungen; die eine bei E. Marriage No. 39 (M), aus Nüstenbach.
Handschuhsheim, Kirchardt, die andere in der Odenwälder
Spinnstube (0), herausg. von Krapp (Darmstadt 1904) No. 150
aus Wallbach und Überau.
Die erste (M) lautet:
1. Ich liebte einst ein Mädchen
Wie's jeder Bursche tut;
Sie wollte michs verführen.
Dazu hat ichs kein Mut.
2. Ich ging zu ihr auf Urlaub
Wol in ein (lastwirtshaus;
Sie aber stellt sich spröde
Und eilt zur Tür hinaus.
•*>. Da zog ich mein* Revolver
Und schoss ihr durch die Brust.
Ein Wörtlein wollt sie sprechen.
Dazu hätt ich kein' Lust.
Vy. Ach Gott, wo ist mein Liebchen V
Mein Liebchen, das ist tot!
Ich habe sie erschossen,
Ihr Blut floss rosenrot!
3. Das hat mich sehr verdrossen, 7. Was trug sie auf dem Haupte?
Ich fasste den Entschluss: Ein blondgelocktes Haar.
Ihr Leben nuiss sie lassen, Sie ging an meiner Seite
Das kostet nur ein' Schuss! Ein ganzes volles Jahr.
4. Wir trafen uns zusammen
Wol auf dem Zeughausplatz.
Es schlug die zwölfte Stunde,
Und sie wars leichenblass.
S.
Ich wurde arretieret
Noch in derselben Nacht,
Nach Rastatt abgeführet
Und in Arrest gebracht.
rWr filiig.' Volkalifcl
5»
9, Da wurde ich gebundcu
All einen Eisenpfabl.
Da sollte ich bekennen
Diu schaiulerhuft üelat.
. Kh werden Itonimandierct
Zn'L-i Miiuu Hua nieinem Zug,
L'iid kAiioi iu sechs Minuten
1)h lag ich schein iiu Ulut.
Oder: la Dazu hatt' icbs keine Lust. 2c Slellt sich blüde
iinii ging zur Tür hinaus. 3 c Ihr Leben soll es kosten durch
einen Kugelschuss (ein Revolverschuss). 4 b Kniserplatz, 6. Ich
k&uft mir ein' Revolver. 7a Ich schnitt von ihrem Haupte.
7c Und trug's auf meinem Buseu. Ha Darauf Avard koninian-
1 Man legte mich in Ketten.
L die schiLiiderhafte Qual.
ilc Damit icli sollt'
lU. l'nd als i(.'h SJi' |i;<'atHUili.'li
Die schuuderhtirtc Tut.
Hnt tniin inirh k-bciiBUugUeh
Nach Wilhelmahfih gpbmcht.
Die zweite Fassung (O) Inutet:
. li:h Hebte einst ein Mädchen,
Wie's jeder JDngling hit,
e aber zn verführen,
Dnzn hatt' ich kein' Mut.
2. Ich schnitt v«ii ihrem l[nu|)tt
Drei blond gell ick te Haar
VaA trag niif meini'in Hiiaen aii
Drei Tdlie -Tubi'.
3. \eh wurd' T<m iiir genauen
Zum Kampf fürs Vaterland.
Sie achwur mir unter KOsseii
Die 7ren in je<lem Stand.
4. Ich kam zu ihr auf Urlanb
Will in ein IJastwirtehaus.
^ie aber stellt sich bljlde
l'nd ging xur Tllr hinaus.
Wir trafen n
Wol auf dem WilhelniB|>liit;(
Eb achlug die zwölfte l^tuude,
Da lag aie leichenbluna.
Ich wurde arretieret
Nuch in derselben Nacht,
Zur Hauptsstodt abgefubret.
Dort wurd ich streng bewacht.
Hie banden uüch mit Ketten
An einen großen l'fuhl.
Daaelbst sollt' irh bekennen
Diu schauderhafte Tat.
Als ich sie dann Ijetannte
Die Hchauderhaftu Tat,
Da wuid' ich lebenslftuglicU
Nach Wartenborg gebracht.
.■>, Das bat mich aehr verdrossen; 10. Drum bötet euch, ihr Madchen,
Ich fasste dea Enlscliluss: Heiratet nicht so frllh.
Ihr Leben sollt' sie lassen; Doh rnglQck kommt beizeiten,
Es kost ja nnr ein :<chu3ci. Die Not auch viel zu frUb.
H 1 und 1 Stimmen iiberein, nur dass in M 1 es das
MKdchen ist, da.s den Burschen verführen will, wozu er keine
Lust bezeigt, in I dagegen der Bursch von sich aussagt,
dass er nicht den Mut gehabt, das Mädchen zu verführen. Jn
54 Kahle
M fehlt die Trennung, die in 2 ebenso wie in K durch den
Kampf fürs Vaterland herbeigeführt wird, gänzlich, auch ist in-
folgedessen von einem vorhergegangenen Treuschwur wie in
B keine Rede; in beiden Fassungen, M 2 und O 4, kommt
der Soldat auf Urlaub zu dem Mädchen, und zwar sind auch hier
ebenso wie in K die Strophen 5 und 6 von A zu einer zusammen-
gezogen. In Übereinstimmung mit K schneidet der Soldat in
O 2 „das blondgelockte Haar* ab, und zwar vor der Trennung,
und trägt es drei Jahr auf seinem Busen, wie er auch in der
Fassung von Treichel (T) 2 sie drei Jahr geliebt hat. In
M 7 dagegen wird nach dem Morde ihr „blondgelocktes
Haar" nur erwähnt, wie ähnlich in A und V ihr ^ Lockenhaar*'.
Auch hat ihre Liebe hier nur ein Jahr gewährt. In M 4 ist
es der Zeughausplatz, in 6 ebenso wie in K der Wilhehus-
platz, wo sie sich treffen. In M 4 wird ebenso wie in K das
Mädchen beim Sclilagen der zwölften Stunde leichenblass, wäh-
rend sie in 6 beim Schlagen schon leichenblass daliegt, und
der Schuss selbst, der nach M 5 durch einen Revolver erfolgt»
gar nicht erwähnt wird. In M 8 wird der Verbrecher nach
Rastatt gebracht, in 7 nach der „Hauptstadt", was an die „Stadt-
hauptwach" bei A 12 anklingt. Während er in T von zwei
Leuten aus seinem Zuge erschossen wird, bringt man ihn, wie
in K, zu lebenslänglicher Einschlielkmg. Während aber K
nicht angibt, wo diese stattfindet, nennt Wartenburg. Und
dies dürfte vielleicht, wenn man sich auch darüber wundern
muss, dass es sich gerade im Odenwald gehalten hat, das ur-
sprüngliche sein. Denn in Wartenburg in Ostpreußen, iu\
Kreise Altenstein, befindet sich eine Strafanst4\lt. Aus Warten-
burg wäre dann auch das Kolberg von K und der Berg von V
entstanden. Sowol in M wie in werden die Namen de 3
Paars nicht angegeben.
3. Der heimkehrende Soldat.
Zu den Aufzeichnungen dieser weitverbreiteten Ballacrl.*
(Belege s. Bolte, Zeitschr. d. Vereins f. Volksk. 12, S. 215 "tf-
gesellt sich jetzt No. 184 der Odenwälder Spinnstube mit de*^"
Anfang „Husaren aus dem Kriege, hurrah!", also ähnlich a^' ^
bei Bö ekel, Deutsche Volksl. aus Oberhessen No. 50 „Der Ä "■-'
sar aus dem Kriege kam, hurrah'M Auch fehlt hier wie d*^"*"
die Strophe von dem Briefe, der die falsche Nachricht v
Lbei* einige Volksliedvariaiiteii 55
Tode des ersten Manns brachte. Ferner fehlt in der Oden-
wälder Aufzeichnung (aus Überau) jede Anspielung auf eine
bestimmte Zeit oder bestimmte Gegend.
4. Vor der Einstellnng.
Das in der angeführten Zeitschrift 13, S. 312 mitgeteilte öster-
reichische Rekrutenlied, aus nur zwei Strophen bestehend, ist in
andern Fassungen wesentlich länger (s. die Nachweise daselbst). In
Oberschefflenz (Bender, Oberschefflenzer Volkslieder, Karlsruhe
1902) wird es in erheblich abweichender Form gesungen (B).
97. Warum?
1. Warum ist die Falschheit so gioli in der Welt,
Dass alle jungen Burschen müssen ziehen ins Feld?
2. Der Hauptmann steht draußen, schaut seine Leut an.
Seid nur lustig, seid nur fröhlich! *8 kommt keiner davon.
8. Was hilft mich dem Hauptmann sein Reden, sein Sagen I
Meine Eltern, die haben mich auferzogen.
4. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, mein Bruder,
Meine ganze Freundschaft hat mein Schatzele veracht.
h. Dene Leute zum Posse, dene Leute zum Trutz,
Und da lieb ich mein Schatzele, wenn's glei net viel nutzt.
f). Wenn's glei net viel nützt, — wenn's glei net viel bat't,
So hab ich 's dene Leute zum Posse getan.
Dazu die Anmerkung: „Wir sangen die drei ersten Verse
in den 50er Jahren wahrscheinlich mit einer andern Schluss-
strophe, als die vorstehenden drei letzten, die von der Jüngern
Generation in den 80er Jahren gesungen wurden. Es sind
offenbar laute Stumpeliedli.*'
Dasselbe Lied mit gleichem Anfang findet sich in der
Sammlung von E. Marriage (M) 140 und der Odenwälder Spinn-
stube (0) 245. In beiden findet sich als zweite Strophe die
von der Musterung, die bei B fehlt.
M 2. Nach Heidelberg marschiere mir und lassen uns visedieren
Ob wir taugen, ob wir taugen, ob wir taugen ins Feld.
2. Zur Musterung marschieren wir, lassen uns dort visitieren,
Ob wir taugen, ob wir taugen, ob wir taugen ins Feld.
Die fünfte Strophe lautet in 0:
Mein Bruder, meine Schwester, meine ganze Freundschaft,
Die haben mich um mein schön SchUtzele gebracht
56 Kalilt» — Über einige Volkslied Varianten.
und iihnlicli in M:
Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, mein Hruder.
Meine grolJe Freundschaft, die hat mich um mein Schatz geliracht.
Diese Strophe ist in dieser Fassung oli'enbar ganz sinnlos.
Sie ist entstanden aus den gut passenden beiden Schlussstrophen,
wie sie Mündel, Elsäss. Volkslieder 1G6 darbietet. Nachdem
es zunächst heißt:
Mein Vater, meine Mutter, die weinen so sehr.
Weil wir müssen fortmarschieren, denn der Ahschi<*d ist schwer,
folgt:
Meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester, meinem Ihuder.
Meiner ganzen Freundschaft sag ich allen eine gute Nacht.
Mein Vater, meine Mutter, die weinen so sehr.
Mein herztausig schön Schützlein, die weinet noch viel mehr.
Daraus ist dann in B 4 geworden, dass die ganze Ver-
wandtschaft den Schatz verachtet, und es sind die Strophen 5
und G dazu gedichtet oder von irgendwoher Übernommen
worden. M hat dann als Schlussstrophe:
Meim' (ji roßherzog von Baden hin i gar nimmer gut.
Weil er mich von meinem Schfttzele so weit eweg tut.
Die Pflege der Volkskunde in Baden.
Von Oüliiir HnlTiKT.
Im Sommer l'JUA hat hlcli ein Verein für badlache Volks-
kiimle aufs neue zu frischer Arbeit ztiBammengefiinden. Aus
diesem Anlitss ist es wol um Platze, zu sehen, \vns in Baden
bis .jetzt auf diesem Gebiete geleistet worden ist.
Nachdem besonders im Anfange des 19. Jahrhunderts
ilurch die Romantiker (man denke nur an „des Knaben Wunder-
honi", (las auf badiscliem Boden, im sagenumwobenen Heidel-
lierg, entstanden ist) der Sinn flir die Kunde vom Leben des
Volks erweckt war, ist er nie eingeschlafen und die neu entstehende
Oermanistik (man braucht nur an die Briider Grimm und
TJhlnnd zu erinnern) hat nueli dos ihre zur Förderung bei-
getragen '. Wol haben die politischen Verhältnisse unseres
Vaterlands weit bis über die Mitte des verflossenen Jahr-
hunderts die Interessen der geistigen Führer der Nation, und
dies nicht am letzten in Baden, so in Anspruch genommen,
dass fllr die Volkskunde nur wenig Raum Übrig blieb. Mit
der Einigung unseres grolien deutschen Vaterlands wuchs auch
die Liebe zur heimatlichen Erde. Der Deutsche war glücklich
über die Zeiten des Kosmopolitismus und der seichten Auf-
kliining hinaus. Man wandte sich wieder dem deutschen
^Volksturae" — ein Name, den wir E. M. Arndt, dem Sänger
der Befreiungskriege, verdanken — zu und nach und nach sah
man immer mehr, dass in den Tiefen unseres Volks noch viele
Schätze verborgen waren und dass es nur galt, sie zu heben.
Zu dieser Arbeit trat ISWü eine Vereinigung für Volkskunde
in Baden zusammen und auf Anregung der Preiburger Germa-
auch il«-u Aufsatz vuii K. H. Mejer. .IlrtUi«iiL- Volks-
I XXIII. 98—11^. nach RptbatUnilig im Biidihandd er-
(.. (ieafihk-hte der \'olkBkande enthalt und die bis
I.*!)-4 eriw'hienenen Arbeileii itir Volkskunde nü( badisdiPiii Oebietr kri-
tisch beleuchtet.
58 Haffner
nisten F. Kluge, E. H. Meyer und P. Pfaff wurden an die
Volksschullehrer und Pfarrer des Lands Fragebogen geschickt,
um die alten Gebräuche, Sitten, Spiele und mundartlichen Aus-
drücke vor dem Vergessenwerden zu retten. Man wandte sich
trerade an diese Männer, weil sie die besten Kenner des ba-
dischen Volkslebens sind, da sie mit unserer ländlichen Be-
völkerung, aus der sie sehr oft selbst hervorgegangen sind, am
nächsten in Berührung kommen. (Ein verkürzter Abdruck dieses
Fragebogens folgt.)
Von den etwa 1500 Schulorten hat gut ein Drittel geant-
wortet. Das reiche Material, das dadurch zu Tage gefördert
wurde, hat E. H. Meyer großenteils in seinem schätzbaren Buche
^ Badisches Volksleben" verarbeitet. Wir möchten auch an dieser
Stelle dies hervorragende Werk jedem, den die Sache irgendwie
anzieht , aufs angelegentlichste empfehlen. Doch hat sieb
Meyer hauptsächlich auf die Lebensverhältnisse, Sitten und Ge-
bräuche beschränkt, und es ist aus den Beantwortungen noch
mancher Schatz zu heben.
Im folgenden wollen wir eine gedrängte Übersicht über
die Beantwortung der Fragebogen geben, um zu zeigen, was
durch diese Arbeit schon geleistet worden ist, aber auch, was
noch geleistet werden kann und muss, wenn wir zu einer ge
wissen Vollständigkeit der Erforschung des badischen Volks-
lebens mit all seinen Höhen und Tiefen, all seinen Vorzügen
und Mängeln kommen wollen. Das eine aber möchten wir
gleich vorausbemerken, dass aus der Beantwortung der Fragen
jetzt schon mit sicherer Klarheit zu erkennen ist, dass in
unserem Volke noch viele Kräfte alter Poesie, alter Weisheit
und alten Volkstums schlummern. Hier gerade gilt das Wort
aus Goethes Faust:
^Die (icisterwclt ist nicht verschlossen,
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Hrust im Morgenrot/
Bei der Durchsicht der Fragebogen fällt sofort die grolie
Ungleichheit in der Beantwortung auf. Manche Lehrer haben
sehr viele Mühe und Zeit daran verwandt, einige bis zu B(^
Quartseiten geschrieben und dadurch eine vollständige Volks-
kunde ihres Orts gegeben. Solche ausführliche und vortrefi-
Dil- l'fli.f!,- iler Vülksk«ui.k> in lii.d.-n 59
liebe Seil ilderitn gen haben wir besonders aus der Seegegeud,
aus den Kreisen Waldsliut, Freiburg, Offeiiburg und dem b»-
dischen Hinterland. Von diesen groll angelegten Schilderungen
abwilrts gibt es nun alle Abstufun^u bis herunter zum ein-
fachen Qaartblatt, je nachdem es die geogiaplüsclie Lage des
Orts, die individuelle Anlage des BeAntuorters, Zeit, eigenes
Interesse, Aufmunterung von aullen, Vertrautheit mit dem Leben
seines tlrts bedingten. Doch ist noch zii erwähnen, dnss
manche Lehrer auf einigen wenigen Seiten sehr viel zu berich-
ten wussten,
Eines ist auf den ersten Blick klar, dass sich in den ent-
legenen Dörfern der Seegegend, des hohen Schwarzwalds oder
des Hinterlands die allen Sitten, Gebräuche und mundartliche
Verschiedenheiten besser erhalten haben als In den groben
iJörfern der breiten Rheinebene, wo die Freizügigkeit und die
Nähe groHer Städte sehr iiusgleicliend wirken- Doch ist auch
in diesen Orten noch viel Volkstum zu linden, und wenn
aus ihnen so wenig berichtet ist, so liegt es darin, doss mau
hier viel tiefer eindringen muss, um das Verborgene heben zu
können.
Der Hauptgrund, warum aus den einen Teilen Badens die
Beantwortungen so reichbch Hieben, aus andern Teilen spärlich
oder gar nicht, ist in der Anteilnahme der Kreisschul rate, durch
die den Lehrern die Fragebogen zugest-ellt wurden, zu suchen.
Je nachdem man hier die Sache in die Htind nahm, die Lehrer
dafür zu gewinnen suchte und durch die Stellung einwirkte,
Set das Resultat aus. So scheinen sich besonders die Kreis-
srhulräte von Konstanz, Waldshut, Freiburg, Offenburg, Baden,
Karlsruhe und Bruchsal um die Sache angenommen zu haben.
Denn nur so und nicht anders ist es zu erklären, doss aus dem
Uarkgräflerland von Lehreni so viel wie gar nichts berichtet
ist. während die Freiburger Landschaft, die fast unter den
Kleichen wirtschaftlichen Bedingungen lebt, ziemlich stark ver-
treten ist, wenn auch nicht verkannt werden soll, dass hier
liurcli persönliche Unterredung der Fragesteller mit den Lehrern
Jer Sinn für Volkskunde geweckt worden ist. Dies ist auch
in andern Gegenden geschehen, so z. B. in der Seegegend und
I auf dem Hotzenwald.
j Gehen wir auf die Besprechung der einzelneu Fragen ein,
^Jgi^^t sehen, was bei Jeder Frage berichtet ist.
Bei den Ürtsnanien hahen manche Beantworter.eine kMnn
Geschicbte ihres Orts geliefert.
Die Flurnamen bieten maiiclien intereeennten eiirach-
geschichtlichen Stoff, Manelies altdeutsche Wort bat sich, wenn
auch manchmal sehr umgestaltet, erhalten und wird oft nur
durch Überlieferung der mundartlichen Form und der Erklärung;,
die die Bewohner geben, deutbar.
Was die Punlste 4 — 8 und 12 (s, unten S. 6) Letriffr,
so geutigt es hier, auf das schon erwähnte voi'ti'efTIiciie Buch
von E. H. Meyer hinzuweisen. Ein Vertiefen in dieses Werk
zeigt, welche mannigfaltigen Sitten und 0-ebrSuche noch
Torhanden sind. Auch sind diese Fragen fast von jedem
Lehrer beantwortet. Bei den Sitten und Gebräuchen sieht man,
wie von der Wiege bis aum Grabe das Leben der Landbevöl-
kerung und auch das der Bewohner der Landstädte Erinneningeii
und Aberglauben aus alter Vorzeit mit christliehen ZutJiten iiuj-
geben, so bei der Geburt, in der -lugend, beim Liehesieben, bei
der Hochzeit bia zum Sarge: in Haus und Hof. in Flur und Fehi.
Wichtig für die Erkenntnis des innem Lebens unsere-s
Volks sind die Punkte 9 — 11. Bei 9 sind uns manche alte
Volkslieder Überliefert, die verschiedenen Kinderreime uuii
-spiele zeigen, welch gesundes Volkstum sich hierdurch vuu
Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt. Hier liesonders floss dir
Überlieferung sehr reichlich und neben manchem Alltägliche»
findet sich auch manche köstliche Perle. Auch Volkssehau-
spiele, Sprichwörter, Hausinschrifteu, Schwanke und
Schnurren sind aufgezeichnet, und es tritt oft hei letzteren
ein frischer, herzerquickender, wenn auch manchmal etwas derber.
Humor zu Tage. Dasselbe zeigt sich auch iu den OrU-
neckereien und gerade diese Seite der Volkskunde einmal rii
bearbeiten, ist eine lohnende Arbeit,
Unter diese Rubrik gehören auch die Riltsel. Der ge-
bildete Städter hat kaum eine Ahnung, welch eine Fülle von
oftmals wirklich urwüchsigen Rütseln unter unserm Landvolk im
Schwange sind. Sind doch von einigen Orten bis zu 40 solrlitr
Rtitsel aufgezeichnet.
Über MHrchen ist nicht viel berichtet", dagegen iMsen
' DnsB jedoch mich sultlie iii Huden sind, zeigen die von V. l'f'f
Mcichnctcn .MSrrhen niis Lobenfeld* in der Feetsclii'ift für Wfin-
jiie rfli-^o <i(T v.iifeskiii
I liucicii
«1
uns die Sa^eii in der verschiedensten Gestalt Blicke in den
Aberglauben unseres Volks tun. Hier zeigt sich, wie rege die
t^nbildungskraft unter unserer Landbevölkerunfr ist, und dass
in mancher Sage und in manchem Aberglauben doch ein tiefer
Kern steckt, der uns in das innere Gemiitsleben blicken lösst.
Auch manche geschichtliche Tatsache wird nur durch ihr Fort-
leben in der Sape vor der Vergessenheit bewahrt.
Der letzte Abschnitt des Fragebogens ist den mundart-
lichen Ausdrücken gewidmet. In diesen steckt unbewusst
noch ein guter Teil unseres alten Wortschatzes, der uns mit
der Zeit abbanden gekommen ist und aus dem unsere ab-
gegriffene Schriftsprache immer wieder Erneuerung schöpfen
kann. Viele Ausdrücke sind in dem oben erwähnten Buche
verwendet. Doch erst vollstündige Durcharbeitung des Stoffs
in Verbindung mit den Flur-, Familien- und Taufnamen kann
hier den reichen Schatz zeigen, der uocli zu gewinnen ist.
Auch die Erzählungen in der Mundart erweitern unsere Kennt-
nisse sowol fiir das Gebiet der Mundartenforschung, als auch
erschlielien sie inhaltlich einen Teil unseres Volkslebens.
Außer den Volksschullehreru haben noch etwa zwanzig
evangelische Geistliche aus ihren Gemeinden Beiträge zur Volks-
kunde geliefert, so besonders aus den Amtsbezirken Lörrach
und Emmendingen. Diese Arbeiten behandeln in erster Reihe
das Verhältnis der ländlichen Bevölkerung zur Kirche und er-
hellen diesen Teil des Volkslebens.
Zuletiit sind noch einige Beiträge von andern Personen
anzuführen, die, durch den Fragebogen angeregt, über ihren
Heimatsort Aufzeichnungen machten.
Um zuletzt kurz die Verteilung dei
einzelnen Amtsbezirke zu berühren , so
Säckingen und Ettlingen am besten
aller Schulorte berichtet haben. Von da ab fällt die Prozent-
Kahl bis auf die Amtsbezirke Donauesclungen , Mannheim,
Schwetzingen und Weinheim, aus denen überhaupt keine Ant-
worten eingelaufen sind. Die meisten Fragebogen kamen aus
«ien Amtsbezirken Rastatt (34) und Freiburg (31). Bei 8 Amts-
bezirken schwankt die Zahl zwischen 20—30, bei 13 zwischen
Fragebogen auf die
sind die Amtsbezirke
jrtreten, da hier üO^/ö
hold (StraUhnrg 189«) S. (ili— «3 und in der Alemannia SXIV, 17!
-183
1
62 Haffner — Die Pflege der Volkskunde in Baden.
10 — 20, 25 Amtsbezirke haben aus weniger als 10 Orten be-
richtet.
Erwähnt muss noch werden, dass ebenso Herr Direktor
Dr. Schindler in Sasbach bei Achern, ein eifriger Freund der
Volkskunde, der auch als Gründer dem neuen Vereine angehört,
eigene Fragebogen, die sich besonders an die katholische Geist-
lichkeit richten, hat ausgehen lassen.
(Fortsetzung folgt.)
Briefwech.sel zwischen Schubart und
Lavater über den "Wundertäter Gassner.
Mitpct^'ili von ranl Kprk.
Lnvatei'. de^Hcu Sinn flli' ilnx WiiMileisiiiiiL- ja litkiiiiiil wm. iiiti-i-
«ssierte sich natftrltcli lebhaft fDr die .Wunderheilungeii* He» Exorzisten
Joh. .los. GslinBr (n;ph. 1727 m hraz in Vorarlberg, gest. 1779 711
Pumlorf in der Obi^rpralzi. (ileicli nachiitMD l.avnter iiii Summer 1774
von OallnerH Krniikeiihailuiig durch liebet, HniKliiiiriegung oder mich
(Inrch Exorxiifiiius (Dainonerbeschwnnmg) Kunde erhalten, setzte er aieh
mit Gallner zunächst brieflich über die Sache ins Benehmen. Den-
gleicheo tag er anderwärts, ancli von Ärateo. so von dem kiirfttratlichcn
hairischen Leibarzt Wolter. daHlber Erkundigungen ein, welche nicht
ungünstig ausfielen. Auch an den l'rofesBor Seinler in Halle a. 8.,
i-ineii der entschiedensten l.Jegner aller Dümonologie. hatte I.«VBt»r sich
gewandt tmd denselben xii einer näheren Unterauchung der Tatsachen
aufgefordert. Semler verwarf anfangs die Tatfuichen selbst nicht, hielt
sie aber damit für erklHrt. dass er sie entweder aus psyclinlngisi-hen Ur-
sachen herleitete iider Betrug darin fnnd. Der Briefweehael zwischen
beiden Mttunem itber diese seinerzeit viel Staub 11 11 f wirbelnde Angelegen-
heit ist in der ll'Ü zu Halle ernchienenen .Sammlung van Briefen und
AufsJltzen Hbcr die ilallnernchen . . . (ieisterbeschwOrungen, mit eigenen
vielen AnmL-rknngen herauagegelten von .loh. Salumo Semler' nieder-
gelegt. Rü konnte natQrlich nicht aUHbleiben, dass diese Angelegenheit
nnd die Verteidiger derselben grölten Widerspruch und starke Angriffe
erfuhren, und daaa insbesondere Lavater deswegen mit der Zeit nicht
nnr verdllchtigt, sondern von verschiedenen Seiten, lo von dem oben-
erwAbnten Semler. wlltend angegriffen wurde. Zu denen, welche in
dieser Sache das Wort ergriffen nnd nrar gegen (tnlinvr. ziblte auch
4iei Dichter Christian Kried. Dun. Schubait, in deuMn Nahe ja
f Heilungen Tomahm, »u in den Jahren 1774/177,^ tu Wo\t-
egg, Wangen i. A., im Nonnenkloster zu St. Klara von SOftlngen bei Ulm,
in Tettnang, Meershurg. im Zintcrzienserstift Salmnawril, in Aulendurf,
Ellwangen usw. Erstmals erhob Schubart orine Stimme gegen die
'ioßnerei in seiner im Jahre 1774 gegründet«« .TenüKhcn C'hronik* am
04 Beck
12. Dezember, S. 589 (schon in Ulm gedruckt), wo er über (^aüiier
Hchreibt: ,Der Pfarrer Gafiner zu Klösterle fährt fort, den dummen
Schwabeni>öbel zu blenden. Er heilt Höcker, Kröpfe. Epilepsien — nicht
durch Arzneien, sondern bloß durchs Auflegen seiner hohenpriesterlichen
Hand. Kürzlich hat er ein herrliches Buch' herausgegeben, wie man
dem Teufel widerstehen soll, wenn er in Häusern und Menschen rumort.
Und da gibt's noch tausend Menschen um mich her, die an diese Narr-
heiten glauben — heiliger Sokrates, erbarme dich meiner! Wann hören
wir doch einmal aof, Schwabenstreiche zu machen?*^ Diese Stelle ver-
anlasste Lavater, mit Schubart im Frühjahr 177.> einen Briefwechsel
zu eröffnen und Schubart Vorstellungen wegen seines Vorgehens gegon
den ,von ihm verspotteten redlichen Pfarrer Gaßner" zu machen, wor-
über sich Schubart dann in einem Schreiben vom Sommer 1775 unter
eingehender Darlegung des Sachverhalts und seines Standpunkts recht-
fertigte, in einem weiteren Schreiben vom Ende des Jahrs 1775 kommt
Schubart dann nochmals auf die Gaßnersche Angelegenheit zurück.
Diesen seinen Standpunkt über die Sache hält Schubart auch noc-h in
seinen posthumen , Gesinnungen und Leben usw.* (II, S.48 — 50 u. 94 — 97) fe.st.
^ibt abc>r zu, dass all seine Überzeugung ihn doch noch nicht berechtigt
habe, diesen Mann, nämlich Gaßner, mit unaufhörlichen Spöttereien zu
necken und sich dadurch selbst Lavaters Missfallen zuzuziehen. Dass
aber Schubarts Einmischung in Gaßner s Sache der zweite Stein,
wie (»r schreibt, zu seinem Kerkergewölbe gewesen sei, ist sehr zu be-
zweifeln und jedenfalls nicht nachgewiesen. Was Adolf Weißer, der
die Sage von (>aßners Urheberschaft der Gefangennahme Schubart»
am meisten ausgestaltet hat, in seinem Romane: „Schubarts Wanderjalm*
oder Dichter und I^fafif** l!^55 in dieser Richtung schreibt: ,Der Pfati.
mit dem der Dichter zu kämpfen hat, ist Gaßner. Dieser denunziert i.'i
ihn bei Österreich (Ij und bewirkt seine Verhaftung", ist einfach --
Dichtung! Wenn doch einmal die wahre Ursache von Schubarts Ver-
haftung über alle Zweifel klar gelegt wäre!
Mit der Zeit, da (lußner aus Schwaben wegkam, ließ Schubarts
Eifer in dieser Sache etwas nach. Lavater ließ sich durch Schubarts
Vorstellungen in seinen Anschauungen über Gaßner nicht beirren und
reiste schließlich mit seinem Freunde Pfenninger im Sommer ITTb
selbst noch zu Gaßner nach Augsburg (siehe darüber die Schrift: «Zum
Andenken über Herrn Johann Caspar Lavaters Aufenthalt in Augsburg'
den 15. .hini 177S. Augsburg**). Fand nun Lavater sich hier auch einigtr-
* Der Titel dieses im Jahre 1774 von Gaßner zu Kempten herauv
;;egebtMien Hüchleins (40 S.) lautete: .Nützlicher Unterricht, wider d«^"
'IV'ufel /.u streiten durch Doantwortung der Fragen: 1. Kann der TeiiW
dem Leibe der Menscheu schaden? 2. Welchen am meisten? 3. Wie ij?*
zu helfen?"*
Brirfu-.'.'lj.Hu
^■lifi
!ul l,av.itpr
65
^ Peri^iilklikcit Liaßiiei'K i^DttOuai'ht unil gcwHiiu üaUnür
anirli ncdtr Luvaters Vci-stnud nodi aciii Herz, ao zweifelte Luvatcr
ilocli nii'.lit IUI den Tatsachon in ihrer goBclücliÜicIiGn Wirklichkeit, d. h.
er zweifelte nicht, dass ({«ßiier wirklioh ziiweilen EiDfluss auf unreine
i.ieisler gebnbt LaW, viuiTuI LaTaler aclbat keine von (.laßners Kuren
an)i. DiT Sache Hulhst macht« (ialtner» verhältnismäßig früher Tod ein
Kudc. Wir lassen nun die in der grüßen Lttraterscheu Briefsainnilung
auf der Sladthilitiothek von Zürich noch vorliegeudeu Briefe zwischen
beiden Männern flher diese AiigelefMiilieit iin Wortliinte folgen:
.An Schuhart in Augsburg.
Idi habe mir zwiir fest vorgentiinmen, ohne dringende (iründe
keinen neuen Brierweclise] unxiifnngen : — aber ich weiß nicht, was
niicli izt treibt, llmtin, mein Herr, ein paar Zeilen tu achreihen; —
von Unaend Dingen nicht, ivnrflbcr Ihnen zu schreiben wbre ^ auch
keine Danksagung fflr das uuverdientc. mich tief beaubftinende üult,
da« die deutsche Chronik von mir sagt. — Und muvon daunV Von
item von Ihnen versiiotteten. redlichen Pfarrer fiiiUner!
Und (
a) Haben Sie il
iWenn auch
1 dies
r dies :
nirht UMverhilrtcr
r der Zehntel iletl.
■ — nud erdit'htct ist getri
Beiige VerfaOer der prüfend)
Setrug herablllgen ivili — wem
^gen Menschen geheilt hat
Haßner, vor der weisem Well,
jrerden? — Lachen Sie nicht,
'ige gerichtet?
vas von ihm ci';tillilt wird, wahr
i nicht alles, wie sehr der arm-
n Anmerkungen die Redlichkeit zu
L Saliner iiu Namen Jesu eineu ein-
— wie sollte Ihnen vor .leau, vor
vor Ihrem eigenen Herzen zu MiiÜie
ich bitte Sic.
POarf ichs Ihnen zutrauen, daß Sie >
orisch zu unters iiciien — und i
1 unrecht gethan, 5lfentlich zu sagen:
ich nicht verstand.'
Ich bitte Sie, zu thun, wubey Ihr Herz am ruhigsten iHt. und
Sie nie gereuen wird. — Verzeihen ii^ie I
1 redlich sejn — die Sache
enn Sie finden, daß Sie dem
,[cli habe gelästert, was
za
. April 17',
-T. f.
MDie Antwort Schubart-^ diLiauf laiit.'l:
H .Ulm. dcLj 14. Mai 111h.
Ein Schreiben von Lavater, den ich so innig verehre, war mir
sehr unerwartet, mich iinerwiirteler alier deßen Inhalt — zum Hesten
<iaßners. Von einem Theologen, der von der Kraft des (ilaubens und
des OebetB noch heutzutage wunderthUtige Wirkungen erwartet, iat
freilich zu verniuthen, daß er für alles WunderthHtige anflinglich
Aufmerksamkeit und gutes Vorurthcil haben werde. Aber wie Lavater
daa letztere iczt nocli (&i die Gaßner'sclien Gaukeleien haben kDnne,
nanoia ü. F. H, l. 5
i
Ilfi'k
das nfirde mir unerklSrhnr «eiu, wann ich tiicbt wOlIte, t
zige falsche seßhafte Meiniiiif; den ScharTninn des glücklichsteD Kopfe'*
Uberrnmpeln kßnne. L'ndwieV Der nehmliclie Maun, der seiDen Bmdi-t
Hasenkamp' gegen den AberglaulieD vnn Sntans iTaeht und List sUrkt,
nimmt die Galiner'scLen Teufeleien in Schutz. UnverhGrter Weise liubr
ich den neuen Exorcisten nicht ^richtet, da steh diese nrunderbart
tTeB<'liiclite (tleii:lisam an den Thoi-en meiner ^'aierstadt sutrug. so war'*
mir sehr leic^bt Rrkundiguiigeu einzuziehen, die U'i Tnir su \ie\ als
aagenach einliehe Ueberxeugung gaben. Ich anb in Nitrdlingen und
Aalen ganze Wügen voll Krüppel. Lahme. Blinde, Fallattchtige. sali
ihren Glauben an Jesum und ihr Vertrauen auf den Wundermanii
GaBner; ich sprach mit ihnen und wilnachte von Herzen, dalt ihn^n
geholfen werden möchte. Aber bülflos. luid durch die Qualen des Exut-
cisten Oaßners nnch mehr entkräftet, uod mit Verschwendung gruUvt
Eost«n kamen sie zurOck. Ich, mein Schwager, der .\i'chidiBki>DUs
Bok in Nttrdlingen. der VerfaQer der Scfaulbibliothek, und mein akade-
mischer Freund, dei' HE. Superintendent Lang in Troclitcllingeii, ein rnr-
trefflicher Mann', hezeugen's Ihnen vor Gott tvot den Augen eines
grollen und berühmten Manne» sprerh' ich gerne wie vor Gottj. Jatl
wir unter den zahllosen Schaaren Prei^thafter uicht einen Einzigen
Menschen sahen, dem geholfen wurde". Wann nun nur der Zehntel
deßen, was von ihm erzühlt wird, wahr ist — und erdichtet ist gewÜi
nicht Alles — : wann er nur einen einzigen Menschen, den er iiii
Namen Jesu geheilt haben will, nicht geheilt hat; wenn nur eint^ ein-
zige .Spiegelfechterei erwieaeit wird, die er getrieben hat: woiw er üc H
jenigen, die ihm nicht glauben wollen, anfahrt und Ochsen und EspI
schilt: wenn (ialluer den Namen Jean su freventlich zu »einen Wunder-
komOdien, um tanzende, komplimentitende. iBcherliche, weinende (IkhUt
ZU provoeiren, mißbraucht: — kann er ila der redliche Gaßner
heißen? Mull nicht eine jedwede andere acheiubar probbaltigc
Wunderkur, die er verrichtet haben machte, ebenso verdächtig und im-
gOltig werden, als wie alle Wunder Chrlitti werden wUrdeo. wenn's nur
' Lavater besuchte im Sommer 1774 auf seiner Reiae nach BkI
Ems den Rektor Hasenkamp in Mohlbeim a. Rh., mit welchem erscWii
vorher in Briefwechsel stand.
» Georg Heinr. Lang war im .lahre I74U zu öttingen geb«ffli
uud ein Freund von Schubarts Schwager, dem Rektor B{lkh in KsH-
lingen (siehe Schubarts .Uesitmungen uaw.' II. S. 90—92 und GroJ-
manns .Gel. Schwaben usw." S. 32(1—330).
' Zu vgl. damit die von Schubart in seinen .Gealnnungen U9".'
II. 8. 94 — 97 gegebene, fast ebenso drastische Schilderuog der Gaßnerei "'
Ellwangen; schon im Dezember des Jahres 1774 soll die Zahl der b»'^^
Ellwangen Zustrflmenden nher 2"U(1 Personen betragen haben!
Briefwffliscl /wisclifn ^-iliiibart Liiiii r.iivater (j7
mit einem einzigen danioter auf Blendwerk, niitlli'liirlie Kur. und fehl-
fteBclilagenen Versucli hinauagekufcn nrllreV Kurz. GitUner ist ein
Maun I der den Namen Jesu freventlich entheiligt und seine Kirche
wieder in de» Aberglauben verwickeln will, ans dem sie sich hie uud
da ein wenig loszu winden nnfieng. Nieht Spott, nicht gchrifllirhen
Tadel, öffentliche Ahndungen verdient ein solcher Frevler und Verführer
des Volks. El' und seine Anhänger denken und handeln so wenig im
l^inne Christi, dnll nie vielmehr wider mich, Sterstingern', Schell-
horn' und Herni v, Si-haden die niedrigsten Schniahschrift.en und
pü hei liaf testen Pasquille auastrudeln.
Wann ii'h ein DUmniling oder BftBewieht wÄro. der lästert, was
er weder untersucht hatte, noch veretiindtrn, so sind «las alle gewesen,
die wider liaUner geschrieben haben. Und getrauen sie sich das zu
beweisen? Die Vermuthung ist allemal gegen GafSner. denn seit Christi
Zeiten haben keine zuverUtJige Wunder existirt und ceteria paribus ver-
dienen Antiexorcisten al»o allemal mehr Glauben. Dem Verfaßer der
prüfenden Anmerkungen haben Sie genilJ zu viel gethan. Weder seine
Schrift noch sein Eopf ist armselig. Er ist ein Katholik, ein Sohn dea
Wal lerstein-Oettingi sehen geheimen Ratlia v. Schade, der den in der
Kirche, besonders in der seinigen herrschenden Aberglauben einsieht,
ohne zur Freigeiaterei übergegangen zu sein — der ans Millers und
I.eli'" Munde Religionaweiaheit geschöpft hat — und ein so guter feiner
* Der im Jahr« 1721 zu Lichtwörtli Ixti Rattenberg im Unterinntale
geborene, 178H in München geatorbene Theutinermönch Don Ferd.
äterzinger, ein bekannter Schriftsteller gegen das Hexcnwesun usw.,
■nachte sich selbst nach Ellwangen uuf. um die VorgÜnge daselbst auf-
fDerksani zu beobachten, uud gelangte fSr aicli zur Überzeugung, dass
die GaUnerschen Exorzismen keine wahren, von der Kirche gutgeheiÜenen
beachwnrungen und seine Kuren nur eingebildete seien. Er legte dieses
Kesultst seiner Beobachtungen in dein Werklein nieder: .Die auf-
gedeckten GaUnerischen Wunderkuren aus authentischen Urkunden be'
teDcht«t und durch Augenzeugeu bewiesen'. 1TT3. Bald erschien davon
eine 2. vermehrte Auflage unter dem Titel: ,Beurtheilung der Gallncr-
achen Wunderkuren von einem Seelsorger und Eiferer für die katholische
Religion."
' Der zu Memmingen im Jahre 17it3 gebiirene Superintendent Job,
Georg Schelhorn gab im Jahre 177ö In 8° heraus: .Von des Wunder-
tbäter GaKners Unterricht wider den Teufel zu streiten. Auszug aus
dem Briefe eines Schwaben an einen niedersftchsischen Gelehrten, dem
scharfsinnigen und venlienst vollen Bestreiter des Aberglanbens Don Ferd.
Slerzinger gewidmet. Frankfurt' (NUrdlingen).
» Gottfried Lei), geb. 31. Jan. 1736 zn Conitz, 1761 ao. Prof. d.
^^bpLam nkad. Gymu. zu Dnnzig. Mli'A iin der t'niv. Gttttingen. 1791
68 J^eck
Kopf, daß ihn Lavater selbst lieben, sich sein Bild kopiren würde,
wenn er ihn kennte. Sie sehen also, bester würdiger Mann, daß ich
in der Gaßner*schen Sache aus Ueberlegung gehandelt habe. Indeß
dürfen Sie mir gewiß vor vielen andern den Math zutrauen, wann
stärkere Ueberzeugungsgiünde die meinigen besiegen, öffentlich auf-
zutreten und zu sagen, ich habe geläst<?rt, was ich nicht verstand. So
lang ich aber überzeugt bin, so lang es selbst aus schriftlichen Zeug-
nißeu erhellt (lesen Sie z. B. den Exorcismus mit der Oberhuberin'
und die neueste Schrift Sterzingers gegen Gaßner), daß GaßntM*
nicht einmal ein Schwärmer, dann dazu hat er das Genie nicht, son-
dern ein unwißender, grober, augenscheinlicher Betrüger sei, der den
Schwabenpöbel mit Taschenspielerkünsten ftflft; so werd' ich fortfahren,
dem kleinen Kreise des Publikums, vor das ich schreibe, öffentlich und
laut zu sagen, was ich denke. Thut man's doch in Frankfurt und
Berlin auch. Gaßner ist iezt in Regensburg. Wollen sehen, was er
dort macht, wenigstens sind dort mehr Leute, die diesem geistlichen
C(»mus oder Phihidelphia auf die Finger sehen können.
Unendlich theuer und schätzbar wird mir in Zukunft der Brief-
wechsel mit einem Manne sein, der schon so oft in mein Herz hinein-
schrieb, und dem ich schon so manche helle Stunde der Begeisterung
zu danken habe. Ihre Briefe sollen auch mir werth sein, wann sie
Verweisen ähnlich sehen, und wann ich mich nicht entsinnen kann,
einen so andächtig derben Ton verdient zu haben. Mit der Hoch-
achtung, die ich dem Verdienste schuldig hin. nenne ich mich
Ew. HochElirwürdeu ganz gehorsamster
M. Schubart. •*
Eine Antwort auf diese Verteidigung scheint Schubart vou
Lavatern nicht zu teil geworden zu sein; wenigstens liegt in der
Lavater. scheu Briefsammluug der Züricher Stadtbibliothek eine solche
nicht vor. Im Spätherbst 177"» reiste Schub arts Ulmer Freund, der
bekannte Dichter Joh. Martin Miller (1 750—1814), der sogenannte
„Sigwart-Miller* und ehemalige Hainbündler, in die Schweiz und nahm
einen Brief Schubarts folgenden Inhalts für Lavater mit:
,,Ulm, den 1. November 177."».
Dieser Brief, den mein Freund Miller Euer HochElirwürden zu
überreichen die Ehre hat, ist nicht Zudringlichkeit und unverschämte
Konsistorialrat u. Hofprediger in Hannover, f 28. Aug. 1797. AUg. D.
Biogr. XVIII. S. 444—446.
' Unter dem Titel: ,. Anna Oberhuberin*' hatte Schubart vor, das ganze
Gaßn ersehe Wesen zu schildern (siehe ^Gesinnungen usw.* IL S. 89/90).
.stand a))er ans Rücksichten auf seinen Gönner, den Ellwanger Fürstpropst
Graftn Ign. Ant. v. Fugger- Glött. wieder davon ab.
Briffiveclisel ü
liutiiir
und Laval
69
Abnöthigung einer Antwort, suudern ein heiller, herziger tirali ist er,
mit dem stillen Wunsche begleitet, noch in Ihrem Angedenken zu
stthen. Da Sie vor die Welt arbeiten, so wär'a SAndc. wann einxelnu
oti »ehr unbedeutende Henaclien Ihre Sorg und ihren Unterricht ver-
langten.
(•nüners Sache wird iext in Regensburg' auf Kaisei-|. Befehl
scharf untersucht. Aber, ich wette, er wird der I7nterauchung erliegen.
Stolie, CnwJBsende, Verläumder. (iewinnsüchtige, sollten die mitWunder-
gahen von Gott ausgerastet werden können? ^- Sie und die wenigen
Ihrex Gleichen mUbeii Wunder thun; eonst thut sie niemand. An mir
hüben Sie schon ein sehr wolilthätiges Wunder gethan. Der lieist des
Unglaubens, heutigen Tags sn weit herrschend, half mich mich er-
grilfen, aber seitdem ich Sie lese, studiere, so find' ich die Religion
Christus immer liebenswürdiger. Die räsunnirende Ksite der Mitde-
theologen ist nicht vor mein Herz, Ihre Innigkeit, Ihre Wjtrroe. Ihren
((eist, der dem todten Buchstaben Leben und Seele gibt, den lieb' ich,
der nährt meinen Verstand und fUUt mein Merz. Tauaend Dank rIho,
vortrefflicher Mann ! Ihre Physiognomik , dill non plus ultra des
menschlichen Beobacbtungsgeistes, hab' ich überblickt, aber noch nicht
durt'listudirt. Ich bin za arm. mir sie anKUschafTen und hier entsetzt
man sieh Über den hohen Preis des Buchs. Ueberhaujit hat Jede gute
Sache sehr wenig Unterst atiung von hier xu erwarten. Die Leute
aefaen's ruhig an, wie die Ofientlicho GlHckseligkelt verfallt und sohreiteii
gedankenlos Ober die Trümmer weg. Was liegt einem nicht Alles auf
der Seele, wann man mit einem großen Manne spricht! Aber
^
Mit ihre
Winkt mir die strenge Bescheide
Uli verbeuge mich und ersterbe
Euer HocbElirwürden
gehorsamster Diene
iheit.
Miller ist» vor tausenden wertl
Er ist mein Freund und doch mOcbt' i
Ehre hat, Lsvatern zu sehen
von Ihnen gekannt tu werden
ihn fast beneiden, dnfl er di
d zu sprechen."'
' Dort war seit 1769 {—lli*l) Bischof der von Schubart 1763 in
einer Ode: ,Der gute Fürst" angesungene frühere Ellwanger FUt«tpropst
Graf Antonignaz von Fugger-Gltltt, auf welchen scheints Schubart
h
Christian Gottfried Böckhs Altdeutsclies
GlossaxiTim.
Von F. G. (;• Schiiiidt,
Aus Meusel, Lexikon der vom Jahre 1750 — 1800 ver-
storbenen Teutschen Schriftsteller Bd. I (1802) S. 456 ff. ent-
nehme ich folgendes über Christian Gottfried Böckhs Leben:
„Konrektor zu Wertheim und zugleich Pfarrer zu Waidenhausen
seit 1759, Rektor des Pädagogiums in der Reichsstadt Ess-
lingen seit 1762, Diakonus an der Hauptkirche zu Nördlingen
seit 1762, zuletzt erster oder Archidiakonus , geb. zu Näher-
Memmingen bei Nördlingen am 8. April 1732, gest. am
81. Januar 1792.'*
Nach Meusel schrieb Böckh eine große Menge Werke
und Abhandlungen, fast nur pädagogischen Inhalts, auch Pre-
digten und Erbauungsschriften und gab mit F. D. Gräter in
Schwäbisch Hall heraus: Bragur, Literar. Magazin der teutschen
und nordischen Vorzeit I. u. II. Bd., Leipzig 1791 — 1792. Er
lieforte für diese Zeitschrift einige Aufsätze über die Literatur
bis zu Ende der Minnesingerzeit, über den AVindsbeken usw.
Eine Biographie (mit Bildnis) von Gräter befindet sich im
2. Bande der Bragur und eine weitere Lebensbeschreibung in
Schlichtegrolls Nekrolog auf das Jahr 1792, Bd. I S. 252
bis iM\HK
Unter den von Meusel aufgezählten Schriften werden
außer den Beiti-ägen zu Bragur germanistische oder lexikalische
Arbeiten nicht erwähnt*.
» |Vj?1. auch Allg. D. Biogr. 11. T<8. P.|
- \\\\A aln^r oiithiolt ih*r bereits handschriftlich ausgearbeitete erste
Kami soinor , Kritischen Bibliothek för ilie altdeutsche Literatur* ein
.iilossariiuu i\Wv alle in «Ion vt»rher«ehemlen Stöcken vorkommenden
W.Mtn*. Vul. HraAiur II, 4»»»». \\]
ChiistiiiTi
i.jttrri.
1 H/kklis .AltikHitsilie^
71
Nach Angabe des Bucliliändlera Jos. Baer (Frankfurt), von
dem ich die Handsclirift erstanden, heiand sich das Glossarium
in der Bibliothek des Germanisten \V. von Lexer. Die Hand-
schrift zShlt 25 Blätter und enthält 31Ö Wörter. Das erste
Blatt gibt ein „Verzeichniss der altteutschen Schriften, aus denen
disz Wörter Register gesammelt worden und alles dessen, «as
in meinen CoUectaneeu und Bibliothek über die alttentsche
Litteratur vorkommt'. Die Zahl der Bücher, denen das Voca-
bularium entnommen, betrügt 4'2. Bei der Angabe der Wörter,
die teils erklärt, teils von Zitaten „aus altteutschen Schriften"
begleitet sind, ist leider in vielen FKllen die Seitenzahl des
betreffenden Buchs, dem die Ziiation entnommen, nicht er-
wähnt, so dass ich nicht im stände war, die betreffenden Stellen
nachzuschlagen, ganz abgesehen von dem Umstand, dass mir die
meisten der im ^Verzeichniss" genannten Bücher überhaupt nicht
zu Gebote standen. Im folgenden führe ich nur die Wörter
an, die nicht in Grimms Wörterbuch enthalten sind oder wenig-
stens von den dort erwShnten in ihrer Bedeutung abweichen.
Da eine nähere Erklärung von gewissen Wörtern nur auf Grund
des Zusammenhangs gegeben werden kann, sah ich von einer
solchen ab uud gebe in nachstehenden Zeilen nur die Worter,
die von besonderem Interesse schienen.
„Aussaid, der I Reg. V. 13 sec. Hebr. Cod. I Reg. V,
27 (?) Ein Tribut oder eine Auswahl von Leuten, die auf dem
Libanon am Tempelbau arbeiten mussten, soviel als Frondienst."
^Allerpast, am meisten. Für die Ältere Litteratur und
Neuere LektUre, eine Quartalschrift von Meissner in Dresden.
Leipzig 1783 in Breitkopfs Verlag. 8. 85. II. St."
^Afifrkhippfri/p für Nachrede, Afterrede. Pitt." Keine Be-
legstelle angegeben.
„Anhaiiptcn, mit dem Haupt anrühren." Kein Beleg.
„Azauti, Vorrat an Eisen." Keine Belegstelle.
„berieslH — berusten. Von dem Berg des Schauwens, wie
ein Slensch kommen mög zu volkomner liebe Gotes, nach der
Hainung des christliehen leerers Johannes von Gerson, etwann
Cantzters zu Pariss. Geprediget durch den hochgeleerten herrn,
Herr Johannes Gayler von Kaysersperg, Doctor der hailigen
Geschrift etc. 1488."
^haden — verlassen. Ein altdeutsches Gedieht, die Schick-
sale Kaiser Albrechts II. betreffend. Coli. m. VII. p. 49."
lick- 1
M
.hadm
(He Zaime Ejrnlen, für trinken. Tcutscli. Mus.
III. St. 17H1, S. 265, vom Wein: Du maclist nianclien Han.i-
werksniann, dass er in zerissnera Kleid muss galin, dass ilin
sein Ziiiin mehr kosten zu baden; denn das Haupt, Hand', Füsa
und Waden.' Vgl. Grimm 1072.
^Tiuchlc — soviel als Pferchsdilag Lynckers dec. I. 98 Resp.
est, dass von der Scliaeferey auf die Buchte oder den Pferclischlag
nicht zu inferiren. Das Wort Buchte scheint Niederdeutsch
zu seyn. Man nennet eine Bucht, oder Buchte, einen ein-
gezäunten Ort, welcher zur Kinsperrung der Thiere dient.
iSfAftpi umbucht ist ein solcher Ort, worein lUe Schweine, wenn
sie in der Klast sind, des Nachts liegen müssen. A'iViVfrbucht
ist eine kleine Einzäunung in den KühstKlIen, worein man die
KSlher sperrt, damit sie nicht zwischen den KHhen herumlaufen
u. dgl. Weil nun bey dem Pferchschlage, allemal durch Auf-
schlagung der Hürden, eine solche Bucht gemacht wird, worein
die Schaafe des Aijends getrieben werden, so scheinet dos Wort
Buchte eben dasselbe zu sagen. Anh. zum 37. bis 52 Tl. der
BrI. (?) Bibl. S. 824.-'
,Tiliäe fUr frülich pltt." Vgl. mhd. blide froh, heiler.
.Busslin, d. i. BUchslein. Minnesinger. Collect. Tom. VII
p. 254."
„BcftmUicli/.i'it, d. i. alles, was vorhanden ist. alles Exi-
stierende. Tauler.' S. ?. Vgl. Grimm 1262, wo das Wort
in etwas anderem Sinne vorkommt.
^lili/llen, Steinschleudermaschinen. Das verdorbene Wort
Balista. Eine treue Abbildung dieser Blyden findet man «uf
der letzten Seite des 1. Teils Wilhelms des Heiligen von Oranjen-
von Ulrich Turheim, herausgegeben durch Casparson. Kassel
1797." Vgl. Grimm 99 unter Bleide für machina belli«;
mild, bilde.
„Couf'eiieiirc, wie das franziis. Couverture für eine Perrf'"
decke (Ein altteutsches Gedicht von Kunrad von Wilmhurg;
Collect, ni. VIT p. 58) Schabracke. Er reit ein RosB olin
niasen stark, drauf lag eine Couferteure." Vgl. (irirom 16''**
unter Covertiure.
.fhtiucen. diesen Namen führte ehemals der Stamm. »"
zwischen der Leine und Weser wohnte. Vortretlliche Boniff*
' jNlroInis Allg. deutsche Hibliothib, l'.j
ClirisliBii Gottfried lin.kl.s Altik.ulsrlies (ilossnriinii 73
kuttgen über diese Benennung finden sich in SIÖBevs osiia-
urückischer Gesciiichte I. Tl. 11. AbBcIin. g S, 111. Äbsclin.
!; 17. ScIiwiniDiende Mohre nannte man in den ältesten Zeiten
Kiiak oder Bebeland, die Bewohner solcher in Wasser scliwimiiien-
<ler Länderkrusten Kuaken oder Kauchen. Cunclan hiess l>ey
den Angelsaclisen toeiiiere und jetM auch to quake das n!tm-
liehe. Daher Quaker. Die Griechen sprachen durchgeliends
y.vr/QU die Lateiner bald Cliauciii, bald C'aiei. Es ist wahr-
scheinlich, dass alle Völker, w eiche solche Holländer, oder Hol-
saten waren, von den Galliern Friesen oder Fresen (Frigere,
frieren, auf westphälisch fresen, soviel als zittern) und von den
deutschen Völkern Kuacken genannt wurden. Die Sache selbst,
dass nämlich Menschen auf einer schwimmenden Erdkruste
wohnten, kam allen, die es sahen, gar zu seltsaui vor. Bey
dieser Voraussezung war Tacitus gar nicht unrecht berichtet,
wenn er sagte: Chaucorum geus incipit Frisiis et omnium
quae ex posni gentium lateribus obtenditur donec in Cattos'
usque etc.
Denn diss hohle Land mochte sich, eh man es mit Dfimmen
bevestigte sehr weit erstrecken. Spittlers Geschichte des Fiirsten-
thiiins Hannover 1786, Göttingen. "
„Ezseijriiussfn korat in verschiedenen Pol izey Ordnungen des
lö"" Jahrhunderts vor: als Jedermann soll seine Ezzegroussen
vergraben und bewahren, dass kein Schade dadurch geschehe.
Was bedeutet dieser Ausdruck? und was sind Ezzegroussen,
Oll«' Ezzegrouben? Journal von und fUr Deutschi. 17S5 XIL St.
S. 525. Sollte nicht diss Wort ebensoviel seyn als Feueraste (?)
oder demselben analogisch soviel bedeuten als die Grube, worinn
man die Asche aufbewahrt, Escherloch?"
^J'latdnisse komf. vielleicht her von Valand {? !) einer aKen
Gespenster Historie. S. Schwäbisch Magazin 17SU VI. St. S. 34m
oder von Flandern, Elender. Ibid."
^Forstlich, nmthig." Keine Belegstelle.
Jieiag statt lag. I. Reg. III, 17."
.,geivlicheti, verkürzt für geruhlich. Regel der Brüderschaft
der Jünger der ewigen Weisheit in der Q Hart als chrift für Ältere
Litteratur und Neuere Lektüre 11. St. S. 85."
, Grurücim oder Grätilcen für Haare des Knebelbarts bey den
Thieren. Pitt." Keine Belegstelle.
^^^ mGagglsnck ilfr HW/, Inbegriff der lächerlichsten Possen
-c'limidt
' und Eitelkeiten von gacheln, kinliern." Keine Belegstelle. Vgl.
Grimm, gagel 1141 und 1142.
^Gerenzc, Spalte." Vgl. mhd. gerenze, Einfassung, Gitter-
werk.
,Gäilulen, sanft werden, sich legen. So wag gelint wann
die Welle glatt wird." Vgl. Grimm 3030, wo unter „gelinden--
auf „gelingen" hingewiesen wird.
^IMifi, der. 11 25, d. i. liastig.' Vgl. Grimm 937, 974.
finsselbe Wort mit der Bedeutung mtide, aufsätzig, laut.
I ^Hinfprsvuien, hinterrücks verlBuraden, heimlich die Ehre
I abschneiden. Der liiite red ist nmnnigvalt, Die hinter.snidel
yung und alt." Keine Belegstelle. Vgl. mhd. hindersntrten, ver-
leumden.
^Hrigeprtmk (ein), was jetzt Petit-niaitre. Sagen der Vor-
zeit von Veit Weber (cand. WUchter in Hamburg), Frankfurt
und Leipzig 1792, S. ?-
^Heackvn (ein). Ein weiter, langer Mantel. Ibidem S. ?"
„Jungfrii otier .hmgfrusup (('). Jungfrautrunk, ein Spitz-
gluss, das ^jnt Kannengen hält. Für die altere Litteratur und
Neuere Lektüre eine Quartalschrift von Meissner in Dresden.
Leipzig 1783 in Breitkopfs Verlag. 2. St. S. 123."
„■Jeitaii, Genua. Eschenburgs fünfter Beitrag zur alten
deutschen Literatur. S. Teutsch. Mus. 1783, IX'" St. S. 233 ff,
aus einem alten Meistergesang aus dem 15. Jahrhundert. In den
Siteren deutschen Büchern wird diese Stadt gewöhnlich Jenua
geschrieben,"
„Isfckai soviel als Wesen," Vgl. Grimm unter Istigkeit,
^hufeistuiig, Eingebung-" Keine Belegstelle.
riKundungstag. Das Fest der Verkündigung MariS. Sagen
der Vorzeit von Veit Weber (cand. Wächter in Hamburg), III. Bd.
Tugendespiegel, Frankfurt und Leipzig 1792, S. 23."
^Lchie für allein; wie doch er was unter jn ein Mutter-
leine, d. i. weil er doch unter ihnen mutterseelenallein, ohne
Beistand und Hülfe war. Eschenburgs fünfter Beitrag zur alten
deutschen Litteratur. S. Teutsch. Mus. 1783, S. 233 flf."
„LiebmiitigkeU, d. h. der Hang gute oder Liebeswerke bu
Üben, Ein feines Wort von Tauler. S. ?"
„Melilkl', öftere Endung der Beywörter, die eine Eigen-
schaft oder Beschaffenheit andeuten, als: hungermehlig für
(-■Iiri^
JolUVicil BiVklw AltdpiitMühKs Cloawirii
hungrig, wandelmeblich für wandelbar. Ein altteutaches Gedicht
von Kunrad von Würzlmrg. Collect, m. VII p. 58."
r,Mj/naip/lug , der 51inne ^Pflege. Man weis, dass dieser
Ausdruck die Ijeisttmg elidicher Pflicht bedeutet. Esclienburgs
fünfter Beitrag etc."
,MeicJisner quid?" Keine Belegstelle.
,Neeen<ptmer , Gauraennezer, oder Wein. Teutsch. SIus.
III. St. 1781. Weinlied: Nun grilss dich Gott, du lieber Nezen-
gumer."
.Nindichkeit , Habsucht. *■ Keine Belegstelle.
, Ofgozzo kommt in K. Arnolphs BestSttigungs Brief von 898
vor; s. ächöpperlins Programm': Absa cum otgozzo. In der
teutschen Übersetzung des Briefs wird's gegeben: mit iurer
Zugiher unii fäifn (?), wo mit Hr. Schöpperlin bis zur nähern
Aufklärung des Worts otgozzo, welches er in keinem Glossario
gefunden, einsweilen einstimt, und es durch herrschaftliche Güter
übersetzt. Meine Conjekturen über Otgozzo sind diese: Od, ot
heißt substantia, possessio. — Oozzo soviel als Gosse, Cannlis,
ubi aqua confluit — folglich odgozzo mit dem Beaiz des Weihers,
der an der Hube liegt. Eine Carta traditionis von Eccho Mo-
nacho beym Goldast Anmerkung zum (?) hat: Unara c«rt«m sepe
circumdatam cum aedificiis, mancipits, iumentia, pecudibus, agris,
pratis, silvis, aquis, aquarumque decursibus, nee non cuncta suo
inri pertinentia. — Oder sollte nicht gozzo soviel als ganz
heiUen, Odgozzo den ganzen Besitz, vielleicht eben das, was in
jener carta deditionis cnncta stio iuri pertinentia lieisst?"
„Oken für vermehren. Pitt." Keine Belegstelle, Vgl. Got.
aukon.
^Pech. Du machst meine Glieder Peck, Teutsch. Mus.
III. St. 1781, S. 265 vom Wein."
^RntU. (Eschenburgs fünfter Beytrag p. 233 ff.) So lassen
wir yngeluck haben seinen Rant. Rant scheint hier für Ran zu
stehen, welches Raub, Beute hieli. S. Wächters Qlossar. —
Beym Notker heisst ranen wüten, toben." Vgl. Grimm S7
Rand = Lauf, Bewegung, Wendung.
' (Über Kaiser Anuili.heiiB Bestätigimgsbrief vuiu J. »98. Nördl.
1766. — Die Urknntle int abg<.<lriirkt in Mun. Boica XXVIII, 117. Ah»a
^^•Otgox ainil PerRniipiutiiiui'u. P.]
76 Schmidt — Christian Gottfried Böckhs Altdeutsches Glossarium
^Sprengen statt mit etwas werfen. IL Sam. XVI, 1»S
sprengete mit Erdenklössen."
^Sinette fiir Befleckung; pltt. Schmutzflecken.*" Keine Beleg-
stelle.
„Soff'ei/, die alte Benennung von Savoyen. In einem Canzley-
büchlein von 1517 findet sich Sephey und beym Schedler und
Münster wird es Sophoy geschrieben. Eschenburgs fünfter Bey-
trag zur alten deutschen Litteratur S. 233 fl'."
^Schornnechüg, ungleich, höckerig, welches zu Schar, Schere,
spizig, hervorragend zu gehören scheint." Keine Belegstelle.
Vgl. mhd. schor und schorn.
^Stricghoide, Teufel in Weibergestalt, Hexen. Ihr Zorn
entbrannte, wenn sie über einen Kreuzweg zogen, und sie waren
dann am begierigsten Schaden zu thun. Sagen der Vorzeit von
Veit Weber S. 134."
r^TrcagCy Jes. IX, 6 (?) trocken, ausgedorrt.**
^Leberdriss, d. i. ,Verdruss, oder dessen man überdrüssig
ist* in dem Lied: Ermuntre dich mein schwacher Geist."
^Ungf'schaffenheity alles was nicht geschaffen ist. Tauler. "?
„ UnversuchlichlceUy der Zustand, wo wir noch in Kämpfen
und Erfahrungen zu prüfen sind. Unversuchtheit. Tauler. "?
^Vergai'\xv verjähte, d. i. sagte, Eschenburgs fünfter Bey-
trag etc. S. 233 ff."
^ M^mM, pltt. soviel als Wandel mit ausgestossenem n.
Mondwadel = Monds Veränderung." Vgl. mhd. wadel.
„ Wöldr, Wollust." ? Keine Belegstelle.
., WösrVy Spitze an Kornähren. Cf. meine Anmerkung zu
Henricus in Bragur IIL"?
^Zobeln, erzobeln, aushöhnen von zabeln, scherzen beym
Chanzier in Manessis Minnesingern 2. Tl. S. 246."
„Zunsa. Todesco mangiaZunsa: Teut scher friss Schwarte;
ein lombardisches Wort und Spott gegen Deutsche. **
Anzeigen und Nachrichten,
Badischer Verein für Volkskunde
oonnt sich die neue Wmniymig , die am 24. Juli 1(104 in
Baden-Boden zum Zweck der Sammiung, Bearbeitwn^ und
Ei'haltnng der Vulksüberüefeningeu im (irotiherzogtuin Baden
zusammengetreten ist. Sie knüpft an die im Jahre 1893 in
Freihurg gebildete Vereinigung an, die bereits, höchst dankens-
wert nnterstütüt vom GrolSherzoglichen Ministerium der Justiz,
des Kuttuü und Unterrichts, eine grolie Stotffülle gesammelt
und zum Teil beai-beitet hat. In Heidelberg war bereits zu
Anfang des .Talirs 1904 nach Besprechungen zwischen Prof.
Kahle -Heidelberg und I*rof. I'faff-Freiburg ein Zweigverein
gegründet worden. Am lU. Dezember 1904 erfolgte dann die
durch besondere Ungunst der Verhältnisse so lange hinaus-
geschobene Gründung des Freiburger Zweigvereina , dessen
Vorsitz Prof. Pfaff übernahm. Der Gesaiiitvorein zählt be-
reits weit über 100 Mitglieder, unter welchen die Hoch-
schulen Freiburg und Heidelberg besonders stark vertreten
sind. Den Vorsitz fih- die Jahre 1904 und 19Uö führt der
Heidelberger Verein, an dessen Spitze Prof. Kahle steht.
Die Vereinssatzung Hegt bereits gedruckt vor. Für den bil-
ligen Beitrag von mindestens 1.10 Mark jährlich erhalten die
Mitglieder neben dem Korrespondenzblatt des Verbands der
deutschen Vereine für Volkskunde die besondem Blätter des
Badisehen Vereins. Auch dem neuen Verein hat das Groß-
herzogliche Ministerium freigebige Unterstützung zugesagt. So
ist denn ein neuer Aufschwung der volkskundlichen For-
schungen im Badischen Lande zu erwarten. Möge das vater-
ländische Beginnen der neuen Vereinigung überall den verdienten
jVnklang finden! Fridrich Pfaff,
Unirrn^^en snr Vcilksknode.
I. Wu ünden aith Rej8[gliaufe]i oder Stei nanliäufungeu, von
HS sie Ober Aer Iieiche eines Erachlagenen oder
L
78 Anzeigen und Nachrichten
irgendwie Verunglückten errichtet sind? Hat der Vorübergehende die
Pflicht, einen Zweig, einen Stein oder sonst irgend etwas hinzuzufügen?
Führen diese Häufungen einen besondern Namen?
2. Wo werden noch Früh jahrsf euer (am Sonntag nach Fastnacht.
Lätare, Ostern usw.) angezündet? Wo Johannisfeuer? Werden dabei
Scheiben geschleudert oder Räder gewälzt? Wie ist der ganze Hergang?
3. Wo findet noch eine Versteigerung der Mädchen statt und
wann? Für wie lange gilt das Verhältnis? Wo werden noch Maibäume
gesetzt? Geschieht dies für einzelne Mädchen oder wird ein Baum für
das ganze Dorf gesetzt?
4. Wo finden noch besondere Tänze statt und wann? Beschreibung
des Hergangs. Werden Tanzlieder gesungen und welche? Beifügung der
Melodie.
5. Ist irgendwo der Brauch bekannt, dass der Braut eine Puppe
ins Bett gelegt wird oder dass ein Puppenwagen mit einer Puppe in
die Brautkammer gestellt wird? Oder wird der Braut während der Hoch-
zeit ein Kind in den Schoß gesetzt?
6. Ist irgendwo die Sitte bekannt, dass das Brautpaar beim Zug aus
der Kirche, oder beim Hochzeitsmahl, oder wenn es sich in seine Woh-
nung begibt, mit Getreidekömern, Erbsen u. a. bestreut wird?
7. Wo wird dem Bräutigam, wenn er kommt, die Braut zur Kirche
zu holen, zunächst eine „falsche Brauf* zugeführt? Wo wird di(
Braut nach der Trauung, etwa während des Hochzeitsmahls, gestohlen?
8. Wo werden der Leiche irgendwelche Beigaben in den Sarj
gelegt? Welcher Ai-t sind diese? Bestehen zwischen den Beigaben und
dem Verstorbenen irgendwelche Beziehungen , etwa der Art , dass deiir^
Kind eine Puppe oder sonst ein Spielzeug beigegeben wird, der Frau eiin -^n
Gerät der weiblichen, dem Mann ein solches der männlichen Arbeit =r*' '-
Kommt der Charakter des Verstorbenen dabei irgendwie in Betracht, su^ -*<>
dass etwa dem starken Raucher eine Tabakspfeife, dem Trinker ein«» -•^
Flasche mitgegeben wird?
9. Wo kennt man noch sogenannte pErdspiegel"*, durch die man Ver — ::^^'
borgenes erkunden kann? Werden sie noch benutzt? Wie ist ihr Aussehen'' -
10. Wo ist es noch Sitte, Kranke, insbesondere Kinder durch eine^ ^"
natürlich gespaltenen oder erst zu dem Zweck gespaltenen Bauiicr -^^
hindurchzuziehen? Müssen gewisse Formalitäten dabei beobachte-?^^^
werden? Muss der Kranke z. B. nackend sein? Werden Formeln dabc^i^^^^^^'
gesprochen?
Antworten werden erbeten an Prof. B. Kahle. Heidelberg, Brücken
Straße IG.
Umfrage«
Einen besonders anziehenden Abschnitt der Volksüberlieferungei
bilden die Orts necke reien, die mehr oder weniger witzigen und treffei
den Spott reden , die eine Ortschaft der andern nachsagt. Sie bestehei
tui Na.liiirlit.-n
79
atuj einfachen SpottDaitieii . teils uliei' Hiicii aus gereimten
Sprflclieu. Oft auch sind die Spottnainen aimtlicher umliegenden Ort-
schaften in einem Dorfe zu einem langem Dorfaprueh. mich wol
»Ortslitanei' genannt, zusammengefftsst. Als Beispiel sei liier mit-
geteilt der
Dorfs|iiuHi von Öchiveigmalt (im Wieaetital.
Schöpfe iBch e riebe Stadt,
2 y ah mau iach der Bettelaacli.
t Huse isch der Lilrechulwl,
I Raitbach iach der Deckel drüber.
der Sattelhof stobt au oUeJ,
I Chflrnberg iach der PMumcstei.
z Hasel isch e tiefea Loch:
wer dri chunt der isch e Tropf;
UlaahQtte iscb e Glase rschcrbe:
H-er dri chunt der muees verderbe.
Im Oheregrabe »tobt en Mh,
er chert de Cheregrabe na.
Üfem Steinig isch e wilte Mur.
ufein Schlechbach iach e riche Bur.
nfem Bluemberg isch der Herretisch,
uf der Schweigmatt fresse se Vogel un Fiseh.
In den Benntwnrtungen der Fra);eboKeu von Kluge , Meyer und
Pfnff in Frcilnirg finden eich folgende Dorfaprüche: Amt Messkirch,
Rast: Amt Stockacli. Oraingen, Reuthe. Stockach; Amt Bonndorf, Ewat-
tingeu , Schwaniugen , Stflhlingcn , Weltendtngen , Wittlekofen: Amt
Sfickiogeu, AJtenachwand, D&nner, Huttingen, Herrischried, Laufenburg,
Murg, Niedergebisbach , Niederhof, Öflingen, Rickenbach. Rütte; Amt
St. Blaslen. UOebensuhwand, Wilfiugen; Amt Waldshut, Degernuu. Hoch-
sal, Rotüingen, Unterlauchringen ; Amt Neustadt, Schildwende; Amt Br«i-
sach. Leiselheim, Oberbergen: Amt Emmendingen, Endingen; Amt Frei-
burg, Burg; Amt Bohl, Leiberstung; Amt Rastatt, l'orbaob. Obertsrot;
Amt Bretten, Kttmbacb; Amt Bruchsal, Mingolsheim, Neuenbürg; Amt
Ettlingen, Schluttenbacb. — Immerhin ist dies bereits ein ausehnliciier
Stoff. Es lassen sich in der Tat ilaraua schon die gemeinsamen ZDge
ableiten und Schlflsse auf die ganze Art dieser eigen tllmlichen Erzeugnisse
des VolkswitKCS ziehen. Jeducb sind manche Landschaften Badens noch
gar nicht vertreten. So ergebt denn an alle Freunde der Volkskunde in
Baden die freundliche Bitte um Aufzeichnung und Einsendung solcher
DorfsprUche, die hier veräfTenllicht ivenlen kfimien, an den Unterzeichneten.
freiburg im Breisgaii.
Prof. Dr. F. Pfaff.
^Ö Anzeigen und Nachrichten
Johann Michael Moscherosch,
der unermüdliche Vorkämpfer deutsches Wesens und deutscher Eigenart
gegen alle die fremdländischen Einflüsse in Sprache, Tracht und Sitten
seiner Zeit soll durch ein Denkmal in seinem Heimatort Will statt bei Kehl
nach Verdienst geehrt werden. Bereits sind durch Schenkungen der Familie
König und des Sparvereins in Willstätt, durch Einnahmen aus Vorträgen
über ^Moscheroscli und andere freie Beiträge (500 M. gesammelt. Weitere
Beiträge werden erbeten an Mtthlenbesitzer G. König in Willstätt bei
Kehl.
Sprachgesehichtliche ^infrage.
Es wird versucht festzustellen, wo und in welcher Bedeutung der
Ausdruck Terra sigillata zuerst in der Literatur auftritt. Der
klassischen Zeit scheint er nicht anzugehören. Alle Bemühungen, aiuh
durch Spätlatinisten, waren erfolglos. (Aef. Mitt., Anreg. bitte an Paul
Üi er gart, Berlin W. 35, Potsdamerstraße 85.
0. Mei^inger^ Die Appellativnamen in den hochdeutschen
Mundarten. 1. Die männlichen Appellativnamen. Beilage znm
Progr. 714 d. Oynm. in Lörrach. 19U4. 27 S. 4«.
i)>^ Eigennamen, die zu Gattungsnamen geworden sind, werden hier
untersucht und mitgeteilt: eine dankenswerte und anziehende Arbeit. Mit
Recht macht der Verfasser sich Schmellers Wort, dass Sammlungen dieser
Ai-t nienuils als abgeschlossen zu betrachten seien, zu eigen. D'^'
^Literaturaugabe" S. 5 zeigt, dass M. sich in der wissenschaftlichen
Literatur tüchtig umgesehen hat: viel wäre aber noch aus der mundart-
lichen Dichtung zu schöpfen gewesen. Auch würde ich raten, die Legende
und die Volkskunde der Heiligen mehr heranzuziehen, da sie nicht selten
zur Erklärung der sinnwörtlichen Bedeutung eines alten Eigennamens
dienen kann, t ber Staches — das in meiner rheinfränkischen Heimat
nur einen langen Menschen bedeutet — und Schlaume finden sich einige
Bemerkungen in meiner Besprechung von Lenz, Handschuhsheimer Dialekt,
in den Beiträgen zur Gesch. d. D. Spr. XV, 1>^9, 192. Zu Markolf S.19:
Auch in der Pfalz heißt der Eichelhäher Margruf, wie aus Autenrieth z"
ersehen ist. Zu Matz S. 19: Hemden-, Hosenmatz ist in Darmstadt g^*
läufig für kleine Jungen mit den ersten Hosen und namentlich heraus-
hängendem Hemdchen. Zu Lips S. 24 : Ich wundere mich, dass M. ^^^
„Hölzerlips", einen berühmten Räuber der Neckargegenden, nicht erwähnt.
Auch der von ihm genannte Lips Tullian war ein Räuber. Ich will mic"
jedoch nicht weiter auf Nachträge einlassen, vielmehr hoffen, dass der
Verfasser selbst nach Schmellers Rat weitersammeln und später neben
der Fortsetzung über die weiblichen Appellativnameu auch eine aus-
gedehntere Bearbeitung des ersten Teils vorlegen möge.
Freiburg i. B. Fridrich Pfaff-
^,
Auswanderer aus den Ämtern Emmen-
.gen und Karlsruhe in der südiuigarisclien
G-emeinde Franzfeld.
I Wilhelm <>roua.
Gleich Württemberg hat auch unser Badener Land —
«las jetzige Uroliherzogtura, wie die früheren Eiiizelgebiete,
äua denen es entständen — schon von lange her eine starke
Auswanderung gehabt, aber daheim ist man ihren Spuren im
Ausland nicht in der Weise gefolgt wie im Nachbarlaud, nicht
einmal in den durch eine tnuaendjährige Geschichte mit uns
näher verbundenen Kaiserstaat im Osten, wohin Tausende,
besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ge-
zogen sind, — Daheim hat man sich otTenbai' um die Weg-
gezogenen, meist kleine Leute, nicht mehr viel gekümmert;
and die di-auUen hatten lang» genug zu tun, um in dem Neu-
land sich einzurichten und durchzukämpfen; es kamen wol
Nachrichten an 2urückgei>liebeQe Verwandte und Freunde —
denn viele sind nachgezogen ^, dann schliefen aber mit der
Zeit auch diese Beziehungen ein — das Briefschreiben ist
nicht jederinamis Sache, der Postverkehr war umständlicher
und teurer als jetzt, und gar zu einem Besuche heimzureisen,
wollte mehr heiüen als heutzutage eine Änierikareise ; die
Fäden rissen im Lauf der Zeit vollends ah, und sie wieder
«nzuknüpfen, als dds erstarkende NationalgefUhl Umschau zu.
lialten begann über das Deutschtum auf der ganzen Erde, und
gleichzeitig daheim die Foi-schuug bis ins kleine allen Er-
scheinungen des Volkslebens nachging, erschwerte gerade in
Ungarn der besondere Umstand, dass in den neu besiedelten
Teilen die deutschen Einwanderer unter einem Stammes-
jä
iiamen zueainniengefaHst werden, a!s „Schwaben", im Gegen-
satz zu den vor TOf) Jahren in Siehenhürgen und der Zips
angesiedelten , Sachsen". Man niiiss da schon an Ort und
Stelle Suche lialten, und so fand it;h im vorigen Frühjalu',
durch einen jungen Gelehrten in Wien auf seinen Heimatsort
aufmerksam gemacht, in der , Schwabengemeinde' Franzfelii
im Banat unter den Familien der einstigen Einwanderer einen
Hauptteil (mehr als em Dritte!) aus den obengenannten Be-
zirken der früheren Markgrafschaft Baden-Durlach ab-
stammend, von welche!' früher solion das Amt Müllheim und
das VViesental Ansiedler nach Siebenbürgen abgegeben hatten.
Nicht überall wird die Feststellung der Herkunft so leicht
und so sicher gelingen wie hier: die neuen Gemeinden in
Südungarn haben meist keine Urkunden über die Gründung;
in ihren Archiven, denn diese erfolgte von oben durch
k. k. Behörden, und so lag und liegt es auch mit Franzfeld,
wie mir auf Anfrage im Hathause mitgeteilt wurde. Zugleich
überreichte mir aber der Genieindenotär (d. h. Itutachreiber)
Ruppenthal eine gedruckte „Geschichte der tiemeinde
Franzfeld, anlSsslich ihres hundertjährigen Bestandes heraus-
gegeben von der Gemeinde" (Pantschowa, Druck von Brüder Jo-
vanoviö 1893), welche aus den Akten des Deutsch-Banater Kegi-
ments und des k. Reichskt'iegsministeriums zusammengestellt
worden ist. Der 288 Seiten starke Band gibt in vier Hauptteilen:
die Einrichtung der früheren Militärgrenze im allgemeine»;
die Gründung, Entwicklung und die jetzigen Zustände der
Gemeinde ;
die Geschichte der Franzfelder evangelischen Kirchen-
gemeinde Augaburgei- Konfession
und die ihres Schulwesens.
Daran sehließt sich ein Anhang über das 1 OnjähngiJ
Jubelfest der Gemeinde und endlich, was für mich dis
wichtigste war, ein Verzeichnis der ersten und zweite
Einwanderung und der heutigen Einwohner mit Plänen
über die Ansiedlung und den jetzigen Bestand des Orts.
Und beim Überlesen dieser Verzeiclmisae I und U BU"
fielen mir alsbald neben den Namen württembergiseber
Bddisflie AiiäwflinliTc-L' in KriiJuMd 8U
solche badischer Herkunftsorte in die Äugen, deren teilweise
falsche Schreibung ich bei einigen sogleich richtig stellen
konnte, zur großen Freude von Bürgermeister und Ratachreiber.
die mir zum Dank und zur nachträglichen Feststellung der
übrigen noch zweifelhaft gebliebenen einen Abdruck verehrten
(und seitdem noch einen für unsere Landesbibliotliek nach-
gesandt haben). Aus den Verzeichnißsen I und II, die nach
der Reibenfolge der Hausnummern geordnet sind . zog ich
daheim die Einwandererfamilien nach ihren Heimatsortpn und
-ländem aus und stellte dann nach Verzeichnis III fest, welche
der Namen noch heutigen Tags und auf welchen Anwesen
vorhanden sind. — Das Ergebnis war zunächst das genannte,
dass neben einer größeren Hälfte Württemberger ein starkes
Drittel der Einwanderer aus Baden-Dui-lach war, auüerdem
mehrere ans der linksrheinischen Pfalz, einige aus dem Elsass
und (1802) auch vereinzelte aus andern deutschen Ländern,
«s waren also im wesentlichen die süddeutschen evange-
lischen Gebiete vertreten, ausgenommen die Heichsatädte
und die damals preniiischen Fürstentümer Ansbach und Bai-
reutli, und es bestand ein gewisser räumlicher Zusammenhang
der die Auswanderer abgebenden (Jemeinden insoweit, als diese
evangelischen Lande aneinander grenzten: von den württem-
bergischen Orten, im Kreisbogen zwischen dem oberen Nekar
l)ei Tübingen und der Knz, schlagen die Gemeinden Ötisbeim.
Derdingen, Goclisheim (finiher württembergisch), Münzesheim,
Oberfiwisheim, Helmsheim eine Brücke hinüber in das Landamt
Karlsruhe , aus welchem Kintheim , Hagafeld , Btankenloch,
Graben, Ru-ssheira, Schröck (jetzt Leopoldshafen |, Eggenstein
und Teutsch-N euren th Auswandererfamilien stellten, und mit
diesem war wieder durch die Zugehörigkeit zum evangelischen
Teil der Markgrafschaft Baden das Amt, oder wie es damals
liieli. die Obervogtei Emmendingen verbunden, deren meiste
Gemeinden in dem Einwanderer^'erzeichnis erscheinen —
Malterdingen, Köndnngen, Nimburg, Bahhngen, Eichstetten,
Bötzingen , Bottingen , Vörstetten , Giindelüngen (jetzt Amts
Freiburg). Theningen, Freiamt, Emmendingen. Die elsässer
Orte, alle offenbar falsch aus den Akten abgeschrieben, konnte
J
ich bisjetzt noch nicht sicher festlegeii, mit den pfölzer Orten will ']
ich es vielleicht später einniaJ versuchen. — Auch bei einigen
hadischen liegen noch Fragen vor; vielleicht bringt der Ab-
druck meines Auszugs aus den Vei-zeichnissen I, II und III,
den ich am Ende folgen lasse, die Lösung. Eine gelang mir
wider Erwarten durch einen Zufall: vergebens hatte bis jetzt
der Gemeindenotäi', der ausgebreiteten Familie Ruppenthal an- ,
gehörig, nach dem als Heiniatsort seiner Vorfahren genannten
Ort , Zisch, Baden-Üurlach* gefahndet: einen solchen Ort gab i
es und gibt es nicht in Baden, wo! aber ein „Züsch* auf I
dem Hunsriick bei Hermet^keil, und da trafs sich, dass ich .
meinem Vetter, Professor Dr. Ehrismann in Heidelberg, von
der Sache sprach, und dieser einen ITniversitätst'reund, den evan-
gelischen Pfarrer Petri dort, hat, der auf Befragen bestätigte,
dass sein ^ZUsch" zu der vormals badischen hinteren Herr-
schaft Sponheim gehört hatte und der Name Kuppenthal in .
jener Gegend noch mehrfacli vorkommt. — Meinem , Auszug*
habe ich weiter, durch Vergleiclmng mit dein Verzeichnisse 111
der Einwohner von Franz feld und ilirer Häuser nach dem
Stand vom 1. Januar 1892 , die noch dort vertretenen J
Familiennamen der einc^tigen badischen Einwanderer
mit den Nummeni ihrer Anwesen beigefügt, um den bei uns
daheim in Baden gebliebenen Familien zu zeigen, von welchen
ihrer auegewanderten Verwandten noch Nachkommen vor-
handen sind: meist ist dies nicht nur der Fall, sondern haM
sich auch die Familien und jlue Häuser vermehrfacht — w"
Zeichen des Gedeihens unserer engeren Laiidsleute tief drunten
in Ungai-n.
Das trifft auch im allgemeinen für die Gemeinde Fraiii-
feld zu: aus 140 Einwandererfamilien sind im Laufe eines
Jahi'hunderts über SUOÜ Einwohner geworden, aus 140 Häuseni
038, ohne nennenswerte Zuwanderung und unter Abgabe sog*''
vieler Angehörigen nach auswärts; denn die Franzfelder hfli*"
einerseits groÜe Teile der umgrenzenden Hotter-Hatterte ((»p-
markungen) ' gepachtet und gekauft- anderseits sieh aueli "'ii-
Holier ist mol (Ins alcmiinnisfbi' Eller. P.
Uftdiadie Auswunderer in Frnnzfeld 85
Hie andern Banater Schwaben vielfach in bis dahin serbischen
und niniänischoD Geineindon festgesetzt; sie siedeln als Hand-
werker in die Naclibarstadte Panschowa. Senilin und Belgrad
Über und haben sogar eine Tochtergemeinde, Franz-
.Tosefsfeld, in Bosnien nahe der Save gegründet. Viel-
leicht geht ihnen dahin einmal ein Namensgenosse aus der
alten Heimat nach und fragt ,i3t keiner von Emmendingen da?'
Jedenfalls sollte eine Arbeit, wie die ^G^schichte der
Gemeinde Franzfeld", eine Tat für eine Bauerngemeindo, die
in Deutschland selbst wenig ihreagleichen hat, eine Mahnung
sein für Pfan-er und andeie. die sich in den Amtern Emmen-
dingen und Karlsruhe mit der örtlichen Geschichte befassen,
in den Kii-chenbüchern und Gemeindearchiven nach den aus-
gewanderten Familien sieh umzusehen und der Ursache der
Auswanderung nachzuforschen: neben etwaigen besondern
kann auf eine allgemeine wol aus dem .lahr der ersten Aus-
wanderung — 1791 — geschlossen werden — der drohende
Einfall der Franzosen. — Dies galt natürlich nicht nur für die
2wei baden-durlachscben Ämter, sondern auch für die zwisclien-
liegenden und angrenzenden katholischen Gebiete; ans dem
vorderösterreichischen Breisgau zumal bat aucli iiocli zu
dieser Zeit ein starker Wegzug nach Ungarn stattgefunden,
der in den zahlreichen neu gegründeten katholischen Gemeinden
SHdungams Aufnahme fand. — Die Franzfelder .Geschichte"
spricht von Einwanderern ,ans den üben-ölkerten Rcichs-
landen". wird sich damit aber wol im Irrtum befinden, denn
, übervölkert" war unser badisches Rheintal damals an sich
doch nicht, wenn auch schon im Vergleich mit den durch
die jahrhundertelangen Türkenkriege und die Pest verödeten
Niederungen der Theill und der Donau. Das war der Grund
zur Beförderung deutscher Einwanderung dort schon
imter Maria Theresia und Joseph II. und dann auch noch
unter Kaiser Leopold II. und Franz I., welch letzteren eine
(jedäohtnistafel am Rathaus zu Franzfeld, seit der Hundert-
jahrfeier der Gründung 1892. als Gründer der Gemeinde ehrt.
Wie sich die Schaffung der neuen Gemeinde vollzog,
schildert anscliaulich die genannte Festschrift, und es scheint
emt
mir von allgemeinerar Bedeutuug, näher darauf eioxa^ben-,
denn in gleicher oder ähnlicher Weise wird man im Banat
Überhaupt mit der Änsiedlung der +1)000 Deutschen (jetzt
über40000UI) verfahren haben, und eine gleichartige Aufgabe
ist ja auch dem führenden dentschen ätaat in den Üstmarken
des Deutschen Reichs. Posen und WestpreuÜen, ei-waclisen,
die — so Gott will — nicht mit minderem Erfolg gelöst
werden wird; und manchua stände da besser, hätten unsere
leitenden Ki-eise zeitiger sich damit befasst, wie seinerzeit
der östfirreichische Staat in »einen Grenzlanden das Deutsch-
tum gepflanzt, und wie dieses sich in neuerer Zeit, ohne den
Staat und oft gegen seine Lenker, wider fremdes Volkstum
zu wehren gelernt hat.
Ich la^so deshalb hier einige Auszüge über die Grün-
dung der Gemeinde folgen:
(S. H.) Der Situationsplan über das zu erbauende neu«
Dorf — welches erst mit Allerhöchster EntachlieÜung vom
30, .luli 1791 den Namen Franzfeld erhielt — , sowie ül»er j
das Ararial-Gnmdgebiet , welches den Hotter dieses Dorfs
bilden soll — wurde im Mai 1791 höheren Orts zur Genehmi-
gung vorgelegt. Der Bau des Doris Franzfeld begann io
der zweiten Hälfte desselben Jahrs und sollte auch in diesem
■lahre beendet werden : doch die ungunstigen Wittermigs-
verhältnisse sowie der Mangel an Handwerkern und auch an
Matenal verzögorten den Bau derart, dass im Jahi'e I7*J1 u'ir
ein geringer Teil der Häuser fertig gemacht wei-den koJiute
nnd der Bau des Dorfs Franzfeld erst Endo Oktober 17^2
vollendet wurde.
Die Hauptparzelle C , auf welcher das Dorf Franzfelil
erbaut wurde, unifasst das Gebiet des ehemaligen Dorfs Alt-
Szeldoscli mit Ulti7 Joch. Ferner wurde» noch dazugeuomins"
von den Vakantgründen der Gemeinde Jabnka 1345 Jocii.
von den Grundstücken der Gemeinde Neudurf 180 Joch, unil
von jenen der Gemeinde Pancsova 1!88 Joch, in SumraS
4680 Joch. Zur Ortslage mit Einscbluss der Gassen und d«
Ortsplatzes wurde eine Parzelle von 86 Joch und 400 □' aus^
geschieden und diese Parzelle wieder in 108 Hausplätze je 800 D,
1 FruiizfelJ
87
groß eingeteQt. und zwai- wurden 100 HauBplätze für mit
önind zii beteiiende Ansiedler. 4 Hausplätzo für gewerbe-
treibeude Ansiedler, 2 Hausplätze zur Errichtung von Ge-
meindegebäuden und 2 Mausplätze zur Erbauung von Ärarial-
gebäuden bestimmt; zu dieseu 108 Hausplätzen wm'den wäh-
rend der Ansiedlungsdurchluhrung noch 4 Hausplätze je 480Q'
groll zugemessen, so dass nach Ausbau des Dorfs im ganzen
I ei DSC hl ie LI lieh der Gemeinde- und Ararialgebäude) 112 Häuser
recte Hausplätze vorhanden waren.
(S. 4ö.) Jedes für einen mit Grund zu beteilenden An-
siedler erbaute Haus war 3'/» Klafter lang, 4 Klafter breit
und 8 Schuh hoch, stand quer au der Gasse und enthielt eiu
Wohnzimmer mit 2 Fenstern und zwar eins auf die Gasse
und ebis in den Hof, eine Kammer mit einem Fenster und
eine Küche, war aus Riegelwänden ei'baut, mit ägyptischen
Ziegeln auf einen Schuh dick ausgemauert und mit Brettern
eingedeckt, Fundament sowie Küchenherd und Kauchfaiig
waren aus gebrennten Ziegeln gemauert und der Feuergiebel
mit Brettern verschalt, der Boden mit Brettern belegt und
mit Estrich überzogen. — Die Ansicht und der Grundriss über
ein 17it2 erbautes Ansiedlerhaus ist in dem Situationsplan er-
sichtlich gemacht. Es besteht heute nur noch jenes der
Krben Michael Hallabrin No. 3, dann jenes des Mathias
Günther No, 115, welch letzteres bei der Ansiedlimg unbesetzt
blieb und hernach als ärarischos Wirtshaus benützt wurde.
Erst als alle 100 Ansiedlungshäuser sowie 2 äi-ai'iscb&
Häuser fei-tig waren, wurde zu jedem Ansiedlungshaus ein
8tal] erbaut. Derselbe war gestampft und mit llobr eingedeckt.
Die Gesamtkosten zur Aufbauung der 100 Ansiedlungs-
häuser nebst ebensoviel Stallungen Iwtnigen 3571511. OP/*kr.
und zwar kostete ein
Ansiedlungshaus
ein Stall hierzu
zusammen
^19 fl. 55'/skr.
30 , 13°;>. ,
350 fl. 08"/» kr.
Zur Versebung der Ansiedler mit dem nötigen Wasser
wurden in der (.)rfslago H Briinnen errichtet. Der Gesamt-
i
88 Groos
koatenbetrag dieser 8 Brunnen betrug 2439 fl. 13*/» kr.; von
dieser Schuld wurde jedem einzelnen Ansiedler, der ein Haus
und Grund bekam, zum Rückersatz vorgeschrieben im Betrage
von 23 fl. 54 V8 kr.
(S. 46.) Die Errichtung des Dorfs Franzfeld kostete
somit dem hohen Arar die Gesamtsumme von 38154 fl. 147« kr.,
von diesem Betrage wurde jedes Ansiedlungshaus mit 374 fl.
03 */« kr. Wiener Währung belastet und ob denselben zum
Uückei*satz vorgeschrieben.
Die Vorteilung der Häuser an die Ansiedler im neu-
erl>auton Dorfe Franzfeld fand am Sonntag den 24. Juni 1792
statt. Zu diesem Behufe mussten die Distriktskommandanten
alle in iluvm Distrikt sich aufhaltenden Einwanderer aus den
Keiohslanden, die evangelischer Religion und zur Ansiedlung
nach Franzfold bestimmt waren, hiervon verständigen und die
Hausväter der sich ansiedeln wollenden respektive sollenden
. . . unter Aufsicht eines Unteroffiziers oder eines verläss-
lichen Ansiedlers hierher abgehend machen. . . .
(S. 47.) Die Verteilung der Grundstücke, die ebenfalls
si*limi am 24. Juni 1792 stattfinden sollte, wurde — weil sie
zur Zeit der Verteilung der Häuser noch nicht gänzlich aus-
giMutv^^Mi und eingeteilt waren — am Dienstag den 17. Juli
1792 vorgenommen und zwar erhielt jede Familie, ob sie
eine einschichtige oder doppelte — d. h. aus zwei Fami-
lien mit versi*lnedenen Namen zusammengesetzte war — je
24 JiK*h Acker in 3 Fluren zu je 8 Joch, dann 10 Joch Wiesen
in 2 Fluren zu je 5 Joch, 1 Joch Garten, 1 Joch Wald und
S .Uvh Hutweide. Wald und Hutweide wurde den Ansiedleni
hUt nioht zur speziellen, sondern zur gemeinsamen Nutz-
niolMmg zug^^wit>sen.
«S. oO.) Die im Jahre 1792 schwache Ernte, sowie die
streng^^ nulitarisi'he Behandlung, dann die ginzliehe Missernte
im J,^hrt^ 1794 verleidete mam'hem der Ansiedler den Aufent-
halt hier in dies^T Itegemi* daher von denselbwi einige wieder
mit ixliT ohne Erlaubnis iler Behönie in ihre alte Heimat
*sior in ein ainler^^ lV>rf «es^aniK^n sind, andere wieder wegen
ihrt^r Trüijheit und S^^hleohtidLeit ab«estiftet wurden und
Rn<Ji»<
i> Aiiswaiiiier
i FianzfeUl
H9
wieder andere duich Ci>ortiutt in ein anderes Haus und Ver-
einigung mit der daselbst schon konakribierten Kommunion in
dem Verzeichnisse nicht enthalten sind. . . .
(S. 51.) Der Zuhau von 40 Häusern zum Dorfe Franst-
feld für die Einwanderer aus den deutschen Reichslanden
evangelischer Religion lässt sich aus den Akten nicht erheben,
so viel ist jedoch erhoben woiden, das» mit dem Bau dieser
40 Häuser auf Kosten des hohen Ärars in der zweiten Hälfte
des Jalu-fi 1802 begonnen und solche bis Ende .luli 180i?
fertig sein mussten. Diese Häuser wurden mit deutschen
Einwanderern evangelischer Religion unter denselben Be-
günstigungen, wie die ersten Ansiedler, besetzt. Die letzt-
zugebauten 40 Häuser erliielten insofern eine Abweichung von
der Bauart der ersten Ansiedlungsliäuser, als bei solchen die
Wände aus gestampfter Erde erbaut und mit Rohr eingedeckt
wurden, während bei den ersten Ansiodlungshäusern die Wände
aus Riegelwänden mit Kotziegeln auf einen Schuh dick aus-
gemauert und mit Brettern eingedeckt waren.
(S. 54.) Die zur zweiten Ansiedlung angeworhenen
Reichskolonisten erhielten bei ihrem Eintrefi'en in Gönshiug,
und zwar:
ein Ansiedler mit Weib und 1 Kind .
mit 2 — 4 Kindern
und mit mehr Kindern
AT, fl.
70 .
als Reisegeld verabreicht. Außer diesen wurden jene, die
sich und ihre Familie nicht aus eigenem erhalten konnten,
von der Regierung bis zu der Zeit verpflegt, wo sie sich aus
ihrem eigenen Erwerb den nötigen Lebensunterhalt verschaffen
konnten, . . .
(Ö, 74.) Der Ort Pranzfeld ist regelmäliig, im Viereck,
mit geraden 20 Klafter (38 Meter) breiten Gassen angelegt
worden. In der Mitte desselben befindet sich der mit Maulbeer-
bäumen dicht bepflanzte Platz, von dem und in den 6 Gassen
fahren. Auf dem Platze befinden sich auch sämtliche Ge-
meindegebäude, als: Kirche, üenieindehaus, .Schulen und
das Pfanhaus,
J
(S. 75.) Der Volk«niund hat den Gassen Namen ge-
Diese Flamen BÜid: Haiiptgaäse, HeiTengasse, Heiehegaäse,
Neue- oder Schwabengasse, Winkelgasse , Hied-
odei' Zigeunei-gasse , Kotga»se, Schöne- oder Langegasse und
N eu wünschgasse.
Die Gassen werden sehr rein gehalten und der Unrat
sorgfältig weggekehrt. Am Samstagabend sieht man die
weibliche Jugend mit dem Besen in der Hand die Gassen
kehren. Die vor den Häuaeni hinlaufenden Gräben, welche
zur Ableitung des stellenden Regenwassers dienen, werden
von den Bewohneni jährlich zweimal ausgehoben.
Über mehrere Gassen sind Brücken gebaut, damit das
sicli sammelnde Wasser in die Hauptgräben gegen den alten
Friedhof abäieJien könne. Im ganzen Ort sind vor den Häusern
Bäume gepflanzt und das meistens Maulbeerbäume, weil diese
am besten und schnellsten gedeihen.
Vor den Häusern ist ein 3 — ti FuÜ oder Slä — 148 cm
breites Pflaster. . . .
(Ö. 76.) Seit der Änaiedlung hat sich der Ort niclil.
nur bedeutend vergrößert, sondern im einzelnen und ganzen
verschönert. Während die Änsiedlungshäuser aus Riegel-
wänden bestanden, hat man später das Mauerwerk gestÄHipft
und jetzt werden sie aus guten Mauerziegeln hergestellt:
während die Häuser der früheren Jahre mit Brettern gedeckt
waren, sind die gegenwärtigen mit Dachziegeln gedeckt. Auch
sind die meisten Häuser der Front nach gestellt. Und so
wie sieh die Wohnungen verschönerten, sind auch die Ein-
richtungen entsprechender beschaffen. Etwa 50 Jahre nach
der Ansiedlung baute man gewöhnlich zwei groÜe Ummer,
zwischen welchen die geräumige Küche lag. Aus dem zweiteTi
Zimmer oder Hinterzimmer gelangt man durch eine kleine
Tür in den gewöhnlich an das Wohnhaus gebauten Pferdestall.
An diesen reihte sich dann der Kindvielistall und zuletzt kam
der Schuppen (Schupf).
Heute werden selir viele Häuser breiter gebaut, so dass
die Zimmer nebeneinander sind. Bei sehr vielen Häusern lial
Baiiisclio Auawiinilei-Kr in Fraiizfeld yL
man auch eine, vom Wolmliaua getrennte sogenannte Soninier-
kiiche, bei welcher auch ein kleiaes Zimmer mit einem Back-
ofen sich befindet. Die Wohnziinmer sind meistens ausgemalt
und gediehlt (gebrettert) und der FuUboden gelb gestrichen.
(S. 77.) Die Zimmereinrichtung war bei den Voi-
fahi-en sehr einfach. Sämtliche Möbel waren entweder bmun
oder rot augestrichen und bestanden aus Betten, einem Schub-
ladkast^n, einem hohen Kasten, einem Tisch, zwei Bänken,
mehreren Sesseln und einer Kiste. — Heute sind die Möbel
viel eleganter hergestellt nnd bei vielen Familien findet man
auch Diwans. Auf dem Schublatikasten , welcher mit einer
Decke bedeckt ist, belinden sich Kaffeeschalen, Gläser. Fla-
schen usw. Bei mehreren Familien hat man auch noch einen
Glaskasten (Gläsersclirank), in welchem das PorzellangeschiiT,
der Brautkranz und sonstige Erinnerungszeiclien aufbewahrt
sind. —
Bei jedem Wohnhaus beündet sieh aulier dem rein-
^haltenen, geräumigen Hof ein ziemlich gut gepflegter
tiarten.
Bei vielen Wohnungen ist der Hof vome gepflastert und
so eingerichtet, dass das Wasser abfließen kami.
(S. 78.) Mit Ausnalmie von vielleicht 3 — 5 Wü-tschafteii
hat jedes Haus einen Brunnen. Das Trinkwasser ist mit
Ausnahme von zwei Brunnen überall trinkbar. Das beste
Trinkwasser ist im vierten Viertel.
Fiift. de-n Kultiirzustand unserer deutsehen Landsleute
in Franzfeld heutzutage zeugen neben einem geonlneten
Kirchen- und Schulwesen, das neuerdings freilich durch Auf-
zwängung der , Staatssprache" beeinti"ächtigt wird, und einer
tOchttgen Gemeindeverwaltung auch eine tiemeindesparkasse,
Apotheke, Arzt imd ein entwickeltes Vereinsleben — Lese-
verein, Männergesaiigvereiu , freiwillige Feuerwehr uam. —
Die Gemeinde ist trotz ihrer GröUe eine beinahe rein land-
wirtschaftliche geblieben; Gewerbe wird im wesentlichen
nur für den Ortsbedarf getrieben, die Fertigung von ,Werfer-
pfiQgen" ausgenonuuen , welche weiter hin abgesetzt wei"den.
Am besten gedeihen Weizen und Kukurnitz (Mais), im Jahre
1898 waren scIiod sieben Danipfdrcschmaschinen im Ort; von
Handelsgewächsen wird t>eaonders Mohn und Tabak gebaut:
der Weinbau ist durch die Beblaus sehr geschmälert worden.
Doch wii'd immer iiocli viel Wein geti-unken, wie man über-
haupt gilt lebt und namentlich ein starker Fleischverbrauch
ist; das Geflügel zumal ist ja in diesen Ländern beinahe n-ie '
das tägliche Brot, ^Hähndl" bekommt man da bis zum Üher-
druss, morgens, mittags und abends, in den verschiedenen Zu-
bereitungen als ^pBackhähndf, „Brathähndi", , Faprikahähndl^ .
Die Zubereitung der Speisen ist selbstverständlich im all-
gemeinen die landesilbliche. doch spielen im Haushalt immer
noch die schwäbischen Mehlspeisen — Kiiöptie, Dampfnudeln.
Fastnachtsküchle, Kugelhupf und Kirweknchcn — eine Rolle.
Auch Sitten und Gebräuche der alten Heimat haben
sich erhalten wie der „Vorsitz" (die Spinnstube) und die
Kirchweihfeier.
Das trifft auch, was das wichtigste, bezüglich der Sprache
der Gemeinde zu; sie ist trotz fremdsprachiger Umgebung
und in neuerer Zeit des Itnieks von oben die deutsche ge-
blieben, so sehr, dass auch ein paar zugezogene Familien mit
magyai-ischen und andern fremden Namen .Schwaben' ge-
worden sind. Als Mundart hat auch bei den Nachkoinmen
der Badener Einwanderer die schwäbische gesiegt, etwas
gemildert durch den Einfluss der Schule und der, vor Ein-
verleibung der Militärgrenze in Ungarn, deutsch sprechenden
Beanitnng: dabei können aber alle Einwohner, insbesondere
die Männer, sich „hochdeutsch", d. i. nach der Schiift aiis-
diilcken. wie es in der Schule gelehrt wird; freilieh nicht
mehr ausschtielilich . denn bald nach dem sogenannten Aus-
gleich mit Ungarn erging die Verordnung, dass die magya-
rische Sprache in den obem Klassen, später auch von der
untersten Klasse ab, als Lehrgegenstaud aufzunehmen aei:
und als die Schülerzahl immer mehr zunahm und ehie sechste
Lehrei-stelle nötig wurde, unterlag die Gemeindevertretung der
Versuchung, sich einen Beitrag zu dem hochgesteigerten Öchul-
aufwaud zu verschaffen durch Aufnahme eines Staatslehrers,
wodurch den magyarischen Bestrebungen ein noch gröLiorer
Badische Auswandert^r in VrauzlM 93
Spielraum gegeben wurde. Ihr Deutach wollen sich aber die
Franzfelder nicht verküminein lassen; wenn sie sich auch als
treue Bürger ihres jetzigen Heimatlands fühlen, wie es überall
der Deutsche in andern LändeiTi tut, so liängen sie doch zäh
an ihrem Schwäbisch und wissen, von welchem Vorteil es
auch für sie und ihre Kinder ist, die deutsche Kultur- und
Weltsprache zu sprechen.
Wie die Einwohnerschaft gut und rein deutsch sich ge-
halten hat, ist die Gemeinde auch eine nahezu ganz evan-
gelische geblieben, bis auf ein halbes Hundert zur Sekt« der
Nasarener sich Haltender. Sie hat seit 1815 eine Kirche mit
Turm und Glocken, die aber für die angewachsene (jemeinde
allmählich zu klein geworden ist; seit 1884 ist neben dem
Pfarrer ein ständiger „Kaplan". Die Auflösung der Militär-
grenze 1872 hat zwar die evangelische Gemeinde von der Be-
vormundung der politischen Behöi-de befreit, dafür aber durch
den Anschluss an die ungarländische evangeliscli-reformierte
Kirche, in welcher unduldsamer magyarischer Geist herrscht,
eine weitere Gefahr für den deutschen Tharakter der Kirchen-
gemeinde gebracht, wovon freilich in dem Buche nichts er-
wähnt ist; mit Dankbarkeit gedenkt dieses, um das hier zu
erwälmen, des Erfolgs, welchen 18ß;i bei einer grotien Misa-
ernte der Hilfenif des früheren Pfarrers Frint an die Pfarr-
ämter der Gemeinden gehabt hat, aus welchen die Vorfahren
der Franzfelder gekommen waren: die Briefe, welche die
Gaben damals begleiteten, sind, in ein Buch gebunden, im
Pfarrarehiv verwahrt; unter den Gebern ist auch Prinzessin
Elisabeth von Baden genannt. Trotz des Werktags schickte
es sich, dass ich auch in da» kiiehliche Leben der Gemeinde
einen Einblick tun konnte. Ich hatte eben das Kathaus
besucht — ein einstöckiger, aber hübschei' Bau mit 5—6
Arbeiteräumen fOi- die Gemeindebeamten und einem Bürger-
Baal, dessen Decke mit einem Gemälde geschmückt wird
,Fraiizfeld einst und jetzt' — und war daran, die Ställe mit
den 4 Zuchthengsten und den 1 1 Gemeindefarren zu besich-
tigen, als die Glocken zu9amnienläut<?ten zu einem Begräbnis;
abwechslungsweiso gingen beim Hinweg die Männer, beim
J
IWckweg die Frauen zuerst-, die Frauen einfach schwarz, mit
KopftÜchem . uur zwei oder drei mit Hütou, Beim nach-
fol)jeiiden Gottesdienst machte sich unangenehm fühlbar dan.
jedenfalls durch die Sitte gebotene, allgemeine und fortgesetzte
Schluchzen der Frauen und das verhackte Deutsch des Pfan-ers,
eines magyarisierten Slnvaken; erfreulicherweise hat die Ge-
meinde au dem alten württembergischen Gesangbuch fest-
gehalten, aus dem. ebenfalls nach württembei^ischem Ge-
bmueh. alle acht Strophen eines Lieds gesungen wurden, für
uns Badener etwa» Ungewohntes und Ei-mÜdendes. —
An einer andern Stelle ' habe ich eingehender erzählt, wie
ich nach Frnnzi'eld gekommen und was ich dort erlebt; hier
nur noch ein paar Striche zur Belebung des entworfenen
Bilds:
Ich hatte vorgehabt, auf meiner Reise zu einem Lands-
mann im Herzen von Mazedonien mit der Bahn durch das
grolie Gebiet der deutschen Ansiedhmgen bei Temeswar
und Werschetz zu fahren und in einer Anzahl dieser Ge-
meinden abzusteigen. Durch den Ausstand der Eisenbahner
war das aber vereitelt worden und ich hatte froh sein müssen,
auf der Donau wieder zum Land hinauszukommen; einen teil-
weisen Ei-aatz für das Entgangene suchte und fand ich in
dem Besuche von Franzfeld von der Stadt Panschowa
aus. die mit Belgiad und Semlin durch einen kleinen Dampfer
mehrmals täglich Verbindung hat.
Beim Kaffee im Gasthaus .zu den drei Karpfen" am
Hafen in Panschowa bot sich gleich ein Kleinbild deutschen
Lel>ens tief unten in dem ungarischen Grenzgebiet gegen
Serbien: in Panschowa werden zwar unter etwa 20000 Ein-
wohnern nur 7 — 8000 Deutsche gezählt neben über 800"
Serben und .SOOd Magyaren, aber das Deutschtum in der
Stadt selbst ist tatsächlich stärker, imd ihm hatten sich nn\
Markttag zahlreiche Deutsche benachbarter ScliwabengemBii\-
den zugesellt; die Dorfriehter und Notare (Bürgermeister ui^J
Katschreiber), fiir welche wol ein Amtstag war, und andere
Filr Wtirttenilifrg, ■
srimrtlii-he BeiUee. V&'i.
FSndiscIie Auswondei-ei in Franifrld 95
Landleute .saasen in lebhafter Unterhaltung l«! einem kräftigen
Fnlhstilck, und man hötie kaum etwas anderes als Dentsch,
weoa au(.'h vielleicht nicht alle Deutsche waren: denn deutsch
muM trotz alledem im Banat, wie ja so ziemlich in ganz
l'nyam, verstehen, wer etwas sein, und vor allem, wer Ge-
schäfte machen will.
Wfun auch nicht mehr so zahlreich wie früher, kommen
doch immer noch Deutsche, hesonders Techniker, aus dem
Reich nach Ungarn: mit einem solchen machten wir nach-
mittags den langen Weg zum Bahnhof für die Linie nach
GroU-Becskerek — er hat eine Bimater Schwäbin geheiratet
und einen Siebenbürger Sachsen zum Schwager — so finden
sich Deutsche draußen Überall zusammen. — Mit diesem Tag
war durch die Einberufung der Militärurlauber unter den
Eisenbahnern der Au-sstand gebrochen worden, aber doch
wiisste man in der Stadt nicht sicher, ob auch auf dieser
Nebenbahn der Betrieb schon wieder aufgenommen werde.
Mit einiger Verzögerung und noch schwacher Bemannnng
setzte sich aber in der Tat der aus vielen stehengebliebenen
Wagen zusammengesetzte lange Zug in Bewegung und brachte
unsere tieseUschaft (mehrere Panschowaer) langsam , aber
sicher, in etwa 20 Minuten nach der Station Ferencshaloni,
wie durch die bekannte Namensmagyarisierung die deutsche
Gemeinde Franzfeld getauft worden ist. Von mitfahrenden
schwäbischen Bauern hatten wir auf der Fahrt kräftige Worte
über die Unterdrückung des Deutsehen, auch in der Schule,
zu höre» bekommen. — Der Ort ist unmittelbar beim Bahn-
hof, der Besuch also leicht auszuführen, und niemand wird
ihn bereuen. Man braucht nicht vorher in serbischen, rumä-
nischen und magyarischen Gemeinden Ungarns gewesen sein,
um zu staunen über das, was man hier sieht — eine wahre
Mufltergemeinde! Wir trafen es gut, dass uns der alte
Lehrer Frint, ein Bekannter der Herren von Fanschowa,
gleich auf der Straße vom Bahnhof herein begegnete; er war
uns ein freundlicher Führer und sachkundiger Erzähler, zeigte
uns ein und das andere bäuerliche Anwesen und die Schulen,
wo wir teilweise die Buben beim Turnen trafen, und geleitete
L
an den gi-oüen Platz mit der Kii-che und dem RstfasiM, -wo
wir die Bekaimtsehiift dea Bürgermeisters und Hätschreibers
machten. — Gegen Abend, nach Besichtigung des Orts.
folgte der gemütliche Teil, zunächst im Hofe einer sauberen
Wirtschaft im Schatten eines grolien Baums neben der
Kegelbahn; auf den süffigen leichtein Wein lieUen unsere
neuen Freunde bald einen feurigeren kommen; die landes-
übliche Zuspeise — aufler hausgemachter Wurst scharfer
Schafkäse mit rohen Zwiebeln — hatte für ein ungarländisches
Kneipen die nötige Unterlage gegeben. Ich musste mahnen,
eine Pflicht nicht zu vei-gessen, den Üruli des Dr. philos. in
Wien an seine Familie zu bestellen: der alte Stein sass iu
der Stube allein bei der Lampe, die aufgeschlagene Bibel vor
sich auf dem Tisch, der zweite Sohn, welcher der Landwirt-
schaft treu geblieben, war noch im Hof beschäftigt und Wurde
zuerst durch seine junge Frau vertreten: die ,Söhnerin" setzte
nach der ersten BegrüUung der Gesellschaft Wein vor, weißen;
wii* wurden aber nicht fortgelassen, che wir nicht auch ein
, Klügle* Koten getrunken. — So gings in schon ziemlich
heitei-er Stimmung in den Saal der Lesegesellschaft, der wir
auch einen Besuch versprochen hatten, und recht heiter von
da schließlich zimi Bahnhof mit Sang und Klang, wie ihn
wenigstens das werktilgliche Fi-anzfeld nttch nicht zu hören
bekommen hat. — Auch iu Panschowa wartete unser nocb
eine gröllere deutsche ({esellschaft, der wir uns nur zu bald
entziehen mussten, da es am andern Morgen schon um */*4 Uhr
nach Belgrad weiterging. —
Ob und wo sonst noch Evangelische aus dem Baden-
Uurlachisehen in Sudungarn sich niedergelassen haben,
weiü ich nicht zu sagen: eine starke Anawanderung ging von
ihm schon um die Mitte des IS. -Jahrhunderts nach Osteji; die
kleine MarkgratWdiaft soll in einem Jahr SOO Familien dureh
Wegzug verloren haben. Die Regel war, dass die evange-
lischen Einwaudei-er von der kaiserlichen Regierung iii Sieben-
bürgen angesiedelt wurden, auf dem .Sachsenboden*, be-
sonders im Unterwald: dort erinnert noch heute die .Dur-
lacher" Voi-stadt in Muhlhai-h an die Heimat der Zugezogenen
1 Fraiiifclil
97
(lim 1750); nach ihren Faniiliennainiin dürften die meisten
dem Mai'kgräßerland bei Müll heim tmd im Wiesen tal ent-
stammen, wo Namen wie Greter, Sütterli. Ludi. Schöpfli,
Würeli, Gi'äsli heimieeh sind. — 1770 folgten ihnen die »Ha-
nauer Transmigranten", etwa löO Familien ^aay der Gegend
von Ältenheini, Lahr und StraÖburg". — Ein Splitter der
baden -diu-lachischen Auswanderung hat sich im ungarisch-
siebenbürgisclien Grenzgebirg in der Gemeinde Uadad des
tizilagyer Komitats angesiedelt; er entstammte nach den Namen
und der jetzt noch gesprochenen Mundart der oberen Mark-
grafechaft an der Schweizer Grenze. — Zu den , Schwaben"
des Banats wie zu denen in der Batschka haben aber besonders
katholische Gebietsteile unseres jetzigen Groliherzog-
tums ihren Anteil gestellt. So dürfen hierher vielleicht schon
aiiH dem Jahr \l'l^ Einwanderer in die zwei Banater Orte
Zadorlak (16 Familien) .aus dem Schwarzwald" und (teilweise)
in Guttenbnmn (,aus Sachsen und dem Schwarzwald"J gezählt
werden. 1763 werden dann 1000, 1764 2000 Ansiedler im
Banat .aus dem Hauensteinschen , Trier, Lothringen' ver-
zeichnet. 1768—71 wanderten 4S71 ,aiis Lothringen. Elsass,
Schwarzwald, Breiügau. Pfalz, Vorderösterreich, Fran-
ken, Schwaben" ein ; neuen Aufschwung nahm die Einwanderung
1782 .besondei-s aus dem oberen R-heinkreise" ( .Die Deutschen
im Bauat" von Dr. M. Gehre); bis 1773 kamen in die
Batsclüca gegen 50000 deutsche Zuzüglinge , meist aus schwä-
bischen und alemannischen Gegenden*. Das ging so noch bis
in den Anfang des vorigen Jahrhunderts hinein.
Mittlerweile setzte in unserem Lande eine starke Aus-
wandei-ung nach Knssland ein (so z, B. 1824 von Rhein-
bischofsheim nach Südruasland), später nach Polen bis 1844,
und zugleich, allmählich immer aueschlielil icher werdend, nach
Westen übers Weltmeer: zuerst 1816 im Oberland, besonders
an der Schweizer Grenze, beginnend (Basler Unternehmen) —
vor allem in die Vereinigten Staaten, neben welchen auch
Brasilien einen Bruchteil aufnahm (1819 besonders aus der
Freihui'ger Gegend, Dörflingersches Unternehmen) und Vene-
zuela in der hadiöchen Kolonie Tovar bei Caracas.
Alemaimi
i
Erst in neuerer Zeit sind wieder Ausnahmen von dem
allgemeinen „Zug nach Westen' vorgekommen: den württeni-
bergischen Ansiedlern in Posen liaben sich auch badisclie
Familien angeschlossen (z. B. in Leipe bei Lissa) und einein
Landsmann mit großem Gut in Mazedonien galt ja meine
Reise,
Ob er wieder rege wird „der Drang nach Osten', den
uns französische Schriftsteller, leider bis jetzt mit Unrecht,
unterschieben! Wer weili es; jedenfalls fänden dort misere
Auswanderer bei ihren Landsleuten guten AnscIUuse.
Das eingehend gezeichnete Bild der Gemeinde Franzfeld
und die kui-ze Übei-sicht, die ich eben gegel>en, sollte aber
Die Einwauderer !n Frauzfeld bei Panseba
Ei«;
ai (ii-org r^i'hillinjser
2 , Miohad Peter
34 ChriatioQ Schiodle
42 Michnel Englpr
80 Michael Hulitr
83 Martiu Eud«rl«
66 ' 'SiinoD MeasiDger
4 Mathiii» Merkle
56 MathiHs MUllt-r
67 ; Beruhard J'rei
58 1 Jakob I
Taglnhn.
Molderding, iJaden-
Diirlacb i
KendringPD, Baden-
Uurlach
Keiidringen, Badon-
Durlacb
Ken dringen. Bsden-
Durlach
KendriDgen, Baden-
Dnrlach
Ken dringen, Baden-
burlach
Keo drin gen, Baden-
DurlHch
NinburgEmmend tngen,
Badeu-Durlsch
Ninbur^, Baden -
DurlacL
Ninhurg, Baden -
Durlach
DQhren. Hockberg, Bs-
lingcn.Baden-Duiiacli
BuiÜHchi- Auswarnie
99
jedenfalls zeigen, von welch großer Bedeutung die Aus-
wanderung ans unserem Lande war und wieder werden kann,
und dass sie verdiente, wenn man ihr daheiin mehr als his
jetzt geschehen mit Aufmerksamkeit und Teilnahme nach-
ginge !
Ganz beBondere erfreulich aber wäre es, wenn diese
Arbeit auch dazu beitrüge, wieder Beziehungen herzustellen
zwischen den daheim gebliebenen Familien und den in Franz-
feld lebenden Nachkommen unserer Baden-Durlacher Auswan-
derer von 1701/92 und 1802, deren Namen zu dem Zneck
nachstehend verzeichnet werden.
iiiat) aus dem Baden-Uurlachischeii.
*. Seh.. 41fi AJ. Seh.. 45t! Jm. Sth..
— 114 Martin Merkle, 264 Mart. M., 272 Math. M.. 303 Wilh. M.,
' 33^ Adam H., 3R(^ Mart. M.. 408 Pr. M., 42ti Jnliana M.,
444 Jak. M., 513 Marg. M.
i:.ndwig Mnller 14 Friedr. Mflller, 2Ü Chriatiaii M., 38 Friedr. M., 68 Ludwig H..
98 Jakob H., 911 Mkh. M.. 118 Jos. M., 10!) ChristJBD M.
— 327 Jakob Frei. 2Iß Johsim Frey. 217 Fr. Fr.. 21it Fr. Fr..
' 430 .Samuel Fr.. 512 Mntli. Fr.
b«cob3««ineeT G6 .lak. Besainger. 74 Matli. R.
100
Groos
Des Ansiedlers
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Name
Beschäf-
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nach dem abgedruckten
Namensverzeichnis
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nach der
richtig)
Lesart
92
17 I Jakob Frey
94 ' Mathias Leiten-
berger
9^ j Jakob Groß
39 Martin Eberle
I
90 Georg Läpp
99 Daniel Hofmann
11 Jakob Heidenreich
80 Jakob Mayer
63 Michael Schnierer
69 Mathias Haas
20 Christian Stein
7 Michael Sutter
I
51 Johann Schaldeker
r)4 I Florian Meinzer
Jakob Bart
30 I Wilhelm Polz
43 I Michael Dillmann
i
53 Adam Jahraus
59
Friedrich Mar
grandner
Georg Polz
^^^< ' Christof Margrand-
ner
Eierstädten, Baden-
Durlach
Eichstädten
Beckingen, Baden-
Durlach
Vorstädten, Baden-
Durlach
Gundeliingen,Emendin-
gen. Baden-Durlach
Gundelfingen, Baden-
Durlach
Hochberg Denningen,
Baden-Durlach
Freiamten, Baden-
Durlach
Demingen, Baden-
Durlach
Emendingen, Baden-
Durlach
Emmendingen, Baden-
Durlach
Deutsch Neureuth,
Baden-Durlach
Deutsch-Neureuth,
Baden-Durlach
Deutsch-Neureuth,
Baden-Durlach
Deutsch-Neureuth,
Baden-Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eggenstein, Baden-
Durlach
Eichstet
Bötzingei
Bottingt
Vörstetfc
Hochbull
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. Freiamt
! Thening«
oder Em»
dingen'?
Emmendini
Badische Auswanderer in Franzfeld
101
Bemerkungen
a
Jetzige Haus-
nummer und
Besitzer
Namen der Nachkommen und Nummern ihrer Häuser
{0 Mathias
Leitenberger
!C Michael Groß
4 Jacob Stein
Friedrich
Heinzer
Gg. Jahraus
565 David Frey, 615 Jak. Fr.
130 Math. Leitenberger, 158 Josef L., 319 Mart. L., 344 David L.,
427 Mart. L., 428 Anton L., 434 Georg L., 501 Johann L.,
525 Jos. L., 545 Christof L.
126 Michael Groß.
113 Franz Eberle, 131 Jos. E., 367 Jak. E., 470 Adam E.,
549 Jak. E.
113 Georg Läpp, 220 Georg L., 268 Georg L.
411 Jak. Hofmann, 505 Simon H.
150 Fr. H., 414 Karl H.
418 Jak. Schnürer, 437 Mich. Schnürer.
66 Jos. Haas, 102 Franz H., 198 Martin H , 248 Christof H.,
311 Martin H., 349 Josef H., 540 Mich. H.
104 Jak. Stein.
313 Magdalena Schaldegger.
40 Fr. Meinzer, 290 Peter M., 374 Florian M., 419 Mich. M.
57 Christof B., 116 Adam B., 490 Jakob B., 510 Jakob B.,
591 Karl B.
30 Wilhelm Polz, 60 Jakob Polz, 446 Tobias Polcz, 446 Adam
Polcz, 499 Michael Polcz.
103 Friedr. Dillmann, 98 Jak. D., 563 Philipp D.
10 Michael Jahraus, 12 Adam J.. 71 Georg J.,' 82 Ludwig J.,
143 Ludwig J., 222 Konrad J., 241 Konrad J., 348 Konrad J.,
384 Andreas J., 452 Andreas J., 472 Ludw. J.
157 Ludwig Margrandner, 463 Johann M., 511 Jak. M.
siehe unter No. 30 Wilhelm Polz!
siehe unter No. 59 Friedrich Margrandner!
102
Groos
Des Ansiedlers
Heimatorte
1
ron dem
m Haus
Name
Beschäf-
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1*
a
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63 Friedrich Heiden-
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Schrek, Baden-Durlach
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2,3
1
Rußheim, Baden-
Durlach
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44 Friedrich Grauß
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1
Rußheim, Baden-
Durlach
45 Adam Koch
i
Bauer
i!i
1
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Rußheim, Emendingen,
Baden
64 Adam Bols
»
311
1
1
Rußheim, Baden-
Durlach
75 Johann Brendle
1
n
5'3
Graben, Lichtental,
Baden
Graben
48 , Andreas Weber
I»
3 4
1
Masenbach, Blanken-
bach, Baden
Blankenloc
(früher
Blankenlac
29 ! Adam Ulrich
»
'
Hagsfeld, Baden
—
52 Georg Jahraus
j»
1
Hagsfeld, Baden-
Durlach
—
57 Johann Mayer
Bauer
i
Hagsfeld, Baden-
Durlach
66 Andreas Ulrich
Riedheim, Baden
Rinthein
28 Christof Hertle
Bauer
2
4
Münzensheim, Baden-
Münzesbei
1
Durlach
— i Georg Michael
:
Münzesheim, Baden-
—
Schwarz
1
Durlach
9 1 Christof Friedrich
Bauer
4 3
Gochsheim, Baden
—
Hild
1
1
22 Georg Föhner
5»
1
2 2
Obwörisheim
Oberöwiti
heim
71 Michael Holzmüller
n
2:2
Oberebisheim, Würt-
OberöwL«
1
temberg
heim
45 Johann Polz
•
—
Hilmesheim, Baden-
Helmaheii
i
i
Durlach
45 ! Michael Winter
1
»
4 3
Heldenschein, Baden-
Durlach
•
76 Ruppenthal
n
Zisch, Baden
Züsch, biil
Sponbein«
Herr»elHft 1
'
dem HoMrl
1
'
Reg.-Beiii
Triff)
Badische Auswanderer in Franzfeld
103
Bemerkungen
Jetzige Haus-
nummer und
Besitzer
Namen der Nachkommen und Nummern ihrer Häuser
132 Franz Hass
6U Jacob Polz
siehe unter No. 11 Jakob Heidenreich!
siehe unter No. 69 Mathias Haas!
883 Ernst Kraus?
1 Jos. K., 37 Adam K., 101 David K., 137 Christof K.,
156 Jak. K., 172 Georg K., 218 Mich. K., 262 Katharina K.,
310 Daniel K., 454 Johann K., 487 Daniel K., 488 Friedr. K.
495 Friedr. K.
siehe No. 30 Wilhelm Polz.
127 Christof Br., 226 Johann Br., 467 Adam Br., 533 Martin Br.
139 Josef W., 356 Johann W., 607 Jakob W.
— 58 Peter Ulrich, 474 Johann U.
— siehe unter No. 53 Adam Jahraus.
— siehe unter No. 80 Jakob Mayer!
' .^8 Peter Ulrich siehe Haus No. 29.
102 Jacob Hftrtle . 102 Jak. Hertle, 432 Johann H.
— ' 45 Mich. Schwarz, 254 Johann Schw., 291 Georg Schw.,
166 Johann Schw.
152 Mathias Hild 61 Adam Hild. 63 Christof H., 64 Mich. H., 100 Konrad H.,
152 Math. H., 165 Franz H., 182 Christof H., 184 Adam H.,
204 Fr. H., 253 Peter H., 254 Jos. H.. 277 Theresia H.,
180 Christian H., 388 Mich. H., 412 Mich. H., 614 Franz H.
370 Josef Holzmüller, 376 Johann H., 377 Mich. H., 518
Adam H., 530 Peter H., 567 Martin H.
siehe unter No. 30 Wilhelm Polz!
122 Johann
Rappenthal
242 Adam Winter.
122 Johann Ruppenthal, 259 Jos. R., 323 Johann R.. 409
Konrad R., 413 Ad. R., 445 Pet. R., 561 Jos. R., 574 Fr. R.,
587 Jak. R.
Gesimdlieitspflege im mittelalterliclieii
Freiburg im Breisgau.
Eine kulturgeschichtliche Studie von Karl Baasy Freiburg i. Br.
(Fortsetzung.)
II. Ärzte, Wundärzte, Apotheker nnd sonstiges ^^HeilpersonaP^.
Bei dem vielfachen Fehlen gebildeter Laienärzte — hatte
doch Basel im 14. Jahrhundert mehrere jüdische Stadtärzte —
konnten unter Umständen solche Erlasse für die Christen
schädlicher wirken als für die Juden selber; vermutlich wurdAi
sie darum in praxi nicht so sehr befolgt und die Erlaubnis
zum Praktizieren, wenn die Not es erheischte, sicherlich nicht
versagt; ja Weinheim verlangte 1355 von dem Arzte „Walhen"
nur 6 Pfd. Schutzgeld, während die übrigen Juden 20 — 42 Pfd.
geben mussten^ Wie es aber den jüdischen Ärzten manchmal
gegangen sein mag, das ersieht man aus einem späteren
Schreiben eines Arztes Moses an den Stadtrat zu Freiburg*;
darin sagt er am 28. April 1524, dass es ihm doch gestattet
worden sei, seine Kunst den Eidespflichtigen und Angehörigen
der Stadt zu teil werden zu lassen. Nun aber müsse er sich
darüber beschweren, dass man ihm die Bezahlung dafür ver-
weigere! —
Wenn wir nun zur Betrachtung der aus Freiburger Ur-
künden oder sonstigen Nachrichten zu bestimmenden Arzte
übergehen, so muss von vornherein bemerkt werden, dass es
nicht immer mit Sicherheit möglich ist, zu entscheiden, ob
* Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins XII, 23.
* Schreiber, Bttrgerleben zu Freiburg im Mittelalter, im Adress-
buch von 1869.
GeHimiIhfItsptl (.';;.-
uittolaUi'ilicIitn t'ie
105
der eine oder andere der zu nennenden nicht aui^h Kleriker
war. Insbesondere lässt der Titel , Meister" oder , Magister"
daran denken, der damals, vor der Gründung der deutschen
Universitäten — die au al an diachen werden wol selten in
Frage gekommen sein — recht wol von Dom- oder Kloater-
schulen, natürlich aber ebenso an Laien wie an Kleriker ver-
liehen wurde und einen Ausweis über den Studiengang dar-
stellte. Dass aber an diesen Schulen auch Medizin gelehrt
und geleiTit wurde, ist früher bereits erwähnt worden.
Soweit bis jetzt zu sehen ist, ist das Jalir 1309 der
früheste Zeitpunkt, an welchem eines Arztes gedacht wird;
denn die Angaben der Gründungsurkunde, der Stedtrodels usw.
beziehen sich wahrscheinlich auf sogenannte Wundärzte, d. h.
Sclierer und Bader, bei welchen darauf zurückzukommen sein
wini. In einer Urkunde des Heiliggeisfspitals ' aus dem
genannten Jahre findet sich nämlicli die Nachricht über
eine Vergabung, d. h. Stiftung, welche „geschah im Hause
Meister Walthers des Arztes", der demnach in Freiburg
ansässig, vielleicht auch Bürger der Stadt war. Da in der
Vergabung melii-fach des Spitals, insbesondere der Kranken
in demselben und im Gutleuthans als der Empfänger gedacht
ist, so könnte man vennuten, dass der genannte Arzt mit
dem Spital wol Si'ztlich zu tun hatte \md nun die Fürsorge
für seine Pfleglinge auch liei dem Stiften der Pfründe be-
tätigte; doch ist dies natürlich ganz unsicher, da viele andere
Sliftmigen gleichfalls der Kranken gedenken.
Eine genauere Beurkundung besitzt das städtische Ai'chiv
ülier den nächstbekannten Arzt, indem es nämlich noch den
Bürgerbrief für den „Meister Wernher von Buoehheim,
den arzat" bewahrt, welcher „an den nehsten Sambstage
vor Saute Gierines tage", d. h. am 10. Janum- 1321, aus-
gestellt wurde. Da Bucliheim ein noch jetzt bestehendes
Dorf in der Nähe von Freiburg ist, so sehen wir hieraus zu-
^ch, dass schon frühe die Landschaft selbst ihre Ärzte
iVorbrachte, die dann aber die Stadt aufsuchten: studierte
Spital Urkunden. Kog. No. 69.
Ärzte auf dem flachen Lande i^ind im Mittelalter nodi sehr
selten. Ob jedoch der Meister Wemher St^idtarzt zu Freiburg
war, wie der Honat zuverlässige Schreiber' angibt, kann bei
dem Fehlen der Quellenangabe niclit sicher behauptet wei-den ;
gleichwol ist es nicht unmöglich, da zu dieser Zeit und bereits
lange vorher eigentliche, angestellte Stadtärzte anderwärts be-
kannt sind.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mehren sich
nun die zugleich genauem Angaben Über Freiburger Ärzte.
Am 27. Oktober 1352° vergabt ,Atzo, der Arzt, Bürger zu
Freiburg", dem Spital eine Pfründe, deren jährliches Erträg-
nis zu einem kleinen Teile für Seelenmessen und Singen aus-
gegeben werden soll; 3ti Schillinge, das sind heute nicht \ie\
weniger Mark, sollen den Dürftigen im Spital für Fleisch und
Fisch, Weißbrot und Wein gehören. Wir erkennen aus dJesei-
Stiftung den praktisch-mildtätigen Slim des Ai-ztes, welcher
diese Verfügung b-af. trotzdem er nuch für seine eigene Fa-
milie zu sorgen hatte; denn »iarüber, dass er Laie und ver-
heiratet war, belehrt uns die Angabe im Totenbuch der Stadt
Basel, woselbst er eine Zeitlang gelebt hat, welche lautet:
, Magister Atzo^, physicus, pater magistri Wilhelmi physici,
civis Basiliensis, obiit in Friburgo."
Wir haben hier einen neuen Zusatz zum Namen, welcher
in Zusammenhalt mit dem Übrigen mit einiger Wahrschein-
lichkeit uns folgendes annehmen lässt.
Allerdings bedeutet „pbysicus' in der altern Zeit viel-
fach nur, dass der so Bezeichnete innerer und studierter Arzt
war im Gegensatz zu dem ungelehrten zünftigen Wundarzt;
bereits um die hiei- in Betracbt kommende Zeit hatte das Wort
aber noch den Sinn, dass es den angestellten Stadtarzt kenn-
zeichnete, wie dies für das 15. Jahrhundert aus Freiburg uns
sicher bekannt ist. Trifft letzteres zu, so können wir weiter-
hin vermuten, dass der oben genannte Magister Atzo auch
nach auswärts sich eines guten Hufs erfreute, da er um das
■ Schreiber, tieschichtc d«r Stadt Froilmrg II, 234.
' UrkundeD des Heiliggeistapitsls [, BAig. 374.
* Miine. Zeitschrift fUr ilie G«scbiclite d^a Oberrliein?
i
<iiDdheitS]jHugu 1
lrl«lttrlii;hfii Frciliury
iU7
Jahr 1352 Stadtarzt in Baael und Böiger daselbst wurde. Bei
seinem Weggang aus Freiburg aber, wo es ihm wol gut ge-
gangen war, errichtete er jene Stiftung, welclie in gleicher
Weise die Liebe zu seiner Vaterstadt wie die Fürsorge für
seine Kranken bewies. lu Basel war er viele Jahre ansässig,
denn nach I3bö findet sich eine Notiz von dort, welche Heyne '
wiedergibt und die tautet: ,Atzo Physiciis de Friburgo, civia
Basiliensis. " Als sein Sohn erwachsen, gleichfalls ein tüch-
tiger Arzt, und der Nachfolger »eines Vaters geworden war,
da zog letzteren die Sehnsucht nach der alten üeiniat wieder
zurück, um sein Leben daselbst zu beschließen! seine seit-
herigen Mitbürger aber behielten ihren Stadtarzt in gutem
und getreuem Andenken, wofür der Eintrag seines Tods,
dessen Zeit uns unbekannt ist, Zeugnis ablegt.
Wie wir nun soeben gesehen haben, dass ein Frelburger
nach Basel gegangen war, so erfalireu wir jetzt, dass auch
das Umgekehrte stattfand ; wenigstens kann es in diesem
Sinne gedeutet werden, wenn wir aus den Jahren 1361 und
1362 die mehrfache Erwähnung von „Peter üilie (Gilge,
Öylge) von Basel, der arzat" finden'; er besass ein Haus
in der Brögelinsgasse. die heute vei'schwunden ist, und war
mit einer Freibui^erin verheiratet. Über seine sonstigen
Lebensumstände wissen wir niclit viel; möglichenfalls war er
der Stadtarzt, auf welchen eine andere Urkunde aus dem
Jalire 1-104 hinweist, da aus der in Betracht konunenden Zeit
«in weiterer Name eines Arztes nicht bekannt ist,
In seinem Urkundenbuch berichtet nämlich Schreiber',
daas ein Hans Veringer ,clagt von seins vater wegen, wie
der vor dem Weyer, als man zu IJnndingen nyder lag, wund
ward, und da wurden all wund von im ärtzten gelöst, aber
da musst sich sein vater selb lösen, und seinem arizt
sechs gülden geben. Darauf habend aber unser rät erkant,
seyd dem maln der alt Veringer sich selber zu einem artzt
verdinget, und nicht bei der stat artzt, da ander wund lUt
' Heyne, Fünf Bücher deutsflier Hauaaltertümer III, löl, Anw. 387.
' Urkunden dea Heiligeeistspitjaa i. Keg. Nu. 46T, 472, 473, 474.
Schreiber, (.'rkumleiilindi II. 1, 8. 1^4.
J
lod
geweist wurden, belaib. und der stat v(
a]s die hesehahe, des wol sechs und dreissig jar ist, nye zu-
gcsprocli«n ward, daz sy im auoh daiuinb niciites zu ant-
wiirten liaben und von im ledig sein'. Die Ausrechnung er-
gibt, dass es sich dabei um das Jahr 1368 handelte, in
welchem ein Stadtarzt da war, möglichenfalls der genannte
Peter Gilie.
Im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts scheinen zeit-
weilig zwei Arzte in Freiburg gewesen zu sein: über den
einen, .Meister Johanns Cristoffel den aiizat. Bürger
zu Freiburg", haben wir mir die Nachricht, dass er am i. Juni
1376 eine Gülte stiftete, „damit den Siechen im Spitale Fleisch
oder Fisch oder was sie sonst bedürfen, verschafft werde".
Mehr wissen wii- von dem andern Arzt, der noch in einer
weitem Hinsicht wichtig ist; denn konnten wir bisher ver-
muten, dass die genannten Ärzte ihre Ausbildung wol in
Kiosterschulen , vielleicht aber auch dm"ch die Unterweisunji
eines altem, erfahrenen Praktikers erhatten hatten, so be-
kommen wir jetzt durch seine Titel einen Anhaltspunkt für
ein akademisches Studium bei „Swederus, magister in
artibua (>t bacalaureus in medicina", .de tiotlichen*, vie
ihn das Häuaerbucb nennt ', Ai'zt und Bürger zu Freiburg, der
erstmalig ihm Jahre 1374 uns entgegentritt. Viüb hatte er
seine Tage beschlossen, denn da ist die Uede von ,ineisbi'
Schwedero dem artzet seligen""; über seinen Tod hinaus akr
sprach man von ihm mit der Achtung, die er sich erworben
hatte, als von „dem wisen und wolgelerten man. meystrr
Swedem", der Zeit seines Leliens allen .erwirdig" erschienen
war: auch er war mit einer Froiburgerin, KIs Schulthessin, ver-
heiratet*: noch 1440 wird eine Tochter der beiden, Steszly.
d. h, Anastasia, erwähnt. Seine Frau hatte ihm das Huus
' Urkuaden des Ueiliggeiatapitals ), Reg. No. 5R6.
' Urkunden des HoUitfgeistopitals I, Reg. No. 546. .V>4. G32. «T''.
" Zeitsthrirt f(lr <li<> (;eBchifhte des Oben
(138T. Urkuadeu der Au Justine reremiten).
* Zeitschrift Tür dii' Gesciii-clite des Oberrlieii
tXLmS.«.XlIm
(;psuniilieLfs|iflej!e
1 Vre
109
znm Olbeig (jetzt Herrenstralie 133) zugebracht'; aulieniem
aller besäe» Magiater Swedenis noch die Häuser .zum goldin
Fäleklin" (jetzt Horrenstralie 5*. ,zur Meerkatze" (jetzt
Schiffstralie Ifi), ,ziir WUersburg' {jetzt auch Herreuatrafle 33)
und MUnsterplfttz No. 40, sowie ,ziini Rehgarten* in der Vor-
stadt Neuburg, welcher, wenn auch wol nicht immer gleich-
zeitige, große Besitz vielleiclit mit das praktische Ergebnis
seiner ärztlichen Oelehrsamkeit und der damals anscheinend er-
tragsreicheren Tüchtigkeit im Berufe war.
Von weitern zwei Ärzten berichten uns die Urkunden
der gi'olien Stiftung Messerer: 14'H wird ,Kuonrad Möntz-
raeister der artzat", und 1402 „meister Nicolaus, der
artzat" erwähnt. Von Ersterem oder seiner Familie sagt das
Häuserbuch, dass er int Besitz des Hauses ,zum Fürsten und zum
Pauter" gewesen. Erscheint einer .medizinischen" Familie an-
gehört zu haben, indem wir wenigstens vermuten dürfen, dass
ein in Villingen im Bürgerbuch zum Jahre 1417 eingetragener
.Jotians der Miinzmeister. der appoteger" von Freiburg jenem
Arzte nicht altzufern stand '. Des Letzteren Namo begegnet uns
schon awB dem Jahr l;385 im Steuer- oder Zinabuch; nach
der Heüienfolge der List« niuss er etwa Eisenbahnstralie 6^10
gewohnt haben. Femer wird im Jalire 1409 in einer Urkunde
der ijieselltichaft zum Gauch' , Heinrich Salmon der artzat'
erwähnt, der im Häuserbuch nicht verzeichnet ist; müglichen
Falles aber ist er identisch mit einem Manne, welcher unter
dem 12. Oktober 1440 im Missivenhuch in einem Bnefo an
den Bischof Heinnch von Konstanz erwähnt wird. Freilich
wäre er darnach wol nur Scherer gewesen. Daselbst ist die
Hede von der „erber frowe GÖtelin meister Heinrichs wilent
unser statt wundartzats seligen witWe, des egemeinten kindes
grossmutter" . was ja mit der Zeit 1409 stimmen könnte.
Nach einer längeren Pause begegnet uns im Jahre 142.T*
< (leschichtliche OrtubescIirMliuiig; der <St«ilt FreJbun: Bd. II, Hflnser-
^i * I^Udta
Pn.f. Roder, übtrlingeii (nach petaanlji-lier M
^i^hreiber, Urkiiailenbuch H, 23^.
l^tadtari-hiv. Abt. XL. Medici und .■Vpot heiter.
IW
der Name des Arztes Meister Paulus Gloterer. Her weit-
hin bekannt nnd geschätzt gewesen sein muss: denn wir vpr-
nehmen. dass Bischof Otto von Konstanz die Stadt bittet,
ilmi denselben zu senden, da .wir sint etwellch' zit her nit
vast gesunt gewesen und sind liilt bi tag nit wol starck und
begint sich unser siechtag swere und inere. daz wir wol wiser
artzet rätt bedürfet", li.'il wii-d er noch als Mitglied der
Gesellschaft zum (iauch genannt ', zusamiTien mit seinem Sohn,
dem Apotheker. Schreiber" gibt aus dem .lahre 1446 an,
dass er Stadtarzt gewesen sei, und bezeichnet ihn zugleich
als „Lehrer der Artzenie"; eretere Annahme kann eine Be-
stätigung darin finden, dass der genannte Bisehof sich an die
.Stadt als die Vorgesetzte des erbetenen Helfers gewandt hat.
und bezüglich des letztgenannten Zusatzes kann eine Angabe
von Mone herangezogen wei-den, welcher 14:i8 den Chorherm
im Stifte zu Stuttgart, Hans Spenlin. als I_>r. med, mit dem
Znsatz: „leerer der bucherzeny' namhaft macht. Der Doktor-
titel verlieh eben ursprünglich, dem Wortlaut entsprechend,
seinem Inhaber die Befugnis zum Lehren.
Ob der von Mone genannte Magister Paulus Gloterer*.
der 1467 eine Stiftung für die Aussätzigen bei St. .Takoh
nächst Freiburg, mit der genauen Bestimmung, dass das Gelii
,lepro3is ad manus proprias" gegeben werden solle, gemaohl
hat, mit dem vorgenaimten identisch ist, ist nicht ganz sich^.
aber wahrscheinlich. Jedenfalls war auch er begütert unil
besass das Haus ,zum Pilger" (jetzt Franziskanerstraße 7)
und ,zum Himmel" (jetzt Kaiserstraße 62)*.
Gleichzeitig mit ihm hat in Freiburg der ,ai-t^at" Baltha-
sar von Hochberg gelebt', der 1433 ein Haus in der WeWr-
gasse besass, welches er 1441 verkaufte"; derselbe findet sich
' Schreiber, ürkundenbiich II, 426.
' Schreiber. Stadtj^eBchJchte II. 224.
■ Zeitschrift ffir die Geschichte des Olierrheins XL m S. 44, XII ri'
S. 83.
* Häuserbuch der Stadt Frei bürg.
' Mone. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins XII. IX
* Urknnden des Heili^geis-tspitsls J, Reg. lOIlt.
t«,.H,
III
nochmals im MissJvenbuch der Stadt Fieiburg. Am 7. Okttil>er
1440 wird „Balthaser gfttlebeii unser statt wiindartzat"
erwähnt, ohne dass wir etwas Weiteres ül)er diesen Mann er-
fahren, der hiernach vielleicht nur Sclierer war. Hol be-
gegnet uns sein Name wiederum im Verzeichnis der Mitglieder
der Gesellschaft zum Gancli. Nur durch seinen Abzugsrevers
aus dem Jahre 1455 wird weiterhin uns Meister Haus
Starck, der Arzt, bekannt'. Und lediglich durch den Be-
sitz der Häuser ,zum übern Brandis" (jetzt Herrenstratie 3)
und ,ziun Arnold" {jetzt Münsteiplatz 25} ist uns „Meister
HemerJin, der arzet" überliefert'; als seine Lebenszeit
können wir etwa die erste Hälfte bzw. das zweite Drittel des
15. Jahrhunderts vermuten.
Fast seheint es, als ob im dritten Viertel des 15. Jahr-
hunderts die Stadt Freiburg eines tüchtigen Arztes entbehrte;
denn bei der Erkrankung ihres Stadtschreibers musste sie sich
nach Basel wenden. Der Brief ist im Misaivenbuch unter dem
Ifi. Oktober 1454 noch erhalten und lautet;
„Meister Diethachner statt artzat zu Basel.
Erwurdiger lieber Herr. Unser frflntwillig dienst syen
ucli alczit vorgesehriben lieber herr Als hat sich unser
statschriber zu bett geleit wann wir nu gern sehent das
im geholfen werde Bittend wir uwer Erwilrdikeit mit ernst-
lichem Sisse das tr mit disem unsern knecht zA uns in
unser stat kommen denselben unsem stat schriber besehen
und in dann das besten beroten und behalten zu sin und
wellent also umb unsern willen nit ussblibeii wann was der
kosten wirt darumb soll uch ein gut benugen beschehen als
billig ist Nochdem und wir uch des zu tftnde wal getruwent des
wellent wir in Sonderheit alzit umb uch zu verdienen haben."
Dem letzten Vierte! des 15. Jahrhunderts gehört dann
noch Dr. Joh. Meminger an, dessen später in einem Äus-
aätzigengutachten nochmals Erwähnung getan werden wird. —
' Stadtarchiv. AUt. IL. Von Edlen und Satibargern.
^^H^ ■ H Aaserbt
M
112 Baas
Ungefähr in die Mitte desselben Jahrhunderts fällt nun
auch die Niederschrift des Eids, den der Stadtarzt schwören
musste und der uns in „Aller Arabtleyten Schwerbuch" vor-
liegt; seinem Inhalt nach ist er aber sicherlich viel älter, so
dass schon der erste jenes Amts vielleicht nach ihm ver-
eidigt worden ist. Da aus ihm die Tätigkeit des Stadtarztes
zu ersehen ist, setzen wir ihn im Wortlaut hierher: „Item
ir werdent schweren, unser gnedigen Herschafft von Öster-
reich vnnd der statt Freyburg treuw vnnd hold ze sin, iren
Nutz zu fürdern vnnd schaden ze wenden. All vnnd yed per-
sonen, so ir zu zyten der ussetzikeit geschuldigt vmid (Ich
geantwurt werden, treuwlich vnnd mit vlys ze schowen, der-
selben schow mit den anderen, so tich geben sind, — es waren
gewöhnlich zwei geschworene Meister des Barbierer- und
iSchererhandwerks — uflfrecht vnnd redlich ze volfüliren vnnd
in allen gestalten, darinn man sölich gebrechen erkennen mag,
vlis anzekeren, damit die warheit darinn gebrucht vnnd er-
fuunden word, darzu in der Ivb Artznye truw vnnd vlissig
zu sin nach ewerem vermögen, die unsern unzimlich nit be-
sohetzon. Acht haben, dass die Appotecker gut verkouffig un-
vonlorben Species bruchend, Unnd wann mine Herrn ze Rat
wenden, die Appotecker ze besechen, das ir darin willig syen,
holffend bosochen ond probieren, nyemand ze lieb noch ze leid,
durch keiner verpuntniss, lieby, fruntschaflft noch anderer ver-
stondniss willen, sounder gemeinlieh, truwlich \Tind warlich
damit umb gon, das an dem ort kein gebrech, klag noch
nuMigol syo, vnnd ueh simst in den dingen der Artznye
vnnd in anudorn halten nach zimliehen uflfrechten vnnd biUi-
rhen s^ichon alles uugeverde. Doch wie es ein Rat gelegen
sin wiU also mag er üoh enndern oder behalten."
l>ie Kidesformol, wie sie hier aus jedenfalls recht alter
Zeit vorliegt, enthielt aln^r nicht alle Pflichten des Stadt-
«rztes: aus den Aufzeichnungen des Stadtschreibers', wie
auch aus dem sogenannten , roten Buch*, welches bis ins
14. .lahrhundort zurückgeht, ersehen wir z. B., dass ihm ob-
' Katsprotokoilo \\\Hk
(irsuudlu'itspflpgo im milti'Ialtei Iklien FreiburH 113
lag. bei Verletzungen ein Gutachten oder Obergiitächten ab-
zugeben. So heiüt es auf S, 136 des letztem, dass man hei
einem Glocken- oder Blutgericht , solle zwen der XXIV mit
(Jen tu-tzten oder scherem, so datzu gehören, über den wunden
oder todten man schicken, den zu besehen". Und als im
Jahre 1496 ein Knecht in der Vorstadt "Wielire erschlagen
worden war. da lesen wir in den Hatsprotokollen , dass zwei
aus der VVielire mit einem Arzt den Toten besehen sollen ',
DaiTiach sollen zwei von den Freibuiger Stadträten, nämlich
die beiden geschworenen Wundärzte der Stadt, Hans Rieh und
Bernhard Huber, mit dem Stadtarzt nachschauen, wobei es
sich herausstellte, dass der Erschlagene so tief verwundet
worden sei, dass es , durch hut vnnd braten" gegangen.
Aus etwas späterer Zeit Iiaben die Rataprotokolle uns
das Zeugnis über eine Aussätztgenuntersuchung bewahrt, wel-
ches hier angeführt werden soll: ,Wir hienach benempten
Bemhardus Schiller, friger künsten metster vnnd in der artz-
nie doctor, stattarzet ze Friburg im Brisgav, Beinhart Hubei'
ond Alwig Rieh, beid scherer, alldry der obgemelten statt
Friburg gesworene verseher dies gebrestea der malatzey, thun
kund mengkhem unnd bekennt liiemit, dass wir uff beveih
eines ersamen rats zu Friburg, desselben brestens halben, wie
sich gepurt, besehen unnd versucht; uuud wiewol sy etwas
niengel in ventn (?) hat, so sy den menschen abschucliig macht,
haben wir doch dieselbe disa gemeit brestes der malatzey oder
iissetzigkeit uff flissig ersehend ganz unschuldig erfunden.
Das segen unnd behalten wir hy dem eid, so wir der obge-
inelt statt gesworen haben; zu urkund geben wir ir disen
lirief under unserm uffgeilruckt insigel , , ,"
Ein ähnliches Zeugnis, das 1397 wo! in Konstanz aua-
[lefertigt wurde, hat Mone im lateinischen Wortlaut veröffent-
licht: wenn wir heute aus unserer Zeit noch schaudernd lesen,
■lass ein Vater mit seinen Kindern auf Lebenszeit iti eines
Unserer glUckJicherweitie selten gewordenen Leprosenhäuser
■ Poinaignon, Wie ni«ii in der Wiiie . . . (iericht halt, Sohau-
indsnd B<l. XV.
Alemutnit K. F. 6, n, □
lU Baas ^^^^^H
verbi'acht werden rnusa, so verstehen wir die Wicbtägkeit
solcher Cresundheitabriefo und die Verantwortung der Ärztv,
die einen Menschen vor dem bürgerlichen Tod und dem vollen
Ausächluss aus der mensclilichen tiesellsehaft bewahi-ten.
Wir verstehen dann auch die Wichtigkeit des folgenden
(jutachtens, welches unter dem II. Oktober ÜH'A ausgestellt
und aus Fi-eiburg laut Eintrage im Missivenbuch an den Bi-
schof von Straßburg gesandt wmde:
,. . . Doctor Johanns meminger in artzny Hanns Uuber
und Hanns Rych geswomen pei-sonen by uns über die ment-
schen in ussetzigkeit vemielt halwn vor guter zit Wilschenn
Habeiers tochter zu Kgensheini unser gnaden undertanig be-
schowt als sich gebiSret, den (sie!) zumal unschuldig fiinden,
ir des brieff und sigel geben über das haben die von £gens-
heini der unsem rechtverdigung verachtet und besonder als
uns anlangt uwer gnaden vogt zu Rufacli solle den brieff nit
willig hören, desshalb die tochter von ireni vatter, mutter und
den iren bisher geteilt gewesen sig demnach die tochtor
widerunib für unser artzat geffirt yetz abermals mit gutea
flyas von doctor und den genanten meisten) besichtigt, be-
schowt und also eikannt ist, daz sy all dry samnithafft uff
hut data vor unserm raut gestanden sind und ei?ilieIlicIioh by
ii-en geswomen eyd und eren gesagt haben die gemelt toclit*r
aey der siechtagen ganz und gar unbeswert schfin gesund und
nit von den nientschen zu scheiden wol bab sy etwas bl5di-
keit gegen den äugen die doch sonder siecheit in keinen we^
betüt. Dwil wir nu den handel so luter funden und uwer
gnaden die genannt unser doctor und raeister ire wandeis rnd
Wesens in warheit und glouben erkennen sy erbiettend sicli
unch für meister zu Strassburg oder ein ander ort ze komen
mit der dochter in meynena ir urtel soll buatetigt werden
also ist an uwer wirdikeit unser demutig flyssig pit die am*'
tochter ir vatter und mutter gnedeclich zu bedunken und nii'
uwer gnedig vogt ouch den von Egenslieim zu verfügen, d«
sy die tochter by wandel und wesen zu vatter und mutW
gönnen und gestatten in vertniwen und ungezwivelt u«'«'''
gnaden sig ouch zu sülichem werk der barmhertzikeit uwl
J
Efiiin<!lii^ttspfli'ge iin mitt^loltt^rliilicii Fi'<.>ibiiri:
115
besiinder so die rechtverdigmig das warlich ziileit geneigt
Begeren wir iimb iiwer gnad allzit undertänig und willig zu
vei'dieneii. *
Und ein anderer Eintrag, weicher beginnt: „Kam der
ätadtarzt mit dem Wundurzt und gab an, daas der Mami im
äpital als fast untiilglich bresthaft . . .", zeigt, dass er auch
im Krankenhans, d. h. im Ärmenspital, tätig sein musste';
dies, sowie seine Verrichtungen im Findolhauw. ferner die Be-
handlung armer Dienstboten und Unbemittelter geschah un-
entgeltlich. ScMeiilieh lesen wir in der Hebamnienordnung
von löH)', dass, obwohl die meisten jener Arzte von Geburts-
hilfe sozusagen nichts verstanden, zum mindesten in praxi
sich gar nicht damit liefasaten, der Stadtarzt im Verein mit
etlichen ehrsamen, weisen Frauen ein Urteil über die Brauch-
barkeit neuer Kandidatinnen der Geburtshilfe abgeben musste.
Dass bei den Berichten, die ferner der Stadtrat von ihm über
allerlei Vorkommniese einforderte, auch der Humor nicht fehlte,
ersehen wir aus einem Gutachten, das verlangt wurde, als im
Kloster St. Klara Teufelsspuk vorgekommen und sogar eine
Nonne davon ergriffen sein sollte. Auf Befehl seiner Übern
nahm „da^ Ärztlein in der Neuenbürg" bei der Kranken und
im Kloster eine Untersuchung vor, worauf der Berieht dahin
lautete: ,wenn der Stadtrat dafür sorge, dass bei St. Klara
nächtlicherweile alle Zugänge geschlossen würden, so wei-de
sich auch kein Teufel mehr in den Klostergängen und Zellen
blicken lassen." *
Was nun der Stadtarzt für seine Tätigkeit erliielt oder
fordeiTi durfte, darüber belehrt uns ein allerdings späteres
Projekt zu einer Taxe für den Stadtphjsikus, das aber mangels
anderer Nachricht hierüber auch für das Mittelalter heran-
gezogen wei'den daif. Da heiüt es, dass verlangt werden darf:
Für einen Gang bei Tage 2.'> Kr., bei Nacht 50 Kr,
Für die übrigen Gänge bei Tage 10 Kr., bei Nacht 20 Kr.
Kateprotokdle I4U1J.
Pol«ej- Verordnungtii No, 56n.
i.iesi-hiKhty d..r Uni
i
11«
Für „den salva venia urio zu besehen* ohne Rezept 6 Kr.,
mit K«zept 10 Ki-,
Bei vergifteten und aasteckenden Krankheiten für den ersten
Gang bei Tag 1 Gulden, bei Nacht 2 Gulden; für die
übrigen Gänge 20 Kr.
Für Pi-aescriptiones und Rezept bei Tag 10 Kr., bei Nacht
40 Kr.
Für ein Conailium medicum bei bürgerlichen: 3(iii]den; für
ein Visum repertum + Gulden '.
Für die obengenannten unentgeltlichen Vemchtungen im
Dienste der Stadt war als jahrliche Besoldung angesetit:
In Geld 100 Taler,
dazu Holz 8 Klafter.
Salz i Sester
nnd außerdem »ein freies Quartier".
Jedenfalls war das Amt dos Stadtarztea angesehen und
auch gesucht; von den Professoren dei' neugegründeten Uni-
versität finden wir alsbald einige in der Stelle, welche auf
diese Weise zugleich von Anfang an eine Verknüpfung der
UochscfauUehrer mit der Stadtverwaltung herbeiführte. Als
frühester Inhaber derselben tritt uns Dr. Konrad Knoll, seil
1488 Professor, entgegen, der 1491 in den Steuerlisten auf-
gezählt ist und von welchem das Nokrologium der Karthause
zu Freiburg meldet*: . . . Ordinarius in medicinis Friburgi
et phisicus opidi eiusdem, obiit -30. Maji I4D4. Sein Nach-
folger war Dr. Joh. Widmann vnn Heintzen, der nach den
Ratsprotokollen von 1494 ,zu der statt artzet uff sin Pit uiF-
genommen, den eid lut des Eidbuehs gesworen hat. doeb
mit der lutrung, dass der Rat in absetzen vnnd enndem mag
nach sinem gefallen". 1501 findet sich sein Name in der
Steuerliste mit der Bezeichnung ,der stat artzaf. Lange
Jahre scheint er dann dies Amt inne gehabt zu haben. nänili''li
bis 1508, wo er vorübergehend in den Dienst des Herzogs l'l-
rieh von Württemberg trat, um diesen auf seiner Romi-eisc m
' Stadtarchiv SI, No. 10, Auhan?.
• Mone, Zeitschrift fdr die Liestliitlit.' dt"* Oherrlieiiis XII.IT, lä^-
Geaiindlieitspflege im mitte Inlterli dien Freilmr^ X17
begleiten; das StadUirchiv bewahrt noch den Brief an die Stadt,
worin letzterer von Wildbad aus am 25. Mai 1508 sich be-
dankt für die Überlassung des „Job, Wydinann, doctor der
Artziiey, so Euch mit dienst vorpflielitet ist' '. Die Stadt
aber antwortete daraufhin wieder: . . . „Die gnedig schiifft-
lich danncksagung , so E. F. G. uunss um desswillen gethan
hat, daz wir E. (i. doctor bansen wydman artzt uff den Rom-
zug gegönnet aolln haben, war onnodt gewest. Dann es ist
unnseiibalben mit ganntz diennstlichen geneigen und guten
willen beschehen unnd wo Eweren F. G. wir inn allweg nach
unnsenn vermögen konndten oder möchten willfar bewisen daz
stund unns zu allen zitten wol inn willen. Damit liab dicselb
E. F. G. unns getiniwlich bevolhen. Dat. uff ascension (1. Juni)
anno Dom, MDVllI."
Nach Wydmann übernahm 15(J8 die Stelle Dr. Bernhard
Schiller*, der früher schon im .lahre liW in den Ratsproto-
kollen als zur Apothekerpi'üfungskommission gehörig erwähnt
wird; 1490 war er hei der Universität immatrikuliert worden
und lehrte dami seit 1503 in der medizinischen Fakultät.
Vielleicht hatte bereits damals die Stadt zwei beamtete Ai-zte,
da wir auch von Dr. Tb. Ulsenius*, Universitätsprofessor,
wissen, dass er bei der Besichtiginig der Leprösen mithalf
und dafür von der Büi'gerschaft eine Zulage von zehn Gulden
zu seinem Gehalt bekam. Schiller wurde später geisteskrank
und starb etwa um l.ö2H zu Ba»<el im Spital, woselbst er
von Paracelsue behandelt worden war*: nach ihm ist ver-
mutlich Wydmann, der 1520, in weichem Jahre er wiederum
in den Steuerlisten erscheint, von neuem als Satzbürger auf-
genommen wurde, nochmals Statltarzt gewprden, da er 1529
neben Dr. David Krämer^ in dem Protokoll über eine Apo-
thtikenbesichtigung aufgeführt wird. Auch 1530 finden sich
, ' StodtarchJT, AU. XXXIV, 6.
I ' Schreiber, Cniversitätsgoacliidito I, 23Hff.
» Sclitciber. UnivetaitAtHgeBchioUte I. 2;itt.
' Nach einem n<ich nicht genauer vurttffedtlicbten Fund voo
■ Sir. Albert, t^ladtai'chit-ar zu FrcJhurg.
k^B * StadUrdiiv XL No. 1.
U8
I
die beiden letztgenannten noiih in den Steuerlisteo ; Kriin«r
vorher schon 1520.
Alle diese letztgenannten Ai-zte waren neben ihrem Lehr-
amt noch praktisch tätig innerhalb und aiiLWhalb der Stallt;
vor seiner Rückkehr nach Fieihtu-g war Wydmann mehrere
Jahre Leibarzt des Mai-kgrafen Cluistof gewesen und auch
von andern wissen wir, dass sie bei schweren Erkrankungen
weltli^.^her und geistlicher Fürsten zugezogen wurden.
Außer den genannten Ärzten, welche uns als Beamte
der Stadt bekannt sind, niüsnen aus der zweiten Hälfte des
lö, und dem Anfange des Hi. Jahrhunderts noch folgende er-
wähnt werden.
In den Aufzeichnungen des ersten Rektors, zugleich ersten
ProfeSHors der Medizin an der neuen Freiburger Hochschuli-.
Matthäus Hummet', wird des Arztes Dr. Thomas, als des
sorgsamen Päegei's in der letzten Krankheit jenes Manns
gedacht: seine hier erwähnte Tätigkeit fallt etwa in das
Jahr 1477, Vielleicht ist er identisch mit einem .Dr. Tho-
mann Dernberger (oder Dornberger) von Memmingen*,
welcher ohne weitereii Zusatz in den Missiven der Stadt nntor
dem 27. Januar 148Ü erwähnt wird. Früher, wol um die
Mitte des Jalirhunderts, muss Magister Heinrich, der
arzet, gelebt haben, den das Häuserbuch nennt: nur eine
Vermutung kaim es sein , dass er vielleicht der 8päl<*r
nach Heidelberg übergesiedelte Magister Henricus Mtinsiugen
ist, von dem die Universität Freiburg ein Pestgutachten '
aus derselben Zeit besitzt. In die Neuzeit aber leitet una
ein Name über, der in der Geschichte der Medizin einen
guten Klang besitzt und uns in Freiburg zum ei-sten Male
begegnet. Im Jahre Ui02 lieü sich Dr, Eucharius BfigsliD*
als SatzbQrger in die Stadtgemeinde aufnehmen, um daselbst
bis 1506 zu bleiben, wo er als Stadtarzt nach Frank-
' Sehreiber, UmversiUtageachbhte I, ZU,.
' H. Mayer, Zur Geschichte der Pest im 15. bis Ifi. Jahrhuiiilrrt.
Bchauinslsnd Bd. XXVTIl. ISIOO.
Vgl. meinen Aufsatz, Dr, E. Rösslin in ,Vüm Rhein*. Wtirm».
Mai IWS.
CtsiindheiUijHc^i' im mittelaltorlichen Krciiiur^
119
fnrt a. M. berufen wurde; von hier siedelte er nach der
alten Keicliestadt Worms über, in der er das Bucb verl'asstc,
welches ihn weithin bekannt und berühmt machte. Es war
ein Lehrbuch der Geburtshilfe mit dem Titel: „Der swangeren
Frauen und üebammen Rosegarten"; wenn auch Freiburg mit
der Abfassung dieses in viele Sprachen übersetzten Werks
unmittelbar nichts zu tun hat, so )iat doch in seinen Mauern
der Verfasser desselben sein ärztliches Können begründet.
Jedenfalls ist Rösslin der historisch bedeutendste unter den
hier zu nennenden Freiburger Medizinern; mit ihm mag in
würdiger Weise die Reihe der uns bekannten mittelalterlichen
Ärzte dieser Stadt abschlieUen.
Überblicken wir nun noclimals die Aufeinanderfolge der
besprochenen, als wirkliche, studierte und appi-obierte Diener
der Heilkunde uns jetzt bekannt gewordenen Männer, su sehen
wir. diiss wir von dem Jahre i;W9 an eine vollkommene
Reihe von Ärzten nachgewiesen haben, die in Freiburg prakti-
zierten: unter diesen macht die Gründung der Hochschule einen
Einschnitt, indem nach dem Jahre 1457 mir doktorierte Laien-
äi-zte gegenüber den früheren Magistern erscheinen. Dies wii-d
im» dadurch verständlich, dass den Universitätsprofessoren als-
bald nicht nur die Tätigkeit des, beziehentlich der Stadtärzte
übertragen werde, sondern sie außerdem noch die Praxis be-
trieben, in welcher dann nur gleich ausgebildete, durch den
Doktortitel, der bei den Universitäten an die Stelle des alten
lind jetzt zurücktretenden , Magisters' trat, als solche gekenn-
zeichnete Ärzte mit ihnen konkm-rieren konnten. Überhaupt
war der Universität resp, der medizinischen Fakultät von
voiTiherein das ganze Medizinalwesen zur Beaufsichtigung
tmtorstellt worden, wie wir dies in der Gründungsurkunde
derselben lesen können, wo es heiüt';
,D8ß menglich wol versorgt, und keinerley unere unser
universitet oder iren facidteten zugezogen werde, gebieten
wir, das die amptlüt unser statt Fryburg keinen Ubartzat,
frow oder man, der von der facultet der artznie nit bewert
^v'Schreil
hreiber, Urkimikmbiic'li II. iW^/iH.
180
oder zugelassen sy, lassen enicheiley artznie zu Fryburg
triben oder üben, als lieb in unser hulde sey. es sy mit
wasaer besehen, leynigung geben, oder in welche weg sich
das fügt. Desgleichen wollen wir, mit den appenteckem,
wildwurtzelern, und mit den die man nempt enipericos. ge-
halten werden. Wir setzen auch und wellen, das kein
wundartzat, scherer oder ander, in was atats der sy, üb-
artzny tiiben, er sy dann bewert von der facultet der
artznie. und zugelassen von den meistern derselben facultet.
noch Aber kein wunden, daran etwas sorg und B<^:hadens
gelegen, oder die in houpt, hals, brüst, buch, gemecht,
oder sust misslich zu heilen ist, über das erat verbinden,
on rat und willen eines bewerten meistere in der artznie,
als verre er den mag haben, gange, die salbe verbinde
oder hoile, in unser statt Fr>'bui'g by verfiemng dryssij:
guldin, uns halb und halb unser statt Fryburg, dartzu
alles lones der im von der wunden solt zu heileii wenleo
Da by sol auch von derselben facultet der artznie be-
stelt werden, das niemans vereumpt. oder dui-eh ir ali-
wcsen verkürzet, noch sust mit Ion unziemlich beschetzt.
sunder diss alles redlich und on ge\'erde uffrecht gehatcn
wird. "
Dadurch, dass eine Hochschule nach Freiburg kam, bfr-
kommen wir übrigens noch erwälmenswerte Einblicke in den
Bildungsgang und in das ärztliche Wissen von einigen unserer
Fachkollegen aus jener Zeit. Konrad KnoU, desBen als
Stadtarztes bereits gedacht wurde, hatte der Bakkalaureat in
der Artistenfakultät zu Erfuit, die Magistei-würde in der-
selben zu Freibm-g im Jahre 1472 sich erworben'; von dieser
Zeit an wai" er in jener in verechiedener Weise tätig, las
über aristotelische Bücher, sowie über Rhetorik und Musik.
Im Frühjahr 1478 übemahm er dann die Stelle des Rekton-
an der städtischen, seit etwa 1260 bereits bestehenden Latein-
schule *, wol um Mittel und Zeit für seine medizinischen Studio"
' Schreiber. üniversil.Htaseschichte I, S. 224.
' Bauer, Vorstllnile der Freibiirger Liiteinachule. Kreibu:? 1^^''
(Jesiindhi'it^pHt'gi- im miUfliilU.>rliclien Ficiliurg
121
»n gewinnen, welche er 14S8 mit dem Doktorate abaclilosa,
worauf er sofort die medizinische Professur erhielt'. —
In einer Verkaufsurkunde aus dem Jahre 15:^6 fand ich
den ,Doctor Jörgen Maler, medicum, alten Schulmeister zu
Fn'burg" erwähnt, welcher bekannter ist uuter seinem latini-
sierten Namen Georgiiis Pictorius*: auch dieser Mann war nach
erlangter Magistenvilrdo in der philosophischen Fakultät von
lö2!> an Rektor derselben Schale und studierte in seiner
freien Zeit jetzt Medizin. Als Frucht seiner gründlichen Aus-
bildung veröffentlichte er späterhin, wo er Arzt der öster-
reichischen Ilegierung zu Ensisheim geworden war, eine lange
Reihe philologisch-philosophischer, naturwissenschaftlich-medi-
zinischer und poetischer Werke. Ähnlich vielseitige Tätigkeit
ist uns ja noch von gar mtinchem Mediziner joner Zeit be-
kannt: so war K. R. Günther von Andernach" Lehrer der alten
Sprachen in Goslar und LBwen, bevor er die Heilkunde stu-
dierte, und trug auch später in Ötraßlmrg zunächst Ulier
griechische Klassiker vor. Allei-dings müssen wir uns dabei
vor Übei'schätznng solcher Leistungen hüten und überhaupt
bedenken, dass, wo viel Licht, auch viel .Schatten ist, welches
Sprichwort auf das Zeitalter tler Renaissance im ganzen wol
angewendet werden kann. ~
Welche Vorschriften man damals für die Arzte aufzu-
stellen für gut fand, das mag hier aus dem Beispiel einer
aolchen , Ordnung" .ersehen werden, welche sich in den Akten
des Stadtarchivs befindet*. Zwar stammt dieselbe aus Straü-
burg, von wo sie der Stadtrat von Freibnrg als Muster für
eine von ihm aufzustellende sich erbeten hatte: wie aber die
vorhandenen Apothekerordmmgen beider Städte fast völlig
einander gleichen, so werden wir auch jene ohne Scheu auf
Freiburger Verhältnisse anwenden können. Die beabsichtigte
Arzteordnung scheint hier gar nicht zu stände gekommen zu
■ SUdtarcbiv XXSIX, 14.
' E. Kurz, (leorgiua Pictorius. Freilrarg unil Leipzig 1895.
' Bernajs, Zur Biographie Joli. Winthers toii Andernach. Zeit-
schrift rar die Oeachicht« des Oberrherns XUI und XVII.
* Slndtarrhiv XI.. No. 2—10.
182 Haas
sein, womit Übereinstimmt, da&s auch der Stadtrat von Strall-
burg keine guten Erfahmngen mit der sein igen vermelden
kann. Obwol die vorliegende Abfassung aus der ersten Hälfte
des Iß, Jabrhunderts stammt, kömien wir sie docb zur Cha-
rakterisierung eigentlich mittelalterlicher VerhältniBsebenuteen;
ihr Wortlaut ist nun folgender:
Ordnung der artzote.
„Maieter unnd rat umid die 21 habeniit erkennt, dos
zukUnfftigklich zu hallten, wie hernach geschrieben steeht,
nämlich, das fürbasshin inn der statt Sti'assburg nyemants,
er syent man oder frawen, gestattet werden soll, sich lib-
oder wundartznye zu gobruchen oder viel zu haben über
viertzehenn tag lanng ungevaidlich , er sy denn der statt
Strassburg burger unnd hab gesworen das bürggereclit unnd
dene nachgemellte Ordnung zu hallten unnd dainn zu ge-
loben, so witte dasa ir yeden berüeithe, in massen wie hie
nach geschrieben stat. Eh sy denn aus sonnderliche ei-
laubnües unnd vergännung maister unnd rath, so dann zu
zytten im werden.
Zum ersten so sollen alle artzotte, hoch oder nyder-
stanndig, die sich das üben unnd gebriichen wöCen, zuvor
abschweren khein appoteckerey zu triben unnd Bonnder-
lichen khein gifftig tryend' oder purgierende artzney oiler
trankh zu iren husern zu bereytt«n oder zu maehen, die
under die krannkhen auszuteyleu oder zu verkoüffen in
kheinen weg. Sonnder sollen sieh allein gebruchen der
Wasser zu besehen unnd den krankhen rat unnd anweysunp
ze geben miinttlich oder geschrifften unnd sy dann lassen
artzney selbs bestellen imnd kouffen, es sey in den appe-
tecken oder sunst wie einem yeden geliebt. Sy sollen flucli
nyeraants ein sonder anwey-iung geben, zu disem oder ye-
nem zu gan yemande.s damit zu fürdeni oder zu hyndem
in kheinen weg aller ding untadlig.
' tryend zu mhd, trüejen ^ wachsen, geiieihen, spAter raundjirtli'i'
diuk, fett, stark werden. Vgl. Stalder. Versuch einfa scliweU, iH«-
tikun I 311. Hier in der iibgel ei toten Bi'dentun;: .krüftig, stt
GeäuuillieiU])ll<?ge im miltrtHllerlii'hrn Freiburg 1-23
Sy sollend auch hy denselben iren aydeii mit kiieinem
appoteekher üder wiirtzler weder teyl noch gemein haben.
Sy auch iiit verlegen oder inen vons zytt gevafdliclis lyhen
oder filrsehen in kheinen weg oder von ir kheineni oder
yeniannts von inentwegeii weder gab, myet oder «chennckhen
ziinenien, durch sich, ir weyb. kind oder gesynnd, dadurch
es iren nutK kiimen mficht ungevardlich. doch ob ein appo-
teekher kreuttlin oder wurtzen einem artzt zu zytten im
iar ettweg essender oder trinckender spyss schanekte, daa
sich zum gantze iar nit über ein gülden treff ungevard-
lich, das soll ynen guettlich zugelassen unnd vergunodt
werden.
Sy sollen auch bey denselben yren eyden geüyssen unnd
geneygt seyn, einem yeden kranncken mentschen, er sey
reich oder arm. getrewlich zu ratten unnd anweyssung zu
geben, womit irem yedem hieiff oder rat bestehen mög und
ye nach gestalt unnd gelegenhaytt syner personnen unnd
krannckhayt., unnd daryin nyemantz heschetzen oder ilber-
nemen, sondeni mit zymlicher unnd geburlicher belonung
genuegen zu lassen ungevardlich.
Sy sollent auch kainen siechen kranncken mentschen
verdingen oder ym znmutten, umb ein bestimbt gellt hieltf
oder rat zu tun, uff das sy nieinants durch sy gevardlich
überschetzt werden mög, sonnder sich yr kunst frye ge-
bruehen inmassen wie vorsteet. unnd ir arbeit belondt
nemcn nach zymlicher gebiirdo, als dann zum tayl hernach
gemeldet würdt.
Nämlich wellicher gelert oder doctor in artzney ist, der
mag von l)üi'gern oder hynnder^assen zu Strassburg von
yedem wa-sser besehen unnd für seinen rat unnd recept zu
schreyben nemen sechs pfennig als vom alter her gewonn-
hayt iet: yemandts weit dann ynen von fi-j'eu willen gern
mer geben ungevardlich.
Wann auch ir ainer berueft't oder gebetten wurdt zu
ainom kranncken mentschen zu kumen, das ain rieh ersaut
persoi) ist, gibt die im anfangs ein gnlden, so soll er vei--
. eein acht tag lanng zu demselben mentschen zu
kariH^en eein &c
gon, so dick es not ist ungevardlicli. ym zu ratten uniiJ
sin Wasser zu beselien zu dem besten er kan unnd sich
verstatt, unnd wenn die acht tag unib sind, git nmn dann
khain gülden iner, so mag or heyni blieben, biss das man
wider nach im schickt.
\Verent ea aber gemein oder arm personnen, die nit also
zu lassen hetten, so sollen unnd mügent sy für ein yedeu
gangk so sy gebetten oder berufft werden nemen ein Schil-
ling pfennig unnd nit mer, aber mynder niögent sy wol
nemen ye nach dem sy der personneu armut. oder göttlicli
üb uimd ir andacht dartzu geneygt lumd bereyt ist.
Welliche personnen aber nit also geordnet uimd geleert
werent, imnd d(»cli IIb artzney pflegen unnd üben wolltenil,
die sollent ynn den obgemellten stücken nit mer denn halben
sold nemen alles ungevardlich.
Es sollen auch alle artzotte by iren gesworenen ayden
vierdachten personnen geben odei' lassen wei-den keiner-
ley gifft oder annder tryend artzuey, dadurch yemauiit^s
schaden zugefuegt oder die geburdt vertriben weiden iniig
by straffen lybs unnd lebens.
Unnd uff das die meng in Strasaburg mit den besseren
unnd bewerten artzten türsehen werden möge, so soll nioii
zwen artzotte, die ynn elichem stat syent. so fern man
die haben m!(ge, argwon zu vemiyden, auch umb das sy
desto geueygtter syent flyss an zu keren, bestellen umb m
• zymiicheu sold ye nach dem unnd ainer ynn der kunst be-
niembt unnd bewerdt ist. Dieselben zween sollend auch alle-
wegen jtii iar zweymal mit anndem zugcordnetten per-
sonnen heiffen all apotecker, kreuttler unnd wurtzler be-
sehen unnd rechtfertigen, das sy gut, gerecht unnd friscli
ding fayl liaben, oder sy daiumb zu straffen nach gebür, uml*
das nyemants durch sy beechyssen oder betrogen werden
möge.
Dieselben zween sollend auch by iren aiden scliutdig
unnd verbunden sin, inn der statt Strassbm'g zu bliben unini
on sonnderlich erlaubnüss maistei'S und raths oder ein^
ammeisters nit ausser der stat zu faren oder umb lu-
Gesundheitspflefic i
iclien Frei bürg
12
fallenden kranckaitten zu weychen, yn kheinem weg, doch
soii man njiiier von ynen beyden sambt auff einmal hinweg
erlauben. ufT das die meng nit ratloes blieb."
Eine Illustration zu diesem Absatz der (Ordnung liefert
uns ein später nochmals zu erwähnender Brief von Freiburg
an Straßburg. in welchem es um Überlassung des Stadtarztes
behufs Vornahme der Äpothokenl>esichtigung ersucht; ^bo aber
der bemelt doctnr (Johann Fuchs) , . , sounder bewiiiigung,
als wir bericht werden, sich nitt bedarff von eures statt usseren,
so bitten wir euch zumal freuntlich uns denselben doctor
Fuplisen zu vergönnen ..."
Noch mag aus einer späteren Straliburger Verfügung über
das Amt der ätadtärzte folgendes hinzugefiigt werden, das»
es nämlich ,das Honorar betreffend ungleich gehalten worden
sei, weil die Krankheiten sowie die Vermögenslage der Pa-
ttenten zu ungleich seien, es mit den Besuchen bei Tag oder
Nacht, besonders bei vornehmen Leuten, verschieden gehe;
danim sei meistensteils die Kemunemtion pro labore frei-
gestellt worden'. Derlei Bestimmungen haben heute insofern
ein aktuelles Interesse, als aus diesem praktischen Kflckbtick
hervorgeht, wie schon damals die Durchführung einer ,Ärzte-
ordnimg" mit Schwierigkeiten verknüpft war: es ist bereits
angeführt worden, dass es in Freiburg, vielleicht mit ver-
anlasst dui-ch die Erfahrungen anderer Städte, zu solchen Ge-
setzen gar nicht gekommen zu sein scheint, da sich keine
Spur davon mehr findet. —
Die seither angeführte Straliburger Ordnung, sowie auch
lier oben wiedergegebene Abschnitt der Verfassungsiirkunda
der F'reibnrger Hochschule enthalten eine auffällige Gleich-
stellnng der Frauen imil Männer in Hinsicht auf den ärzt-
lichen Beruf; dass eine solche aber nur der allgemeineren Auf-
fsssung der Zeit entsprach, geht auch aus einer Bestimmung
des Kollegiums der Ärzte Roms, die dem Ende des 15. Jahr-
Iiunclerts entstammt, hervor. Sie lautet: .Nemo masculus aut
foemina, seu christiaima vel judaeus, nisi magister vel licen-
tiatus in medicina foret, änderet humano corpori mederi in
physica vel on chyrurgia.'
A
126
Obwol wir nun wisseii, dans dementaprechend w im
Mittelalter ziemlich viele Ärztinnen ', darunter nicht wenig
Jüdinnen gab, so Imben wir aus Freibiirg duch nur eine ein-
zige Nachiicht gefunden, die sich auf diu Ausübung der Heil-
kunde durch eine Frau bezieht, Wenn wir durch dieselbe
auch eine recht schlechte Meinung von dem Kiinnen der he-
treflenden .C'ollegin" liekommen, bd soll die tragikomische Er-
zälilung davon doch hierher gesetzt werden, da sie kultur-
geschichtlich ininierhin interessant iat.
Unter dem 6. November H97 findet «ich nämlicb in den
RatsprotokoUen folgendes: ,Es ist ein artzattin hie zu Fr>-
burg bym Johann, die sich understannden hat zu artzen: über
als ein artzt grossen trug unnd übeniemen gemellt. Jas sy
von ein ai-nien knecht gelt genommen, im sin khind zu artzen
understand, unnd im das khind dermassen artzet. das es sin
tod wai*. also das der gut knecht von am khind unnd sin
gett kam, ist orkant, das sy dem armen sin gelt widergeb,
unnd man Johann straf, unnd sy frujitlich hhiweg wise."
Überhaupt fehlten im Mittelalter wie überall, so auch in
Freiburg zahlreiche zweifelhafte .Heilkundige** nichts als dd
wai-en Zigeuner, »Wyber, ao die artzney brouchent", Segen-
aprecher, Jacobsbrüder, Chiromanten, Wiidwurzler oder soge-
nannte Empirici, «Winkel- und Stimpelartzten", Bruch-, Stein-
schneider und Augenärzte", welche mit silherbeschlagenen
inätrumenten und ilireu „Kunstbüchem" prunkten, dabei etwa
Aqua vitae brannten und allerlei Arzneien zusammenbrauten.
Ijii Archiv der Stadt findet sich ein von der Univereität vor-
gelegtes .Bedenken" *, wie ,sich ein ersamer Habt woll wüsse
zuehalten inii abscliafi'ung der landtfarrer, zahnbrecliern, Juden,
kälberarztat unnd dergleichen leuthbetrueger, durch wülche
die krannckhen betrueglich ohn frucht inn schwärenn Unkosten
' Vgl. Lipinska, Histoire dea femmes mädetinB. Paris IdOO.
* Schreiber, Zur Sittengcscliiciite der Stadt Freiburg im Adressbuch
für 187Ü; ferner Schere ritrilnung S. 31.
' Schreiber, Unirersltfitsgeschii^hte I, S'J2.
' Hon« in Zeitsehrift fOi' die Oeachicbte des Oberrheina Xlt, Ir^S
und StorftarcliiT XL No, 7.
Gesimdlicilspflegi' i
II i I trlal t crl i i-li II Freib ii rg
127
gebracht werden." Auch Küiz gibt in öeineni Buche über
Pictoriuü eine nette Auslose dieser am Überrheiii sicli liermn-
treilienden Zunft, die da besteht aus: ^verdorbenen Apothekem,
verlornen Pfaffen, dollen Juden, Eürsiniuskrämern, Schneidern,
Thorwarteii, Schuhplätzern, Wurtzenträgem, zenbrechem, alte«
einueggen, zaniosen vetteln, alten hewbärgischen beschornen
weibern, baderknechten, wasenineistern und anderen Idioten',
wozu wir noch die Henker und Schinder fügen könnten, welchen
z. H. nac^h Becker in Hildesheiin auUer der Stadtreinigung
d'dü Bebandehi und Begiaben der Kind better innen oblag!' Die
Uraache von alledem lag natürlich mit darin, dass die eigent-
liehen j^rzto nur' iiineie Krankheiten l>ehandelten, die groUe
Menge der äuüeren Schäden etc. aber dem niederen .Heil-
personal" überlassen blieb. —
Unter dorn letzteren spielen nun von Anfang au die
Scherer und Bader, als die Wundärzte und spateren Chirurgen,
eine wichtige Rolle; schon in dem sogenannten Stadtrodel,
der nach Untersuchungen von Maurer' und Hegel' etwa um
die Wende des 12. Jahrhunderts entstanden ist, findet sich
eine Andeutung ihrer Tätigkeit, welelio dann bestimnitei' in
dem ersten deutschen Entwurf der Stadti-echte vom Jalire
1273 hervortritt*, um welche Zeit ja noch keine Ärzte vor-
handen waren. Da heiüt es, dass .zweene der vierund-
zweinztgon achowint des kJägira wunden, ob sy durch hat gat.
und dnr braÜn, alsso daz si mag heizen im bluelendiger slag";
dass diese beiden aber in der altem Zeit sicherlich Sclierer
waren, das haben wir bereita aus dem früher angezogenen Be-
richt über einen Totschlag in der Vorstadt Wiehre ersehen,
Schei-er (und Bader, was nicht dasselbe war) gehörten auch
in Freiburg mit den Weibern, .die Arzney treiben', und
andern in die Ualerzunft, welche eigentümliche Zusanuuen-
' Becker, Geschichte der Medizin iu Hililwlii/ira. Zeitschrift fOi
Klio. Medic, fid. 38.
* Maarer. Eritiache Untersuchung der ält«8ten VerrassungBurkuDd«
von Freibiirg. Zeitschrift fUr die GescKichte des Oberrlieius. N. F. 1.
■ Hegel, Das älteste Stadtreeht von Freiburg. Kbd. N. F. 11,
* Schreiher. Urkundenbuch I, 1.
J
128
etel]iing sich dadurch erkläit, dass der gemeinsame Pstran,
der heilige Lukas, nach dei- biblischen Überlieferung nicht
nur ärztliche Tätigkeit ausübte, sondern auch als der Ver-
t'ertiger des ersten Marienlülds galt. Nach der bereits er-
wähnten, alleiiliiigs spätem Kleiderordnung rechnete man sie
mit den Apothekern in die dritte Klasse der ^vomelinien'
Handwerker, was für die Bader bis ins spätere Mittelalter
jedenfalls nicht galt; wie es fiir jene Überhaupt im Mittelalter
die Regel war, so bildeten auch die alten Chirurgen eine
sogenannte Bruderschaft, deren Schützer die medizinischeu
Heiligen Cosmas und Damianus, sowie (wol für die Hebaminen
und andere) St. Anna waren.
Seherer und Bader gehörten nicht überall zur Maler-
zuiift; entsprechend der Zunftzuteilung nach dem Objekt, mit
dem das einzelne Handwerck sich bescliäftigte, waren z. B. in
Villingen die Scherer bei der Metzgerzunft, da sie ja auch an
dem Fleische sich betätigten. In Worms aber gehörten sie
mit den Musikanten, Schumsteinfegem, Bildhaueni. Buch-
bindern u. a. zur Schilderzunft; das tertium comparationis ist
in dieser Einteilung nicht ohne weiteres ersichtlich.
Die Niederschrift der Schererordnung ' aus dem Jahrs 1509.
sowie die ,H«formation der Malerzunft und derer, die dazu
gehören", belehren uns nun des genaueren über die Ausbildung,
das Leben und Treiben der Zwiftgenossen. wozu die in den
Rats Verhandlungen oder sonst überlieferten Vorkommnisse so-
zusagen die Illustrationen liefern!
, Welcher der scherer hanndtwerck mit der wundartzney
treiben will, soll das erkouft'en, wie das der zunfft recht ist;
er soll von erbera leuteii, erlich sin uiind erbem wesens'. darf
auch mit keiiier ansteckenden Krankheit, als welche damals
hauptsächlich die .malazy*', d. )i. der Aussatz, gefürchtet
wurde, behaftet sein. Nach seiner Lehrzeit wurde der Knube
von den Meistern geprüft, ob er recht scheren, schrüpfen.
Zahnziehen, |ver)binden und |ader)lassen kilnne: dann konnte
er mit fünf andern in die Liste eingereiht weiden, aus welche»-
' Zimff- und Haniäwerksürduung. -Stadtarchiv XXXV No. hO.
riilbi'Ltfi]itlo^e im mittflaltcrliclirii Freilmrg
129
rter Rat st-iiiti vier geKi'hwort'iien Wundärzte auswählte, die
iK'i Verletzungen besichtigen oder bei andern gerichtlichen
Fällen. z.B. auch der Hinrichtung, aU Sachverständige zeugen
und dienen iniisuten. Bei einfacheren Schäden, „wenn der
krannck au dem meister gut beniigen irnntt ein vertruwen zu
im hatf, kann ein Scherer „getruwlieh unnd flisslich" die
Behandlung allein Übernehmen; will der Patient aber noch
einen zweiten Meister, oder scheint es, dasa .Böllich schaden
den menschen zum tod oder lerne oder sunst gross naehteil
an sinem Üb bringen unnd reichen niöcht", so soll ,kein
meister sich unnderwynden allein zu binden, sonnder einen zu
im nemen, der so vil oder mer weiss als er, sovem er den
liabemit mag, damit «yemandt versumpt (versäumt) werd".
Ein solcher Fall lag nach den Ratsprotokollen z. B, im Jaliro
1-100 vor, als ein ,vast wunder mann' zum Tor hereingeführt
und zunächst zu Meister Michel gebracht wurde; dieser aber
begehrte, ,diwyl im der schaden ze gross sye", dass man
noch einen andern Seherer hole und den Mann ins Spital
bringe, besonders, da auch die „Gäste" den „kranncken mann
schuchen' (scheuchen).
Wie nun bei einei' solchen Beratung die Meistor sicli ver-
halten sollten, das ersehen wir aus weiteren Bestimmungen,
wo es heiiSt: ,Wenn zwenn oder mer über ein gebennd
( Vei'band) lierüfft werden, so sollen sy einander truwlieh ratten.
doch iiit vor dem kranncken, damit, ob sy misshellig würden,
der kraimck dorab nit beswerd empfah, oucli keiner den ann-
dem gegen den kranncken oder aimdeni letzen oder schelten."
Bei Vei'letzungen sollen die Meister auch „ernstlich er-
fahrung haben, wer sollichs gethan hab unnd solches einem
burgermeister ylennts, so bald sy mögen zu wissen thun".
Kommt aber ein Kranker durch Schuld eines Meisters zu
Schaden, so muss diei^er ihm Ersatz leisten: wenn aber ein
Meister die Ordnung nicht hält, oder aber ,ein ding so gefarlich
hniche, die meister sollen macht Imben, in witter zu straffe denn
die artickel innhaJten". fler Zunftmeister entscheidet auch^
.wenn zween oder mer spennig (uneinig) werden umb einen
arzattlon; doch das der krannck darunder nit versumpt werd*.
130
Im allgemeinen aber wird dai-auf gesehen, dass der Patient den
Wundarzt ,uiiib füigehen, arbeit unnd coaten erberliehiisricht'.
An hohen Feiertiigen sciU kein Meister des Handwerks
scheren, ,ea wer denn, daz nifln ein Kind in ein closter thätt
oder ob yeniant wund werd; aber uff sonntag unnd sunst uff
annder fyrtag mag einei' wol ein beekin usshenncken unnd iiit
mer". Keiner aber soll ,dem anndem ein künden abbitten".
„Sy eollent oucli all genieinlich von einem stuck lauss
(Aderlasä) brieff haben, damit sy all mit einanndem con-
cordieren unnd nit einer hut usshenngt, der annder mora:
sy sollen des raut (Rath^ haben by den doctoren, die sich
des verstonnd. damit sy recht laussbrieff kouffen."
Ohne weitere Erläuteningen ersehen wir aus dem Vor-
stehenden die Tätigkeit der Scherer; wii- erkennen aber zugleicli
die wnndärztJiche Ethik, wie sie da» Mittelalter im Verkehr
mit den Kranken wie mit den , Kollegen* verlangte. Und
wir brauchen niclit anzustehen, in Übereinstimmung mit jener
Kleid eroi-dnung, dieses Handwerk zu den .vornehmen' zu
zählen trotz manchei' Bestimmungen, die uns heute minde-stens
sonderbar, wenn nicht gar wenig ehrenvoll erscheinen. Hat
doch schon Hammurabi festgesetzt, dass der Ghii'urg, der
z. B. durch eine fehlerhafte Staaroperation den Kranken un
Augenlicht schädige, in Strafe verfalle; was aber unlauteres
Konkurrenzgebaren anlangt , ao besagten noch die Statuten
der Universität Straßburg vom Jahre 1621, dass kein Professor
dem andern seine auditores ablocken solle'. —
Eine Klasse tiefer rangierten nicht nur in der genannten
Kleidei-oi-dnung der Stadt Freiburg, sondeni mehr noch im
Leben die zu den „gemeinen Handwerkern' gehörigen Bader,
die bekanntlich lange iin Mittelalter als unehrlich galten; auch
hier hat ihr Gebaren zu allerlei Polizeibestimmungen Anlass
gegeben, dis uns gerade kein günstiges Urteil erwecken.
Gebadet wurde in Badstuben, die vielleicht mit einer
hölzernen Wanne versehen, meist aber nur zum Schwitzen
eingerichtet waren: solcher Häuser galt es in Kreibm-j;
' Vgl. Wieget liesohichte tier Mediiiii in Strallburg.
(ipsiiiidlieitspfluge im iiiiUelnlterlitlien Freiburg 131
mehi-ere, die teils dem Spital, teils Privatleuten gehöi'teii,
welchen sie als Leheu. zum Teil erblich verpachtet waren.
Ein Bad zu errichten, war niclit ohne weitei-es erlaubt; so
lasen wir z.B. vom Jahre 1308 in der Urkunde der Auj;uHtiner.
da»s Graf Konrad 11. luid sein Sühn ihrem Knecht gestatten, an
Oberlinden im jetzigen Hause No, 42 eine Badstube zu bauen'.
Wie bereits früher erwähnt, lagen sie aber meist an dem aus
der Dreisam abgeleiteten Gewerbebach außerhalb der alten
Stadt; vor dem Ledergerbortor war die dem Spital gehörige
„rothe Männer-" und »rothe Fraiien-Badstubo" , in deren Nähe
das ,Öchwal)8bad" lag, sofern dies nicht bloß eine andere Be-
zeichnung für jene war. In der Fischerau neben der Spitals-
miible, die in anderer Gestalt ja noch heute vorhanden ist,
folgte das , Spitalbad', jetzt Kaiserstralie 1.35, Zu unterst
befand sich »der Zyligen Badstube" neben der Paradiesmühle,
welche etwa an der Stelle der heutigen Universitätsbibliothek
stand. Ganz getrennt vtin diesen war in der niederen Wühi-e
des „Ritters badstube an dem ninae", die 1321 erwähnt wii-d%
dazu noch vor dem Predigertor bei den Renerinnen die soge-
nannte ,KderIins Badstube", die gleichfalls dem Spital gehörte,
welches sie gleich, den andern, jeweils verpachtet hatte. Auch
das Kloster Thennenbach soll nach Bader ein Badhaus in der
Stadt besessen haben. Die Pächter mussten die Wannen und
tönernen ()fen, überhaupt das ganze Haus mit seinen „kammern,
Stuben, kesseln, tüchelin in ehrbai'em Stand halten""; dass der
letztere Ausdruck vielfach aber nicht in unserem Sinne gelten
konnte, das ersehen wir aus der Badeordnung. Dass Männer
und Frauen in derselben Stube badeten, wie wir hören, ent-
spricht dem mittelalterlichen Gebrauch; bedenklich aber stimmt
uns schon außer den Straffestsetzungen gegen gemeines Fluchen
und Schwören das Gebot: ,ob einer barscliennckel darzu ging
unnd nit ein langen rogk antrüg, der im die blösy bedackt,
der soll 6 pfennig ze büss gebennt." Welchen Ausartungen
aber das Badeleben vei'ßel, das offenliart uns folgende Be-
H ' £eiteciin
^^H * Spitnlsur
Zeitechrift für die fieachichte des Oherrheinti XIA m M.
Zeitochrift fdr die Geschichte des Oberrlieina XIX, 48fi.
Spitnlsui'lcunden. Re^. 1108.
132 B"flB
Stimmung: ,die meister, ir frowen noch gesind sSUennt keineriev
kupplery, btiben noch huröiiwerek in iren husern, irem gesim)
nocli frembden vertragen ; wpr das zuliess oder liätt, iler bessert
dem hanndtwerck 5 Schilling."
Auch in anderer Be?.ieliung gaben die Bader 7.» Klagen
Anlasä: sie hielten den Radetag, als welcher der Hanistag fest-
gesetzt wai'. nicht ein; wähi-end ihnen zn schei-en und schröpfen
erlaubt war. trieben sie auch mit „etlichen wybern, so die
artzney hmchent'' das ,zen nssbreehen, lassen unnd binden*,
welch letzteres man ihnen fiSr Notfalle, besonders weim sie
nachts vorkamen, gestattet hatte, jedoch mit einer besondem
Auflage. Denn laut dem Missivenbiich von 1478. S. 7y/'Sll,
hatte der Rat auf vorgebrachte Klagen der Seherer be-
schlossen, dass die Bader, welche in ihren oberen Stockwerken
auch Schererhandwerk übten, zuvor zn den zwei Pfund noch ein
drittes an die Malerzunft bezahlen müssten. Sie .undeniemen,
was raanspersonen an heimlichen orten von schaden zustannd".
worauf der Stadtrat beschloss: .was aber den frowen an brüsten
oder an heimlichen orten von plattem oder frantzosen zustart.
mögen die wyber wol heilen nnnd die, so sölichs undeiTienien:
doch sollen sy nimen in gassen gewerft' sitzen." Dies alles
bezeugt auch für Freiburg, welche offenkundige Ansbreitimg
am Ausgang des Mittelalters die Sypliilis gewonnen hatte:
und dazu hatten die Badstuben mit ihrem unreinliehen Ver-
kehr ihr gutes Teil beigetragen, was ja nachher, da der ur-
sprüngliche Nutzen sich in das Gegenteil verkehrt hatte
auch KU dem Eingehen der meisten führen half.
Aus der Baderordnung mögen nun noch einige Sätze an-
geführt werden, welche uns zeigen, wie bereits damals bei den
Zünften eine Art von Kranken- oder Hülfskaese bestand, indem
bresfhafte oder sonst arbeit simfähige Leute, z, B. auch Kind-
betterinnen, aus der .büchssen" ein .almosen' bekommen.
„Unnd umb dz sy solch vorbestimpt allmosen und guttat desto
hass volbringen mögen, so Iiabennt sy uff sicli unnd ir nach-
komen ein woehenlich gellt gelegt, also dass ein meister dis
hanndtwercks all woehe ein pfening gehen soll, desgUlch din
kneelit, der ein teil empfshet, ouch im pfening bezalen.'
tJesiinillifilBpflege im mittelalterlichen Freibiirg 133
ÄhiiUcli war es bei der Bniderscliaft der Rot- und Weili-
gerbergesellen ' ; 14^1 I>ez8lilteii die Kupfer- und Hufschmiede-
gesellen einen jährlichen Gesanitbeiti'ag von S'/s Taglohn. Von
diesem Gelde wurden für die Zeit eiiiei' Kraukheit Darlelien
gegeben, für die ein Unterpfand gestellt und welche später
wieder zurückgezahlt werden musBten; feiner war durcli Ver-
trag mit dem Ärmen.spital ausb«duugen, dasa ein Kranker
flaj*etbst aufgenommen, ordentlicli gespeist und verpflegt werde,
1ÖÖ5 bezahlten die Sehueidergesellen dem Spital 40 tl„ damit
jeder Pestkranke unter ihnen ein Bett im Spital bekäme;
1Ö72 \vurden 20 fl. dazu bezahlt, damit dies bei jeder Krank-
heit sein könnte.
Nichts Neues untei' der Sonne! Aber doch wai" es erat
dem iy. Jahrhundert und besonders dem Deutschen Keich vor-
behalten, die Fürsorge für Gebrechliche und Kranke als eine
Pflicht auch der Gemeinden und des Staats aufzufassen und
dementsprecliend zu handeln, im Gegensatz zu dem Miiteklter,
welches nur auf privatum Wege und vielfacli unter kirchlicher
Vermittlung durch uiilde Stiftunger und Verbände verschiedener
Art die Nächstenliebe reicher betätigte, als man im allge-
meinen sich vorstellt. —
VVemi seither Öftei's von ,wybern, so artzuey triben'.
die Rede war, so ist dabei hauptsächlich auch an die Hebammen
zu denken, welchen in damaliger Zeit die Gebm'tshülfe und
yraiienheilkunde, soweit von solcher die Hede sein kann, allein
oblag. .Weise Frauen" gab es natürlich in Freibnrg von
Anfang an, obgleich wir von detiaelben zum ersten Male etwas
erfahren durch die Hebatnmenordnung vom Jahre lälO*.
llanach waren drei solche in der Stadt, die durch zwei
Ärzte und , etliche, ei-sam, wise frowen'" nuissten füi- tauglich
befunden worden sein, nachdem sie als Schülerinnen älterer,
erfahrener Hebammen gelernt hatten. Dann wurden sie eid-
lich verpflichtet, Tag und Nacht willig und gehorsam zu sein
Armen und Reichen, und nicht ohne des Bürgermeisters Wissen
■ G, ^^clI^^^, Zur (ii'scbidite iliT clfutsehen Gesellenvi-rliBnile 8. 71 ff,
» Slaatnrchiv XXXV No. :>fin.
134
aua der Stadt zu gehen. Keine Frau sollten sie zu froh ,zn
kindtäarbeit übertriben", nach der Geburt aber noch eine
Woche lang nach der Wöclinerin schauen und dieselbe getreu-
lich unterweisen und pflegen, wobei sie wol von der in der
Kränierordnnng ' aufgeführten »Kindtbetterin-wurtz'* (Ingwer,
Zimt, Muskat, Nägelin, Galgenwurzel, Persikum, Safran,
Pfeffer) guten Gebrauch gemacht haben mögen.
Wie es aber mit ihrer Kunst bestellt gewesen sein mag,
das ersehen wir aus den folgenden Verboten und Geboten: sie
aollen sich nicht unterstehen, ein Kind zu .brechen", sofern es
lebt, ohne den Rat und das Geheiß verständiger Ärzte, welche
selbst beileibe nicht zufassen durften; sie sollten keine grau-
samen oder ungeschickten Instrumente anwenden, um das zu
„brechen oder auszuziehen', als da wären eiserne Haken u. dgl.
■Sie sollen femer sich nicht wehren, wenn es nötig sein solltf,
mit einer andern Hebamme Rücksprache zu nehmen oder bei
den gelehrten Ärzten sich tiats zu erholen.
Und wie wir früher gesehen haben, dass die Ärzte und
Wundärzte verschiedene Verpflichtungen hatten, die zur Auf-
rechterhaltung der öffentlichen Ordnung etc. dienen sollten,
sn mussten auch die Hebammen dem Pfarrer Anzeige machen
wegen der Taufe oder im Zweifelsfalle nachforschen, wer der
Vater sei und ähnliches mehr. Damit sie aber in allem desto
geflissener und williger seien, erhielten sie alle Fronfasten.
d. h, jedes Vierteljahr, 10 Schilling Pfennig, nach heutigem
Gelde etwa 10 Mark, von der Stadt; natürlich kam dazu
noch die jeweilige Gebühr für die Geburt, die in der späteren
neuen Hebammenordnung von 1557* auf '/* Gulden festgesetzt
wurde mit dem Bemeiken, dass berühmte und geschickte
Hebammen auch mehr sollten fordern können und bekommen.
Außerdem scheinen sie Steuerfreiheit genossen zu haben, die
sogar ihi'en Männern zu gut kam; denn in einer städtischen
Zinsaufstellung wird 1501 Hans Hetzel als zinsfrei aufgeführt,
weil seine Frau Hebamme sei.
' StadtarchiT XXXV No. 50, Zimft-
t ÖtadUrchiv XXXV No. 130.
I Houdwerkaordnungpa.
GesundheitspHege im mittelalterlichen Freibur(;, 135
Wie sich Fi-eiburg vor Aufstellung seiner Ärzto- und
Apothekerordnung bei befreundeten Städten Auskunft geholt
hatte, so wurde auch wegen der erwähnten neuen Beatimmungen
für die Hebammen nach Zürich und StraUburg' gesclirieben ;
trotzdem letztere Bchon in die neuere Zeit fallen, mag doch
noch einiges aus ihnen hier angeschloäsen werden.
Die immer noch übliche, alhiäclitliche Abnperrung der
Altstadt gegen ihre Vorstädte brachte Unzuträglichkeiten bei
Gebui-ton mit sich; daher wurde eine viert« Hebamme für
Ädelhausen-Wiehre zugelassen. Damit nun die „weisen Frauen"
sich zu raten nnd helfen wii98ten, wurde ihnen auferlegt, dasa
jede ein HebammonbUchleiii künftighin haben solle. Möglicher-
weise erblicken wir in dieser Ueatimmung einen Erfolg des
von dem bereits genannten Dr. Eucharius Rösslin ver-
fassten ersten deutschen Hebammenbuchs, welches ein wahres
Bedürfnis gewesen zu sein scheint: denn sicherlich nicht ohne
Urund hat dasselbe sich so rasch Über Deutschland und aus-
wärtige Staaten verbreitet.
Einen weitem Einblick in den sozialen und moralischen
Zustand der Zeit gewähren uns schlieUlich die Gebote, dass die
Hebamme es melden solle, wenn der Verdacht bestehe, dass
das Kind ,von banden" oder in das Findelhaus gegeben werden
solle: dass sie femer Anzeige erstatten müsse, wenn sie merke,
dass das Neugeborene Mängel und Debrechen aufweise, die
augenscheinlich durch ungebührliche Handlungen der Eltern
verursacht seien. —
Wenn wir uns seither mit denjenigen „Heilpersonen* be-
schäftigt haben, welche alle mehr oder minder selbsttätig
schlecht und recht mit den Kranken zu tun hatten, so haben wir
nun noch des Stands zu gedenken, der meist nur zur Unterstüt-
zung des ärztlichen Handelns berufen war, nämlich der Apotheker,
Karl der GrolJe, welcher, wie wir gesehen haben, seine
Fürsorge der Heranbildung von Ärzten zugewendet hatte,
wollte auch, dass die Beschaffung der nötigen Ärzneistoffe
gesichert sei, soweit dies damals möglich war. Daher
' Stadtarchiv XXXV No, 128 u. 121), HebammenordnungBn beiller
Slärtte.
J36 Bus
mussten die Klöster einen Bruder apothecarius haben, welcher
der Eräuterkanimer, dein annarium pigmentomm, wie es auf
dem St. Oallener Gnindriss' lieißt:, vor^laiid; und zugleiclt
musste derselbe den Gai-ten pflegen, in welchem die selteneren
Kräuter gepflanzt wurden. Arzt und Apotheker werden aber
aucli hier vielfach in einer Person vereinigrt gewesen sein,
wofQr wir iiberlmupt aus dem Mittelalter häutige Beispiele
kennen'; Mone hat noch aus dem Jahre 14-54 einen Vertrag
mit einem Apotheker in Konstanz veröffentlicht, in welchem
ea heilit: „als dann niaister Buchlin der artzat bissher ettwa
vil zita sin aigen appenteg in sinem hus gehept hat, desglichen
andere artzat och für sich selbst tr appentegen gehept band ..."
Wie wir aus der Freiburger Apothekerordnung ersehen, lagen
hier die Verhältnisse bis in die Mitte des 16. .lahrhundert»
ganz ähnlich: unter dem Iti. August 1502 (Dienstag nach
assumption mariae) wird in den Missiven in einem Brief an
den Rat von Straßburg „unser Eucharius roselin, appotegker'
erwähnt , der sicherlich mit dem früher genannten Ai-zte
identisch ist und demnach ein ähnliches Verhältnis wie der
Konstanzer Arzt darbietet.
Um aber zunächst die Nachrichten über Apotheker hin-
sichtlich des ei-sten Auftretens derselben in Freiburg zu be-
sprechen, so ist es von Interesse, dass bereits 1264 in Kon-
stanz ein „VVeniherus apothecarius"' als ansässig aufgetlllirt
wird, während in Basel 1270 ein „magister Johannes apotheka-
rius"* lebte, der lü9*i gestorlien war. Etwa am Ende des
14. Jahrhunderts, wo in ei-stgenannter Stadt zwei Apotheker
waren °, begegnen wir hier einer Art von Oi-dnung für diese
und Arzte, wie solche ja schon 1224 von Kaiser Friedrich IL
und etwa gleichzeitig mit jener Konstanzer von Kaiser Karl IV,
erlassen worden waren.
' MoDu, Armen- und Krankenpflege vom 13— 16. .)aijiiiuiiiit>rL. Zeit-
Külirlrt für diu Geachivlit« des Oberrheins Bd. XXII.
' Heyn«, fünf Bürher UeiiUcher Hauaalte rtUmer Bd. I. II, Ml.
' S. Aiim. 1 S. 64. * S. Anm. 2 S. 64.
' Moue, Zeitfiobrift für die Ueschichte des Oberrheiaa XII, 18, 21
i;psuQi!lieit8[iHego iin mitti'lnlterlichen Freibiirj: 137
Im Hinblick auf die voi-steliondeii Angaben können wii
auch den Kintra^ den Zinäbitchs der Johanniter aut: dorn Jalii'e
13t)7'. welcher in Freilurg eine „appentecgerin' erwähnt, mit
einer gewissen Walirscheiiiliclikeit so auffassen, dass damit
die Krau eines Apothekers gemeint war. El>enda wird aus
dem Jahre 1410 ein Apotheker Jacob aufgeführt, welchen
Namen wir aucli in den Urkunden de» Heiliggeistapitals öfters
antreffen, nämlich 1407, 1415, 1443 und 1444 als Herr Jacob
Appentegker (Apotegger oder Appotecker); femer kommt der
gleiche Name in den Verzeichnisi^en der Mitglieder der Gesell-
schaft zum Gauch aus den Jährten 1361 und 1409 mehrfach
vor mit vei-achiedenen Vornamen ' ; der letztere Umstand, sowie
die Nennung eines , Jacob Appotecker, priester" lassen aber
auch die Annahme zu, dass aus einer ursprünglichen Ge-
werbebezeichnung ein einfacher Eigenname geworden war.
Wenn wir nun von den Genannten annehmen können, dass
es sich um ortaansiisaige Personen gehandelt hat, so werden wir
eine Notiz im Neerol. Carthus, Fribiirg p. 206 anders deuten
mibsen. Da ist nämlich aus dem l.'ü. Jahrhundert von einem
.appotecaiius cuiusdam cardinalis" die Rede*; wenn wir uns
nun erinnei'n, dass im Jahre 1415 Papst Johann XXIH. vom
Konstanzer Konzil wegfliehend mit seinem Gefolge eine Zeit-
lang sich in Freiburg aufhielt, so werden wir wol nicht iiren,
wenn wii' glauben, dass es sich bei jenem appotecarius um
einen geistlichen „Leibapotheker" eines der Kirchenfürsten ge-
handelt hat, der dann wegen dieser Zugehörigkeit auch auf
einem Klosterfriedhof beerdigt wurde, Ist es doch völlig wahr-
Bcheinlieh, dass in jener Zeit, wo Kirchenfürsten nicht nm'
ihrer Würde, sondern auch ihres Lebens nicht recht sicher
waren, sie die Bereitung notwendig werdender Aizneien nur
einem ihnen selbst ergebenen Diener anveitranen mochten!
Die erste bestimmte Erwähnung eine» Apothekere gibt
.Schreiber in seinem Urkundenbuch U 426, woselbst aller-
dings nur der Name genannt wird, nämlich „Paulus Gloterer
' UrkundynbüL'h von Schreiber I, 4tfa. II, 23J..
I ' S. An;
HJ
138 Baas ^^^H
der jung der appotegker", womit wol niemand andere als '
ein Sohn des im gleichen Verzeichnisse aufgeführteji Paulus
Gloterer „meister der artznye" gemeint sein wird. Jedenfalls
beBteht zeitlich eine genügende Übereinstimnuing zwischen der
früher angegebenen Lebenszeit jenes Arztes und dieser Nen-
nung, welche in das Jahr 1451 fällt. Daaa aber in der Tat
ein Apotheker schon im ersten Drittel des 15, Jahrhunderts
in Freiburg vorhanden war, dufür kann femer die mehrfache,
sozusagen selbstverständlich klingende Hinweisung auf einen
solchen ini Regimen sanitatis des Heinrich Loiiffenherg
angeführt werden; so heißt es da einmal von einem Medikament:
„das man sol
,U3 der appoteke machen'
oder an einer weiteren Stelle von
, andern Dingen, als das kan
„ein appotecker wol verstau'."
Um die Wende des 15. Jahrhunderts scheinen zwei Apo-
theken in Freiburg gewesen zu sein; wenigstens kann man das
aus dem Wortlaute einer Beschwerdeschrift* des Sigmund
Feistlin (der 153ij im Häuserbuch erwähnt wird) über die
drohende Gründung einer dritten Apotheke aus dem Jahre
1541 entnehmen, wenn es da heißt, dass zu Lebzeiten des
verstorbenen Vaters ,eine andere zugelassen" worden sei.
1559 aber waren, wie eine Eingabe in Betreff der .New
Appolhecker Ordnung' dartut, bereits drei Apotheker mit
Namen Andi-eas Gundersheimer, Wolff Heintz und Sigmund
Feistlin ansässig.
Nach einem Eintrag in den Itatsprotok ollen hat 1482 '
.Hans Fry ein appotegk uffgericht', da er sonst nicht mehr
begegnet, ist er vielleicht nicht lange dagewesen. Von grOllerem
Interesse ist der Name des Blasius Schröter aus Straßburg,
der vor 1468 das Haus zum Elettenfeld „an dem orrt (d. h. I
Eck) by dem Kilchoff' °, jetzt Münsterplatz No, 2, kaufte,
' iminchner Handschrift der Huf- un<i Staatsbibliothek «. Hfih. US
Stadtarchiv XL No. 3.
Urkunden ilea lIi^iligSKJatspitHls II. Rep. 1211 n. 1-213.
eiiimdbtit!<[ifl(;^i^
niltelalttrlk'Iioii Freiburg
139
welches lange Zeit „Münstorapotheke* blieb; denn noch nach
1565 kam es in den Besitz des Apothekers Kwnrad Jordan',
nachdem es vorher der l."i36 verstorbene Kaspar Swein inne-
gehabt hatte ^. Im übrigen haben im 16. Jahrhundert die
Apotheken sowol nach Besitzern wie nach Luge sehr oft jj;e-
wechselt, was vielleicht mit den vielfach in den Urkunden des
Stadtarchivs wiederkehrenden Klagen über „geringen vei'trib*
zusammenhängt; für letzteren könnte ein weiterer Beleg sein,
dass der obengenannte A. Gundersheimer bald nach 1563 sein
Geschäft aufgab und Wechsler wurde*. Freilich entstanden
aber auch 1501 Klagen der Bürgerschaft*, dass die Klinken
von den Apothekern „mit den verlegnen materialen merck-
lichen betrogen' würden, weshalb der Stadtrat beschloss, mit
Zuziehung der Universität tmd des Physikus Johann Fuchs
von Straßburg die Apotheken visitieren zu lassen.
Der Preis der Apotheken scheint damals schon recht hoch
gewesen zu sein, wie wir aus dem 1566 geschehenen Verkauft
der einen des Sigmund Feistlin an seinen Schwiegersohn Johann
Unger ersehen , wobei der letztere 1 500 ßulden bezahlen
musste; allerdings reicht diese Summe auch bei Berücksich-
tigung des damals vielleicht 6—10 mal höheren Geldwert«
an die heutigen, enormen Ziffern lange noch nicht heran.
Auch Fieiburg hat seine mittelalterliche Apothekerordnung
besessen, von der jedoch nichts mehr vorhanden ist; in einem
Visitationsbericht des Jahrs 1529 ist immittelbar darauf hin-
gewiesen, während wir aus der Aufstellung einer Kommission
von einem Arzt und drei andern Mitgliedern zur Apotheken-
besichtigung aus dem Jahre 1496* denselben Schluss ziehen
können, der durch die „neue" Ordnung von 1559 noch mehr
i Apothekerordnung nnd
' Hänserbuth.
' Eftoserbnck a.Mone, Zeitschrift für die Ueauhiehl« des Oberrhein«
xn, 21.
* St*dtarehiv. Unterschrift unter der
flloMrbnch.
* ZeiUchrift für die CcBchichtc des Oherrlieins XIX. 486 und Frei-
r Misüven 1501. S. UO^
* Stwltarchiv XL No. «i.
* Stailtaruhiv, KHtsprotnkoll.
J
140 Baas
gerechtfertigt wird^ Gerade die letztere, welche zu ausführ-
lich ist, um hier ganz angeführt zu werden, kann nun dazu
dienen, um uns ein Bild des Lebens und Treibens der damaligen
Apotheker zu entwerfen.
Zuvor mag aber noch bemerkt werden, dass, wie früher
an einem Konstanzer Beispiel dargelegt wurde, so auch in
Freiburg ursprünglich die Ärzte ihre Rezepte selbst bereiteten ^.
In jenem Visitationsbericht von 1529 verlangen gerade die
beiden ärztlichen Visitatoren Hans Widmann und David Krämer,
dass „khein doctor artzney unnd solch dinglin für sich selbst
haben unnd gepruchen soll, damit den apothekem nachteil er-
wachse" ; sie schlagen ferner vor, dass die Stadtväter ^die apo-
theker erleichtigent inn etthch zollen unnd beschwerden".
Letzteres bezieht sich wol darauf, dass andere „erwerbs- unnd
kaufifleute tiriak, sunst einicherley giflftige oder anndere artz-
ney en, tabulata, tränk oder ungnenta feyl habennt unnd ver-
kauffent", was in der neuen Ordnung von 1559 dann verboten
wurde, ^dieweil solche artzney en zum offteren mal den menschen
tütlichen schaden pringt". Wie langsam und bedächtig aber diese
letztere zu stände gebracht wui-de, sehen wii» daraus, dass be-
reits 1537 Freilmrg von der Stadt Straßburg die dortige Ord-
nung erbat ^; allerdings erhielt es sie auf nochmalige Bitte
erst 1549^, indem Straßburg auch zuvor die Mängel seiner
alten hatte verbessern wollen, nun aber trotzdem bei der Über-
sendung hinzufügen musste, „dass die apotecker gleichwol bei
uns der tiix Avegen etwas beseh werden thragen**.
Der Apotheker gehörte mit den Schulmeisteni, den Schereni
u. a. zu den vornehmen Handwerkern und wurde der Kränier-
zunft zugerechnet; aus letzterem Umstand entnehmen wir
imtor Verwertung jener Nachricht über das Selbstdispensieren
der Arzte, dass der ursprüngliche Apotheker mehr der Ver-
käufer von Arzneistoffen, die er selbst sammelte oder von
auswärts bezog, gewesen sein mag als der Verfertiger zu-
sammengosotzter Arzneien nach einem Rezept, womit ja auch
' Stadtarchiv XXXV No. r»0. Zunft- und Handwerksordnungen.
- Staidtarthiv XL No. 1. 2. 4. 4' *, .^.
* Stadtarchiv XL No. 1, 2. 4. V t, :>.
itstmilheits|ifle);o
iiittplallerli<:hfn Yk
141
das ühereinstinimt, das« in älteren Zeiten die Ärzte selbst in
die AjMitheken gingen nnd dem Inhaber dei-selben bedeuteten,
welche Stoffe er nehmen und mischen solle; vielleicht hängt mit
einem darauf bezüglichen, auch spater noch nicht gnmdlosen
Misstrauen zusammen, dass der bekannte Arzt Dr. J. Schenekli
seine Rezepte nicht in den Apotheken lieli, in welchen sich ,aller-
ley iinordnnngen unnd misspnich zugetragen unnd ingerissen, von
derentwegen nit wenig klag unnd nachreden eifolgt seindf '. —
Wer das Geschäft erlernen wollte, trat als Lehrjunge ein,
um dann zur Stellung des ,GeseUen''. , Dieners* oder , Knechts"
aufzurücken; wollte er als solcher schon selbständiger arbeiten,
so musste er sich einer Prüfung unterwerfen und den Eid auf
die Apothekerordnung ablegen. Die Kosten dieses Examens
betrugen fünf Schilling, , welche die Examinatores unnder sich
verthoilen sollen*: dabei mag es sich wol manchmal herauH-
gesteUt haben, daas „der knecbt in den prtneipalibus nit wol
gefasst sey, doss er nit wisse, wie die simplicia in die com-
posita kommen, sich auch nit lasse vermerken, dass ers bessern
woU". Charakteristisch für das Unklare, welches dem ganzen
Stand noch anhaftete, ist auf der einen Seite die eine bessere
Ausbildung erstrebende Bestimmung, daes der Geselle .zum
wenigsten der lateinisch sprach berichtet nnnd geleert sey".
während auf der andern Seite zugelassen wurde, dass jemand
eine Apotheke en-ichtete, obschon ,er für seine person daizu nit
g«mugsam geschickt oder bericht were", in welchem Falle er sich
nur ,mit einem geschickten gesellen oder diener versehen wolte".
Um aber selbständig eine Apotheke führen zu dürfen,
musste sich der Geselle einem zweiten Examen unterwerfen,
welches zehn Schillinge kostete und durch „zwen doctores der
artzney, sodann den ältest unnd berichtest apotheker unnd
zwen aus einem ersamen rath oder der burgei-schafft, so darzu
tauglich, geschickt imnd verstendig seyen", abgehalten wurde,
worauf der Eid auf die Ordnung folgte. Damit dann .die
apotheker irer practicken täglicher geschickter unnd geübter
' Vgl. mm Fülgpmli
gb^r anfh die »ndirti L"rl<
■ ,Nfiie .\potliekt'r-OrJniiiig',
h
werden ... so sftll ein yeglielier zum wenigsten Ai» hernach
beschribeiie l'ueclier . . . uenilichen die Teutsclie Itefonnatiwii
der apothekeii Brunfelsii, die hauaapothek Hiffii, Dispensatorium
Coi-di, Meaueii, Antidotariuni Nicolai. Sylvii, (?), Dioscorideni
oder Herbarium Tragi, irni seiner apotliek haben'' . Ob daim dariiin
, etwas iiberfllissigs unnd das alliie nit im prauch were, be-
funden wüi-de, werden sie yedei- zeit by den medicis guoten
bericht unnd bescJieidt zu verlangen haben".
In der Apotheke, sowie im Hause des Arztes sollte dann
eine Taxe aufgehängt weiden, welche die Preise der Materialia
enthielt, wie aucli, was die Herstellung der Rezepte, die stets
aufgehoben werden sollten, kost*. Wenn aber die V'oreehrifl
des Arztes Zweifel en-egte, ,da etwan dem apotlieker be-
dunken wollte, dass die artzneyen mensclilich natur ze schwer
unnd stark weren, oder dass der artzet iiin dem Recept geirret
hette, soll er das hinder sich an den artzet bringen unnd fragen*.
Und „damit mans den Kiancken zu i'echter zeit handtreichen
möge . . ., sollen alle ding der artzneyen ... zu yeglicher
zeit, so tag so nacht, wann unnd wie die artzet das heissen,
bereitet werden",
über die Hei-st^llung und jährliche Erneuerung der Medi-
kament«, der destillierten Wasser, Öle usw. enthält die Ord-
nung sehr genaue Vorschriften, wozu auch gehörte, dass bei
der Bereitung mancher Composita die Ai'zte zugegen sein sollten,
deren Namen nebst der Zeit der Anfertigung vermerkt werden
mussten. Bedenklich ist die Mahnung, am Rezept des Arztes
nichts KU ändern, nicht quid pro quo zu nehmen, den Armen
wie den Reichen gleich gute Materialia zu geben, rechtes Ge-
wicht KU gebrauchen und anderes mehr. Und .dieweil auch
vil an dem gelegen ist. dass die kräuter. bluomen. fruchte,
sumcn unnd wurzeln, so man . . . praucht, zu rechter wH
unnd auch mit verstand! gesamblot seyen. sollen die apotheker
sorg tragen, darmit die nit zu unzeiten . . . eingesamblet wer-
den"; die Kräuter aber, welche .inn disen landen nit gemein-
lich anf dem veldt wachsen, sollen sie in iren gärtten pfianzen',
Alljährlich im Mai und nach der Frankfurter Herbstmesse,
luf welcher die ausländischen Stoffe gekauft wurden, fondexi
iinJliPLtapU)^^
nittelaltürliilien Tri
1«
Visitationen der Apotheken durch die oben genannte, vereidigte
Kommission statt, die dafüi- von der Stadt eine Vergütung
erliielt. Untaugliches musste dei' Stadtkuecht in die Stadt-
bäcbe oder ins .teuer, darin yedea gehört, schütten"; die ge-
fundenen Mängel aber, deren eine Anzald aus verschiedenen Pro-
tokollen noch ersichtlich sind, mussten in ein Buch notiert werden.
Trotz alledem kamen allerlei Missbräuche vor: während
es erlaubt waj', dass der Apotheker „im jar einem artzat
ettwas essender oder trinkender speiss schannkte, dass sich
zmn gantzen jar nit über ein gülden treff", so kamen, wie es
scheint, doch auch solche Abkommen vor, durch welche etwa
©in Äizt „bewegt weiden möchte, einem mehr zuzeweisen
denn dem anndem, oder einem köstlichere Becepten zeschreiben,
dass dem gemeinen man zu schaden dienen möcht". ,Auch
sollen sie — die Apotheker nämlich — sich nit annemen,
einicherley artzney ze treiben, nit wasser besehen . . ., sieh
nit unuderwinden , einicher siechen oder kranken menschen
rath zu thun, ze purgiren, clistireu oder ichzit ebizegeben . . .",
zu welchen Bestimmungen nicht recht passt, dass es nachher
ihnen gestattet wird, , gesunden personen etwas ze geben,
damit sie zu ziemlichen stulgängen gefiirdert würden oder inen
dienete für fauosten, keuchen, enge der brüst odei- dergleichen". —
Das Bestreben, möglichste VoUkommenheit zu erzielen,
hat diese mittelalterliche Apotheker-, wie die Scherer- und
Ärzteordnung mit ihrer manchmal übergroßen Genauigkeit
verursacht: gleich Straliburg, so nmsste aber auch Freiburg
die Krfalirung machen, dass trotzdem die Klagen des Publikums,
der Arzte und der Apotheker nicht aus der Welt geschafft
wmrden, wie die vorhandenen Medizinalakten der folgenden
Zeiten beweisen, was eine Mahnung sein könnte gegenüber
manchen zünftigen Bestrebungen unserer Tage!
nt. Heil- und PflegeanataUen '.
Während das griechisch-römische Heidentum Kranken-
anstalten nur für Sklaveti oder Gladiatoren, oder etwa als
V^l. hierzu Wsondfrs rhlliurn, IJliriatliclii? Liebeslfltigkeii
1 iÜ Bbhs
UnterkunfUhänser bei Äskulaptempeln kannte, wurden durch
das Christentum ziemlich bald Nosokomien oder Xenodochien
gegründet. Vom Morgenland, wo sie zuei-st entstanden, "ver-
breiteten sie sich ins Abendland, nach Italien und in die Pro-
vinzen des Röinerreichs, z. B. Gallien: in Germanien aber sind
sie noch zur Üeit der Völkerwandernng recht selten. Mit der
Uiilndui^ von Kirchen imd Klöstern gelangten die Kranken-
häuser zu den Deutschen; auch ihnen hat Karl der Grolle
seine Sorgfalt zugewendet, indem er viele wiederherstellen
nnd besonders durch die Benethktiner reformieren lieli. Neben
diesen entstanden später als Laieneinrichtungen die Hospitäler
der Städte und der ritterliehen oder bürgerlichen Orden der
Kreuzzugazeit; in solcher Weise betätigten sich innerhalb wir
außerhalb des heiligen Landes die Johanniter, Lazaristen.
Antoniusherren, der DeutscWorden, Heiliggeistorden u. a.
Unter diesen ist von hei-vorragendei- Bedeutung der letzt-
genannte Orden des heiligen Geists, indem er eine weitver-
breitete und langdauemde Wirksamkeit entfaltet hat. Etwa
um 117S in Montpellier gegründet, wurde er 1198 von Inno-
eenz III. bestätigt; 1204 entstand in Rom das große Spital
di S. Spirito, welches Kranke, Waisen und Findelkinder, ge-
bäi'ende Frauen, Magdalenen und arme Reisende anfnahm. In
vielfach nur loser Verbindung mit diesem gründeten daraut
DomheiTen, Bischöfe, Städte selbständige Anstalten gleicher
Art, .da man soll hineintra^^en arme Sieche, die da liegen auf
dem Kirchhof und auf der Strasse ohne Herberge". —
Wann in Freiburg das Heiliggeistspital entstand, dessen
älteste, erhaltene Urkunde aus dem Jahre 1255 stammt, ist
mit voller Sicherheit nicht mehr zu sagen: den ältesten Hin-
weis auf dasselbe gibt der sogenannte Stadtrodel, in welchem
erwähnt sind die ,lobia prope hospitale". Da diese Urknnde,
wie früher bereits angegeben ist, in der Zeit zwischen 1187
und 1218 abgefasst wurde, so ist dadurch zum mindesten für
den Anfang des 13. Jahrhunderts das Vorhandensein des Spi-
tals gesichert; nun finden sich aber „die drie Jouba". darunter
Vgl. lVkiiTi.U>M lies H.-i
■ij^lspitnls.
ßesuiiillieitspHt'ge im tnitti-liiltprlichcn Freibiirg 145
,die loube bi dem spital" wieder angeführt in dem ältesten
deutschen Entwurf der Stadtrechte von 1275 mit dem Zusatz,
iiass sie wurden „gesezzet, da die stat orhabin wart". Und
aus der Mitte des Jahrhunderts wird des Spitals Erwähnung
getan in einer Urkunde des Klosters der minderen Bi-üder;
denn da heitit es in einer unter dem li9. Juni 124fi ausgefertigten
Bcachreibung des zur Kapelle S. Martins gehörigen Grund
und Bodens, da.ss er grenzte ... ab alio latere infra hospitale
deorsnm et . . ,'
Bedenkt man, dass die Klöster, welche in der Stadt sieh
niederlielien, alsbald auch ihre Hospitäler hatten, worauf noch
zurückzukommen sein wird, dass die Stadt nach dem Vorbild
oder wenigstens im Hinblick auf Köhi gegründet wurde, wel-
ches als alte Niederlassung doch sicherlich bereits damals
»eine Kranken- und l^frOndeanstalt gehabt haben wird, so ist
die Überlieferung wol nicht ganz von der Hand zu weisen,
dass wirklich bei der Gründung des neuen Geraeinwesens, wie
für Kirchen und Gemeindehauten, so auch für ein Haus Sorge
getragen wurde, das den Einwohnern im Alter, bei Krankheit
«nd Armut Obdach gewähren sollte. Eine solche Annahme
gewinnt an WaluBcheinlichkeit. wenn wir von Konstanz hören,
dass da schon in der zweiten Hälfte des lU. Jahrhunderts ein
Spital bestand', welches Bischof Konrad gestiftet hatte; ein
rlerartigea Beispiel wird in der Diözese nicht ohne Nacheiferung
geblieben sein; dem Donistift von Konstanz gehörte z. B. auch
in Kolmar 1155 ein äpital.
Mau nimmt an, dass ursprünglich das Spital zu Freiburg
ans drei Häusern bestanden habe, welche dann bei dei" Über-
nahme durch die Brüder vom heiligen Geist in die einheitlichere
Anlage verwandelt wurden, die durch Jahrhunderte in der
alten Gestalt erhalten blieb. Sie nmfa-sste gut die Hälfte des
heutigen Häueerquadrats zwischen Münsterpiatz , Münster-
BtT&üe, KaiserstraLle und Bezirksamt'; auiler den Wirtachafts-,
' FreiburgM DiözesnuarcUiv, N. F. IJd. I. 1900; P. H. Stragani.
Zur i;p3«iiii:hle der MiuderbrdJpr im Geliiete des Oberrhuins.
■ Mont^ in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins I, 142; II,
S. 10 u. U.
AleiHuimia \. F. 0. 2. jq
U6
Wohn- und Schlafräumen war eine Kapelle vorhanden, al«
deren „plebanus' der Nekrolog der KarthaiiB im Jalire 1496
den Joh, Muszlin anführt; und innerhalb des Ganzen ein Fried-
hof für die im Hause Gestorbenen. Nacli dem damals engen
MUnstergässclien hin wai'en jene Lauben voi-gebaut, die nach-
mals duieh Hans Nieüenberger in künstlerischer Weise er-
neuert wurden; den Eingang aber vennittelte von der groUen
Qasse aus eine Freitreppe. Von einzelnen Räumen erfahren
wir, dasB da waren ; Sieehenkammem, eine Kinderstube: sogar
ein Gefängnis, ^des Spitals Loch", fehlte nicht, das Qbrigens
auch fiir Nichtange hörige, z, B. Studenten, benutzt wurde,
wenn sie gegen der Stadt Keclit sich vergingen: ja ln61 er-
ging sogar der Itatsbeschluss , .dass die Buben, welche nn-
gehührlicli auf dem Barfüsserplatz spielten", und dadurch
wol die Stadträte oder die frommen Väter in ihrer Ruhe
störten, in des Spitals Gefängnis gesteckt werden sollten.
Alle Augehörigen des Spitals bildeten, wie das im Mittel-
alter üblich war, eine Bruderschaft mit kirchlichem Charakter:
wie erwähnt, lag aber die Leitung des Hauses durchaus in
weltlichen Händen. Ursprünglich geschah die Verwaltnng durch
den Stadtrat selbst, später wurde ein Überpfleger, Spital- oder
Siechenmeister mit vier bzw. zwei Pflegeni ernannt, unter
welchen der Unterpfleger oder Spitalschaffner, die Siechen-
meisterin ü. &. standen. Der Spitalmeister allein hatte da«
Recht, Sieche aufzunehmen und zu entlassen, wenn sie wieder
gesund waren; der Siechenmeisterin soll er „die ligendm
siechen stetecliche bevelhen, also, das si mit dem, so si denne
under banden haut, den dürftigen das beste tuon nach irre
notdurft mit guoten truweii ane geverde, und uf ir sele, alse
vi] ei kunnen und megen" '.
Welcher Art Kranke aufgenommen wurden, das erfahre«
wir nur gelegentlich, z. B. aus Notizen in den RatsprotokoUer^hj
zugleich ersehen wir aus diesen, dass sowol die Stadtärzl
wie auch die Scherer zur Behandlung zugezogen wurden,
steckende Krankheiten waren ausgeschlossen; fiir sie wui
Urkunden dea Heüiggeistapitnls, Reg. 139.
ticsiindbeitspflegB im mittcialterlithen Freibiirg 147
das Blatternbaus und das Aussätzigenhaus errichtet. Dagegen
Murden Verletzte aiifgenoninien. wofür froher schon ein Bei-
spiel augegeben ist'; ferner Kinder und vielleicht, wie dies für
Pfullendorf schon aus dem 13. Jahrhundert bekannt ist. auch
Gebärende bzw. Wöchnerinnen, in welchem Sinne eine Stelle
in den Katsprotokollen verwertet werden kann. Ob Geistes-
kranke, insbesondere unruhige, Aufnahme fanden, ist nicht
sicher, da filr sie das Mittelalter überhaupt kein rechtes Ver-
ständnis hatte, viehnelir sie entweder als Besessene gewähren
lietl, oder fortjagte und -prügelte oder in späteren Zeiten in die
Gefängnisse oder in die ^Tollkisten* sperrte. Geistesschwache,
vielleicht ruhige Irre, wurden zugelassen, wofür Mone' den
Fall anfübi't, dass eine GrollnmtttT eine Sioehenpfründe erhielt,
,die von alter zu solicher kiankheit unnd abneniunge ir Ver-
nunft kommen"; nach dem Missivenbuch von 1502 hatte die
Stadt eine Pei'son in ihren „gewarsam genomen und veraeben",
welche , etwas mit mergklicher krankheit und blödigkeit des
houptcs beladen und umbfangen ist". Nun drohte sie dem
Vater Michel sogar mit dem Amtmann, wenn er nicht komme
und sich seiner Tochter Maigieth aniielnne : gern sah man dai-
nach, wie zu vermuten ist, derartige Ki-anke im Spital nicht!
Die große Menge der Pfleglinge be-stand aus ein-
fachen Pfründnem, welche ihre Tage hier in Ruhe und in
sicherer Pflege zu verleben gedachten und dafür dem Spital
eine entsprechende Vergabung machten. Es ist interessant,
wie durch die Stiftungen überhaupt in genauester Weise für
allerlei Bedürftiisse Sorge getragen wurde: für Fleisch, Fische,
WeiÜbrot, Wein, mit dem Zusatz in einem Falle, dass er nicht
gewässert werden dürfe , für rechte Begehung der Festtage,
für Kleidung, Beleuchtung, Reinigung (z. B. der Nachtgeschirre
in einer Pfullendorfer Stiftung) usw.' Abgesehen vom leib-
lichen Wol wurde auch gesorgt für das Heil der Seele durch
Vermächtnisse an die Priester zu Messen. Gebeten, Singen u. a.
■ Natürlich war zur Aufrechterhaltung der Ordnung eine
Zeitschrift füt ilio Ueschiclit? des Obt^rrhoins 511, 34.
Zeitsthrift filr di« Geschieht« des Oberrhdns XII. 160/1.
Zeitsi^lirifi lür die Gesctilclite des Oberriieins XII, 144.
148
Strafbefugnis für den Spitalmeister nötig, die sich aber wol
mehr auf die PfrÜndner bezog; abgeaelien von der Auferlegung
von GefäDgiiis, wofQi' ja daa Spital ein eigenes „Loch" hatte.
konnte passieren, dasa einem der Wein entzogen und er zum
\Vas8ertrinken verurteilt wm-de, dass er auf dem Boden oder
in der Kinderstube essen inusate, nnd ähnliche sonderbai'e
Strafen melir.
Soweit wir vermuten können, Ist mit großer Wahrschein-
hchkeit anfänghch ein Spital vorhanden gewesen, das Reich
und Arm beherbergte; allmählich scheinen sich jedoch Gegen-
sätze zwischen den Wolhabenden, welche .Herrenpfründen'
hatten, und den übrigen Insassen gebildet haben, wozu wol
noch Unzulänglichkeit des Raums gekommen sein mag, was
alles, etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts, die Erbauung
eines neuen, des .minderen' oder Annenspitals vemnlasste.
Dasselbe lag in der Vorstadt Neuenbürg; es hatte gleichfalls
seine Kapelle, seinen Friedhof, auf welchem 1419 die Bruder-
schaft der Bäckerkneehte sich zwei GrBber für ihre Angehörigen
ausbedungen hatte, und seine besondere Verwaltung, weich
letztere bei den beschränkten Mitteln manchmal mildtätige
Hülfe in Anspruch nehmen musste. —
Frühzeitig bestand auUer den genannten Anstalten ein
„Hans der Snndersiechen" oder „Gutleuthaus", in welchem die
im Mittelalter so zahlreichen Aussätzigen imtergebracht wurden.
Gemäß der Vorschrift, dass diese .Malatzhäuser" auf freiem
Felde, mindestens zehn Minuten von den übrigen Wohnstätten
entfernt sein sollten, stand auch das Freiburger erste Aus-
sätzigeiihauB in der Ebene und zwar gegen das Dorf Zähringen
hin nach Norden in der Nähe des .Ketzerbaums", d, h. der
Hichtstätte. Von ihm wissen wir aber weiter nichts; bereits
vor dor Mitte des 13, Jahrhunderts war schon im Süden der
Stadt jenseits der Dreisajn, etwa in der Gegend des heutigen
Sonnenwirtshauses an der Baalerstralle das neue Haus der
, Siechen auf dem Velde" erbaut worden, wo es dann blieb,
solange es noch in Anspruch genommen wurde'. 1263 soll
' Freiliurper Di
hiv XIII, 29K
to
A
ncBitnillieitspflr^o im mittt-hilt'Tljclii'ii H'reilmr^ ]49
Albert von Bollstäiit, der große Dominikaner, „die Eilche der
armen lütten vor der statt Friburg" geweiht haben. Auch
diese Anstalt geliürte in den Kreis des Heiliggeistspitals, auf
dessen Grund sie stand.
Wie wir gesehen haben, gehörte die Feststellung des
Ausi^atzes zu deu übliegenlieiten des Stadtarztes und der ver-
eidigten Scherer; wai- ein Mensch von ihnen „vei-urteilf", so
hatte damit seine bilrgerliche Existenz ein Ende. Wie ein
\'er8torbener wurde er unter uns sclirecklich dünkenden,
ernsten und ergi-eifendeu kirchlichen Feierlichkeiten ' in seine
kiluftige Heimat verbracht, von der aus ihm kein Verkehr
mehr mit den Gesunden gestattet war.
Doch dürfen wir uns nicht vorstellen, dass der Kranke
draußen auf dem Felde verlassen und ohne HÜfo seinem
elenden Schicksale preisgegeben wur. Schon die Bezeichniuigen
,die guten leute', ,die annen siechen' und ähnliche lehren
uns, dass man bemüht war, für sie zu sorgen, so gut es
ging, welchem Zwecke z. B. auch hier die genauen Be-
stimmungen der Stiftungen dienen*; in besonders schönem
Lichte offenbart sich vielmals hier der fromme Sinn des Mit^
telalters, welches sich dieser Krankheit gegenüber nicht anders
zu helfen wusste, als wie wii' es heutzutage noch tun müssen.
Unter sich bildeten die Aussätzigen gleichfalls eine Bruder-
schaft, imierbalb deren jeder seine Aufgabe hatte; sie hatten
ihi-en Priester für ihre eigene Kapelle, die in Freiburg St. Jakob
geweiht war. Sie arbeiteten, solange sie es vermochten; sie
durften imtereinander lieiraten und hatten auch sonst ihre
Feste; jedoch der Verkehr nach außen war strenge geregelt.
Beun Ausgang zur Kirche in die Stadt*, der stets vom
8iechenmeister bewilligt werden musste, „sol ir yeder einen
Stab in siner band tragen"; sie durften nur „by der Kilchen'
sitzen und mussten noch vor Beendigung des Gottesdiensts
„stracks widenimb uaser der statt" ohne jeglichen Aufenthalt.
Der Kreis, in welchem sie sich sonst außerhalb ihres Hausee
' Vgl. hierüber Vhlliorn. Christliche LiebesUtigki-it.
' Vgl. Mono, Zeitschrift für liie GeHiliichte des Oberrheins XII, 88.
* Urkunden des IJnileuthaiisfls. Reg. IfSf.
löO
Buw
bewegen durften, wai- genau umachrieben; in demselben .söllent
sy aber ir nachgepuren zii sant Jörgen, von Ebnett, Zarttm.
Gundelöngen und ander in der ryfier und zirck gelegen . nit
herbergen", welche Aufzählung dem Ortskundigen zugleich
einen Überblick fiber die gi'oiie Zahl dieser Kranken gibt, fUi*
welche jedes Dorf seine Gutleuthütten haben niusste. Ist uns
doch auch eine Freiburger Urkunde aus dem Jahre 1273 er-
halten, in welcher wir lesen, ,quod pauperes leprosi domus
aput Friburg propt^r niultitndinem infirmoruni ibidem exi-
stentium defectuiu in victu patiuntur frequentius et veatitu",
aus welchem Grunde zum Almosengeben eindiinglich aufgefordert
wurde. ^
In den Ratsprotokollen des Jahrs 149li finden wir Öftei-s
allerlei VoibeugungsmaÜregeln gegen die Eintiehleppung und
Verbreitung der Blattern erwähnt, die damals in verheerender
Weise die Stadt heimsuchten. Da heißt e.s, daas man fremde
ßlattemleute austreiben und an den Toren sie abweisen solle:
man solle dafür sorgen, dass „kein blatternliit in das gemein
bad gehen"; in diese Zeit fftllt auch das bereits früher er-
wähnte Gebot, ,dafis man von der cantzel verkilndt. dass man
die gassen allentbalb räume unnd sauber halt", und dass der
Pfarrer für jene beten solle. Doch als alles nichts half, da
musste der Stadti'at 1496 beschließen, ,das8 man ein hiis be-
stelle", in dem man die Einheimischen unterbringen solle und
welches nicht durch fremde Kranke überfüllt werden dürfe.
Zugleich wurde Bernhard Huber, der Scherer, beauftragt,
,in dem hus die blatternliit zu artzneyen", doch solle er dann
niemand antasten, schröpfen oder schneiden. Dieses Blattern-
haus stand gleichfalls in der Neuenbui'g nahe der Michaels-
kapetle und war wiedemm aus Mitteln des Heiliggeistspitals
erbaut. —
Für ai-me und kranke Pilger und Durchreisende jeder Art
war die Elendenherberge oder das Seelhaus bestimmt, welches
anfangs innerhalb der Stadtmaucni in der jetzigen SchifFstraÜe,
später an der Gumpost-, heute etwa Ludwigstraße, ebenfalls
in der obengenannten Vorstadt sich befand; in der Neuenborg
war auch „der funden kindlein hus" gelegen, das zuerst 1376,
:i,6, J
fiesuQdheitsjifltgi; im mittt'lslterlichi.'n Kreibiir^ 151
aber auch noch 1544 erwälmt wird', und dessen Existenz
eigenartige Schlüsse auf mauchei'lei Zustände und Sitten ver-
anlassen könnte. Während Elendenlierbergen, entsprechend deu
Zeitverhältnissen, überall und häufig vorkommen, sind Findel-
häuser in Deutschland selten; sie sind dagegen in romanischen
Ländern oft anzutreffen. -
Außer den seither betrachteten Anstalten, welche dem
Heiliggeißtspital und in weiterem Sinne der Stadt angehörten,
ist nur noch der Spitalor und überhaupt der Wirksamkeit der
verschiedenen Orden und Klöster zu gedenken, soweit sich
diese mit Krankenpflege beschäftigten.
Wie die Kreuimiige aus einem idealen CJrunde heraus ent-
standen waren, so erweckte auch die Not und das Elend, das
in dem fernen Lande die Teilnehmer befiel, in ganz besonderer
Weise die christliche Liebestätigkeit; ritterliche und bürger-
liche Orden nahmen sich in aufopfernder Weise der Siechen
und Verwundeten au. Wenn auch später die Aufgabe der
eigentlichen Spitalonlen sich änderte, und nach dem Verlust
Jerusalems und des heiligen Lands der Kampf mit den Un-
gläubigen mehr in den Vordergrund gestellt wurde, so hörte
doch der m'spriingliche Krankendienst nie völlig auf und wurde
in der Folge auch in die Heimat mit zurückgebracht. Ver-
hältnismäßig frühzeitig finden sicli in Freiburg Niederlassungen
der Johanniter und des Deutschordens'; denn schon 1240 ist
eine Vergabung-surkunde datiert „in cimiterio hospitalis Sancti
lohannis extra mnctis" und 1266 lesen wir von dem ,magister
et fratres domus hospitalis sancte Marie Theutonicorum in
Friburg". Auf dem Stadtplan von 1583 sehen wir beide
Ordenshäuser in der Neuenburg als umfangreiche Gebäude-
anlagen mit Kirche und großem Hof, der vermutlich früher
B^jTäbnisstätte gewesen.
Ob die Lazai'isten, welche angeblich 1220 in Schlatt" im
■ Urkunden ilea Heiliggui-stapitals u. Mone Xn. 30.
* Sclireibcr, Urkundpabuch.
' Puinsignon, Die heilkraftigen Quellen lu ScUatt n.d, Hsus d. hl.
Lazarus. SehBuinsknd XI. (Vgl. jeilucli Zeitschrift für die Geschickt« des
OberrhdnB XL, 4(i2.)
U2
iiillieitsptlfgL' iiii mitti'lalU'rlithen Freiburg
I
Breisgau sich angesiedelt hatten, auch in Freibtirg der Aus-
sätzigenpÜege oblagen, ist iiieht genauer bekannt; auch von
den im Mittelalter beliebten Antoniteni ' wissen wir etwas fast
nur durch ihre , Pflegschaft", die jedoch nach den Urkunden
keine Kranken betraf. Lediglich aus den Missiven erfahren
wir einmal von einem Spital dei-selben; denn am tiamstAg
nach Franziscus (8. Oktober) 15U2 bittet der Stadtrat den
,erwQrdigen Herrn pieceptor sancti Änthoni zu Fribuig* der
sich „wideret", den alten und kranken Meister Andreas in
sein ,Spitail" aufzunehmen, hierum. SchlieüUch mag noch der
Wilhelmiter im Obemeder Winkel der Schneckeuvorstadt ge-
dacht wei-den, weil sie Besitzer des nahen Kybbädleins
waren, von dem Pictorius schreibt: „wird vil genützt von
der burgersehaft . . . nutzt kaltem leib, thut den äugen wol
vertreibt den giiess der nieren, thut hinweg die rud uund
heilt beinhrilch."
Von den Franziskanern ist nur bekannt, dasa mit ihi-em
Kommen ein geoixineteros Armenwesen eingeführt wurde: die
übrigen Klöster kommen hier nicht in Betracht. Sehr zweifel-
haft ist auch, ob die Beginen, die 1261} zuerst erwähnt
werden, etwas mit Krankenptlege zu tmi hatten, was Bader
annimmt, —
Aua den Urkunden, welche uns überliefert worden sind
haben wir somit ein deutliches Bild gewonnen, wie im mittel-
alterlichen Freiburg die Heilkunde ^on ihren Dienern je nach
den verschiedenen Betätigungen ausgeübt wurde. Wie daim
in organischer Entwicklung, unter Hinzutritt mancher neuer
Elemente, auch dieser Teil menschlichen Tuns weiterhin sich
bis zur Neuzeit ausgebildet hat. muss späterer Darstellung
vorbehalten bleiben, die wol in mancher Beziehung auch noch
mehr in die Tiefe wird eindringen können.
' Schreiber. Stadtgeauhiubte H, llü.
Dorfsprüche oder Ortslitaneien aus dem
Badischen Oberland.
Von Frlitiitb Pfair.
Die Umfrage nach Dorfspruchen, die ich im 1. Heft der
Blätter des Badischen Vereins für Volkskunde S. 14 und in der
Alemannia N. F. 6, 79 ausgeschi-iebeu, hat in mehreren dankes-
werten Antworten einen erfreulichen Widerhall gefunden. Ohne
den Gegenstand erschöpfen zu wollen, seien einmal hier zu-
nächst einige ganz bestimmte Fonnen des Dorfspruchs kurz
behandelt. Der Betrachtung zu Qrunde gelegt sind einesteils
jene Antworten aus dem Kreise unseres neuen Vereins, andern-
teils von Dr. O. Halfner in Freiburg gefertigte AuszUge aus
den Beantwortungen des alten Fragebogens von 1893 und
eigene Sammlungen.
Ich gehe aus von dem in HSnner, Amts Säckingen, auf-
gezeichneten Spruch der vier oberrheinischen WaldstSdte Rhei
felden, Säckingen, Laufenburg, Waldshut:
Rhifelde isch e feste Stallt,
SSckiago isch e Bett^lsacli.
Laufeburg isch ea LüreuliUbi>1.
Walset isch der Deckel drüber.
Eine andere Aufzeichnung desselben Spruchs aus Hottingen
ergibt die Abweichung für feste: r/rossi; noch häufiger findet
sich dafür schi'mi; Wilfingen, Amts St. Blasien, wird c rari,
Stockach e netti Stadt, Höchenschwand e Herrestaiti, Kllrnbach,
Amts Bretten, gar die EdelstiuH, dagegen Ewattingen, Amts Bonn-
dorf, e B^dstadt genannt. Alemannisch Lhechiihä bedeutet Bnt-
I«rra8S, und zwar nicht in der Siteren Gestalt zum Ausstoßen
der Butter, sondern mit dem Schaufelrad, das an der Seite
mittelst einer Kurbel gedreht oder geleiert wird. Stalder im
Versuch eines Schweizerischen Idiotikons II, 174 sagt bereit«,
154 Pfaff
dass Lyre sowol die Kurbel des Butterfasses als auch das
Butterfass selbst bedeutet; das gleiche finden wir im Schweize-
rischen Idiotikon III, 1370, wo auch neben Anke^iren nur
Lire-chübel verzeichnet ist. In unserem Spruch wird also Rhein-
felden als eine feste odet* große Stadt gelobt, Säckingen als
arm getadelt; Laufenburg soll offenbar unter dem Bild des
Butterfasses als reich bezeichnet werden, wie man wol von
einem in Reichtum und Wolleben schwelgenden Menschen sagt,
er sitze im Fett, im Schmalz, in der Butter. Für Waldshut
endlich bleibt nur der trockene Holzdeckel des Butterfasses
übrig. Der gleiche Vierzeiler ist überliefert über Steinen, Höll-
stein, Hüsingen und Hägelberg; Earsau, Nollingen, Schwörstadt
und Minsein; Herrischried, Säge, Stehle und Rütte; Wilfingen,
Happingen, Vogelbach und Hierbach; Ewattingen, Aselfingen,
Achdorf und Blumberg; Stühlingen, Eberfingen, Manchen und
Schwaningen; Bonndorf, Wellendingen, Wittlekofen und Bett-
maringen ; Höchenschwand , Amrigschwand , Strittberg und
Segalen; dann am Eaiserstuhl über Burkheim, Leiselheim,
Oberbergen und Schelingen; Endingen, Riegel, Forchheim und
Weißweil. Eine Hochsaler Aufzeichnung des Spruchs der vier
Waldstädte hängt an den Vierzeiler noch an:
Thienge isch der Ring dra (am Deckel);
Jetz hani gmacht wa i cha.
Dass Llrechnhel = Butterfass ist, beweist auch der Aarauer
Spruch :
Aarau ist ne schöne Stadt,
Biberstein ein Bettelsack,
Kilchberg ist ein Butterkübel,
Küttige der Deckel drüber,
Suhr das ist der StämpfeP.
Am Stämpfel erkennen wir auch noch das richtige alte
Butterfass. In einer Aufzeichnung aus Oberlauchringen, die
Stühlingen, Eberfingen, Manchen und Bettmaringen nennt, heißt
es : Muche isch e NiddelküM, d. h. Rahmkübel *, und Eberfingen
wird „ein Bettelsack" genannt. Im Spruch von Sulzbach, Amts
Ettlingen, über Ettlingen, Weier, Oberweier und Sulzbach wird
Weier gar der Dudelsack und Oberweier der Mdkkubd genannt.
* Hesckicl, Land und Stadt im YoUcBiiiiiiide, Berlin 1867, S. 29.
2 Nidel = Rahm. Vgl. Stal^*- * '' %w; R IV, 672.
DorfHprQche uiier Ortslili
15
Im Spruch von Reute, Amts Engen, Homberg und Honsletten
heilit Homberg an BurehüM, im Leiberatunger Spruch (Amts
Biihl) über Schiftung, Söllingeu, Stollhofen und Scliwarzach ist
StoUhofen de Murerhiwd, im Orsinger Spi'uch über 6tockach,
Nenzingen, Wahlwies und Staliringen ist Wahlwies der Silur-
kiihd und ebenso im Eüi'ubacher Spruch. Dem schließt sich
der Unterländer Spruch aus Kürnbach, Amts Bretten, über
Kürnbach, Sternfeld, Leonbronn und Ochsenberg an, der das
württembergische Leonbronn (Lrhvrm) de Scikiiwel nennt.
In all diesen SprUchen mit Ausnahme des aus Leibetstung
spielt neben der Absicht, bestimmte Ortschaften im Gegensatz
zu andern, die man als Bettelsack herabsetzt, durch die Be-
zeichnung „Butterfass" u. dgl. als fett und reich zu kenn-
zeichnen, oöenbar auch mit, dass diese Dörfer rechte Bauern-
gemeinden sind; dies ist ja auch deutlich ausgesprochen bei
Homberg. Stollhofen aber wird im Gegensatz hierzu als Murer-
küwel bezeichnet und endlich Wahlwies und Leonbronn ent-
weder mit Anspifiung auf dort betriebene Schweinezucht oder
aber auf andere Eigenschaften „SäuküM" genannt.
Hauptgegensatz bleibt aber immer reich und arm. So
heilit auch in einem Adelshofener Spruch Konstanz eine schöne
Stadt, Überlingen aber der Bettelsack. HogscliUr im Jlurgtal
rühmt spöttisch von sich selbst:
Deutlicher ist der Spott in dem vonHesekiel, Stadt und
Land S. 29, mitgeteilten und an den Spruch der vier Wald-
städie erinnernden Spruch;
RheinfeUen ist mae feste StaJt.
hinteu imil vome mit Lumpen v^minclit.
Das gleiche ist über das schweizerische Klingnau aas Dang-
stetten, Amts Waldshut, und über Thiengen im Klettgau aus
Unterl auch ringen überliefert.
Ganz besonders bezeichnend ist der zu Achkarren am
Kaiserstuhl aufgezeichnete Spruch Über das verfallende, alte,
malerische Stüdtchen Burkheim am Rhein:
Bur^e iscb e scIiUne Stadt,
hinle hsnet der Hett*lBnck,
I
156 Pfaff
vorne isch se zainebuDde
mit me alte Lienestumpe ^
dass sie nit ka zammenimple.
Ganz ähnlich heißt es im Flehinger Spruch von Gochs-
heiniy Amts Bretten:
Götze isch e schöne Stadt,
kringelrum e Mauern,
hinne hängt der Bettelsack,
vorne kann mer lauem.
Eine andere Färbung kommt in den gutmütigen Spott über
kleine und weniger wolhabende Ortschaften, wenn es von
Reuthe, Amts Stockach, heißt:
Reite isch e schöne Stadt,
aber nur e Flecke.
Dies wird erweitert und vertieft in dem Stockacher Spruch:
Zizehausa isch a kläane Stadt,
's isch jo nu an Flecke:
wenn sie am Mentig Hochzit hont,
so gont sie am Zinstig bettle.
Ein ähnlicher Spruch ist über einen Zinken von Ober-
harmersbach, der scherzhaft die „Hockenstadt** genannt wird,
überliefert.
Gröber schon ist der Spott über Schwaningen, Amts
Bonndorf:
Schwanninge isch e schöne Stadt,
aber nu en Flecke,
sind nu zwe Buebe drin,
un de laufet an de Stecke.
Während nun in den mitgeteilten Sprüchen die ganzen
Gemeinden als Einzelwesen behandelt sind, müssen auf dem
hohen Schwarzwald, wo geschlossene Ortschaften selten sind
und der Einzelhof vorherrscht, auch die einzelnen Hofbauern
herhalten. So sind durch Herrn Apotheker E. Himmelseher
in Neustadt im Schwarzwald mehrere Sprüche aus den bei
Neustadt ins Gutach -Wutachtal mündenden Tälern, die meist
für sich Gemeinden bilden, mitgeteilt. Ich beginne mit dem
Tal des zu den Viertälern gehörenden Spriegelsbachs, das
' Liene = Waldrebe. Vgl Seilet. BmI» MimcUurt 8. 190.
Durfspr flehe tidur Onslitniii
beim „Bierhiisle" zwischen
ins Outachtal geht.
ä (lern KadJsrhcn Oburlflnd
nd der Hülzlebnit
Spriegelsbacher Litauei.
Der FUrsatz iuch übe im Dil.
der HODslebur hfit kei Vieli im Stfll.
der Hnflcr hBngt de Speck in Rauch,
bim Kleiser iaish es au sfi Brauch.
der JnBlebur mit der achmutzge Traud.
der Hanneabur hat kei Speuk lum Kraut,
der Hilpert mit em neue Hua:
die Schulde gucke obe ms.
der Roinbnch mit der Tabakpfifc,
der Metzgerpante duet de Hühnere grife.
der Dengeaebnr mit der Ofekrucke.
der Krtltlbur duet im Bierhosle buike.
Hier sind also alle Bauern von oben im Tal bis zum Bier-
hiisle durchgehechelt. Nur durch die Höhe des Feuerbergs ist
der Spriegelsbacb von der Sihild wende getrennt. Die Schild-
wende beginnt wie der Spriegelsbach beim Heiligenbrunnen und
zieht von diesem Östlich in das Tal des Josbaehs, der dann
weiter unten mit der Ordoach vereinigt bei der Hiilzlebnick
mit der Tochter des Tiliseci, der Gutach zusammenkommt.
.Schildwende.
Der Taanacker iach der Afsng.
im Griesbacb isch der Dng lang ',
der Pfaß' mit em Brutkllbel.
der Pfräiiglo schlagt 'sWib Obe),
der Benedikt hat 'sHns voll Strau.
iler Gaiabur e fuli Kral
im Beiligebruniie
d' Obendstuiue.
Holz
d' Mnidli stolz.
Hier ist der umgekehrte Weg eingeschlagen: die Stratle
des Spotts geht das Tal hinauf. Bemerkenswert ist der Brot-
kübe) beim Pfaffenhof, der an die zuerst verzeichnet« Form des
Dorfsprnclis anklingt. Ferner sehen wir, dass in diesem wenig
unter 1000 m hoch gelegenen Tal die Lage zur Sonne viel aus-
macht: sie wird hervorgehoben beim Griesbachershof am Anfang
des Tals und beim Heiligenbrunnen, der mit seiner Kapelle und
einem Wirtshaus 1025 m hoch aaf der von der Weißtannen-
* Der Griesbachershof hat den ganzen Tag Qber Sonne
158 Pfaff
höhe südlich ziehenden Wasserscheide gelegen ist, und somit
die Abendsonne aus letzter Hand genießt.
Wir wenden uns weiter östlich das Tal von Langenordnach
überschreitend zum Schwärzenbach, der vom 1142 m hohen
Steinbühl beherrscht wird. Die Gemeinde besiedelt außer dem
Schwärzenbachtal auch den Oberlauf des Eisenbachs, der bei
Neustadt in die Gutach mündet, greift nördlich hinüber ins
Schollachtal und östlich ins Eisenbachtal, die beide zum Donau-
gebiet gehören, während die Gutach als Wutach dem Rhein
zuläuft. Die Reise geht talauf.
Schwärzenbacher Litanei.
Der LoUr isch en Trüdler,
der Hasebur isst gern Nudle,
der Donisbur isch en Kälblistecher,
der Hesselbur isch en guete Zecher,
der Schochebur isch en Kienölbrenner,
der Willme isch en Steiversprenger,
der Schofmeier in gsengete* Hus,
der Schwob basst d' Völcher' us.
der Killi isch en dicke Ma,
der Saalerbur isch nebe dra,
der Rittibur isch e grobi Su,
der Haberjockele isch ebe so ru,
der Ahomwirt mit em rote Bart,
der Hochebenebur isch au vun der Art,
der Ebenemöser mit em hohe Huet',
der Hofhannese bat gar kei Muet,
der Großbofer hat en mfichtge Dold^
der Helliwander isch de Mägde hold,
der Hintermüller isch en witzige Ma,
in Wiesbach bän se Knöpf häs a^
der Winterer mit der Degelscheid^
der Magrämmebur mit der Kälberweid.
' Gesegneten. * Dienstboten.
' Oder: mit em große Guet.
* „Er hat einen Dold**, d. h. hochgehobenen Wipfel = er leidet an
Einbildung. Him.
^ Im Wiesbacbhof hat sich die alte Männertracht am längsten er-
halten. Die Kleider der alten BaueiTi kamen in die Karlsruher Sammlung
Hirn.
^ D. h. Degenscheide. In vielen einsamen Höfen hatte man fait Hl
die neueste Zeit starke Säbel zur Abwehr landstreichendea OanwM*»
Noch kürzlich fanden solche Waffen zum Abhauen von '
f Dorfspriii'he «der OrtslitHn
1 BndisL'lieu Oberland
Chollacl
■ Litn-
Der Kengetcr' mit em Uafersack,
der EUplibur mit em lange Frack*.
der Öler mit dem Buclierhus.
der ISeierlü arhaat uhe lua,
der Winterhalder mit der dicke Frau,
der .... biir isch e Dr . . ks , .
Auch das nalie, nördlich und östlich von Steinbüfal ge-
legene Schollachtal, das in den Eisenbach mündet, hat eine
Litanei, die aber leider nur als Bruchstück überliefert ist.
l _,^_
Schwarzwald aus. Wer die Verhältnisse kennt und die An-
spielungen versteht, wird nicht leugnen ktinnen, dass diese Dorf-
Sprüche viel "Witz enthalten.
Bemerkenswert scheint mir ein Hinweis, den G. Jung-
lifluer in der schHnen von Pommer geleiteten Zeitschrift „Das
Deutsche Volkslied" macht*. Er behandelt hier DorfsprUche
aus dem Böhmerwald und bespricht die yod den Hofnanien
herstammenden Rufnamen der Bauern, die wir ja auch in unsern
Schwarzwälder Dorfsprüchen kennen gelernt haben — man be-
achte wol, dass die Besitzer der Höfe sich meist ganz anders
.schreiben", als sie (ihrem Besitz nach) gerufen werden. Jung-
bauer macht aufmerksam auf Dorfspriiche, welche die einzelnen
Hausnamen derart miteinander verbinden, dass sich ein witziger
Vorgang oder irgend eine Verrichtung daraus ergibt. So
schildert ein solcher Spruch aus Deutschhaide bei Oberplan die
Schlachtung eines Kalbs in der Weise, dass jeder Bauer dabei
eine Verrichtung hat. Ich habe bisher im Schwarzwald nur
einen einzigen Spruch dieser Art gefunden, und zwar in der
Gegend von Lenzkirch im hohen Schwarzwald. Während die
bisher mitgeteilten DorfsprUche keinen inneren Zusammenhang
zwischen dem von den verschiedenen Hofbauern Ausgesagten
herstellten, bildet bei dem folgenden Spruch das Heraufziehen
eines Wetters den gemeinsamen Hintergrund.
' Reaget bildet mit Gngetibncb, StiLIctibaeli und HinterHcboMuoli dna
t Uittelsc hollach.
'4iis]^elnng auf die alte Trndit.
1 ClWfi). S. 62,
J
160 t'foff — Borfsprüche oder Oitslitaneien a. d. Badischen Oberland
Jetz könnt e Dunderwetter.
sait de Vitte-Kätter.
Sisch nimme witt,
sait de Htisle-Vitt.
He. *swird scho kumme,
sait de Dumme.
He, lens doch ko S
sait d' Hiere-Apelo *.
Des wird au dundre
un d' Saigemer Maidle werde si au verwnndre;
des wird au krache
un d' Hieremer Buebe werde au lache;
des wird au blitze,
un d' Vittebüre wird au schwitze;
des wird au dose
un der Burgemeischter wird au lose.
Damit sei denn für diesmal Schluss gemacht. Nur noch
das eine will ich bemerken, dass ich alle diese Dorfsprüche,
und zwar besonders die anfangs mitgeteilten Vierzeiler, für ur-
sprungliche Trutzreime halte, wie sie ehedem zum Tanz
gesungen wurden. Ich habe solche Tanzreime, d. h. solche,
von denen es ausdrücklich überliefert ist, dass sie ehedem beim
Tanz gesungen wurden, im badischen Ober- und Unterland viel-
fach vorgefunden und gesammelt. Im Fränkischen heißen sie
einfach „Gsetzl", d. h. Strophen, w^ährend sie z. fi. in der
Herrschaft Lenzkirch den auf den Gesang hinweisenden Namen
JRappeditzle , d. h. Repetitio = Kehrreim, tragen. Überliefert
ist der Gebrauch beim Tanz von den Dorfsprüchen aus der
Gegenwart meines Wissens zwar nicht; offenbar liegt die Blüte-
zeit dieses eigentümlichen Zweigs der Volksdichtung weit zurück :
ist es doch kennzeichnend, dass die Dorfsprüche meist nur in
der Erinnerung alter Leute leben und vielfach nur noch bruch-
stückweise aufzutreiben sind. Vielleicht geben diese Mitteilungen
neuen Anstoß zum Sammeln, ehe es zu spät ist.
' Lasst es doch kommen.
* Apollonia. Hiere == Hierahof.
Die volkstümlicheii Personennamen
einer oberbadischen Stadt.
Ein Ui'ilmg
clilv iIlt aleinuniiiaclicii
1 Karl Bert liehe.
Vorwort
Als ich vor einigen Jahren in den Ferien meine Eltern
oder Landsleute um Auskunft fragte, iver dna oder jenes gesagt.
oder getan Iiabe, und mir dann, da man mich für einen der
Heimat lialb oder ganz Entwachsenen hielt, darauf meistens mit
einem regelrechten, gewöhnlichen Kamen (Vornamen und Zu-
namen) geantwortet wurde, wusste ich fast nie die richtige Per-
sönlichkeit damit zu verbinden. Dies war erst dann der Fall,
wenn man ihr die ortsjililiclie, alte Benennung gab. Damals
wurde ich nun auch darauf aufmerksam, wie gar oft der AII-
tagsname eines Menschen in meiner Heimatstadt stark ver-
schieden ist von seinem offiziellen Schriftnanien, nnd wie noch
Öfter beide gar nichts miteinander zu tun haben. Ich bemerkte
bald, dass viele zwei, sogar noch mehrere solch offiziöser Be-
zeichnungen hatten. Ich erinnerte wich auch daran, dass ich
früher, wie andere Kinder, oft bitter daftlr büUen musste, wenn
ich es als etwas ganz Selbstverständliches ansah, einen überall
und oft gehörten Namen seinem Träger auch ungescheut ins Ge-
sicht zu sOj^n und ihn damit anzureden ; hatte ich doch noch nicht
im mindesten eine Ahnung davon, dass es dreierlei Namen für
jemand geben könne, nämlich einen geheim gebrauchten, be-
leidigenden (Schimpfnamen), einen auch offen vor dem Be-
treffenden benutzten (Rufnamen), und endlich einen selten an-
gewandten, .papierenen" (Schriftnamenl.
.\us diesen Kindheitserinnerungen konnte ich schon er-
sehen, wie die Spitznamen ganz allgemein gebräuchlich sind im
sMiadlicben AUtagsverkehr. Allmählich erkannte ich auch mit
Ä
16S
Rcrtstht
Freuden die ungeheure Fülle luid Mannigfaltigkeit dieser ur-
wüchsigen Schöpfungen der VolksphantÄsie und des Volks-
humors, die meistens, gegenüber den farblosen, nüchternen Titeln
der Prosa, geradezu wie echte, frische Kinder der wahren Poesie
einen anmuten und aulachen.
Nachdem ich eine Anzahl solcher originellen Benennungen
aufgezeichnet und verglichen hatte, gewahrte ich, dass auch ge-
wisse Gesetze bei dieser Naniengebung zur Geltung gekommen
sein niüssten, obgleich mir noch sehr viele Bezeichnungen ein-
fach unerklärlich und unbegreiflich erschienen.
Nun gingen mein Vater und ich, er das ganze Jahr und
ich jeweils in den langen Universitätsferien, daran, die ver-
schiedensten Namen von Erwachsenen (Slannem und Frauen) so-
wol der Gegenwart als auch der Vergangenheit, soweit das Ge-
dächtnis der ältesten Leute reichte, zu sammeln und zu sichten,
um sie auch in ihrer weitverzweigten Verwandtschaft zu er-
kennen. Bei den Übernamen wurde mit peinlicher Gewissen-
haftigkeit der Grund, die tatsächliche Unterlage und Bedeutung
derselben festzustellen gesucht, und die oft vielfach verschie-
denen Meinungen darüber geprüft und gegeneinander abgewogen.
um nicht von irgend einem entfernten Verwandten des Betreffen-
den unerwartet getäuscht zu werden. Denn es kommt häu%
vor, dass die Sippschaft eines mit einem Schimpfnamen Ver-
sehenen eine ganz andere, mildere, manchmal auch einleuchten-
dere Erklärung, als die Tatsachen erlauben, dem betreffenden
Spottnamen unterschiebt.
Andere Schwierigkeiten stellten sicli den mehrjährigen Be-
mühungen iiemmend entgegen und machten unsere Nach-
forschungen langiWerig: so das oft hohe Alter vieler Namen,
das heikle und peinliche Gebiet der manchmal sträflichen
Schimpfnamen, wobei man, um nicht anzustoßen, stets indirekt
anfragen musste; denn alle mit einem Spottnamen^, Behafteten
kennen ihn natürlich auch selbst; besonders aber der Umstaud,
dass sehr viele Schimpf- wie Rufnamen oft nur von ganz
wenigen Personen auch verstanden, d, h, Jn ihrer Entstehung
und Bedeutung erkannt werden — übrigens ein strikter Be-
weis für deren Alter, Einbürgerung und Verwendung als vrirk-
liclie Geschlechtsnameu.
Ferner war hemmend die bekannte angeborene Verschlossen-
heit der Bauern — und das sind die meisten Einwohner ]
Die
•o\k>^\
r oberbadi sehen Stadt 163
Heimat — sowie der Landleute überhaupt, wenigstens in dieser
Gegend, und gar in solchen schwankenden nnd kaum greifbaren
Dingen, und endlich der umstüadliche Verkehr mit scheuen
Kindern. Dann hatten die Leute auch nicht immer Zeit und
Lust zu derartigen Erörterungen, Man musste deshalb schonend
und langsam vorgehen. Endlich gelang es aber doch, aus dem
„Ozean alles Tiefen und Genialen" — wie Herder das Volksleben
nannte — etliche prächtige, wenn auch nicht lauter süße, Tropfen
zu schöpfen.
Litt' rat nr.
Birliiijjer. Aus Soliwobon. I. Bd.: Sngen, Legenden. Volksnberglniiben.
li. Bd.: Sitten und Kechtsgeb rauche. Wiesbaden. 1S74. (Darin
besonders das Kap. XXXUI S. ill— 440 über das Gouuerleben.)
Hurk M. R-, Zur OrU- und Personennamen kundß. Seltenere Zu- und
L'bemamen in Alemannia XIII S. 17 ff. (nlphabet. geordnet),
Meintie, Albert, Die deutschen Familiennamen. Halle. 1^03.
Hone, Sonderbare GcBohlechtsDamen in Mones , Anzeiger fUr Kunde des
deutschen Mittolalters" III S. läff.
Hassmanu, Ausgezeichnete Eigennamen in Monea Anx. Ill S. 83 ff.
I'faff, Unsere Personennamen. Zeitschr. des Allgem, D. Sprachv. 18^9
No. 5. und Über Spitznamen und Zunamen. Eb<I. 1900 S. HI ff.
Pott, Die Personennamen und insbesondere die Familieunamen. Leipzig,
1«59,
Socin, Adolf, Mittelhocbdeatsches Namenbuch. Leipzig, 1903.
Stark, Die Koaenanien der Germanen. Wien, 1868.
Ein Salbuch (Einträge von 1692— ITOOj aas dem Pfarrarchiv. Drei Stadt-
protokoll bUch er (1702—1740).
LagerbQcber (3 Foliobände) ans dem £nde des 19. Jalirhunderts. (Das
Datum ist niubt genauer zu beatimmen.)
firund- und PfandbUcher (KaufbUcher) von 1823—1840.
Un gedruckt« Materialien zu einer Geschichte von Müh ringen (bis ins
17. Jahrhundert gehend), die mir von meinem Freunde und Landsmann
BerthoM Lang (Minorist) bereitwilligst zur Verfügung gestellt
wurden.
Einleitung.
Gegenstand und Zweck dieser Abhandlung,
§ 1. Vorliegende Arbeit behandelt auf Grund münd-
cher Erkundigungen
1. die Rufnamen, d. h. die KaDien, womit man jemand aus
einer Menge unzweideutig bezeichnen und mit Erfolg
herausrufen kann;
^
164 BeHsche
2. die Schimpfnamen von Erwachsenen im Alter von mindestens
etwa 25 Jahren, und als Ergünzuu^
3. eine Anzahl Kinderspitzn Junen der Heimat des Verfassers,
und zwar nach Entstehnngsursache, Form, Inhalt. Ver-
erbung und Übertragung.
Alle diese Abarten, besonders aber die beiden letzteren
sind nun wol dazu angetan, helle Streiflichter zu werfen, sowol
auf unsere heutigen Geschlechtsnamen als auch auf die allgemeinen
Spottnamen, deren Deutung ja meistens unsicher ist. Sie sind
vielleicht imstande, Aufkommen tind Bildungsweise dieser histori-
schen Namen zu beleuchten und zu erklären; denn wenn man
auch die Bedeutung der meisten Personennamen und Äppel-
lativnamen kennt oder doch ahnt, so weilt man jedoeh in den
wenigsten Fällen klipp und klar, wie und warum diese Person
zu dem Zunamen von diesem Inhalt kam, und wieso jener
Schimpfname (z. B. Lufli, S/off''.'l} aufkam und mit der Zeit so
verallgemeinert werden konnte'.
Manche der behandelten Namen (vgl, besonders § 5, 1)
dürften einigermalien auch dazu geeignet sein, die Behauptung
zu beweisen, dass die Wandlung ursprunglicher Personennamen
zu Appellativen sich wot kaum, wie oft angenommen wird,
lediglich oder auch nur hanptsächlicb aus dem häufigen Vor-
kommen erklKrt, sondern meist so, dass der Name einer Person
(z. B. der Mainzer Schinderhannes), die sich durch irgend welche
hervorstechende Karaktereigen Schaft oder auffallende Taten —
welche übrigens selbst nicht einmal in dem betreffenden Über-
namen an den Pranger gestellt sein brauchen — einen Namen
machte, allmählich auch auf Leute derselben Art oder ähnlichen
Gelichters angewendet und übertragen wird.
Wenn man dann noch ähnliche , ebenso genaue Feststel-
lungen von Namen aus andern Orten hätte, so ließen sich wol
aus einem Vergleiche der verschiedenen Behandlung« weisen
' Tgl. S. lil der ,Zeitik:hr. des AUgem. D. Sprachr,* 190O (Bsriclit
aber einen Vortrag des Prof. Dr. Pfaft in Freiburg Ober .t^pitznsmen
tuid Zunamen': .Wie diest^ (die Spitznamen) entstehen, sieht man arn
besten in abgelegenen Dörfern, wo Jeder seioen Spitsnamen hak, und Wtt
man die amth*cheD Zuanmen kinmi kennt* ; lieun .wahrend . . . iu ätr
Stadt die Namen meist erstnrrt unil fojiiielliufl geworden sind, 6ndet aicli
auf dein Lande noch die früher überall vorhandene '- BMlehmig
zwischen Menach und Name*.
r oWrbailisc^lien SUdt 1(15
manche, für die allgemeine Kamengebung wichtige und auch
für die Kulturgeschichte «evtvolle Schlüsse ziehen.
Bei einer näheren vergleichenden Betrachtung der Grund-
sätze dieser Namenbildting und -Vererbung drängte sich mir
bald der Gedanke auf, diese Erscheinungen möchten, besonders
bezüglich der Vertauachung der Vornamen (s. besonders gg laif.),
in der altgermanischen Namengebung eine Parallele, vielleicht
sogar ihre Vorläuferin flndeii. Dadurch nfire dann auch die
TJn übersetzbarkeit vieler althochdeutscher und anderer Doppel-
namen erklSrlich, die ja nicht nur aus völlig gleichbedeutenden,
sondern oft auch aus solchen Worten zusammengesetzt sind,
die überhaupt schlechterdings nicht in vernünftige Beziehung
zueinander ru bringen sind.
Diese Vermutung wurde nachher vollauf als berechtigt er-
wiesen durch Franz Starks ^Erkurs" über den Ursprung der
zusammengesetzten Kamen (in seinem Werk: „Die Kosennamen
der Germanen" S, 157ff.). Darin werden zuerst viele anord.,
ags. und ahd. Namen von Eltern und ihren Kindern aufgeführt,
um die in altnordischen Sagas berichtete Sitte der feierlichen
Namenverleihung bei den heidnischen Normannen zu erlitutem
und sie als für andere germanische Stämme ebenso geltend
nachzuweisen'.
Diesen unsicheren vorgeschicbtlicben Vorgängen stellt dann
Starte die gesetzraKHige Namengebung der friesischen Saterländer
gegenüber, bei denen bis ins 18, Jahrhundert allgemein als
Stammname jedes Kindes der Vorname des Vaters, und als Vor-
name de,s Sltesten Sohns der Stammname des Vaters verwendet
wird, so dass also der älteste Enkel immer wie der GroHrater
heilit. Die älteste Tochter erhält den Namen der Großmutter;
dann kommen der Reihe nach die andern Verwandten daran
(vgl. auch Heintze, Deutsche Familiennamen 18S2, S. 29f.). Aus
dieser Gegenüberstellung zieht Stark den Schluss, im Verlaufe
der vorgeschichtlichen Zeit seien die zusammengesetzten Namen
der Kinder wol in ähnlicher Weise entstanden wie in der histo-
rischen Zeit, und zwar im Schöße der Familie, so dass sie sich
' Vgl. damit llbrigena auch Luc. 1. 59 ff.: „. . . et voeabant ewm
nomine patrit sui üachariam. üt respondenn niater eins dixit: Ne^a-
quam. 3cd rocabitur loatitiM. £t di.Terunt ad illam: Quia nemo est in
eognatimie tua, gui vocettir hoc tiomiiie etc."
161
Berts clie
uns als „ein Produkt inniger Gatten- und Verwandtenliebe" dar-
stellen:
„Sie sind den Namen der Eltern und der näcliaten lieb-
gehaltenen Verwandten nachgebildet worden. Anfangs mochte
der Sohn wie der Vater oder Grolivater, die Tochter wie die
Mutter oder Großmutter mit dem einfachen Namen genannt
worden sein; später wird man versucht haben, die Namen der
Eltern und Verwandten in den Namen der Kinder zu ver-
einigen . . ." (Stark S. 162)'.
Wenn nun auch bei den vorliegenden Möhringer Personen-
namen nicht dasselbe einfacbe starre Gesetz der Vererbung gilt
wie bei denen der Friesen, sondern die grollte Mannigfaltigkeit
herrscht, und unter anderem auch nie, wie oft im Germanischen,
der Elternname oder ein Beatandteil desselben als zweites Ele-
ment im Kindesnamen auftreten kann, sondern stets nur als
erstes, so werden sie doch ebensogut wie jene friesiscben Na-
men als beachtenswerte Gegenstücke oder Nachklänge der gei^
manischen Doppelnamen betrachtet werden können, gilt doch
auch für sie, was Stark S. 160 von einem Teil der altnordi-
schen Kindernnmen annimmt, es sei nämlich „jenes Wort, das
in den Namen der Eltern keinen Widerhall findet, wol meistens
dem Namen eines nahen Verwandten, insbesondere dem des
Großvaters oder der Großmutter, und zwar von mütterlicher
wie von väterlicher Seite, entnommen worden".
Jenes Wort, das in den Namen der Eitern nicht er-
scheint, vertritt nämlich jetzt hauptsächlich der Taufnsm« (bet
mehreren der sogenannte Rufname), da hier die andern zwei in
allgemeinen Rufnamen vorkommenden Grundworte (Beruf- und
Geschleehtsname) kaum in Betracht zu ziehen sind (vgl. übrigens
§§ 27, 28).
Nach der von meinem Vater und mir aufgestellten Statistik
' Nach allem scheint alitu Stnrks Vcrniutims nicht bloll .rvclil An-
mutend*, sondern auch ziemlich, nenn auch nicht vnllig, aus reich onii eu
sein. Im Laufe der Zeit hat dann t^viaa aucH ilcr Urostand xur Mim
von un- und widersinnigen Doppelnamen noch beigetrsgen, daas .inj''
wissen Zeiten und Gegenden gewisse Wortstämme. die oft im n™ile»
Teile von Namen erschienen, ai-hUeülidi nicht mehr ihrem Sbnp wi^
sondern nur noch hIb nanienliildend*) IriuflixB gcfablt um) HogewuuK'
wurden. (.Unsere PersonenuHine»' ron trof. Pf »ff. Freiburg, in .Zeilwlf-
des Allgem. D. Spra.-Iiv.* \^m. No. 6.)
volksüiiiilichcn
nliorbaJinclifn Slailt 1(J7
ist nun unter 526 lebenden Kindern der Vaternam« nur 28,
der Muttemame 20 gegeben worden. Ö7 Kinder haben dem
Zufall und der Laune oder wenigstens jetsst nicht mehr be-
kannten Gründen ihren Vornamen zu verdanken, 6/ dem Ge-
burtstagheili^n. Alle andern entfallen auf leibliche und geistige
Verwandte oder Bekannte, unter denen Vaters Bruder (32) und
der Pate {= ih thite 44) am meisten vertreten sind. Den
höchsten Prozentsatz von Namen aber liefern die beiderseitigen
Großeltern, und zwar sowol im ganzen (zusammen 25''/o
= 132) als auch besonders unter den leiblichen Verwandten.
Es erhült dann meistens der erste Sohn den Namen des Groß-
vaters väterlicherseits (BGmal) und die erste Tochter den der
Grollmutter mütterlicherseits (40 mal). Die Namen der andern
Groliellern verteilen sich etwa hälftig ^29 und 2"). Das Über-
gewicht der groUelteriichen Namen bei der Taufe eines Kinds
ist also trotz der Menge anderer Milwirker doch immer noch
festzustellen. (Auch bei den Alt- und Neugriecben, Albanesen;
vgl. Pott S. 659 Anm.)
^|K Zur (li^^'cliichte von Mührin^eri.
% 2. UÖhringen, an der Donau zwischen dem badischen
Orte Immendlnpen und der würftembergischen Stadt Tuttlingen
gelegen, ist schon sehr alt. Zum erstenmal wird es erwfihnt
im Jahre 786 als Mfmnijtfnu dann &05 Meringas (Mones An-
zeiger III S. 35<i, aus Neugarts Cod. dipl. Alemann.), nicht wie
gewöhnlich angenommen wird (s. Kriegers Topograph. Wörter-
buch von Baden) erst 882 als Merchenint/a. Es besitzt schon
seit dem 14. Jahrhundei-t Markt- und Stadtrechte.
Jahrhundertelang (seit Mitte des 16. Jahrhunderts) ge-
hörte Muhringen zum Besitztum der Fürsten von FUrstenberg,
bis es 1803 an Baden kam. Damals hatte es etwa 1400 Ein-
wohner (wie schon im Jahre 1700), und jetzt nur noch 1200.
usbringen ist Sitz eines (kath.) Pfarrers, Arzts, Tierarzts,
Apothekers, bat ein Spital (auch von auswärts besucht), bis
1845 ein Amt (= Amtsrevisorat; daher docIi s'Antthus =^ frUher
Sfifaloss der Herren von Klingeuberg), einen Galgen (bis Anfang
4w le. Jahrhunderts), Notariat (bis 1877), auch Gendarmerie-
ation. Möhringen war von jeher ein wolhabendes, verkehrs-
IW Stfidtchen (noch jetzt bekommen 30Ü Bürger einen
168
Bertsclie
jShrlichen Bürgern utzen, Burgerhde, von 80 M.), liegt ee docli
an den alten Verkehrs- iinil Poststralien: Ulm — Tuttlingen—
Schaffhausen, Rottweil— SchaflThausen—Donauesching^n. DieMebr-
;sahl der Einwohner treibt auch noch in der Gegenwart Land-
wirtschaft; denn MiShringen hat nicht umsonst mit rund 3030 ha
Gesamtfläche die größte Gemarkung des ganzen Badischen See-
kreises.
Bis gegen 1865/66 waren besonders die Schsänärkte von
MShringen weit berühmt und viel besucht, so dass überallher,
besonders auch von Paris, Grolihfindler kamen, um von den
20 — 25000 jeweils vorhandenen, Schafen einzukaufen. Die
Zünfte blühten einst mächtig im Städtchen. So gab es aulier
den Handwerkern, die für die täglichen Bedür&isse der Be-
völkerung sorgten, auch Gerber (um 1S40 acht Rot- und
Weiliger ber j , Seidenweber, Poaamentiere (Borl-imacher oder
IkisBment^r], Slicker, Stricker, Glöcklegielier, die ihre Waren
hauptsächlich in Osterreich, Ungarn, Böhmen und Polen hau-
sieren lieUen. Die meisten jungen Gesellen gingen einige Zeit^
lang in die Fremde, um ihr Handwerk besser kennen zu lernen
und dann als weithereiste und erfahrene Meister ihre Zunft zu
beleben und zu fördern in der Heimat. Daher die vielen Na-
men wie; rU Londoner, di Jiariser, th ßola; (b Wiianärheck.
So hatte es den Anschein, als ob ]Mbhriugen sich zu einem an-
sehnlichen Gewerbe- und IndustriestSdtchen entwickeln wolle
Aber die leidige Prozess- und Händelsucht, die durch den in
§ 3 geschilderten unaufhörlichen, und immer größere Kreise
ziehenden Familien- und Parteikampf erregt und geschürt wurde,
verdarb die schönsten Hoffnungen. Man Hell ruhig die wUrttein-
bergischen Nachbarn allein den richtigen Zeitpunkt er&ssen
und Dampf und Elektrizität verwenden. 1850 hatte Tuttlingen
rund 3500 Einwohner, jetzt hat es 14000.
Die Gründung eines Gewerhevereins (1869) mit 120 Mit-
gliedern (jetzt nur noch 38, wovon die meisten Ehrenmitglieder!),
sowie die Gewerbe au sstellung von 1873 vermochten den Nieder-
gang des Handwerks nicht mehr hintanzub alten; denn dimib
den Babnbau 1868 — 1870 wurde der Durchgangsverkehr sehr
geschadigt, ja geradezu lahm gelegt. Daher übrigens aucli die
nicht geringe Zahl von ortsan süss igen Italienern und Üstei-
reichern, die damals und ebenso beim Bau d»*" ~ ' ' Imtuen-
dingen- Engen (1864—1868) sich in Möh' delten.
iDie rolkslUmikiien Persoi
r uhei'lin<lis<7)ji;n Stndt Itig
Solche, die mit Frau und Kind einwanderten, gibt es kaum.
In jener Zeit, machte sich dann noch der immer scliädlicher
werdende Einfluss — besonders auf die Gerbereien, die bis auf
eine vermindert wurden — der Donau versickerung zum ersten
Male geltend und stark bemerkbar. Monatelang ist das Donau-
bett auf drei Kilometer ausgetrocknet, da anf Moliringer Ge-
markung das Wasser unterirdisch in die Aach flieüt.
So gibt es also nur noch M'enig mehr als zwei Dutzend
kleinere Handwerksmeister (Schmied, Wagner, Schlosser, Zim-
mermann, Schreiner, Schneider, Maurer und ScliuhmacherJ, diCi
meist allein, nur für den ürtsbedarf arbeiten. Die andern, so-
weit sie noch leben, betreiben Landwirtschaft, sind Taglöhner
geworden oder gehen seit 15 — 20 Jahren in die Fabrik nach
Tuttlingen oder Immen dingen. Viele junge Leute, Burschen und
Mädchen, im Alter von 15 — 25 Jahren sind auch Fabrikarbeiter,
zusammen etwa 150 Personen. Weil den Örtlichen Verhültniesen
einigermaUen entwachsen und entfremdet, sind diese im folgen-
den grundsKtzlich nicht berücksichtigt (vgl, jedoch § 27).
Noch erübrigt, zur Erklärung der auffallend grölten Zahl
von unehelichen Kindern, von denen übrigens mehrere in der
Zeit der beiden Bahnbauten, wo die Stadt jahrelang vou den
zweifelhaftesten Elementen geradezu belagert war, geboren sind,
zu erwähnen, dass es wegen des Bürgemulzens früher (bis
1870) orts polizeiliche Vorschrift war, dass, wer heiraten wollte,
einen „eigenen Herd', d, h. ein Heim besitzen musste. Darum
gab es zahlreiche alte Jungfern und Junggesellen. Sie bekamen
ja das Bürgergeld auch so und hatten außerdem gewöhnlich
lebenslängliches Wohnungsrecbt in einem sogenannten „Liili-
dingstiUe" des Elternhavses '.
Allgemeines über Entstehung der Ruf- imd Schimpfiianien.
9 3. Wie und wann und von wem ist diese wunderbare
Fülle und das bunte Chaos von Ruf- und Schimpfnamen ins
Leben gerufen worden? Die ersteren gehorchen wol einfach
einem uralten Gesetze, das sich durch hundertjährigen Gebrauch
' Volksüberlieferung herausgebildet hat. Sie entwickeln
. und die Bemerkung zu g 112. 2: dSliblt-
J
170
Uertaehe
sich von selbst. Man könnte »Iso auf sie das anwenden, wtis
von den Volksliedern gesagt wurde, sie entstehen nicht, sie
seien auf einmal da, sie liegen gleichsam in der Luft'. Bei
den Unnamen weiß man gewöhnlich auch nicht, von wannen
sie kommen, von wem sie stammen, d. h. wer sie zuerst den
betreffenden .aufgetrieben" hat. Und doch rühren sie meist tob
einer einzelnen Person her, die beim erstmaligen Aussprechen
des Schimpfworts mehrere Zuhörer hatte, welche dasselbe als
zuti'effend auch anwenden vor andern , die es dann absichtlich
verbreiten, bis es sich allmählich überall einbürgert und schliell-
lich allgemein gebraucht wird. Diese Art der Entstehung ist
nun sicher und genau festgestellt nur bei sieben Xamen: (to
Knit^ (§ 99), rfa Sonnemann {§ 100), da Gadir (§ 113, 3), de
„S'mrd schon fest werdi>" (§ 63), (tBol^erschnikbra (§ 93, 4),
ffMistoHe (§ 76) und *» ZiintH (§ 99). Diese Fälle können geradezu
als typisch betrachtet werden. Der Urheber des ersten Spitz-
namens, ein fremder Beamter (Straüenmeister), schalt damit seinen
Untergebenen vor andern Arbeiter«. Der zweite Spott wurde
zuerst ausgesprochen gegenüber einem Wirt vor seinen Gästen,
und zwar von einem ortsansässigen Arzt. Ein Spassvogel, ein
,Itapp^dule'^-^ und Märchenerzähler (vulgo rfj Tumnpostel) hnt
seinen beiden Kollegen (Maurer) die nächsten zwei Spottnamen
aufgebracht. Die übrigen drei rühren von dt
satirisch veranlagten Lehrer B, her, der in seine
etwa 60 Jahre wirkte {\ 1870).
Man wird nicht fehl gehen, wenn man die Verroutung
ausspricht oder sogar behauptet, dass von diesen vier Persönlitb-
keiten noch mehrere Schimpfnamen stammen, und jtwar tom
letztgenannten andere SchulspitKnamen, und vom lustigen und
luftigen Maurer ähnlich harmlose Neckereien. Von diesen beiden
wurde es nun tatsächlich mehrfach versichert, von den beldep
andern als sehr wahrscheinlich hingestellt, machten sie sicli
doch gern lustig über die schlichten, ^dummen" Landleute*.
' Ein Hftujitgrund lier Bildung von so vielen verschiedenen Bof-
nnnioR nm^ wol das hSufSge Yorkamitien der i;bichen Vornamen (Tgl.fi^)
gewesen sein unb noch sein.
' Vgl. Pfafe Erklärung Alcm. N. F. VI, l(iO.
' l'utaftchtich weisen vuracbiedene Worte und Ausdrücke, äxt «'•'
lit'i der SpitznatneogiABng (irie dietie vier) vorkommen, auf tremdcn Tr-
»)>rung hin (■.!. B. Saaeklepper S C^).
bekannten,
■ Geburlfistadi
I Die Volk Bill ml ichen Peraonennumen «
»lierbodiächrti ^ta<lt 171
Ebenso veranlagte Natnren werden auch redlich ihre Beiträge
zum Schimpfwörterlesikon geliefert haben. Verschiedene Frauen
haben sich hierbei noch besonders ausgezeiclinet, so die ge-
furchte te Verleumderin der fünfziger Jahre: (l'SattIcrbaarU, deren
seltsam und ungewöhnlich verdrehter Name (vgl, Seppl!) schon
ihren Charakter andeutet. Er hat wenigstens jetzt noch einen
last unheimlichen Klang.
1876 haben dann eine verheiratete und zwei ledige Frauens-
personen sogar auf schriftlichem Wege, durch Verteilung von
PaSfiuiUeii (meistens in Versen) an rund 60 weibliche Personen,
wenn auch mit geringem dauerndem Erfolge, sich um eine all-
gemeine Schimiifnaraentaufe verdient, zugleich aber auch mit
dem Arm der Gerechtigkeit bekannt gemacht. — Zu einer ge-
nügenden Erklärung der vorliegenden, verhältnismäßig doch
eicher Ungeheuern und ungewöhnlichen Fülle von Spottnamen,
wie sie in solcher Mannigfaltigkeit wol selten an einem und
demselben Platze vorkommen dürften, reichen aber derartige,
auch anderswo gemachte persönliche Bemühungen einzelner doch
wol kaum aus. Den nachhaltigsten Einfluss in dieser Be-
ziehung übte der gewaltige, verderbliche Riss aus, der seit Be-
ginn des 19. Jahrhunderts bis gegen Ende desselben (18Ü0)
durch fast die ganze Einwohnerschaft ging, und der entstanden
war durch die gegenseitige Reibung und Bekämpfung
zweier angesehener, gleich ehrgeiziger Familien. >lit
der Zahl der Familienmitglieder wuchs auch die Heftigkeit der
Fehde. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war auf der einen
Seite der Anführer: Landtagsabgeordneter Benedikt Fischler,
der damals Bürgermeister war, nachdem man in den stürmischen
Revolutionsjahren ihn einige Zeit abgesetzt hatte (vgl. § 100
und § 35 b).
Der Held der Gegenpartei war der bereits erwähnte Lehrer
Bertsche, dessen noch übler bekannter Sohn; t/^ MiiUer li., sich
alabald zum HauptkSmpen seiner Gesellschaft aufwarf. Er über-
traf an Streitsucht und Prozesskrämerei bei weitem seinen
Vater wie seine Gegner, deren Sprecher und Pamphletiat, dJ
(aU) Flaschner (wegen seiner Spott- und Hadersucht war er
gefürchtet und hatte desJialb nicht einmal einen gangbaren Über-
namen bekommenl), seine Prozesslast im Gefängnis büßen
. Sogar noch, nachdem es IÖ67 seiner Partei gelungen
, einen ihr nahestehenden Mann zum Burgermeister
J
172 Bi^rtsche . ^^^^M
Wählen, verfasste Müller B, 1875 im Geföngnis gegen Ter* ''
flcliiedene aeinei- Widersacher Pamphlete, größtenteils in Versen,
die er in der Schweiz {Schaff hausen) drucken und dann nachts
za Hunderten in seiner Heimat verteilen lieU. Man sagt, er .
sei auch mitschuldig gewesen an der besprochenen Schmäh-
schrift ensUndflut vou 1876. So haderte und prozessiert« man
noch Jahrzehnte weiter. Wie leicht begreiflich, sind nun be-
Bonders alle diejenigen, die sich irgendwie in diesem ewigen
Parteikaropfe und hüssltclien Familienzwist Iiervorgetan haben,
reiclüich mit Spottnamen versehen, und zwar meistens mit recht j,
beleidigenden und ki-iinkendeu, die daher oft auch übertrieben I
scharf und unbegründet sind.
§ 4. Einen beträchtlichen Anteil an dem Aufkommen und '
der Verallgemeinerung der grolSen Masse von Unnamen halten
auch drei alte ürtliehe Einrichtungen und Gebräuche; die all- '
gemeine Hanl'brecheanstalt und die Spinnstuben, aber ,
hauptsächlich die Fastnachtspiele, die indessen alle drei fast
gleichzeitig (um 1Ö7U herum) an Bedeutung und Pflege im alten {
Stile verloren und allmählich eingingen. — Was war natürlicher
und naheliegender, als dass die 40 — 50 Frauen und Mädchen, ■'
welche jeden Herbst etwa sechs Wochen lang vom Morgen- bis \
zum Abendgrauen auf freiem Platte vor der Stadt bei lustigen
Feuern Hanf brachen, nebenbei auch die Vertreter des starken
Geschlechts tüchtig „durchliechelten"? Und im Winter kamen '
sie bei Tage ^E'Kunkl'f (Kunkel = Spinnrocken) zusammen, ■
und bei Nacht ging man dann „ s' Li acht'' oder ilioyaart^', heute I
da, morgen dort. Den im Herbst angefangenen Faden konnte 1
man nun weiter und zu Ende spinnen.
Was in der kurzen ^eit des Hanfbrechens versäumt oder
nicht erreicht wurde, konnte ja während der langen Wint«^
abende am warmen Ofen beim Spinnen. Nahen, Stricken, Flicken
nachgeholt und vollendet werden, in engeren, vertrauteren
Kreisen {Itoitä genannt), welche aber bisweilen auch junge
Burschen erweitern durften'.
Einer der wichtigsten Faktoren, die bei der Entstehung der
zahlreichen Spitznamen mitwirkten, war dann die Fastnacht
(d'FasnslJ, an der Alt und June:, Reich und Arm von jehet
' Vgl. Birliugcr
■ Vgl. noch Birlj
Die viilkatnmlii'hcn Personennamen e
r überIjndiBthen Stadt 1 73
gern feilnahm. Da wurden (vor 1870 jedes Jahr ohne Aus-
nahme unil Unterbrechung:) allgemeine, in der Umgegend be-
rühmt gewordene Festspiele, häufig unter Aufwand bedeutender
Kosten, veranstaltet. Darin, oder auch getrennt davon, wurde
die Stadtchrouik ' verkündet, und einzelne hervorragende Ab-
schnitte daraus dramatisch (meist in Versen) behandelt. Charak-
teristisch waren und sind dabei teilweise jetzt noch die soge-
nannten Hansel (Hi'msl, Hansfic)^, die in einer besondern Tracht
(bemalter, seh eil enb eh an gen er Drilchanzug mit bemalter Holz-
maske und Fuchsschwanz), dem eine eigene Gangart (= ä^Hiinsrl-
schriti) angepasst war, mit veränderter Stimme meistens selbst
vetfasste, kurze Verse nnd Reime nach eigener Melodie sangen
(= Fasn3fli-^der) oder hersagten. Die Schuljugend wurde von
ihnen im stetigen Vorwärtsschreiten durch fleißiges Auswerfen von
Obst, Bretzein u. dgl. zum Mitsingen aufgefordert. Diese Past-
nachtsverse hatten nun meistens einen lokalen Inhalt, und zwar
in der Regel auch eine persönliche Spitze gegen irgend jemand.
Im Anhang ist eine Anzahl der bekanntesten Verse, die mit-
unter recht derb sind, unter Angabe der EntsCehungszeit ge-
sammelt, und zwar solche mit oder ohne Nennung von Namen.
Wenn die Betroffenen in der Abhandlung vorkommen, ist je-
weils darauf verwiesen.
Selbstverständlich waren diese uralten Bräuche vielen Kampf-
helden eine willkommene und passende Gelegenheit, ihren Partei-
leidenschaften die Zügel schieben zu lassen. So benutzte der
mehrfach erwähnte Müller B. die Lieder No. 3 (mit Bezug auf
die Brautwerbung von Bürgermeister Fischlers Sohn), Xo. 4 (be-
züglich der Wahl des letzteren zum Gemeinderat), wol auch
No. 5 (auf sich selbst beziehend) und sehr wahrscheinlich noch
mehrere andere, um seinem Hass gegen die Anhänger der andern
Familie und Partei Luft zu machen. Auf diese Weise bekata
auch er selbst später einen tüchtigen Denkzettel (s, g 101; vgl.
auch g 98; d-t Meister Lmiffflnf/ei).
Die harmloseren Reimereien wurden auch hänßg zu Tanz-
liedern gestempelt, wenn sie den richtigen Rytraus bessssen.
Man sang sie dann an Fastnacht, und später wol auch an der
1i(e= Kirchweih) gemeinschaftlich zum Tanz^ So dienten
bekannU alte Stockscber Narrenbucb, BJilingtr II S. 49.
BirliBger U S. 32. » Vgl. Pfuff. Alfm. N. F. VI, 160.
174
Bertsthi!
sie als Ersatz der manchnial mangelhaften Tanzmusik! Beaonden '
originelle und beliebte Verse werden jähre-, sogar jahrzelinte-
lang immer wieder gesungen (vgl, § lOlJ.
Alle diese Fastnachtsbräudie sind Überreste aus aller
närrischer Zeit, wird doch schon in der Zimiuerischen Chro-
nik (IV 135) das ,sc/ummengerichf gern Meringen" erwähnt,
„wo alle dummen, drolligen Jahres Vorkommnisse aufgetischt
wurden" ', wie bei dem berühmten und berüchtigten Sarren-
gericht von Stockach', Birlinger ist aber noch im Zweifel, ob
damit tatsächlich unser Mühringen gemeint sei. Indessen, ab-
gesehen davon, dass die andern beiden schwäbischen Dürfer
gleichen Kamens an Vergangenheit und Bedeutung weit zurück-
stehen, wird im Stadtprotokollbuch vom Jahre 1703 (S. hb)
„D'seJ^menhuob" erwähnt.
Allgenieiae phouelisflie und j;raminatische Vorbemerkungen.
§ 5. 1. Alle Rufnamen werden, wie die Schimpfnamen,
von alters her stets mit dem bestimmten Artikel verbunden
(vgl. folgende urkundliche Bezeichnung 1704/05: .Johannes
und Michell die Langen", Jllichell und Jakob die Stambler'
u. ähnl.), und zwar vei-mutlich deswegen, weil viele ihren ur-
sprünglich individuellen Charakter etwas eingebiillt haben und
fast zu Appellativnamen geworden sind. Es erklärt sich die»
aus dem Umstand, dass die meisten Spottnamen, sowie ^iele
einfache Rufnamen, ja sogar zusammengesetzte (z. B. ifo I^agler-
ferde) nicht bloH auf die eigentlichen Namensträger, sondern oft
auch auf ihre ganze Verwandtschaft und Nachkommenschaft an-
gewendet werden, und zwar rein und unverändert, und beson-
ders bei Kindern und aolchen Erwachsenen, die keine persön-
lichen Schimpfnamen und auch keine charakteristischen Rai-
namen haben (vgl. gg 53, 114). So hört man häuSg Redens-
arten wie: das ist eben auch ein „P/wrfc", ein echter ,ZHndii-
hehier', ein rää(ch)l-> lidtzetliita (G esc hleclitsn amen) ; die gehört
halt zu s'Na^*zis (Vornamen), zu rfa Schinder (Berufsname), m
da (i ä')Noglerhasclief'umile, zum Ger^hiip (= Haufen), tarn
SpiümaxJs'ig oder -ziiß (== Zeug, verächtlich für Geschlecht,
' S. Birlinger II S. iO.
' Birliager U S. 45— 5(i.
vulkstüinüdien Persrinfiinuiuen einer (iberlmrlisdieu Stsdt 175
FwniUe) u. a. Durch den Gebraucli mit einem tierartigen Zu-
satz werden sonst gewöhnlich harmlose Rufnamen auch schlieli-
Ikh zu Unnamen gestempelt, (Einen beim Schimpfnamen nennen
lieilit man natitnts).
Ferner bekommt man von Kindern auf die Frage: „Wem
gehörst du?'^ (so fragt man nämlich stets, also nach den Elterni
nicht nach dem Namen des betreffenden Kindes selbst), oft die
Antwort: (ijs Bdiers, s'Na^is usw. (demnach meist mit dem
allgemeinen Familienrufnamen).
Auf diese Weise haben sich sogar mehrere bezeichnende
.Schimpfnamen mit der Zeit zu wirklichen Appellativnamen ent-
wickelt, z. B, MuiiUwanger (= Schwindler, Aufschneider), Wi^schi-
kiafcr {^ Wucherer), Uahncnfritlr (— Lump) u. a., wobei allerdings
die Bedeutung des ersten Namenselements zu Hilfe kam. — Zum
größten Teil bewirkte aber wol die allgemeine, bei der Anrede
fast ausschlieDüche Benützung der Taufnanien (s. g C), bei welchen
der Artikel zur Unterscheidung nötig war, die entsprechende
Anwendung desselben bei allen Eigennamen. Auch im Hollän-
dischen erscheint der Artikel in festen Oeschlechtsnamen noch
häufig: (Je Ruyter, de Vrknt, de Witt); ebenso wird er im
Griechischen bisweilen gesetzt'.
2. Der Widerspruch, welcher bisweilen herrscht zwischen
dem grammatischen Geschlecht eines Worts und dem na-
I türlichen der damit gemeinten Person (z.B. da Luft, eine Frau;
rfi Met Liederlikeit , ein Mann) wird nur selten gehoben. Bei
Klännern trägt doch manchmal die innere Sprachform über die
I Süßere den Sieg davon: (?j Madam de la Tour (vgl. § 75).
3. Bei Diminutiven, die sehr oft angewendet werden,
schwankt der Gebrauch zwischen ,f?J" und „s'"; aber nur,
wenn es sich um Männer handelt*. Wenn ds vorherrscht, so
ist damit gesagt, dass jemand fast ausschlielMich mit dem be-
treffenden Diminutiv bezeichnet wiid. Dieses hat sich dann
ebensosehr eingebürgert, dass man es wol kaum mehr als solches
fühlt und auffasst, mag auch der Benannte es nicht gern hören,
4. Zur Erklürung der häufigen Anwendung und des all-
gemeinen Gebrauchs der Ruf- und Schimpfnamen uud
I zugleich zur Hervorhebung der Wichtigkeit und generellen Be- ^^^H
I ' Tgl. flbrigens auch I'ott S, 2 Anm. ^^^^^
^^^^^* fi«i Frauen und Mädchen natürlich ausschlieülirh a'. ^^^^^|
I
niitzung der Eltemnamen für die Kinder sei noch folgctaVIfls Ue# I
nngeflihrt und vorweggenommen :
Will man ein Kind kennen lernen, so fragt man dasselba j
zuerst niclit nach seinem eigenen Xaraen (denn man bekäme bei
kleineren doch nur den Vornamen zu hören), sondern nncli seinen
Eltern, und zwar mit der stehenden Frage: ^Wet»m kherscht •
(elii)'^" Darauf antworten sie dann meist mit dem allgemeinen
Rufnamen ihres Vaters, oder häufig auch mit dem Familien- ,
»amen (fiJs'Bellers, s'Bol^ers). Jlanchmal bringen sie auch in 1
der neueren Zeit, von der Schule beeinfliisst, den regelrechten J
Schriftnamen ihres Vaters vor. Versteht und kennt man
diesen aber nicht, so ersetzen sie ihn selbst rasch durch den 4
geläufigeren Rufnamen, bisweilen sogar durch den gangbaren, ii
Stets gebrauchten Spitüiiamen, „Im Mfawanfffr', erwiderte mir ]
einmal fast mit einem gewissen Stolz ein zwölfjäliriger Knabe. I
5. Da jeder Vokal vor (und bisweilen auch nach) Nasal |
immer auch nasaliert ausgesprochen wird, ist dies nur dann ange-
deutet, wenn der Nasal abgefallen ist. Das umgekehrte r (»)
bedeutet das sehr oft vorkommende unbetonte, dumpfe e (so-
genannter Indifferenz vokal). Bei der HSufigkeit der Suffixe
-er, -el ist es hier jedoch als Belbstverständlich unbezeichnet gt^
laaaen. Um das Lesen der Naraea nicht unnütigerweise zu er-
schweren, wurde es meistens auch nicht berücksichtigt, dass f
vor Konsonant auch im Inlaut wie ach und statt p und t die
entsprechenden tonlosen Medien gesprochen werden. Ebenso ist
die Kürze oder LSnge, sowie die Qualität eines oder e nur
ausnahmsweise phonetisch angegeben.
Rnfnaiiien.
J 6. Die primitivsten und natürlichsten, und deshalb tnich
die häufigsten Rufnamen sind die Taufnanien, Da man immpr
noch die Ansicht unserer Altvordern teilt, dass diese vor dem
Zunamen die Bedeutung des Individuellen voraushaben' und
dazu die der Gemütlichkeit und Vertraulichkeit, gebraucht uibo
sie fast ausschließlich, wie in einer Familie, bei der Anrtde
gegenüber Groß und Klein, Frauen und Männern, und sog»!"
auch dann, wenn man, z. B. älteren Leuten gegenüber — ^'^
I Vgl. Sodn 8. 67e Aoiu. 3.
l'JHc vulkstümlichfu Pei
r oberbndisihcn t>tinit 177
gegen die Eltern — das übliche „Ihr" statt Du anwendet.
Dieses galt natürlich früher noch viel mehr wie jetzt. Wenn
man von einem Dritten spricht, so wendet man bei der zweiten
und jeder weiteren Erwähnung gewöhnlich anch nnr dessen Vor-
namen an, wie immer auch sein Rufname zusammengesetzt sein
mag. Die Bewohner eines Stadtteils, besonders die Frauen, be-
zeichnen auch oft jemand, der im selben Viertel wohnt, steta
— nicht mir bei der Anrede — lediglich mit dessen Vornamen.
Aber überall und von jedermann wird einer damit nur dann be-
zeichnet, wenn er. wie die folgenden, der einzige seines, noch dazu
wenig bekannten Namens am Orte ist ; das ist nun vielfach auch
bei Eingewanderten der Fall. Diese müssen sich aber schon
ziemlich beliebt gemacht haben, wenn man sie nicht mehr mit
dem Zunamen benennt. Auch wenn nach seinem Tode ein
Namensvetter erseheint, wird dieser gewöhnlich amiers genannt
oder wenigstens durch einen Zusatz unterschieden ; denn mit
jenem reinen Taufnamen, der zudem meist in Kindern fortlebt,
verbindet man eben immer nur noch dessen ersten Trager.
1. Männer: rfj Alfriä, sogar als Bürgermeister noch
meistens so genannt, da er vorher beliebter' Kaufmann war,
(Ij Anselm, vor zehn Jahren eingewandert, lU Barn-) = Barna-
bas, tfo lieiidd, de Bhue, auch lU Schei^bia^e = Plazidiia
Scheu, fremd; rfj Boii-iftur, <lä Bruno, da Ikinise = Dionysius,
(Ü David, d.t Dommä. früher auch Thoma geschrieben in Ur-
knnden = Thomas, da Edmund, dJ Ediri", Name eines Land-
wirts; ein besserer Kaufmann gleichen Namens wurde dagegen
oft auch Edwin genannt; d<i Etiffelbert. da Fideele, geistes-
schwacher Kneclit, fremd — der Name war früher hüuliger;
denn er hat mit der Zeit einen gewissen Beigeschmack be-
kommen, vielleicht durch diesen uraltge wordenen Träger; 9. 1824
Unterschrift: Fidele Äxle; ds Eitje» — Eugen; rfj Fridiftin, fremd,
dJ Gebhtiard, t/j Gloiis s. Nikiaus 1694, Glauss 1704; ds Göt-
frid = Gottfried, dj Gnscktinn oder Grischti, 1695 Christen,
1703 — 1734 Christa, jetzt ungebräuchlich, lediger Knecht, fremd;
li» JyJUS — Jonas, d-) Jti/ia>^ (d'Jidia" = Juliana), d» Kaitw*
s^Kajetan, fremd, d^ Kose = Kasimir, da Kunwelc. 1B64 ein-
gewandert, KorneÜiis, da Lebo/d, (fo Lenhard = Leonhard, da
Mang-is — vgl. Wanger — Wagner, renijla =■ regnen; s. Ende
d«s IS. Jahrhunderts „Magnull Lang", uuch .,Mang Lang"; da
3 Sasamc = Nazarius, do Od-nn = Adam, schon vor
• N. F. 6. ». ].,
46 Jahren eingewandert: vgl. 1693 Adern, (/.' Maftls ^^ Matthias,
nicht zu verwechseln mit dem Malt^'s, ein Geschlechtsnaine, ili
Fder und (U Foid, einst zwei bekannte Musikanten — damals
meist zusammen genannt, jetzt kommen die beiden Namen öfters
vor, (Ij FliUipp, fremd, tl.i Hone. 1823 Hierony Bertache, tl-i
RuäiUe, vgl. 1GU2 Rimtidph B., seit Menschengedenken sonst
= Rudolf, rfs fiev^rin, da Siffniund, A> Slmma = Simeon, tb Stands
= Stanislaua, d;* (alt) Tadce = Thaddaus, rfj UHmi", de Xander
^ Alexander, ds Visiene = Vinzenz, r/d Zacjie, auch Zaches =; Za-
chÄus, (fo Zds-is = Celsus, lU Zenis^ = Senis(ius),
2. Frauen und alte Jungfern: d'Angnr3, d'Aw/HSi^, d'lia-
bdt, fremd, d'Br'itrhfj) = Beatrice, d'Baibi», fremd, d'BriyM.
fremd, d'Be(r)nha}ia, d'Jimestii, d'Fhreniin, früher s'Fletie,
d'Hurfais, fremd, (VJakobi^, d'Jensvee = Genoveva, dJösepitä,
d'Judith. d'KiUtiri», tTKartin, d^KolascJU (!) = Scholastika.
fremd, d Kords, früher sonst Kordl = Kordula, d'IAiddi'^.
d^ Ligwi('w) = LiAvii-aB., d' Mn/jdälen, d'Miirid<nw = Waria Antonie,
d'Marjann, d'Miirjef= Maria Eva; if Ma(r)izus = Maria Susann n.
d'Marlise == Maria Elisabeth», d'Muru(r)schi = Maria Ursula,
d'Mecktdd. d-Mcnik, ifOfr = Afra, fremd, d'Oliva, d'Paidi«,
d'IiosiialJ = Rosalia, d'StepJin(ns), d"Rdor3, fremd, d' Vroniri.
fremd, d'Zezdl ^= Cäcilie.
Viele dieser karakteristischen Taufnamen — die Doppel-
namen fast sämtlich — , die auch in deu öäentlichen Urkunden
bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auftreten, sind allraiUiUcli
seltener geworden, mitunter ganz verschwunden, so dass sie als
Altertümer aufgefasst werden und deshall) sich leicht hei ein-
zelnen alten Leuten zu Rufnamen entwickeln konnten.
§ 7. Werden zwei Personen hartnäckig in weiteren Krei-
sen beständig nur mit dem reinen, unveränderten Taufnamen
gerufen — und das kommt doch bei der allgemein beliebten,
häufigen Wiederholung derselben Vornamen oft vor — . so be-
nutzt man bei dem einen der beiden Namen
I . entweder das Diminutiv, das jedoch mitunter ai»'l'
spöttisch und beleidigend gemeint, und ebenso aufgefasst wird, aiti
'1. eine aus irgend welchem — meist unbekannten —
Grunde besonders gebildete, oft altertümliche oder fremde, ab-
weichende t'orm. Manchmal werden
3. auch beide Arten verbunden. (Diminutivvoi
als Schimpfnamen geltea, s. Im § 69b.j
■ Die vülkBtlLniliL'hon V
r obeifjadiBi-hen Stadt 179
1. s', rf.» Ik(r)nh<irfle (r-Auefall nach Laüiari = Leonhard
und Jlenitart = Reinhard); d-irsFrümh, s', ä9 Hannasie. de Jn-
kobde ', s\ da Itenhüiile (e für ei wol nach Benhart und späterem
irfnAurt!; vgl. 18ä6 „Menr&d Mlinzer") ^ s'Agatle, s'Amnarril'-
= Anna Maria, «'Barijäf. = Waldburga vulgo Burg, s'Grellv,
Ä'Ä'(ü(ej'?e = Katharina vulgo Küfii-r, s'Lcnile, i!.€MJ = Magdalena,
2. (fo Bel)be, für Joseph vulgo Josepp, bisweilen Sep/i; vgl.
ital. Bejtpo; d-i lientwt = Be(r)nhard, altertümlich, »fa Käsehper
statt Kaschpcr, friiiier ^ (fo Kiäfrln'ischper; de Fridfr für Fritz,
rfj Hans, der sich sogar so schrieb, eingewandert; für sonstiges
Johann, Hannos. Dieser Name kommt indessen Ende des 17, und
Anfang des 18. Jahrhunderts öfters, sowo! allein neben Johannes
als auch hauptsächlich in Doppelnamen, z. B. Hans Konrad, Hans
Jakob, Hans Kaspar, Hans Yeorg = jetzigem Hanserg, Hans
Heinricli, vor. {/■* Miitteeli^s, von Ippingen vor 50 Jahren ein-
gewandert; vgl. I/reves und Dri'es vo& Andreas, Meues und
Miibus von Bartholomäus (s. Pott S. 103). Die ortsüb-
liche Form fiir Matthäus ist Mattre, die z.B. 1823 öfters im
Grundbuch Matfil, wie Tndfi, „Bartlä Franken-, geschrieben
wird. Noch früher scheint J^athcfies übrigens auch gang und
gäbe gewesen zu sein; denn diese Form findet sich auch ein-
mal im Salbuch, 1692—1700, neben Matheis — MaUiess 1702
= Blathias — und MaUms. ds Bich oder (fe liresselrich, von
seinem Vater, A. Drossel, vulgo (fw Heiherija; so genannt statt
üblichem, neu aufgekommenem Fritz, Friedrich; (7a Ä'*j)j?i, eigent-
lich Dim. von Sepp, hat jetzt einen gehässigen Charakter be-
kommen und wird allgemein gebraucht für einen JMimmerian
oder Grobian namens S'pp, z. B. ds Bdlers<ppi, ein geistes-
schwacher Knecht Beller, da Bloamaseppl, ein „Klotz" namens
Blum; (fc Zen£ = Vizenz. —
d'BaarU = Barbara; d'Bebbe statt Seppa — oder Seffs
= Josepha; d'Marei, sonst Marie; rf'7ec!«(?) sta.tl Jaiove oder
d'MiJlervi'va, Tochter eines Müllers, die jedoch, wenigstens nach
Ausweis ihres Grabsteins, Eva hieß; (V Mtidl» i^ oder d'Sehlosser-
ntadtai'*, Tochter des sogenannten „Schlosser Fischler", statt
Üblicher Mae/A^e», vielleicht nach dem sagenhaften „Kiinmad-
lai''U', dem Geist einer wegen Kindsmorde unschuldig verur-
^' ' Das Belt«n gebrfluchlirht Diminutiv von Jakob heißt jetzt mehr
J
180
B^rtsthe
teilten Wahrsagerin, der im ^Kühltal" umgegangen und mit
den ihm begegnenden Leuten gutmütig gesprochen haben soll
— daher wol llir unschuldig gehalten wurde — bis er nach
50 Jahren Wanderns von einem Mann erlöst wurde 1 Froher
scheint Madl(f gebräuchlich gewesen zu sein; vgl. 1703 Mad-
lena Guotin.
3. (b Beriesle von B(t^js = Rupertus = Rupert; ds Kusine
= Dominikus, (fo Jiikebäe, nicht zu verwechseln mit dem obigen
Jakulteh (e ist im nahen Tuttlingen, Württemberg, gebräuchlich,
z. B. KeU, KebÜe); da Johannade statt llannesle, d-* Sotük,
später mehr Bobd = Robert. — s'BehMe, s'Fev^r von IViv,
eine berüchtigte Schwätzerin, die dreimal verheiratet war, ihren
Müdehennamen aber stets behielt; s'Fleiie, später d'Florcnii-i
s'Marelle; s'Sepperle, wol aus Sepp-i, SeppHe = Sefße von
Josepha.
1. Diese modifizierten VorUHineD dienen nicht gerade ausecldieß-
lich zur rnterscheldiing, sondern &iieh ala Koseformeii.
2. Erwähnt sei noeh: d» Gtorg , obgleich er erst 20 Jahre alt iU.
Er ist nttmlich der einiige Georg, d. h. nar bei ihm spricht man den
Namen Geoc^ Schriftdeutsch aus — tatBäi-hlich kommt auch dieser Tauf-
name sehr selten vor. und JGrgle gab es seit 5Ü Jahren keines mehr, da-
gegen Öfters noch Hansfjjerg — nnd zwar deswegen, weil sein Onkel — Ak-
zisor Bock, eingewandert — bei dem er anfcrzugen wurde, ihn stets vn
nannte. Diese Erscheinung tritt indessen noch mehrfach zu Tage, fti
erkliirt sich vielleicht auch noch mancher vun den erwähnten unregel-
mäßigen Taufnamen.
8. Nach Birlinger II S.4IIff. fflhren viele Oanner noch um Iflflü,
such in den üerichtsakten, nur einen — nicht einmal immer bpHonder»
auffallenden — Vornamen. Es wird dann gewöhnlich ihre Heimat d*iu
angegeben; .ein gesellen, Jäklin von Üullingen genannt* — zum l'nter-
schied vom ,schwartzen Jükli' = Jakob E. von Horb — ; Salemou you
Freibarg: ,ainer genannt Thoman von Pfull*; Simon von Wien; ßre^r,
Sebastian. .S. 435; der kleine Bernhardle; der kleine Uanneslen; Haaü von
Kempten, nachher in dem langen Protokoll immer nar Hans genannl:
neben einem Lang Hanü, auch I.anghans. zuerst; Hans LuHghanKn gf-
% 8. Wenn irgend ein öffentliches Amt oder aueh ein pri-
vater Berufszweig nur einen einzigen Vertreter am Orte li«,
so wird dieser lediglich mit seinem Berufsnamen oder Amti-
titel bezeichnet (vgl, Ähnliche Personennamen im jüngeren Aiwl.i
s. Socin S. 216f.).
1. Städtische Bedienstete: lia liubaa(r}t von Ba'^ha^
I Felds im Bann der Gemeinde; Tgl.
ftSie vulkstllmliiOieD Personennamen piner überhaifisclien Stadt 181
mild. C. didus Bnmvurt usw., Socin S. 470: jetzt = tfj J-yrf-
schitz; lU liachbcck oder Stu(iUßicci, BScker im allgemeinen
städtischen Haclihtis: da BoUzei, früher = rfj StatUhzäscht:
{tBrecMmoaschttre, auch (TMonik genannt, 87jährig als ledig
um 1860 -j-, die letzte Breche meisterin, — d'Brfche oder Bre-
cM^ ist die Stätte, wo allgemein der Hanf beim Feuer gedörrt
und dann gebrochen wurde — , rfa Bur()3moa*^Schtcr; <l) Hag»-
fuiitUrer = FarreuwBrter ; d.) Gmoandsrechner , jetzt mehr rfd
Stadtrechner; da G(i»siiirt: cfo Goassahirt; dJ Guschthirt = Hirte
des Jungviehs = rfYrWficW; dafür jetzt d^ Ä'(VW^7*iW und d'i Ki9-
hvi; d'HeliaHn, jetzt gibt es jedoch zwei Hebaromen; ds Henker
(Lagerhucfa aus dem Ende des 18. Jahrhunderts ..Jobaon Reich-
lin da Henker" = Vater des ,51eister Hanserg" in g 43, s«;
vgl. das Gewann „Henkeracker"; s. „Johan Reichlins Henker-
lehen"); da Kiiselit<tknriJcht = „Fruchtmesser" = Aufseher im
Fruchtkasten = stadtisches Haus, worin die Zehentgarben auf-
bewahrt wnirdeu, um armen Leuten eventuell damit aus der Not
zu helfen. Er bestand noch bis in die fünfziger Jahre des
19. Jahrhunderts; da Lehrer, solange nur einer da war'; rfs
Sotsdn-mer = Ratsdiener; da Rotschr'iber, frUher da Stadtschriher ;
ds Schinder = Wasenmeister; s. BirUnger II S. 4429*. Viel-
leicht ist dieses der mhd. Schinderarius bei Socin S. 529;
d'Sckaslwischsre, de Stroossahiäacht, frUher; da Leiehäsckouer,
früher mehr da Totaschouer; da Waaldmoat^scMer = der oberste
der Wald schützen.
2, Kirchliche Angestelltet da Holgarechner — da HiAq
= Kircbenstiftung = Kirchengut; daher mehrere Flurnamen,
s'Hdgahelzh, da HdijahoK usw., jetzt da Kircli^rechner, aber nicht
allgemein als Rufname gebraucht; rfa Kaplot oder da Vikar,
früher (b Vikare; da Pi'arr oder da Dcliu{n); da Sigrist, jetzt
d» Messmer^.
' Bei den Lehrern wird, wie bei den Gendarmen, da seit -W Jahren
derim iwei am Orte angestellt sind, meist ihr Oeschlechtanaine beigefügt.
»Ibo; ä» Lehrer Biekel, da Lehrer Brown; wie d» Gendarm Rot usw.
Wenn aber einer .^chon lange ortsansfissig Ist (wat bei tiendormen jedoch
nicht Turkam) und gar eine einheimische Frau nimmt, dann flillt aeiu
Tit«! allmfihli.ch ganx weg. Jetzt also meist; da Biekel und d» Braun.
Kenerdings gibt es nuch: d'Lehnre. (Nur die Schulkinder sagen »' oAht
m ^Freile Soiindeo.)
^^^v ' Die HaushUlterJn des jeweiligen Geistlichen nennt man d'Pfarr-
J
Ute: ,{3 Akzi-
; rf* AJaawar = Ak~ '
tuar, der als Invalide lange in seiner Heimat lebte; li^ Aml-
Hi(i" (bis 1845); lU tosthaUtr, jetzt do Fostaffenl ; (h Notar (bis
187G); rfj JBri->fbot^, dj Slationsmai*'sier oder Staämtsmoasckter,
wiirttem bergischer Beamter ; ds tHeierufsetitr,
4. Privatleute: ila Ap^deeker; il-' Bloaker, Besitzer oder
Pöcliter der ehemaligen Shiakc — Bleiche; il^ BiiscJiUnder; d^
Builäscher = Pottosuheusieder ; s", i?J Dammbourle, ein kleiner
Mann, der im russischen Feldzug Napoleons Trommler war,
nacbber als solclier berUlinit und deshalb Überallhin gerufen
wurde, d-> DiMer; da Drajcr = Drechsler, nicht zu verwechseln
mit dem Dreher, ein Geschlechtsname; d^ /■7(Wc/(Ht'r = Blechner.
noch so genannt, obgleich er schon seit 3U Jahren nur einen
Kaufladen besitzt; dJ Färber, d3 Gärtner, der Geilienhirt, dann
Gießer war, aber die Gärtnerei erlernt hatte, sie jedoch kaum
ausübte; trotzdem wurde er, anfänglich wol spöttisch, immer
noch so gerufen, seine Frau d' Gädnäri' ; dJ Jlustmacher: d»
Jäger oder d-^ Fcrsckler, furstenbergischer Förster; di Kammaclier
— auffallend, da sonst der Kamm Strül, von Strahl, oder Kant-
pel heißt — ; (?-> Kanditer. Kaufmann und gelernter Konditor;
d» Kessler, Kesselflicker; d9 Messerschmied, da ÖJJer, da Ea-t-
si^rer, da Säyer, dj Sedder = Siklzduiaciter; vgl. rahd, Dim.
Sefeferiw, SocinXXII; (foScA«/er,d<i.'j(»7C&ej-,Bauernkittelstricker;
(to Ti^raarit (seit 15 Jahren keiner mehr da); da Tuacher, Tuch-
macher; da Zoa}V>inacher, Korbmacher.
§ 9. Ebenso wird bisweilen jemand einzig nach aeineiu
Geschäft oder Amt benannt, wenn seine Kollegen, deren fä
in diesem Falle jedoch nur wenige, 2 bis 3, sein dürfen, andere
karakteristiscbe Benennungen haben, wie der eben erwfthot«
ködün, oder d'Frou be*w. d'Frtile X; wuim es seine Mutter nder Wi»
Schwester ist, liört mmi die erste Bexeichnuug seltener.
' AktUor, jetet a. D., Schlimm wurde fast immer nur mit aeinem
Gesollluch tanameu beieivluiet ^- seine Fran beiUt auch d'SdiUminm —i*
er schon lange am PUtze ist nnd, obgli>ich Unterlfioder. xiemlich popiillr
wurde, Ähnliuh ging es seinem I.nuilsnisRn und AmtsvorgSn^r Bock,
desi^en Frau uud jetzige Witwe stets d'Baekia gcnimnt wurde und «ii^<
wahrend er selbst nur selten den Namen ib Boek — wol Aea ominfico
lüflngs wegen — bukum | vgl. den Kinderspifcsnamen «'JV«/e £o(4§ l"'l'
- Der langjUhrige, einheimische I.andhrlefti'iLger winf über, wir ">
seiner Jugend, vieUeiüht auch noch deswegen, weil er fast immer UU'
warte, nur d» Siitdaif
I' Dif volkslümlii^lien PtTson.'imaniyn ciniT utjerbiidisfLeii -Stiidt 183
Itudolf: da Z'^yler, lU Strooasswa(r)t, da Ba'*wu(r)t — Bahnwart,
nicht zu verwechseln mit dem alten Jiaiiart ■= Bannwart, äe
Wuldsdnis ■= Waldhüter, Ai ^a'^cidicmUcr.
Auf die in den letzten Paragraphen behandelte Art der Be-
nennung weisen wol auch die folgenden, mitunter noch am Ende
des 18. Jahrhunderts in den Urkundenbiichern üblichen BeueJch-
Qungen liin: 1730 „Heinrich Weiüen dem Harfzer"; 1734
„andreli Bertschins d, Segers" ; 1739 .Johannes Dummel d. Blai-
cber"; „Ignatius Vogt d. Nagelachmidt". In den Grundbüchern
des 19. Jahrhunderts konnten keine Beispiele hierfür gefunden
werden, überall fehlt der Artikel, wenn der Berufsnanie ange-
geben ist, während bis Mitte des 18. Jahrhunderts fast aus-
BchlieUlich der bestimmte Artikel steht, Es konnte dabei die
Wahrnehmung gemacht werden, dass die so karakterisierten
ihr Handwerk oder Amt entweder allein oder doch mit geringer
Konkurrenz ausübten.
{} 10. Da alle in § 8 unter 1, 2 und 3 autgeführten, und
von den dort unter 4 aufgezählten Ämtern etwa das eines Apo-
thekers, Dokters, Tierarzts und eines fürstlicli-fürsienbergischen
FörsteirB, oder Waldhüters im allgemeinen sich nicht vererben,
so wird fast jeder neuaufziehendeu oder neueruanuten irgendwie
beamteten Persönlichkeit (auch Lehrern und Gendarmen) eine
Zeitlang das FrÜdikat ,neu" verliehen, — wie auch den
Wirten und fillillern. — Der in den Ruhestand tretende oder
soiiHt abgehende Beamte bekommt, falls er am Orte bleibt, zu
seinem bisherigen Namen den Zusatz „alt", der auch dann
noch gewiihnlich anhaftet, wenn jener sein Kennzeichen „im'
ISngat verloren hat. Diese beiden Wörtchen dienen blos als
Unterschiedsmerkmale. Als solche gelten sie aber nicht sehr
lange, weil das erstere begreiflicherweise bald verschwindet, be-
sonders dann, wenn der neue Angestellte bei seinem Dienst-
antritt mehrere Amtskollegen antrifft (vgl. § 9). Sonst spielen
sie, wie auch bei andern Rufnamen, die Rolle des Epitheton
arnaus, besonders für das Alter, Hier seien nur die bekannte-
sten, längere Zeit allgemein gebrauchten Namen von derartigen
Bediensteten a. D. aufgeführt: rfj alt Mzisor. rfj <ät liunjJ-
miMscIitfr, ih alt Piiliznl, i/j ult StutUrccbncr, il-i alt Fosthaalter,
lU (di FostagfiU, lU uU Mi-ssniir, daher auch dt alt H/'bann,
. di ali Sehu-tlwisckerü. Im Anschluss daran seien auch die Be-
^■Huwgen der Exwirte und -inüller hier vorweggenommen:
184
Berts clie
I
rfj alt BachmiUer, * cdi Hirsrh(^)irirt, fh alt Kroratrirt, rf» rät
O^Gfwirt, di tut Suntt^mrlin. — Man vergleiche damit: rf' (ait)
Flaschtu-r, tli(alt) Kammachrr, (b fali)Kamiiti-r, ih((iit)Tii3rhfT,
</j (alt) Ziaglfr (§ S, 4), die alle meist den alten Berufs = Rui-
namen beibehalten, auch wenn sie ihr trlilteres Geschäft nicht
mehr und eventuell ein anderes ausüben. Deren Geg^enstücke
aber heißen: il.i jung Flaschurr, d^ jittig Kmiilitfr usw. Diese
kommen jedoch kaum allgemein, oder doch nur ganz kurze Zeil
und ausnahmsweise vor. Es konnte wenigstens trol^ eifrigen
Nachforschens kein einziger gangbarer Name dieser Art fest-
gestellt werden. Der Grund bierfür dürfte wol der sein, dass
in diesen Fällen nicht so sehr der Dienst oder der Beruf bei
der Namengebung des Nachfolgers maligebend ist, wie bei den
öffentlichen Beamten, als vielmehr die Persönlichkeit selbst.
Allerdings ist es hier auch meist eine Geschäfts Übergabe an
einen Sohn oder Schwiegersohn, die dann gewöhnlich ihre festen
eigenen Rufnamen schon besitzen. Bei andern als bloßen Be-
rufsnamen ist die Bezeichnung i.jung* noch etwas häufiger.
„Alt" bedeutet bei Privatpei'sonen fast immer alt an Jnliren.
Auch in amtliche Schriftstücke wurden früher diese Ka-
rukteristika aufgenommen: 1G95 Hans Jakob Pertschin der Alt;
1704 Hänslin Schellhanier dr jung — sein Vater = Hans Schell*
liamer — , 1739 ..Pr. Josef Guothin (d. jung ZUgler)" ; Joseph
Müller delS alten, und Joseph Müller dell Jungs.
Vereinzelt steht: da nct Biir, der vor 25 Jahren einwan-
derte, was bei einem Bauern eine Seltenheit ist (s' Krlhar^ms;
das Adjektiv wird also nicht flektiert; vgl. auch § 43).
% 11. Diminutiva von Berufsnamen gelten im allgemeinen
als Schimpfnamen.
Hier anzuführen sind die folgenden zwei Ausnahmen: ä^
Mot^r und (/.) Schmkllc, später rf.' alt Schtitidlr, klein unil
„säarbig" = schmSchtig.
Fast jeder Postagent wurde und wird, auch bisweilen neben
seinem persbnUchen oder einem andern Ruf- oder Schimpf-
meistens d-f Boschflr genannt, wie man vorher die
durchfahrenden Poetillone hieß. In neuerer Zeit wird der üiane
jedoch etwas verächtlich gemeint, und gewöhnlich anch so auf-
S 12. Nur ein sehr geringer Prozentsatz (etwa 55 Per-
sonen) werden und wurden, soweit sich die Kitesten Leute ezi-
Die volkstümlichi'D rL-isrmeniiiimen einer oberljodisdien Stadt ly5
sinnen künnea, allgemein und fast immer mit ihren nackten
Gesciilechtsnanien bezeiclinet; davon
1. einige deswegen, weil sie zu ilirer Zeit die einzigen
männlichen, erwachsenen Träger des alten Familiennamens eind
bzw. waren, und aus irgend einem Grunde (s. g 53) einen ander-
weitigen Rufnamen weder ererbten noch erwarben,
2. andere, weil sie sieh durch Ansehen und Karakter von
ihren übrigen Verwandten, welche die Elternnamen oder andere
Rufnamen besitzen, gleichsam getrennt haben,
3. wieder andere endlicli, weil sie als unehelich Geborene
amtlich den Namen ihres fremden Vaters fuhren dürfen.
4. Die übrigen, etwa 40, sind mitunter schon sehr lange —
über 50 Jahre — eingewandert. Ihre fremd klingenden Namen
werden natürlich, soweit angBngig, bald mundgerecht gemacht,
80 dass sie den fremdartigen Karakter mit der Zeit verlieren.
l. th (alt) Exil- = Öxle, th Fmus, di (all) Giitx, (h Rühren-
back, lU Eathmund, da (alt) Schmkenhurger.
•i. da Bausch, da H&aa, da Hässlei; da Müller, dJ Säcfde,
der zudem lange auswärts war; da Sonntag, den man auch noch
so nannte, nachdem er sein früheres Ansehen gänzlich eingebüßt
hatte; da Susann — ausnahmsweise auch nicht di Zusunn; vgl.
Zibäl = Sybilla, Zusann = Susanna, da Zenise = Senis(ius) —
dessen Name als der eines grolien Woltäters, ■{■ 1S43, in £hren
gehalten wird, früher = da Schmitfaljiia, weil Schmiedssohn.
3. da t^erle, da Lenz, da Schwidtherg, da Weigand.
4. da Awr, Kaufmann, da Jiaier, da Bleicr, da Feiher,
iFFrUsdte, eingewandert vor 60 Jahren als MUllerknecht, da
frrout, desgleichen; sein Vorname Polykarp fiel also nicht ein-
mal 80 sehr auf, oder war bu fremd; da Gilovc, Ital, = Crhilovi,
fla Häuser, rf» Hcüsterii, da Hutäer = Utzler, schon seit Anfang
des 19. Jahrhunderts am Orte, aber kinderarmes Geschlecht;
dj Manger (s. Anhang No. 21); dr Marjüne = Marignoni, da
Mattes, obgleich sein Vater, ein Oagahrötler = Sonderling, schon
einwanderte und er selbst bekannter Fuhrmann und Bote ist,
&1iber = da jung Mattes, und jetzt, wie sein Vater vorher,
mehr da alt Mattes, da er nun auch u. a. einen Sohn hat; da
mager, da Sclieu, da W'efid u. s. f.
Nur ein Diminutivum ist hier zu verzeichnen, das nicht als
Schimpfwort gilt : d^ (alt) Kri'gle = Krug. — Bei dieser Gat-
tung werden begreiflicherweise die Prädikate „jung" und „alt"
186
BprtBi-|i0
»
am meisten (mgewendet . sog'nr bei Bvüdem, wenn der Alters-
unterschied bei ihnen ziemlich frroll ist.
g 13. Zusammengesetzte Rufnamen. Die bis jeUt be-
handelten drei einfachen Benennungen nach Vor-, Berufs- und
Geschlechtsnamen («ach der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit und
Häufigkeit) bilden noa die Elemente, aus deren Verbindung die
iDannigfaltigsten und verscbiedensten Rufnamenkomposita ent-
stehen. Je nachdem man sich auf den Standpunkt einer jener
drei Arten von primitiven Namen stellt, erhslt man die zwölf
Grundschemata :
Vor-, Berufs-, Geschlechtsname + Vorname,
Vor-, Berufs-, Geschlechtsnajne ■)- Berufsname,
Vor-, Berufs-, Geschlechtsname + Geschlechtsname:
Diese Verbindungen kommen nun alle, mit Ausnahme der
letzten, wo zwei Geachlechtsnamen verbunden wUrden, tatsäch-
lich mehr oder weniger hitufig vor. Durch die Reihenfolge der
Grundwörter ist vorderhand auch die Disposition der folgenden
Ausführungen gegeben.
g 14. Typua Vorname -|- Vorname. Wenn der Mann, den
man stets nur (/<> Sinini^ hieß, einen Sohn bekommt namens Mas,
so wird man ihn ganz begreiflicher- und natürlicherweise all-
gemein nicht bloll da Mar, sondern sShH7ii-> Mnx, oder um-
ständlicher (i)ntSimni-> sin Mnx nennen, wenn nämlich sein Nach-
bar, der sogenannte Käse, bereits einem seiner Kinder den Namen
Max gegeben hat oder gleichzeitig gibt. — Schwache Genetive —
wie s'Simni» entstanden aus früherem nasaliertem Sintm-»",
s Becken) '. — Wenn man dann von diesen beiden Namens-
vettern spricht, 80 nennt man den letzteren eben (i)m Käse
Moj: oder spSter, vielleicht immer, s'Kases Max — ' vgl. die
mhd. Genetivnamen, Socin XXIX. Es entwickelt sich mit der
Zeit s'SimmJ Max zu d^ Siimno McLv^i und zwar wol so, il
das GenetiT-5 als sächlicher Artikel aufgefosst wird, da man Ja
oft sagte: s'Mfixle bzw. s'Simm-i Biablr. oder -Mäxle. Als daiiD
der Bube ein Max geworden war, rausste man ihn do Max, unil
konnte ihn deshalb leicht da Sinim'» Mtu- nennen. Unter sein™
Eiuflnss erging es s' Käses Mnjc ähnlich, wo sich nach Abfall
des genetivischeu Artikels auch das .v an Knse verlieren mosel«,
' Vgl. di GarU, Oß.
' Vfl. irihd. ; dae Sigemumit
)lkstürulic]i<>n PersoueniianieD viiicr <>bor1>ii<li»i:liuii Stiidt 187
ttnd zwar durch die Macht der Analogie, die ausgeübt wurde
von Seiten der vielen s-loseii Kompositen, die bekanntlich in den
oberd. Mundarten noch zahlreicher aind als in der Schriftsprache.
Mit der Zeit schmelzen die Vornamen des Vaters und seines
Sohns gleichsam zu einem einzigen Begriff zusammen.
Auf diese Weise sind die Ausdrücke rfj SimniJmax und d*
K<isenuix in der Tat allmählich zu wirklichen Kompositen ge-
wordeu, deren Grundwort der eigene Taufname des damit Be-
zeichneten, und deren Bestimmungswort derjenige seines Vaters
bildet. Das erste Element besitzt den Hauptton, das zweite trägt
manchmal, z. B. zur Unterscheid uiig von Gescliwistern , einen
Nebenton. FUr MSdthennamen gilt natürlich genau dasselbe. —
Ein solcher Jugendrufname kann unter günstigen Umständen
sich erhatten bis zum Grabe.
g 15. So wie diese zwei Musterbeispiele, die übrigens
nicht aus der Luft gegriffen, sondern tatsächlich die allgemein
üblicheu Bezeichnungen zweier Personen darstellen, sind die
folgenden Namen Erwachsener als die bekanntesten gebildet,
Tgl. noch Sj 24,
Es sind, nebenbei bemerkt, meist Nachkommen der in § 5
Behandelten, vgl. g 5, i.
1. (/.' DarnMeo, iU Bebk'/carle (vgl. Anhang No. 16), ffo
liemälsseppi, da Bottsfa^eantone, trotz der Länge stets gebraucht,
und dessen zwei Brüder rf<> Bmwfeuekark: und da Bonsfasef'rane,
(t> Daniscliattseifi oder meist (warum ?) s'Vanisis Hunsr-rrf, Johann
Georg, einziger Solin des Btminc, s, d3 Davi'lsliermann, (U Oeh-
hariipmtl, iU Kkmsjhamusle (s. 1Ö25 im Grundbuch: Johann
Lang Klausen) und sein Bruder : rf.i Klau»>ha(d3s — Grundbuch
1827: BaltBsar Laug Clausen; Unterschrift: Bai dus Lang — , d»
JooJSitalbeii, du Kascanlone, lediger Bruder des Kase-Max, rf»
KfiscJijwrJDsepjf, und dessen verheiratete Schwester s' Kiii<cbper-
biirfjclff, klein und buckelig, rfj Kusslemarte = Martin — MaHi^
= Slartina und MaitJ = Martha, — d^ oder s ManifiSSSJuiMste
(Grundbuch 1S25: Johann Lang Mangessen), d3 Markussaleo,
s\ rfrf Odätt^kark, s, dj OdJmufruiu: = Adam, d^ Iluidlefhomms
= Thomas, d^ Stanass^rone, d» Urhäyustat' , sonst Urkin, ds
Xandcmaie = Ignatius und dd Xanderjoliannes, des Vorigen
^^ftBdUjff^ Zachejakob, di ZeniseicUltelm, ds Zetie-tfransepp.
2. d'BoiU'feuftmantia, d' Hansaluis, rf'iTnnsapöM?!», d'Mar-
htssj(n)anne, d' Od^»3(n)(mn3, ilPatdebcnliar/J, von s'Paui^ Ben-
hart^ = Paul, dPmüesiWi, Schwester der Vorigen, d' Petertiteres
(s. Anhang No. 9), d" Rmharf^tcaifdjburg, d'Sigmund^hcres oder
sSiffniimda = Tiieres, s'Zachfamnmeile, dazu s\ d'Bertass^jtarei/e,
von Sertdssle, so genannt als ledig und dann wieder als Witwe,
(FKaseJenwe, Schwester des Kttseniax (s. Anhang No, 11).
Diese Art der Bezeichnung des Sohns mit Hilfe des Vor-
namens seines Vaters spiegelt sich auch wider in folgenden
Benennungen, die sich oft in alten Büchern und offiziellen Ur-
kunden bis Uitte des 19. Jahrhunderts finden: 1692 Lorenz
Guoth Michels Sohn, 1695 Jakob Guoih Michels Sohn, 1824
Johann Lang MaugeUen ^ Magnus, I8'26 Joseph Groß Franzen,
Johan Gut Vinzenz(en), Johann Gut Lazern (vgl. dazu Ende
des 18, Jahrhunderts Joseph Guten Latzerus).
% 16< Gleicherweise werden pleonastisch bisweilen auch
Leute benannt, die seltene Vornamen allein tragen und daran
Rufnamen genug hätten, z, B. dd Stan3ss9ro»e und dPaiäfsibdl —
aber erst so bezeichnet, als es eine zweite ZibUl, nambch d'ZacJic-
zibiM gab — , oder allgemein und richtiger gesagt: Aus solchen
Vornamecverbindtingen entwickeln sich — seitdem diese all-
gemein Üblich sind — wol erst viele reine Taufnamen als Ruf-
namen, sobald mau entdeckt, dass sonst zurzeit keiner den-
selben Vornamen hat.
§ 17. Uneheliche Kinder erhalten so manchmal den Vor-
namen der Mutter zu dem ihrigen: d' Fet'dfffustJ ^ Auguata, verh.,
(V Judiiliatheres und deren Schwester il JudUhsniarjngät = Maria
Agatha, s' K<JascfUä(n)amtn»reile, verli., .i'Mtigd^en^ Mnrjtmn.
verh., aber stets so genannt.
1. Wenn sie dun Namen ihres Vuters l)ekonini(Mi, ^-ehiii-t ilos in Am
Gebiet der Schimp&iaineii (-\g\. % 104).
Ü. Naüh der Mutter werden auch Kinder tüu Puitt ufrcnieidni
beoanut, so 2. B. allgemeiu (vgl. auch S <'>C' ^): ^' Heienijakob. d'Kätter-
karlin, df Bälabatlücht und dessen Tochter d'Bäbtmarie. Bei nnd««
aber dient diese Art dei' Bezeichnung meist nur xum Spott.
§ 18. Mit diesen eng und traulich zusammengefügten ZHfi
Vornamen schaltet man wie mit einfachen.
Danach heillt die Frau des Xiindemtne z. B. dXumh^
luisiti, sein Haus s'Xciri(hrnaselnis, die ganze Familie s'Xavthr-
ruixes. seine Kinder: s' Xa»deniasls Btialü oder -Mtidk, -Kmä
(Mehrzahl). Wenn er nur einen Sohn hat, so nennt man dies«o
5 volkstümliclien PersoiH'ni
r oberbndi seilen Stadt 18
s''Xandernaeesbt0, das schon als Kompositum gefühlt wird; später
auch di Xatidemazd/uä, oder z. B.: s Xanderna^istfotifrid, dann
d* Xaiidemttsegotlf'rid. Aber diese letztere Form iat, wol wegen
ihrer inonströsen Ltinge, nicht lange und oft gebräuchlich, daher
sagt man daflir: (Ij 'Nuseyailfrid. — Ahnlicher Fülle, wie dieser
tatsächlich vorkommende, gibt es manche: rfa Thommsseppätone
= Joseph Anton, Sohn des Itiiodlethomnta, trotz der Länge stets
gebraucht; s, di Hanserg^iarle, Sohn des Danisfhanserg; rf*
äepjibvnhart, Sohn des Bürrntäseppl ; dieser Fall iat außerdem
deswegen interessant, weil Großvater und Enkel eigentlich die-
selben Vornamen, Bernhard, nur in veründerter Form tragen,
also ähnlich wie im Friesischen.
g 19. Häufiger sind jedocli jene Fälle, wo der Sohn eines
Vaters, dessen Rufname nus seinem Vornamen und dem seines
Vaters besteht, den Taufnamen seines Großvaters erbt. Dies
tritt dann ein, wenn der Taufname des Vaters allzu oft schon
vorkommt und der neu, nach dem vorigen Paragraphen gebildete
Rufname zu Verwechslungen fuhren könnte. Bei unehelichen
Kindern kann dasselbe wieder bezüglich des Mutternamens ein-
treffen. Die gleiche Erscheinung haben wir wol auch im Alt-
germanischen: Sifffrid — Siymunil. Beispiele s. Socin S. 202f.,
und auch bei Geschwistern : Ginidu/t filius, GundhÜt füia, siehe
Beispiele dafür a. a. 0. S. 205.
1- d^ lielibttwil/ieim, Sohn des Jiebbehirle, d3 Boii-ifazeauffHät,
tli Botiäf'asnantonif, rfo Jon^ss^patd, von JoiussJalbert, — dd Kasc-
ahd'ie, von Kasemax, da Seppdframepp usw.
s', iVDoBiMeni, Tochter des Davit Jhcrmann, s'Mang^ss»-
thefs, von Manrfiss^hanrktsle.
2. d-i Jndiihi(n)ant(mc und rfj Judith-'xavcre , natürliche
Söhne der unehelichen JitdUh3marjag-/t.
rfj Sepplfrannipp, Sohn des Sepp^ithirt. — In diesem Falle
haben übrigens auch Grolivater und Enkel, wenn nicht dieselben,
so doch wenigstens Shnlich klingende Vornamen: Joseph — Franz
Joseph; vgl. 1703: „Jakob (iuoten Jokchen Sohn", dessen
Vater = „Jakob Guoth, schwartz Jokch" , auch Jakch geschrieben,
also offen und lang gesprochen. Genannt wurde er sicherlich:
■1» Jokjjdkob .' — und dessen lang ledig gebliebene Schwester:
s'Scppltnridlr. wurden auch noch s', d-» Sipplheiüiaii'ifraniepp
oad d'StppH/euharfJtmnUf genannt, welch letztere Namen die
1 darstellen, aus denen die ersteren entstanden sind.
190
ÜerLscIi»
g 20. Es Icann auch vorkommen, dass zur Benenimn^ eines
Kinds der Vorname seines Vat ers, und cti der seiner Geschwister der
des Grollvaters benutzt wird. So sind z. B. di> Ejutllel-arlr und
der in § 14 genannte TiiotnnUfirjiji^otic Söhne desselben Vaters
Rtt-Kä-ithoniDhi. Es kommen sogar bei ein und demselben Kinde
derartige verschiedene Bezeiclinungen vor, welchen gewöhnlich
aber eine boshafte Absicht zu Grunde liegt. Vgl. daher bei
den Schimpfnamen § lU3ff.
S 31. So kann der Vor- und Rufname eines Ahnen sich
also vielleicht noch erhalten in den Namen seiner Enkel und
Urenkel — unter den direkten Nachkommen des IMifip lioinmen
sugar zwei Iklßninrlt\ Grolivater nnd Enkel, vor — , aber nnr
unter der Bedingung, dass man, etwa bei einem Enkel nait auf-
fallendem eigenem Taufnamen, nicht plötzlich in die andere Be-
nennungsart überspringt, wie es umgekehrt der Fall ist beim
lioHfwiihdw, von titniuiss.irow, dessen Sohn d.> liotiHc(k>r heißt. —
Diese Vererbung hört nicht auf bei natürlichen Kindern, voraus-
gesetzt, dass die ledige Mutier den Vornamen ihres Val^rs oder
Großvaters im eigenen Rufnamen als ersten Bestandteil trug.
Das beweisen folgende Fälle: rfj Fanlehode, Sohn der Pmih-
henhnrU^, d-i Sfaehcadolf, von Stacliefran^ic. Tochter des Statin;
da ManfffSS^josppji, von Mavii^sS'>therrs, Tochter des JUantfissa-
hannaslc.
g 82. Typus Berufsname + Vorname. Bestand des Vatei^
Rufname lediglich in einer Berufs- oder Amtsbezeichnung, so
wird eben diese den ersten Teil der Nomen seiner Kinder aus-
machen, unbekümmert darum, ob sie dasselbe Handwerk oder
Geschäft wie der Vater 1. t-atsächlich ausüben oder 2. auch nicht.
Der leere Berufsname vererbt sich kaum so, dass er alleiE
allgemein auch auf den Sohn und Geschüftsnacbfolger angewendet
würde, da er als fester Rufname stets etwas PersöuUclies, In-
dividuelles an sich hat.
1. (fo Btoalierfertle, d^ 3iti»chhindfrfram, d» FüHiennarie,
da flaschtierjHiul, da OMermax, d» Siriclerbaldas, rf-* WaldschU:-
katle, rfj Zi-t^erxanTc, da Jiifl-ikmuad, Sohn des BwteWA-s.
2. dJ Bitdiischnffrde und dessen Bruder -aiigust, ds Bii»rl'-
liindrrtfusll, Bruder des obigen Bit^iAindrrfrani, s'Tammbor^
tHarisrpprir, kleine Tochter des TammboHr, auch als verheirater
noch so genannt, rf.» Ihajrrjolifmn, d.' Krs^^titentuek = ^'epo-
nmk, dJ Botseliribci-adolf, d» Schäferfra»^, df ZiJgi.trbaHiä -
volkätilinliclipn Pti
r überbailisciien Stmlt 191
(T-Jagpr/xibe, d' Sdimidleamu und s Schmit^(n)enimele, Töchter des
■ Schmidle, d Zisglersoph.:
Ähnlieb wird in Priti Beutere .Reia nali Bi-Uigim* der Paatoren-
sniin stöts „IMndrich Pastrr" genannt (_V)jl. auch Heiiitze y. 3Ö Anm. 1).
% 23. Sogar im RufnfuneD des Enkels kann sich der Be-
rufsnaine des Groüvaters noch eriialten, ohne Rücksicht darauf,
ob er das betreifende Geschäft ausübt oder nicht-
A' ZlMjlcrnemuck, der wie sein Großvater Ziegler ist; da-
gegen lU Bwläsi-h^r)aUvlf', Sohn des Bwhisch^rfvriir, s'Öhhr-
frannde, Tochter des (jhlrniiax, und tf Fluschticrfanc = Fany,
Tochter des Fluschnftpaul, deren Kindernamen : i/-* Jittdiisclfr-
ferdeuddf — noch früher s'Budiisch'i-faiJis Adolf — und s'Öhhr-
maiitfraKxdi: usw. waren.
§ 24. Aus einem Namen wie Färlx'nimrtc kann sich aber,
wie bei den zusammengesetzten Vornamen, z. B. Kustvuix, für ein
Kisd nicht nur ein Name mit dem Bestimmungswort (also Färber),
sondern auch einer mit dem Grundwort (Mmif) bilden, d. h,
der in gg 14 — 21 besiirochene Typus mit zwei Vornamen; je-
doch meist nur, wenn es sich um einen karakteristischen , sel-
tenen Taufnamen handelt. £inen solchen Kufnamen hat z. B.
<i> MaHehaHf, der Sohn des Fürhcrmarfe. Er ist aber der
eiiLiige unter den Nachkommen der in g 22 Genannten; des-
wegen nämlich, weil bei ihrem Namen der Nachdruck eben auf
dem Berufsnamen des Vaters liegl:.
g 25. Ähnlicher weise können solche Rufnamen wie Öhlir-
max auch Personen eignen, tlie ihren Berufsnamen = erstes
Element im Rufnamen lediglich selbst sich erst erworben haben
dadurch, dass sie ein anderes Geschäft wie ihr Vater oder Groli-
TaCer erlernt haben und nun betreiben.
Vorher als Kinder haben sie natürlich einen andern, er-
erbten Namen besessen, der diesen Tausch leicht möglich machte.
rf* Fischer josepp, lU Glascrxaven-, d-t Hufncrcdwise, daneben
auch noch (U Kusvalidsfu d^ Ki^ferjosipp , ib Megssrhaintr
(s. Anhang No. 26), lU Miller jost;pp, da JHUlet-iarh, da Süyi-r-
ttmrte, lU ScJiäfcrfram, d-* Hthmü-äkonrad, auch SchmUbkonrad,
df Schmkdkark, d-> Schrinerjalcob, U-> Webcniuirtr..
Auf diese Weise sind wol auch die fatgeaden bistoriscben Nanien
entatanden: 1695 , Michael Gnoth genand MiUer Michel*, der 17011
=: michel gaothen, genant Miller Micbele ; 1710 .Lorenli Perlschin, genant
d. saDerlorentz'; 1705 „der Jfigeratoffel meldet flieh ratione seines Weihs,
d
I9S
bifTt
§ 26< Es gehören hierher noch die etwas abweichend ^^e-
bildeten Namen nach dem Handwerkezeug, der Ware usw.:*
iL' Üoapfakarh:, wol aus Sottpf*rl-arlr , Seifensieder; d'Soapff
= Seife; il-i EfoaMitüner oder Bloalnhainer (ßloalce = Bleiche);
(t> Bi'iraddf, Bierbrauer und Wirt; rf.» Bi^rjohan, desgleichen,
früh eingewandert, aber nach dem Vorigen; danach die
spätere komische Bildung: iI^j Bwschrhii.-r, der vorher die
Schreinerei erlernt hatte; rf,) Poatfram, Postagent, früher tU
ScM-'scIiterfmiis ; d) VogFla7ttone, früher ili JtuUth'fnJantonr,
war Weber, später Vogelzüchter; rfj ZmtnJrJtarlr, ein Zimmer-
mann. — (VEpfiithpYPS, Obsthändlerin, lange unverheiratet, früher
= irMangJsS'Hh^es; s' Käsburgelf, früher s' Färbirburtjdc, di«
nach der Auswanderung ihres Manns nach Amerika den KSse-
handel anfing.
Dil- Nninen der Nachkommen dieser Leute nerileo genau eo ge-
bildet wie die in den §g 22 — 24 behandelten: d'Glasemaiine, ubuteicli rer-
lieirntet noi^h so genannt, tU Bioaktrkarle usw.
% 37. Wird ein Vater nur mit seinem Zunamen be2eichnet,
so ergibt sich für seine Kinder der RafDamflntypus: 6e-
scfalechtsname -f- TorDame, also die Umkehrung des regel-
rechten Schriftnamens, die selir gebräuchlich ist, da sie ja die
bequemste, einfachste und dabei die zweckdienlichste Kamen-
kombination bietet. Es ist dies aber auch die farbloseste und
prosaischste Benennungsweise, die deshalb auch meist dann an-
gewendet wird, wenn die Allgemeinheit wenig Interesse und
Teilnahme für den Bezeichneten übrig hat, also z, B. bei den
meisten Schulkindern und jungen Leuten bis etwa zu 25 Jahren,
bei frisch Eingewanderten, Sonderlingen u. a.
Dieser Typus muss auch sonst den Lückenbüßer machen.
wenn man etwa den karakteristischeren Namen für jemand
momentan nicht im Gedächtnis hat oder diesen einem Dritten
verständiicher machen will. Er nimmt überhaupt mit der Zeil
sichtlich immer mehr Überhand, so dass diese alles einebnende
Bewegung, mit veranlasst durch das entfremdende Fabrikwesen
(Tgl. Einl, g 2) im Verlaufe von 10 bis 15 Jahren ordentlich
wahrzunehmen war. Immerhin hat ein solcher Name nocb
etwas Ursprüngliches, Altertümliches an sich gegenüber den
beiden getrennten Worten des amtlichen Namens (vgl. 1703:
,Hans Georg Hummel [Hummelhannesle]"). Es ist ein wirkliches
Ganzes, dessen Bestandteile fest zusammengefügt sind; wiiddoj^
} Vulk»tUllljLI!
r oberbadischen iSlacil 193
die Frau des KeBrran<irfS z. B. trKdierandresslin genannt.
Entstanden ist er ebenso aus einem genetivischen Ausdruck,
wie s'B'^rtschi'Jakotti Anna ^ d'Berisehejakob^n)ann^, tCBttisch'--
«jitM, wie die bereits behandelten, ans zwei Vornamen be-
stehenden Kufnanien (s. §§ 18 f.).
Vgl. Birlinger 11 Ü. 411 ff. , Anti a. den Brandenburger Hunsaen
Tociit^r, vuig« Brau d en h urg er- Anne le": .MarioniiA. vulgo äea Winklera
Uarianno"; „Gungelis Jakoble^; „suo Kraut Micheln", „Lang Melchior-.
J 28. Mit solchen zusammengesetzten Namen werden ge-
wöbnlicli die Kinder von Personen bezeichnet, deren Bufname
itus dem reinen Geschlechtsnanien besteht (^ 11), oder ihren
Zunamen als erstes bzw. zweites Element aufweist (g§ 30—31,
36 — 39). Dazu kommen viele Frauen, die. wenn sie nicht
ihren gleicherweise gebildeten Mädchennamen auch nach der
Heirat fortfuhren, mit eiueni Rufnamen benannt werden, der
aus dem Zunamen ihres Manns, genommen aus einem, vielleicht
auch irgendwie zusammengesetzten Rufnamen, und aus dem
eigenen Taufnamen besteht — vgl. darüber übrigens g 59, — Kinder
der 30 benannten Leute bekommen meist dieselben Namen-
komposita ; es kann jedoch auch der väterliche Vorname das
Bestimmungswort des Kindesnamens bilden. — £s konnten im
ganzen etwa 60 der gangbarsten Namen diesei' Art und zwar
nur von Erwachsenen festgestellt werden. {-> aus jfn] ist da-
bei meist der schwache Genetiv.)
tU Bttierlco; '/■' ExlefrUlrr; il-> FatUkati*:, von Faden; d-i
Fischkraddf, <V Fischlei-mliifUn: ild tiottihainpr = Götz; rf^
GrossJffustav, unehelich; th üaihiMm = Louis, vgl. ils Flaschnn--
lottis; sein Sohn: lU LnUisippl : dj Kochakarh-, seine Frau d'Kocht-
karlin; Kinder: rfj Koch4iv, di Koch'h\i)n-ii. usw.; (/.* Koclw-
icUhdm, des Vorigen Bruder, Kinder: d-> Koclii>(n)anione, d>
Koch^roi^rt u. a.; (/j KrU'y-'danisr , 1824 Dionys Krug; d-'
Krutig^dtanBij krg , zur Unterscheidung von seinem Vater, ge-
nannt d'i LimUfwmsrfg ; seine Brüder aber: d^ Liml'fritz usw.,
vgl. § 41; rfj Kruii'ikaiic ; Kinder: Krug-diaAi", -aniow: d->
Majcrwillii-Im; Kinder: s'Majcnvilh^mibu.^, -meidh, noch jung;
(A* Märieniaiif = Martin Martin, Tochter d'Maii/^ig.it: d'
Matt^ss-ijohann, oder d^* jung Mattrs; d-i Schatz-ifidHc; do Sclu^-
hanwwrlxitHschl ; d<i Schlfydedjwatt; Söhne: d-* Schlegi-lsijtp u.s-f.;
(t» Schmi'djoltanu: d-i Scharelcarle = Schury; rfj SpüenagH-
, unehelich, u. a, m. — d'Bausck^mtiihÜ(d); d' Bfüerhann'
IS
A
184
DprtscIiL»
= Johanna; (T Edfifcresrm ; (T H'ssi)(n)amalr = Hes»; d'nufstfT-
margrpti : ttStoffkrauffust^.
Durch diesen bänfigen mtlndlicben (iebraacb des flektierten 1>-
scblechtsiBaniens erklärt ^ii-'b wol ttncb die in alten Urkunden und HUcheiti
oft wahrzunehnieDde Erscbeinung, dsss diese Form sogar in den Noiuinu-
tiv eingedrungen ist: 1822 Wunihald Langen, 1825 Bartlä Franken, 182«
LorenE Eitenbenzen, Konrsd Guten, 1703 Jakob (Junlen, 1739 , Fr. Joseph
Cinolhin'.
§ 29. Wie man Beamte eher mit ifai-em Titel als mit ihrem
persönlichen Namen anredet und auch sonst sie allgemein sn
bezeichnet, werden gewöhnlich GeschSftsleute und Handwerker,
die eine wichtige, grolie Rolle in der Öffentlichkeit spielen,
meist ebenso mit ihrem Berutsnamen, wenigstens bei der An-
rede, genannt, und, wie wir gesehen haben, dann auch in andern
Fällen, wenn sie keine oder keine bedeutende Konkurrenz
haben. Es tritt also hier der persönliche Name mehr in den
Hintergrund vor dem Geschäft. Taucht nun aber ein ein-
heimischer oder fremder Kollege auf, so wird man zunächst
nach der Lage seiner WerkstStte oder mit dem (altenl
Namen seines Hauses ihn näher bezeichnen; — damit kommt
ein neues Bestimmungswort zu den drei bisherigen — , und sswar
wol zuerst und hauptsächlich dann, wenn für seine Wohnung
ein besonderes Wort besteht, wie bei der konservativen Schmiede
und MUhle, ferner Gerbe und ^/'■(/s = Gerberei und Metzgerei:
vgl, Megser und inegsj- So waren in Möhringen von jeher
doppelt bzw. mehrfach vertreten: Müller, Schmied. Nagler.
Metzger, Gerber, Wagner, Küfer, Bäcker, Schreiner. Seiler.
Schuhmacher usw.; daher die folgenden Namen, wozu noch die
der meisten Wirte kommen: d-* Hrrhtirirt, iJ.i Kron-ntirt, il'Ox'-
wirtin oder d'Oxikresfm, ledig, u. a.
1. f/j Toarbfck, dessen Haus beim ehemaligen Manficri'/i-
d. h. Anger, stand, das mit den andern um ISlö abgerissen
wurde; tli Ox^ncangiT, der neben der Wirtschaft zum Ochsen
wohnte; d-i Bachwangpr, am Krähenbach wohnend. Vgl. ini
mhd.: BadirUter „dictus Bachritter miles de Canzach- 1272;
Bacheberlin „Eberlin am Bach" bei Bück, d-> Bachsehlosscr ;
da SUidMesocder, Seiler neben dem Rathaus, mitten im Städtchen;
rfj Htadtmeijscr , dessen Haus — d'Stadtnuys, schon sehr alt, im
]tnttelpunkt der Stadt steht; dd WinkelschlossfV, d^ W'inktl heim
ein Stadtviertel, sein Sohn aber ^= i/J Hermäftdir; d^ IfVrr/.*-
whriniT, der auf dem Wird' — ein Stadtteil, geschriehm:,
Die volkstümlichm Pi
[■ oberbadiseheu Stadt 195
"Werden, Würden, Worden, Werda; s. Werder, Württemberg
— der einzige Schreiner war,
2, d-i DiirwmiUf'r, PSühter der , Donaumühle'', die seit etwa
50 Jahren der Firma ten Brink in Arien gehört; lU BachmilliT,
Besitzer der sogenannten Bachmäe; ih G(rrJna(fifr, Nagelsehmied.
rf.j Gir-^ki'^frr und f?j (ivrJhur, d'Gnr^ = Name eines nralten,
großen Hauses, früher eine Art Armenhaus; daher il' Gflirsi/ass.
Gthr^ieipsfn und andere Flurnamen. Im Stadtprotokoll vom
12. MSrz 1702 wird die „Gehrenguotspflegschaft" erwähnt, „in
welche mehrere Bürger Heugeld bezahlen müssen"; s'GicdU/irie.
s'Gtfi'lb. ein altes Haus mit einer gewölbten Stube; rf^ Rapp^bur,
Besitzer des sogenannten Rappenhofs; d-* Giig^rschtabur von
GiigJrsehUhof = ElsterAo/'; (U ErMlieck, im sogenannten Erk}-
hus. dem einzigen Gebäude mit einem Erker; tlj Hrfr^kiafn;
I/ihrthas = Herrenhaus, alte Zehntscheuer; iIj JiitssJschrhu-r,
im sogenannten Bussen wohnhaft; il-> SpUlhaftur, in dessen An-
■\^-esen früher tl-i Hpifl, jetzt = Spül, war.
im in engesetzten Itanien iat also der Name des Be-
stpiitndc Name: d» Gerber t
nifa Hteta das Oruudwor
i, HierKii kommt noch der allei
Toar, Nachbar des Toarbeck.
§ 30. Wenn der neu auftretende Handwerker oder Ge-
schäftsmann junger Burgerssohn ist, so bietet sich sofort, als
ein ja auch sonst beliebtes und häufiges Unterscheidungsmerkmal,
der Rufname seines Vaters dar. Er muss eben dann seinen
Vornamen vertauschen mit seinem Berufsnamen als dem nun-
mehrigen Grundwort seines Rufnamenkonijiosituma, zu dem nun
dieselben Bestimmungsworte treten können wie zu einem Tauf-
namen, nämtich:
1. Vorname des Vaters: (fo Na*t£e$ehnitlfr, früher (7j
Nusiffnms, Bruder des liia'tzi-goitfrid; <i» Rotvti-angrr, Bruder
des Ronewähdm; (fo ZmisehiJtmachej; auch rfj Zeniseivilhdm ; rf-'
Iiui^r(t/imnn^)iceber, Sohn des Ribi(lUi)iommi> (also mit Vornamen
des Groll vaters).
2. Beruf sname; Dieser seltene Fall kommt nicht vor,
Vgl. jedoch § 46 Anm.
3. üeschlechtsname: lU Fad<ischlosser = Faden ; </'
KocKigiasir: d.i Maierbrck; ifo Schatsaieanger; rfj Sttrk-iwanger:
d-' SehrMhammerkhfer; d-» Riff-tkiafer; ds Scktmite-Jsaitler; d-'
18'
i
196
Bertsche
g 31. Derselbe Fall wie in No. 3 des § 80 kann eatflr- I
lieh auch eintreten hei Eingewanderten, so z, B. rfj Lriherschrinrr,
li-i BwA^mdvr, von Buhl; d-J Hwirwadelbiir — Hiinerwadel, Da
diese aber meist mit den leeren Geschlechtsnamen bezeichnet
werdeD, kommt die Erscheinung bei ihnen nicht so oft vor.
1. FOr dieaeo Typus No. -] gilt wol daa. was So ein S. 545 gefenCtber
der iin Mhd. vereinzelten Anordnung; nator 6'iionra<Ju«sagt: .Noch beute
liebt die Mundart, im Gegensatz zur Schriftsprache, die Berufsbezeichnung
hinter dem Namen folgen zu lasseu.*
Auch im Frieaischon wird vielen Namen das Gewerbe des zeitweiligen
Inhabers beigefügt, wenn auch keine Komposita dadurch entstehen. Vgl. '
Pott S. 547—54!!. j
i. Bei den in % 25 behandelten BUrgeresOhnen. die ein neues Ge- ':
achaft graudeten, stellte man »ich umgekehrt auf den St^uidpunkt der Tauf- 1
nameu uud bildet« ihre neuen Rufnamen mit BeuUtzung ihrer Kinder- \
iiameu, also: ds Hafneralwise aus rf) Kaseahcise. I
§ 32. Die Nachkommen aller dieser Leute, deren Name im '
Grundwort einen Hinweis auf ihren Beruf enthält, werden ganz
regelmSßig mit einem genetivischen Ausdruck bezeichnet, also
z. B. s Ger3hHr3(n) Autjiist, früh -j-; sMaterhcclc9 Scliosd =^ Jo- '
sephina; s'Hechtir.irts Battisl, welclie Formen sich bisweilen er-
halten, besonders wenn der Betreffende, wie der Letztgenannte,
stets ledig blieb. Öfters aber entwickeln sich daraus mit der
Zeit Komposita mit drei Namen: j
1. d9 Toarbeck^hainer und seine Schwester s'Toarbeeiie(n)- ■
ammareile; tfo Bachwan(fersev3ri>*, d'BadmclUossermüiJ; d'Ger^ [
bur^anne und deren Brlider rfj GerJbur^johann und d^ Gen- '
buned^oatt, drei ledige Kinder, 50^56jülirig, des Gtr^ur; dazu: |
rfirf Kritjswirijohaitn; d'Ox'<>tvirihrrtli<>; d-> Sunn^mrtttfdor, früher .
etwas spöttisch, da er Viktor getauft ist nach der Anordnung- II
seines schwärmerischen Vaters vulgo d^ Sonnemann, der an Viktor 1
Emmanuel dachte. Da der Mutter ein solch „verrUekter" Name
— Vittor mundartlich = Viktoria! — nicht passte. sagte sie
stets Tedor, was sich bald einbürgerte.
2. d'NäieschnSderthcres; d'Jtoniu'üng<ran7y.
i). d' KoclhtglastrmatfitlH und deren Schwester: -fmttä: li^
MaU-rbvch-ifriis; d'SterkiKangi-raitinsi'pp-i.
Da der Vorname Lorenz, wenn er auch manchmal bekgt ist onii it
und diirt tatsäcliliiJ] uocU vorkommt, iiumerliin selten ist. dlli-fte diT Tul-
gini.le i'oll (ioch wol ähnlich wie der ebini behandelte Tedor entsueJ«
nad zu beurteilen sein: .Lorenz Eytenbenx ('Sepp)*, im Litgcrbuch N* "
% dem Ende des 16. .tahrbunderts.
fulkHllimlitlipii Personennamen t'iiiei' oberli.'niia':hei] Stallt 197
g 33. Meist werden jedocli diese liberlangen Worte ge-
kürzt, und zwar wie bei den Vornamenkompositen auf zwei
Arten. Man Ifisst nanilich entweder das Grundwort oder das
Bestimmungswort des väterUchen Rufnamens fallen, das letztere
aber bauptsüchlicU nur dann, wenn der Sobn auch das Geschäft
<les Vaters ausübt. Zuerst wird man im Gebrauch schwanken,
bis jene Art sich einbürgert, durch die jemand unzweideutig
bestimmt und unterschieden ist von etwaigen N am ensko! legen.
1. a) s'Tmrflnif oder stuch ^ s' Gi'rberflcric, ledige Tochter
des Gerber am Tor, als Kind sogar — s' Gi^b'Taniloar-'iiiridlp.
Ähnlich diesem nannte man dann das erste, damals noch lebende
Flerk später einige Zeit auch s' Anifkusfkrli^, dessen Vater im
alten Amthaus wohnte; di Gtrojasi^pp; rfj Spithnax, .und sein
Bruder da Spiüaiigusi ~ dessen Kinder: rfj SpUlroberl, d<> Spitl-
pius, verheiratet, usw. — , die zwei Söhne des Spiilhafner; d^Gu/ilb-
magdMen; s'Suss^neidl^; (fo Mechtfridei; Bruder von s'HecMwhis-
battist; (fo SehvUäfränsh; d'Sunn^erth^ und d'Sannsmarie, beide
ledig; d' Ox^iwirtherlhi ; s'StäirnHhereesde; di> Gervpäer'.
b) Hierfür konnte kein Beispiel gefunden werden. Ver-
wechslungen wären da auch zu leicht möglich. Das obige Eone-
iranypranno konnte z. B. nicht gekürzt werden, da es bereits
eine lion^anm und auch eine M'^ang^ranTV gibt.
c) d'Kodi^fglastrJmathSdund d'Koeh'>franel. dsSchtMhammer-
hatiist, d^ Schare-jcavcre, früher rfj SchurrsatHrf/w und seine
Schwester d'Schun^lii'i-es, auch als verheiratet und verwitwet stets
so genannt; d-> UäJ^nradflkarle; ti» Stcrk-ibathärfk ; sein Sohn
s'SieriC'^nhärUlsantonele.' Auf diese Weise können also die be-
kannten einfachen Rufnamen — g 27 — auch entstehen, wenn
es keine Verwechslung gibt.
2. a) (/rf Soiderkarlv : d-' SoidrrJw: d-/ Mciisryjohann ; da
Ki^fcrkonnid.
b) Solche waren nicht zu ermitteln.
c) d.i Sattkrkark, Sohn des SchmiU^asatllur. Dieser Name
könnt« deswegen aufkommen, obgleich der Sohn des sogenannten
Sattler Zepf bereits auch so bezeichnet wurde, weil dieser schon
ufan Jahre ausgewandert war, als jener noch in die Schule
(ring; rfj Sattlerrdmiimi, Vater des SchHresalllrr.
' Daxu vgl. Stadt [irotük ollbuch 1702: .Jakob üuoten genant Gebren-
i^Jb^bcn* luui Unterscliied vom Alt« ragen aasen und Namensvetter ,BcbiTBrtt
i
1S8 ßerteche j
§ 34. Solcher Rufnamen, die zum Bestimmungswort eineu
Berufsnameo und als Orundwort einen Taufnamen haben, gibt
es noch eine ganze Reihe. Aber ea wäre bei der Kompliziert-
lieit und dem Alter vieler Fälle zu schwer und langwierig, Ab-
stammung und Verwandtsctiaft ihrer Inhaber auf mündlichem
Wege zu ermitteln, weshalb sie auch nicht in die verechiedenen
Kategorien eingereiht werden konnlen. Ks sei nur festgestellt,
dass sie inbezug auf den ersten Bestandteil — der zweite ist
immer der Vorname des Benannten — entstanden sein können:
1. aus dem reinen Rufnamen des Vaters oder Großvaters
(§ 22) oder 2. aus dem selbst erworbenen Berufsnamen des
NamentrSgers (§ 25), oder endlich 3. aus des Vaters Berufs-
namen, der als zweites Element auftntt in dessen Sufnamen.
der selbst wieder auf die mannigfaltigste Weise und Art ge-
bildet sein kann (vgl. t{§ 2i), SO u. 31), ferner noch 4. aus des
Vaters Rnfnamen, dessen Bestimmungswort seinen oder seines
Vaters Beruf angibt, der also bereits ebenso gebildet ist wie
z. B. Gerber josc2>p; vgl. § 2'i.
g 35. Nicht näher erklärte Beispiele für den Typtis Berufa-
name + Yorname. Sicher übten bzw. üben das in ihrem Namen
bezeichnete Geschäft oder Handwerk nicht mehr aus: d-t Mtgser-
fumncis und sein Sobn i/a MtyseruillirJm, (?.* Schnidcrhansi^: li*
Soalcrjulia»; tb Wcaigprjohann^s und dj Wangerharlc, dessen
Sohn; d'Schrittertheres, die, weil seinerzeit ledige Modistin, dem
Namen nach wenigstens noch öfters genannt wird, obgleich sie
längst verstorben ist; iIj Zi-iylerbattist.
Die Folgenden dagegen betreiben das angedeutete Oeschlitt
fast alle, mit Ausnahme von einigen wenigen, längst Verstor-
benen, bei denen nichts Sicheres mehr zu ermitteln war. '/•»
Postjakobde und sein Sohn lf^' Postjose])}), beide Briefträger
= Poslhot; di> (Haserjahnh und sein Bruder dJ Ghtserframfjtji;
dß Hafatnattis (Hafs = Hafen) und sein Bruder rf.» Hafäwttnibdd,
auch = rfj Wumbtdd; da Hafwmaiee und sein Sohn (/j Hnf'tm-
mlhelm; s',d3 Kesd^rseppele ; d<i Kiaf^rfiäede ; s. rfj KiaßrymuBt,
sein Sohn; Ja Mi:gseralwise und sein Sohn da Miys^rjakof', nur
Gelegenheitsmetzger ; da NagUrhasehe und stAaSoha da Saj^er-
ferdr. und dessen Tochter s'N'nfi!erferiie(s)k(Wetie, ledige Modistin,
jetzt — s'K'ifterl''; rfj NiujIerhnK' oder 'h/^wjdiki ; sein ältester
Sohn, da ^aglerbenedikt, wurde später als Bürgermeister und
^bisweilen — besonders von seiner Gegenpartei —
P Die vulkstmiLli<'h(.'n Persuii<.>iinami.'n einer uWrbndiäolifo K^liidl. lü^
sp&ttisch auch yaiihvJiasche orfer tfa Bascht: genannt und zwar
nach seinem Onkel, der »Is ^Grobschmid" und ruher, übereifriger
Poliüei den Naiuen Basche, der früher wol ortsüblich war (an-
fangs des Iti. Jahrhunderts kommen Üasche, Bascha öfters vor
neben Sebastian), sowie seine Verwandten, jetzt noch =^ s'Naf/ler-
hascJtes, in Verruf brachte, zumal da ja auch die Gattunganamea
Suubasche und lirechbasche , wie jetzt noch, damals allgemein
bekannt waren; il» Suttlerantlres, Weber, und sein Sohn ifj
SatÜeratidresk, Taglöhner; da SoaUrkarte und dessen Sohn rf-*
Soalered^uat , später = da Messmer; (l^ Uhr^frits, Sohn des
,Uhr3macher Furier" !; du iVeberjosepp, d^ Zimmerferde, Zimmer-
man, und sein Bruder da Zimniemasaare.
Solche Namonkomposita finden siuh mehrere unter den Gaunemumeu
\nA Birlinger 11 S. 4U— 440: .HanneHlen, Tulgo des KeUler-Hathieen
Hanneelen, ein Kratteiiniacher" (vgl. damit unsere Eeßlerjlldin g 102, t);
,Bronno. volgo Aea SnlbeiimaQna Brunne*; .Schinder- oder OehltrSger-
HannHB' 8. 431); ,BArbeI oder HerrgotHmacberBbSrber ; .des ührenmachers
Seppte'; ninil des ächinder l'etera Theree*; der .Singec Karle . . . hab«
mit Liedern gvhandull'.
§ 36. Wenn zu dem einzigen Vertreter desselben
Oeschlechtsnamens, der zugleich sein Kufname ist, ein er-
wachsener Namensvetter kommt und bekannt wird, sei es, dass
Kf auch eingewandert ist, oder aus irgend einem andern der in
§ 11 erörterten Gründe gleichfalls aur mit seinem Zunamen stets
bezeichnet wird, so niuss dieser Dualismus, um Aliss Verständnisse
nicht aufkommen zu lassen, irgendwie beseitigt werden. Dies
geschieht nun Jihnlicherweise durch ein Kompositum, dessen
Grundwort der Zuname und dessen Bestimmungswort gewöhn-
lich ein Herufsname ist. Die Namen etwaiger Nachkommen von
derart Benannten können aus beiden Kompositionsbestandteilen
entstehen.
1, So folgte dem eingewanderten „Vogt" bald sein Bruder.
Da untersciüed mau sie nach ihren Handwerken und hieß den
einen den üchmiedvogt und den andern den Gh'rsrrrogt. Dieser
Benennung kam noch der Umstand zu Hilfe, dass man lange
vorher eine ähnliche Bildung hatte, nÜmUch : dj Voift oder ds
Steck/t'i'ogt, die allerdings ein Spottname, damals aber ganz gang
lind gttbe war (§ 102). Der Schmiedvogt wird jetzt stets noch
ta genannt — mit dem Akzent auf dem ersten Wort ^ obgleich
aeia Bruder schon seit 15 Jahren wieder fortgegangen und auch
Jener Schimpfname nicht mehr gebräuchlich ist, wenigstens nicht
am
Ijerlscbe
mehr in der alten Form, da sein erster TrSger ISngst tot; und
endlich trotzdem entgegenwirkende Titel, wie „Hafner Läng-,
bestanden und nach und nach immer mehr aufkamen. — Etwa
zu derselben Zeit, um 1870, kamen ein Lehrer und ein Tag-
Ifthner namens Graf in die Stadt. Der erstere wurde wie alle .
Lehrer von jeher, nach !^ 7 Anm. 2, als , Lehrer Graf be-
zeichnet; später, und zwar besonders durch seine Verheiratung!
mit einer Bürgerstocbter, nur mit Graf. Schließlich wäre er
sogar einfach rfa Grof geheißen worden, wenn es nicht seinem
schlichten Kamensvetter schon längst so ergangen wäre. Dfirum
sagte man eben di Lrhrer Grof, nur beim direkten Gegensatz
il^ Li'hreygrof, und dem andern ds Lump^iiruf, da er tatsächlich
auch Lumpensammler im Nebenamt war, später spottweise Hucb
d^ Sehfifyrof. Die Nachkommen dieser zwei werden meist nur.
wie anfänglich, durch die verschiedenen Vokale auseinander ge-
halten. — Am Orte lebte ein gewisser Haas, meist = d? aU
■ Haas. Warum er so genannt wurde, obgleich er Uäüler hieb,
konnte nicht genügend ermittelt werden. Er soll als zeitweiliger
Hutmacher nur lauter Kilhasen zur Hutfabrikation gekauft und
verwendet haben. Vielleicht liegt auch nur scherzhafte Um-
bildung seines Namens vor, da er ein sehr starker, großer Mann
war. Da ließ sich in den sechziger Jahren ein fremder Seiden-
weber desselben Namens am Platze nieder. Dieser wurde nun
humorvoll lia SUlahas, eigentlich = Seidenhase, genannt, was er
aber später als Schimpf aufnahm, nachdem er Sandgräber ge-
worden war und dann meist i.U Sandhas geheißen wurde. (Vgl.
den Geschlechisnamen Sandhaas, wie z. B, der Maler von Hasle
und auch ein altes Möhringer Geschlecht hieß, das durch die
Stiftung eines „ewigen Jahrtags" wenigstens dem Namen nach
noch in der Erinnerung fortlebt.) Kinder neckten damals den
lustigen Mann gern mit dem Ausruf: Uns. Uns, Sid^has! —
In neuerer Zeit werden so auch die zwei fremden Brlider; d^
Fahrihtnthauser oder meist einfach d,i Ilauser und dJ Gfyi)fr-
liausn; obgleich der einzige Gerber, unterschieden.
2. Ähnlich erging es dem einheimischen 3TiiremepjAe. der
getrennt gehalten werden musste von dem seinerzeit atleiii-
stehenden Nachkommen der Nepple. Dieser wurde aber auch
mit dem Spitznamen d" Galöppirmjipie benannt. Die Tochter
des ersteren heißt: d'Nt^^emariise. Vgl. Anh. No. IG. — So
^mM- es auch beim Söcksmajer = Socken- und Strumpfweber —
Die vciilcBtilmlidieii Persimcniimnen einer oUerbudiselipn Stallt 20]
er wurde spater Polizeidiener, aber trotzdem meist da Polisri-
mai/rf genannt, niclit wie sonst Ulilich einfach i/j Pdht-i — und
beim Gläser stolflvr gewesen sein, <ieren Gegenstücke aber nicht
entdeckt werden konnten. Nachkommen dieser zwei sind: th
Mai/'rbevk und WStoffTeraugunl^.
1. Ebenso gebildet sind die Unnamen di Märsetchah (§ 80). dt
Lufuifelber (g 99) a. a.
Ä, Allein stellt da: di FerdeboUer, seit verheiratet mehr ^ d»
BolitTaagutt, der naoh dem frühen Tode seiner ledigen Matter bei der
pb^nfslla ledigen Großmutter — die aber bald dnrauF den sogenannten
SachftTdt heimfete — „aufgezogen* wurde.
9. Vgl. BüdungeD wie: Linden-Mütler, Thtater- Schuhe a. ähul.
% 37. Erst in neuerer Zeit sind folgende, selten vor-
kommende Bezeichnungen entstanden, und zwar sowol bei Ein-
heimischen wie besonders bei Eingewanderten, Der Typus Be-
rufsname -I- Gescliiechtsuame ist demnach nur bei den im
vorigen Paragraphen Bt:handB]ten gegeben; denn die folgenden
Benennungen sind keine eigentlichen Komposita. Sie sind es
nur aus nah ms weise gelegentlich einer direkten Gegenüberstellung
von zwei ähntichen Namen. d<i Metiser-öberfe , seine Tochter
= d' Megxfrmin-) . und sein Bruder d<t Schmied-äherk , Kinder:
d' Schmiedmarie und ija Schmifflfrofie ; aber auch = de Äberi*-
tue^ser und da Aher/rschniicd genannt und gelegentlich diMrgser-
fitjt-rlr. d-f Müniserhisfn- oder Ki'fiT Münser: (?J SaUler Schmtde
oder iifter (li SchmiUs^satiU-r, Sohn = da SaUUrkark : da Molei'
Riff, stets nur so genannt, er war ein junger, besserer Maler;
rfj Sattier Zepf, seine Tochter: d'SaCtlerpatdi'*; r/J lilaser Frank:
(b Müller Ziihr, und nacli diesen: d.> Miller Miller, auch rfj
DttruftttdUT, der Slüller heillt iind früher es auch war. Bald aber
betont« man das erste Wort, also MillrnnUhr, wie er auch jetzt
als ExmüUer noch genannt wird; d-' (Schnider) WeUH.
g 38. Ausnahmsweise kam diese BenennungsarC auch schon
vor 40 Jahren bei Leuten vor, die als tüchtige, bessere Hand-
werker und Geschäftsleute eich ein Ansehen zu verschalfen und
sich sonst auch selbst eines zu geben wnssten. da Hafm'r Lany,
dessen Schimpfname: da gchf" Ltmif wahrscheinlich <er ist als
I dieser Rufname, Sohn des Hal"wunibald!; da ScMosser Fisdder;
da rUnmincliir Furtir, seine Kinder: d^ UhrJfriiz und d'UhrHn)-
tmtM-', nach ä'I'h-'marlieretnma; da MiVer Bertsch; berüchtigter
II dea Lehrers Bertsche und Pächter der DonauniUhle; seine
^^^^—alger und Vorgänger waren fast alle fremd.
i
808
Bertsche
§ 39. Bas Schema Vorname + Zaname, das dem Scbrift-
t;ebraudi entsprit-lit, kommt sehr selten in Anwendung. Seit
^lenschenge denken waren und sind die folgenden sechs Personen
die einzigen, die fast ausschlieiilich so tituliert werden und
wurden. Diese Ehre wird, wie es scheint, nur denen zu teil,
die durch besonderes Ansehen, ruhigen Charakter und Wohl-
habenheit sich auszeichnen, il.i Edwin Birtscftf, KttufmanR, dJ
Hrrmann I^ribr, Gutsbesitzer, dJ Leo FiscMfr, Kaufmann, rfj
M(tx Jii-ichfi; Tierarzt, d^i Pilir Bivk, Kaufmann, und lange
nachher sein, indessen nicht, mit ihm verwandter Namensvetter
'/.' Hivmann Bfck, der auch jetzt noch, nach seiner Verarmung,
<liesen Namen bekommt, fiir dessen Anwendung er Übrigen»
meist selbst Sorge trug und Propaganda machte, um seinen
früheren Namen <}•> iJavid (ij 103) vergessen zu machen. Und
von diesen sechs Namen hat sich sogar nur ein einziger tat-
sächlich ganz vererbt, weil eben nur er auch als wirkliches
Kompositum gefUhlt und aufgefasst wurde. Es ist dies: Piirr-
Hi'-ck, dessen Frau d' Fäey-Bickin war. Kinder: di> FHerbfel^-
hitie, d' Frterbecl-ananne ; d' FficrbefJ!>>min3 ; die uneheliche Tochter
der letzteren: d'PeterbecksbtrtIa hieß und heilit jetzt noch stets
so, nachdem sie zum dritten Male verheiratet ist. Das sind
tatsächlich Komposita mit dem Hauptton auf dem letzten und
einem Nehenton auf dem ersten Worte.
V'^I. Anh. No. l.'); Jakob Maier, dessen Hochmut, wie beiiu Hi'i-
tiiiinii Heck, wi>l ho verspottet werden sollte.
§ 40. Eine besondere Kategorie von zusammengesetzten
Rufnamen bilden jene, welche als Grundwort zwar auch einen
Vor-, Zu- oder Berufsnamen haben, aber als erstes Element ein
beliebiges anderes Wort, das auf irgend ein karakteristis^hes
Merkmal des Namensträgers hindeutet, und womit einfache Ruf-
namen im allgemeinen nicht gebildet werden.
§ 41. Ursprünglich hat man wol nur bei Handwerkern i"
ihrem Namen hingewiesen auf ihre Wohnung, und zwar mehr
aus praktischen Gründen (Ij Ü9). Das geschieht aber auch bei
andern Leuten, deren Kinder und Enkel diese Bezeichnung |fr
wohnlich erben. Das Grundwort ist dabei meist der Taufasni;.
d' Antihitsami^, früher d'Wis^amuf = Anna Wieser, die schon
lange Jahre Magd im sogenannten Anifhm ist; d'PfanHifi^<
Nichte des -f- Dekans, im PfarrAo/'- oder -/(tts wohnend; d'TiüoX
-hinterm Gjyi'W, ein Fluraaiue, zum Unterschied von der »ndeBi,
■'Die vulkst (Im liehen Personeunamen tiiier iiberl>aiii sehen Stallt ^03
efoenfails langjährigen Witwe: (TVittor (ii tU Hechigass); (s') (U
l{r'ia**rivadljohan)Ws(le) = Johann Renn, dessen Haus seit
Menschengedenken s'Müa"noadeishits heiüt, von einem früheren
Besitzer EUnerwadel; seine Kinder: s'Hna^ricadlburgäe und ds
Hiia'^i-waiUscpp^ane, nicht zu verwechseln mit den Kindern des
Hiia^nctullbur : ds iläWrtvaiRkarle a. s. f.; ds SchmUMeo, in
einer „Schmittd' zu Hause und selbst Schmied, dessen Sohn
(to Sdtmitt'tpeter ; d>> Lind-tjürgU; Besitzer des sogenannten Linden-
hofe, vor 60 Jahren -j-, und sein Sohn d.i LindJhanserg, dessen
zehn Kinder: rfa IJndJfriti (dessen Kinder Lind-ifrunmitw usw.),
ffe Linditfram, dJ LituWudwkj, d' lAndsmurii- u. a, ; d-i Buchferde,
der am Bache wohnte, bekannter Junggeselle, erst spät ver-
heiratet; irBaehhusmbu, jetzt verheiratet, Tochter des Baeldiech.
g 42. Nur einmal kommt es vor, dnas man zwei Personen
mit reinen Geschlechtsnamen nach ihrer Wohnunj^ bzw. deren
Lage unterscheidet: </.> Obergassf/cäer, in der sogenannten Ohrr-
gass, später mit dem Spottnamen d'i Bammerhdhr bedacht, und
dj BanJwfbdltr, früher mehr di' Brllvrantont; als , Statin ns wärt er-
im Bahnhofsgebäude wohnend.
1. Vgl. im Mild. Joh. le dem Bache, Petrus im Graben, W. hi der
Linden, Üa-schinus am Wei'dr, Affnts im Wiele a. a. iSocin XVIll.
2. Bisweilen neimt man einen Ba.hnwart. der allein „u/'in Sohl'
wohnt, auch d> Severin u/m Bohl, oder wenn er in der Stadt sich uufbait:
,abtn Sohl', ahnlich aeino Kinder.
3. Daa Mbd. hat ala Familiennamen neben reinen Haus- oder Flur-
namen tmd Ableitungen auf er, also jAndm-J.iftder, auch nocli Personen-
namen wie Bere-maii, Hageman, Waltman, die hier fehlen,
4. Zwei Beseichnungen nach der WohiiatAtte allein sind bei den
Schimpfnamen: il» Ger und rfs Ülibte in § 112.
g 43. Beimatsort, Gestalt, Aasseben und andere persön-
liche Eigenschaften und Verhältnisse aller Art dienen ferner
ZOT Kennzeichnung und Unterscheidung, Damit werden in-
dessen häufiger Übernamen als ge^vöhnliche Kufnamen gebildet.
Um es gleich hier vorwegzunehmen, diese Namen gehen meist
rein tind ohne Zusatz oder doch mit beiden Elementen auf die
Nitchkommen über. Letztere sind, soweit vorbanden und er-
wachsen, den Betreifenden beigesetzt.
irufsname als Grundwort: ds Emmingerschmifd. dJ
HattinfjerBchu^miacher. — D^ gross Kiffer, Kinder: (?a Ki'ifer-
f^ifter, d'Ki^ferkrescm, da Bot Beck, der feuerrote Haare hatte.
-£iick, ScAfCrtc-miifw 1516, Schiiar^sclmider 1480.) Sein
J
904
Bprtsclie
Sohn auch so, obgleich nicht rot. Dessen Sohn ist Rurli nicht
mehr Bäcker, wurde aber doch wie sein Großvater benannt,
eine Zeitlang wenigstens; als er dann die Bachmlihle tnne hatte,
auch = rfa BaclimWer, jetzt wieder = dJ rot Bede; dessen
Kinder: s'yt^s Bechs(n)anrt9, s'fotd Becl!^n)eige<'<ne) = Eugenie.
(da Eigf-n und d' Hge») : aber seine Frau = etRdbi-cUn ~ der
Name war ursprünglich wol Schimpfname — \ dB nei Jiiir oder
d^ II<ia"rwadlbiir, wie bereits oben (§ 9 Anm.) erwähnt, wonach
nur noch seine Frau benannt ist; dnel-Bhin, auch iT HiirincniM'
hirin; seine Kinder bekamen aber den Geachlechtsnamen; iti
W&)V»rbedi, der in Wien die BSckerei erlernte, — Sohn: meist
dJ Pfuddieck, ein Schimpfname — , und dessen Sohn aber Avieder
da Wäatiarbeck, obgleich nur kurze Zeit Bäcker, auch s' Wä»n^r-
■ hpcl^johann; dessen Kinder; da Wii^a»rbecl.9sepp3tone, rfs -krmrnd,
tV-Mwig, (fc -glaser usw.; (/j Gipßheck, spasshaft auch rfj
Zipflheck, der in Österreich einst das sogenannte Hallm\ondbrot
kennen lernte und es dann zuerst in Engen, nachher in Möb-
ringen einführte, wo es Gipß = Hiinür genannt wurde, Tochter
= d' Gipßbeckasophe , als 70jährige Witwe noch so wie stets
genannt ; da Hmnmelhur — Kinder: di Hunuiii1huri(n)antone usw..
in dessen Haus vor etwa 120 Jahren einige Zeit ein PriTat-
farren = Hummel, so jetzt noch in der Schweiz', gehalten
worden sein soll, — Erst seit etwa 1820 gibt es Gemeinde-
farren. — Der Grolivater des jetzigen HmnmeRmr (Aberle) hatte
am Anfang des 19. Jahrhunderts schon diesen Beiname».
Übrigens gab es damals laut SalbUchem auch ein Geschlechl
Hummd — 1 693 und Ende des 18. Jahrhunderts : Johannes
Hummel. Näheres liel) sich nicht feststellen.
ß'i Ga**sf>ur: Mitte des IB. Jahrhunderts lebte ein gewisser
Joseph Nepple, dessen Frau d'Hüttl = Kosename für GmU,
HiUfde, Diminutiv, wol wegen ihrer Aussprache — vgl. rfj
Hndel^ — genannt wurde, und danach er selbst da HälMbur.
Das gefiel ihm aber nicht. Deshalb lieli er, ein Spasavogel und
reich dazu wie er war, einst sich selbst malen in einem Ungen
Zwillichrock, an dem eine Gans zupfte, sodann dieses lebens-
groüe Bild an seinem Scheunentor anbringen, gleichsam «Is
Hausschild. Nachkommen von ihm können sich dieses alten
Bilds noch erinnern. Von nun an wurde er, wie wol l'w'"
' Ebenso im .kleinen Oileniviilil", BlHIicii des Neckars. V.
I Die volkatUiiilithcii Ppraonennamen i
übe rhaiii sehen Stadt 205
sichtigt (vgl. den noch lebenden Viläorinvogvl in § 101), ria
(jangbur geheißen. Gegen Ende des IS. Jahrhunderts kaufte
sein Haus ein gewisser Dietrich aus Bargen, der, wie bei Besiiz-
wechsel gewöhnlich, denselben Namen bekam, und ihn auch
dann weiterführte, als er später in das jetzt noch bestehenite
und nach ihm benannte Ga^sbitr^ktts umzog. Von seinen Nach-
kommen leben noch : (s'jdo Ga'isbun'Jnlob, d' Ga**sbur^marte: Blin-
der des GansburJjoSPpp u. a.
2. Vor- oder Zuname als Grundwort: s'Ennningerbärtcle
(Barbara), Tl>rga}i.fsoffe (aus Tiergarten), (s')d^Bolh'jÖrglelZieg\eT-
geeelle von BoJl, Amt Messkirch; Gegenstück zum Lindoj/h-gle,
um einem unschönen JtoK«" auszuweichen); ds Ma't^schter Hansfrg
(= d-> Henker, s. § 8, i), Joh. Georg B . . ., der als letzter
fiirst«nbergischer Scharfrichter beim Möhringer Hochgericht
wirkte (s. Birlinger n S. 441 ff.).
D-t Vatier Braun = Anton Braun. -{■ 1727 in Wien als
k. k, Hofoptiker. Er hatte seine Heimatstadt mit einer bedeu-
tenden Stiftung bedat^ht, mit deren Zinsen die Armen früher
allmonatlich nach einer sonntäglichen Vesper beschenkt wurden.
(In einem Pos tnach tsvers aus ilen fünfziger Jahren des 19. Jahr-
hunderts wurde einem verarmten Verschwender geraten : „ Gang
doch ««" zum Vatter Brau**, Däa(r) hat no kann verhungvn
Jaun = lassen.)
Unter diesem ehrenvollen Namen lebt der große Woltäter,
dessen Lebensbeschreibung usw. die Schulkinder in der Orts-
kunde erfuhren, aach jetzt noch im dankbaren Andenken seiner
Landsleule weiter.
1. Ea mOcht« ettra Hiiffallen , daen nur gar wenige harmluBe RuT-
umen einen Hinweis auf die Huüere Ersi^heinuiig enthalten. Aber am so
lahlreicher aind die Spottnamen, liie dergestalt gebildet sind.
3. Vgl. die Namen bekaimter üaimer. z. B. der TIIHoger Kasper;
a. Birlinger II S. 411 ff.: Sauerbarger Toni, von Saiicrburg I. E. ; der
Jlolse'nier Micliei, ans Mohheini IE.: der Lanbheimcr Toni; dazu: .der
bayerisch Hansel'. — Jetzt noch viel genannt werden hier zwei bis um
die Mitte des 19. Jahrbunderta allbekannte Gestalten halbnllrri scher Natur:
tt» Siti*gerehti3t3 und di Esslinritrhanrutale — von Seitingen und Eis-
lingen — , der eine ein grnber. UberlOstiger Bettler, der andere ein. gut-
ntOtiger, gemgesehener Kobold. iJes letzteren nicht imiuteresaante Lebena-
^eschichte und Karakteriatik findet sich im Kalender ,Der Wanderer au
,, ßadensee* vom Jahre \^6f^~^ f.der Esütllngerbiie-). Sein Name ist nun in
^J^Üviogeti zum all gern ei ndbli eben Spitznamen für einen gutherzigen, hnrm-
A
loa
I Tölpel geworden. Daher h5rt tnnn oft: du bist »n rä3{'e&M'
hantag oder entsprecbend mich Tuttlingtrha
8. NameakompoBita v'ie Suggaikont, Stump/heitn, bei Buct, usir.
fiinleii sich nur nls Schimpfnainrn vor.
% 44. Der Rufname geht nicht nur von den Eltern auf
die Kinder und Enkel Über und hilft so deren Namen bilden,
wie wir bis jetzt gesehen haben, sondern es kommen auch bei
Verwandten indirekter Abstammung, und sogar bei solchen in
aufsteigender Linie Vererbungen und Übertragungen von Ruf-
namen aller Art vor, und zwar nicht einmal selten. Hierbei
spielt das Wohnhaus der Betreffenden meistens eine groUe Rolle;
denn dieses bzw. sein fest ausgeprügter, bleibender Name bildet
gleichsam das Mittel der Namensübertragung für die Personen.
So enthält also bei dieser Gruppe ein Namen komposittim als
erstes Element den Namen eines Verwandten — mit Ausnahme
der Eltern oder Grolieltern — oder irgend einen Hinweis auf
diese Abstammung und Verwandtschaft des Betreffenden. Es
geht auch bisweilen der gänzlich unveränderte Name auf
einen Verwandten kurzweg über. Solche einfache Benennungen
sind der Übersichtlichkeit wegen doch auch erst hier aufgefiihrt.
% 45, Es kann ein Vater nach seinem Sohn benannt
werden: rfs Soiipf^jicter, der als „aberwitzig" gewordener Greis
lange bei seinem Sohn vulgo Sfiapfaknrh ,uf (h LiM'mg'^
= Leibgeding, lebte, und ihm wol bei der Seifensiederei aueJi
etwas half; da (alf) Sitniigmi/hr = R. Sonntag, früher d^ Boch-
säger genannt, der bei seinen zwei Söhnen, rfj MiRerkarfe unil
d9 MSlerjosepp, welche die väterliche SSgerei zu einer Müble.
vulgo Jiachmühle, umwandelten, als Libäinger oder „Mit^silf
}ta**" = „muss dich haben", das Alter zubrachte. — Diese
mundartliche Aussprache des Geschlechts namens Sonntay kommt
sonst nicht vor, ist vielleicht ähnlich dem Sonntagsjäger ge-
bildet — ; lU OMejfriax, früjier dJ Sigmund, der ebenso im onteren
IAbdi(n)gstihle seiner Ehle, die sein Sohn, da Öhleriimz, dann
betrieb, seine Tage beschloss.
Man sagte stets s'Moxi>(n)€kle, vielleicht da mundartlic'i
auch der Mohn, der früher vielfach angebaut und zu Salatöl 1»-
nUtzt wurde, stets nur Max^ heißt. Vgl, noch g 63,
Eine fieDeoniiog der Schwiegermutter uacli ihrem .SchwiefWraota
a. in 8 63 Aniti.
' Mhd. tnägt, viägetnme, mägetät := Mulm. P.
I Die volk^tllinlichon IV:
iilitrhiniiHclu'n t-UiIt 2u7
§ 48. öfters bekommt eiQ TethfdiKiX^ = Schwiegersohn, der,
wie es oft geschieht, mit seiner Frau das Haus der Schwieger-
eltern liezieht, sei es als alleiniger Besitzer bzw. mit Verleihung
desWohmmgsrechts an diese, oder als bloßer i>Iieter oder Teil-
haber, den Rufnamen, bei Eingewanderten sogar den Ge-
echlechtsnamen seines Schwiegervaters. Neben dem Na-
men des Hauses hat hier auch der der Frau einen Einöuss aus-
geübt. Ein solcher Name, der übrigens manchmal nicht gern
gehört wird, obgleich man ihn ohne böse Absicht und allgemein
ganz harmlos gebraucht, vererbt sich natürlich wie jeder andere.
1. Taufname als zweites Element: ci> Hansukartf
neben Koch^kark, seine Frau = (TifonsJd^JMC, Tochter des Hmis;
s'HansBliHs; seine Kinder aber mehr: (h Kocfislw u. s. f. ; (fj
Kasi'jakoi, Schwiegersohn des Kost-, d^ Ger^pder, verheiratet
mit der sogenannten GerMheres, Tochter des Gfmnagler; Kinder:
rf^ GeräediHcaü u. a, ; lii Londonerbnttist oder d-j Londoner, wie
sein Schwiegervater hieß, seine Fran stets = d'Londoncrberthn
da Sc^isUase = Flazidua B.; Schwiegervater: ScJieu; Tochter
= d Scheißmarie-, il^ Wicktscpp^totif oder d^ (jung) Wicksbur,
früher dJ Wä-tnerbecksseppätone ; seine zweite Frau heißt jetzt
auch wieder d'Wiekin; d9 GlaserJcarle, sonst ds Grossäkarh;
dessen Schwiegervater Glaser war, seine Frau d' Glasemanne.
2. Berufsname als zweiter Bestandteil: ds Mrirkssbur,
dessen erste Frau d'Markuss~>(n)annt und dessen Haus s'Märkss-
hus heißt, auch sein zweites Weib = iV Mürksobirin^ ; d? ZdsS»>-
kiafer von Cdsins; seine Tochter: d'ZdsiS'>(n)dis; d» Schni^*d»--
kUfer, ein Schneider, dessen Schwiegervater Küfer ist und d»
Gersküfi'T heißt, sein Sohn aber =^ da Miiiufrküifrr!
3. Reiner Name: !}■> (jung) Jiackwanger, Weber, dessen
Schwiegervater der eigentliche Backwanger war; seine Frau
= s'Ifachumit/ers Amu, früher s'-srhtoar^e oder d'BacMvanger-
ann^i Söhne: d-i Bachwangerkarle u. s. f.; da Wicksbur und rfi)
Londontr sind schon unter No. 1 erwShnt.
4. Besonderer Fall zu No. 1: Beim Nrjtp/ejnkob, der
das Haus seiner eigenen Eltern übernahm, wurde der Wegfall
Und Mangel einer Beeinflussung durch den Namen eines scliwieger-
vöterlichen Hauses ausgeglichen durch den starken Einfluss seiner
Schwiegermutter, d'Ni-jiplin, die er zu sich nahm ins sogenannte
Vgl, in g 48: Hi Märkstjoaepp.
i
untere Sttible, oft s'Ni'pjite StUi/c genannt; seine Frau keifit auch
stets: ilNepplciiMrlise; seine Kinder ff^ Neppiejohatm, iTXepji/f-
ircsen^, verheiratet, d'Neppleam^ usw.
Schitiderkiafer und BiirsehHtier (s. ^ 25) sind die einzigen Nemra
vom Tj-pua: Benifsname + Bernfsname!
g 47. Ähnlich erweise wird manchmal der Name desjenigen
Sohns, der das elterliche Ge.Bchäft oder Anwesen übernahm,
auf jene ledigen Geschwister übertragen, die im Eltemhause
ein Wo hnnngs recht, das durch Verheiratung aber verloren geht,
besitzen, oder bzw. und bei ihm dienen. s'Frirhertittrgi^t!, alt«
Jungfer, von ihrer ganzen Verwandtschaft war nur ein Bruder
Färber, di Fnrh^rmarte; do Hansofram oder -fränzlr. als
80jähriger •{-, lediger Bruder des sogenannten Hans, bei dem
er stets diente; rfj Kaseaiwise, verstorbener Bruder des Kanr-
Jakob, dem der Name aeinerzeic auch nur übertragen wurde (siehe
§§ 46 u. 99); rfj Miirhsijosepp oder di MiirMe, kleiner und
schwächerer Bruder des sogenannten Markus, bei dem er als
ledig längere Zeit diente. Der Name Märkte hat dann seiner-
seits bewirkt, dass neben Markus auch Marks zu seinem Bruder
gesagt wurde. Kinder des Markus sind: d'Marktts-*fn)annsmid
da Markttsü/po; die des Mnrksle heifJen aber d-) 3fnrks9rud(Jf:
(te MärkS'^hrrniann oder -scdtW und s Meirks^hrrpsde , Tcr-
heiratet. Das gemeinschaftliche Haus heißt noch s'Märka^liHf.
Der Name Markus war früher hftufiger: 1704 Marx Leo,
1623 Man Rudolf.
Ähnlich fflhrtrn jii hucI
Namen und Wippen eines vor
sie im Dienstverhältnis standen
iin Mittelalter nichtadelige Hitter oft
ehmeren und reicheren Adeligen, Eil dem
§ 48. Es geschieht auch, dass ein Mann, der eine Witwe
heiratet und in ihr Hans zu wohnen kommt, den Namen
ihres ersten Manns erhält (vgl. damit § ti2). So kQnDfii
also Kinder auch nach ihrem Stiefvater benannt werden.
d-i Ghittr = Joseph Faden, Mann der Gintertherrs oder
Ginlere, deren erster Mann tUnter hieli, und in deren Haus anch
noch ihre ledige Schwägerin: d'Glnterkreseni als Libditifiif
lebte. Kinder des Fallen: d' Giiiiemanne und da Ginttrhanne,
beide ledig, etwa 70 jährig; iti Kantageriier = A. Groll, Gerber,
von Kaut vulgo da Katdsgerber: da yppftcfma*^! aus: der Neppl'"
ihren MWJ = Kramer, zweiter Mann der Nepplin, der meis'
aas war ts arbeitete und sicli bald von der Frau trennte, ao^
I Die vulkstilnilii'hcn Person ennameii einer olierbadisflien SlaiU 209
«laher kaum bekanot war. Seine Tochter ivurde stets allgemein
d'Xepplemarie genanut , wie ihre verheiratete Stiefschwester
f/'A>/j;rf^iW«r/ist', bei der sie lange Mar.
§ 49> Kinder erhalten manchmal sogar den Namen ihres
Stiefvaters, auch wenn dieser nicht nach ihrem rechten Vater
benannt wurde (§ 48): nämlich dann, wenn sie an Zahl oder
Alter oder an beidem von den Kindern aus zweiter oder erster
Ehe überragt werden: dJ SterIcabenMtile = Bernhard Schell-
hammer, Stiefbruder der älteren ätfrl-^mx, Sli^fcajohamt n. a.
= Kinder des Störk; iV Fin^ssi/jiücobl» = Jakobina Weiß, Stief-
schwester der jüngeren FiMSS^tuariscppS usw., Kinder des
Finns.
Dasselbe gilt für ein uneheliches Kind, das die Frau in die
Khe mitbringt und mit den ehelichen Kindern aufzieht, ohne
dass der Vater von diesen jenes anerkannt oder angenommen
hat: da Mu^->saiih.r = N. Zepf; Stiefvater = Max Reichle;
dJ Has^boiihs, später = di StriclcerMd^s, da er Strumpfatricker
war, Baltbasar Maier. Im Anfang des 19. Jahrhnnderts finden
sich noch die Schreibungen des Taufnamena Balthas, Baltus,
Baldes. ~ Er soll \on einem russischen Soldaten stammen. Sein
Stiefvater = vulgo dj Maas (a § 3b, i).
g 50. Vereinzelt steht der folgende Fall, der indessen ein
tiegensiück hat an dem Schimpfnamen Raiheclc sowie im ahd, und
mhd., z. B- ,T}t»idonid et Thfotfidila t/ermawr. Theoderis nrpos.
Theodenma nepds' bei Socin S. 207, ferner S. 582/3: ila Speck
= Jos. Ant. Furter, der um 1813 von den Franzosen gefangen
genommen wurde, von seinem reichen Vetter, d. h. Onkel Konrad
Speck aber losgekauft wurde und aus Dankbarkeit dann dessen
Namen annahm. Vielleicht bekam «r ihn auch nur vom Volks-
mund. Nachkommen: d^ (alt) Speck, von dessen Söhnen nur
derjenige den alten Namen beibehielt, welcher sein Spezerei-
gestfhftfr oder s'SpeckäladJ Übernahm, nämlich ds Speck^titus.
Dessen Kinder; d^ Spechtfrani, s'Speck^reesle a. a,
Einiipurtig kam nu ihrem Nnmen di (alt) Schäf»rt, deren Si^hwager
berllhmter WnhrsagEr und Scliüfer = da Schä/erfrant, war. Ihre« Manne
Name ist riii'ht mehr bekannt : vielleicht wurde er gemäß g 4T nach
seinem Bruder benannt: jedenfalls wnr er kein Schäfer. Ihre Tochter
ti'S>Aäfersc)tp3, die mehrmals verheiratet war, und d'Schäl'erburg, lange
verwitwet. 70jlllu*ig t. wurden stets ao bezeichnet.
g 51. Schließlich sind noch einfache Rufnamen
handeln, die jedoch zuweilen auch durch irgend einen der drei
rel j
210
häufigeren primitiven Namen zu Kompositen ergänzt werden.
Deren gibt es ahttr verbaltnismällig nur wenige; denn die so
gebildeten, aus besonderen Worten entstandenen Namen gehören
fast alle in üas Gebiet der Schimpfnamen. Sie bezeichnen hier
Eingewanderte nach ihrer weiteren oder engeren Heimat. Vererben
tiui sich diese Namen kaum, da deren Träger sie ailmählicb \er-
lieren, d. h. sie verdrängt sehen durcli andere, heimlichere.
1. I)J Iffthäri/ey vom Heuberg, der als arme Gegend gill.
Deshalb bekam der Name bisweilen einen etwas verächtlichen,
schimpflichen Beigeschmack; ib Tirder = Peter G. oder spät-er
pleonnstisch und wot mit Anlehnung an den Namen seines
Landsmanns und Kollegen Canon, vulgo di Gerapeter, d-> Tirnlcr- ,
peter, der beim Babnbau 1864 sich ansiedelte. Vgl. 1710 „Fran^
Chiolin de Welsch"; 1734 , Jakob Weltin dr schwizer".
2. Dj Meitliniifr, aus Reutlingen; dd Schinom^- = B. Senn
aus Schienen, seine Tochter aber d'Si-nn^nJantis.
Vgl. 1702: Joh. Eytenbenz BnriDg|er]. ,von Johnanoa Eytenheiixtpn
dem Bi^rlnger"; danebon ein Joli. Eytenbenz der Fiäi-lwr; 1704: , Anton
rU(fr da Ipplnger"; UM .Barthn Mühlenberg de .Homtr' von Hom':
8. auch Birlinger II S. 411— 440: der , Tiroler'. ,der kleine scl.wnrje
Thanncr", aus Tliann itn Rundgau.
§ 52. Solche einfache Namen tragen bisweilen aber ancli
Einheimische, Bei ihnen geben sie die Stadt oder das Land
an, wo jemand kürzere oder auch längere Zeit gearbeitet und
sich aufgehalten, oder auch die Waffengattung, bei der er
gedient hat.
IJj AiiieriIcanei-(J;(trle), früher tb Gerhrkarie; S Ainerikaneir,
die als ledig lange in Amerika war, </.> Pariiser, vorher s'SUt-
l'-ibi-nhiuii':s Äntoni/Ip., der lange in Paris in Arbeit stand. Als
sein grülJerer Bruder 1848 auch von Paris zurückkehrte, nannlr
man Um lU Klel"pariis, seine Kinder; rffl l'arisned^tiat ns«-.
und diesen d^ Gross/iuris, dessen Frau =; d' Grossparism, oder
meist d'i Kasrnuilter, nach seinem Schimpfnamen. 20 Jafare
später ging ein anderer beleibter Schuhmacher auch nscli
Paris, der seither (fo Dickparis (unflektiert) heißt; Tochter
d'DickparisenniKi; da Londoner, ein Bruder der Pariser. Kinder:
iV LondotwrlieHhs, d^LondotirrpauJi", die so auch als verlieiratfi
stets genannt werden (s. g 471; (t* Hamburger; da Off^hr^'-
der sich auch eine Frau, v u]go s'Oß'-'buryeru'ifle, sehr klein u ml
; ei a Riese, in Offenburg holte; rfj Reeiim; der bis ISiC *'*
^Dip vülkstuinliclicii Personenmimen piner obeibnrlischen Stadt ^U
päpstlicher Soldat in Rom diente. — <l> FirsUhärger, einer der
letzten >Soldaten des Fürsten von Fürstenberg, dem ja bis 1803
die Siadt gehörte; da Fis^hy = FUselier, sein Sohn: ii-> Fis3lm-3-
.laftler, da er nuch Sclimutz beißt wie sein Kollege: ds Schmutze
sattlet", rfj Marine = „Marinesoliiat" = Matrose; aeine Frau
= (V Marhifhebannt früher (TMari"it'm; d^ Dragoner, sein Sohn
(?J jimff ]>ragoner oder Dragonerkarte.
1. Vgl. schon in ilen jAngeri'n SchkhUn ahd. Namen vi^le Shnlicbt'
üildungen, uu bei Sncin S. 213f., 21ßf., danu mhd. StaiDmesnninen.
Socin XXIII.
3. Eh k&iue hier noch in Betracht: da Manfamer oder d» HeedeUiergei:
Aer in Maniihi^in niler Heidelberg nrbeitete tind auch die dortige Ans-
B|iraclie etwas leriitf. Er int iihor athoii lange aiisge wandert und daher
fast vergeascü.
g 53. Keinen Bufnameo, der auf eine bisher behandelte
Weise gebildet und allgemein üblich wSre, haben ungefähr
80 Personen. Das kommt daher, dass man sie einfach stets
mit ihrem mehr oder weniger scliimpflichen Spitznamen benennt.
Die Gründe zur Verallgemeinerung des Schimpfnamens sind ver-
schieden. Es geschieht meistens bei Leuten, an denen der All-
gemeinheit wenig gelegen ist, und zwar ihrer sozialen Stellung
oder auch ihres minder wichtigen oder gefürchteten Karakters
wegen, also bei eingewanderten Knechten und Mägden, alten
Jungfern und Geistesschwachen, besonders unbeliebten Lumpen,
Prahlern, Windbeuteln, Schmarotzern. Oft verliert ein anfilng-
lich sogar beiUender Spottname mit der Zeit an SchSrfe; denn
das eigentlich beleidigende Merkmal kann vergessen oder auch
absichtlich zeitweilig bzw. bei dem oder jenem Familienmitglied
weggelassen werden, bis es schließlich ganz verschwindet, wie
z. B. die Nasale in JBo"ler, Junbo»!, Kna»ch, oder er wird nur
von Kindern oder Enkeln anders gedeutet und nicht so schlimm
aiifgefasst, weshalb er dann allgemein zugelassen und gebrauclit
wird. Bisweilen wird bei solchen, die mit zwei und mehr Über-
namen ausgezeichnet sind, der glimpflichste und harmloseste
dnvon zu einem :illgemeinen Rufnamen benutzt.
§ 54. FräaenDamen. Erwachsene ledige weihliche Per-
sonen sind den Münnern gleich behandelt.
Da die selbständigen, persönlichen Ruf- sowie Sclnmpf-
nnmen von Frauen unter den andern aufgeführt sind, handelt
*s sich also hier mir um übertragene und ererbte Frauennamen.
Jd
21S
Tiertache
Bei den Kufnamen koninit eine Anzahl von FVanen Ton
vornherein nicht in Betracht. nSmlich diejenigen, welche noch
j5 ö3 bereits immer mit ihrem eigenen Schimpfnamen oder dem
ihres Manns oder Vaters bezeichnet werden.
% 55. Eine Frau erhält im Volksmund niclit so unbedingt
wie in der Schriftsprache sofort mit ihrer Verheiratung auch
den Namen ihres Manns, sondern behKlt meistens noch lungere
oder kürzere Zeit ihren Mädchennamen, den man eben schon
zu sehr und lange — Mädchen heiraten durclischnittUch mit
25, früher mehr mit 28 Jahren — gewöhnt war, als dass man
ihn so rasch vertauschen könnte mit einem ungewohnten, frem-
den. In vielen Fällen gehen beide Namen im Gebrauch neben-
einander her. Besonders die Alters- und Schulgenossinnen und
-genossen, ihre sogenannten , Jahrgänger'', gebrauchen fast aus-
schließlich den alten, traulichen Kindemamen der jungen Fraii.
Ja, bei etwa 30"/o sämtlicher, mit übertragenen Rufnamen be-
hafteten Frauen geschieht dies ganz allgemein und für immer, I
wofür die in gg 56, 57 aufgeführten Namen, außer den bereits
da und dort angeführten — wozu natürlich besonders die reinen
Vornamen in g§ b, 6 gehören — , Beispiele sind. Es sind dies
hauptsächlich Namen von solchen, welche allzulange über die
obige Altersgrenze hinaus ledig blieben, was bei den alten, 5n-
lichen Heiratsvorschriften (s. darüber Einleitung § 2) früher
nicht selten vorkam, oder MHnnev von auswärts oder auch Pan-
toffelhelden nahmen. Endlich sind es Namen solcher, die aucL
nach ihrer Vermählung das vorher betriebene Geschäft einer
Näherin, Modistin u. s. f. weiterführen. Übrigens kann auch dei
Umstand, dass der Mann ins Elternhaus der Frau zieht, bei
dieser die Fortführung ihres bisherigen Namens bewirken, ohne
dass gerade der Name des Manns durch den ihrigen beeinflusst-
zu werden braucht, wie es in manchen Fällen vorkomnii-.^
(s. § 46). Es können natürlich verschiedene dieser Ursachen
bei einer Person auch zusammenwirken.
§ 56. Nach ihrem Vater werden also auch noch nach ihres
Verheiratung benannt: d'Alwisenanne, Tochter des ScMlhammn'^
al'tise; d'B<t»h(n)wartläMär;s'Dumm^bwrbäe; d'Fti^sopht:; d'Gt"
rethercs, Tochter des Ger^naglera: d' (iersrosalJ — Rosalie; — di>4
GeW-namen haften sonst auch gerne fest! — ; d'HutniiiMurJn
anne; s' Käscb/trbi'irbde von lioiicrkäschpr; d'Koch<>(n)a>tuü<
d'fji>n/inivrl>^f(hd; d'Hoticann^ und d' Wangeraimä, Tochter dt
Die vi>lkBtümlicbi?n IVrhi.i.fiinamHi einer uberbuaisL'lifn .Stadt -JXd
Wangerjohattnes : verschieden von diesen beiden ist die Frau des
sogenannten Ronewangcrs: (Tlioneioani/erann^ ('.): d'SciimiiUi-
«nna; s'Seppelmei^, halb verüclitlich, aber allgemein; d'Zimimr-
kariedone = Antouie u. a.
Begreif! icherwciau befindet in dieaer Grup|te sivk kaum ein*^ von
jenen fremden Frauen, die ein Bürger^sohn von auBwHrts heimholte, ila-
f>;egeii fast alle lüejeniaen, die eintn Eingewanderten nahmen.
§ 57. Den Namen der Mutter statt des Vaters — es sei
diese Erscheinung zusamtnen fassend hier erwähnt, obgleich sie
meistens, und zwar besonders bei MSnnern, nkOit Ruf- sondern
L bernamen Keitigf, (vgl, § 17) — behalten als Bestimmungs-
wort ihres Rnfnaciens nicht bloß natürliche Kinder nach ihrer
Verheiratung bei, sondern auch ehliche, deren Vater Pantoffel-
held war und das Hausregiment der Mutter überließ. Mhd.
Metronymica s. Socin XXIX, III u. IV Anm. 2.
Unehliche: iVBol^eivmni^; A'Sddegdhui-gftl) oder if'Jiiirff,
eine beUanute Bütin, deren Mann früh im Ge^iingnis starb.
Ehliche: tV ilttoor-nnhu , verheiratete Tochter der soge-
nannten Vittoor und Schwester des llttooroschu'madwis und des
Midön'äsehniders, ein Schimpfname, s. § 101; s'Stir^meidU', vgl,
§ 95 Anm.
!• Geechwister können demnacli, unti wie auuli aua den früheren
Ausführungen ersichtlich, die verschiedenartigsten Namen tri^en.
i. Ein Beispiel dafOr, doss ein Kind nach der Mutter nur deswegen
benannt wird, weil der Vater früh starb, wie es nach Socin im Alt-
geriDaniacheu 'ifters vorkommt — vgL auch mhd. Ittensoltn, Neeeiieohii,
daa jetzt noch in Sauldorf, Amt Mesakirch. vorkommt. Mechlildinun u. a.
bei Bück. In diesen Fällen waren wol auch verschiedene Gründe für
die Namengebung mallgeiteud — konnte nicht ermittelt werden,
g 58. Sogar gegenüber mehreren Mannsnamen, die eine
Frau infolge ihrer mehrfachen Verehlichung eigentlich bekommen
sollt«, hält ihr aus dem Elternhause mitgebrachter Name hart-
nackig stand und bleibt ihr natürlich auch noch im Witwen-
stand. l)'Godeiamtn3rei; d' l^erbeck^beriJai und deren Tante:
<r Peterl>ecksti anne.
Es kommt auch bisweilen vor, dass — allerdings gewöhn-
lich nur nach Ehen von kurzer Dauer — der kaum eingebürgerte
Mannsname im Rufnamen der Frau wieder verdrängt wird durch
den Madchennamen der Witwe, was sich dadurch erklSrl,
daas dieser eben noch in frischer Erinnemng ist und auch neben-
her teilweise gebraucht wurde, d'üetlüre = d'lMermin3; d'Soahr-
leoin (!) = cCBert^srnnmlise; d'Bimimgare = d'Sigmundsifieres.
814
Herlsciie
% 59. Typns: Mannsrofname + Vorname der Frau. Vob
ile» übrigen 70", n geliüren eigentlich auch nnr 4U'''u ganz zu den
rein inovierteii Femininen; denn die andern 30 "/u sind lediglich
iiuf Grund und mit. Hilfe der Madchennamen gebildet und be-
stehen, ähnlich wie die Geachlechtsaamen der besseren Stünde
in der Srhweiz und manche inhd. Prauennaraen (Beispiele bei
Socin XXSTI, I), aus dem ganzen RutDatiien des Manns, bzw.
irgend einem Bestandteil desselben, und dem Vornamen der
Krau, sei es, dass dieser früher zugleich ihr Eufname oder dessen
Grundwort war. An die Stelle des Mftdchen namens, an der bis-
her der Vatername mit irgend einem Element oder auch ganz
vertreten war, kommt jetzt einfach der Mannsnome oder ein Teil
desselben. Selten, um diesen Fall gleich vorweg zu nehmen.
tritt der ganze Manns rufiia nie, auch wenn er ein echtes Kompo-
situm darstellt, vor den Frauen tauf namen, weil dadurch meist
ein Monstrum zu stände kSme: d' Hammdbur-idone , d'Ox^inrt-
lietiht, et Ri>tiewung'^nnuä ~~ hier wol nur zur Unterscheidung
von Roneanna und Wungerann^ — ,
1. Vorname, der zugleich Rufname, des Manns: s'0d3ni3'
l'mmde, d'PliiUpp'inmim', früher d' BofUifazeitanne.
2. Berufsname, zugleich Rufname: d' Hag-ikiiÜer, von Sag^
j'u-HUrer; s' ZiägUrammSreUe.
3. Geschlechtsname, zugleich Rufname ; rf'^M/*/«««inf, früher
Soalerniine, d' M'iierkarli», fremd, d'Ii((iiriU^tt7inr, vor-
her d' Krummoschnidemanne, s. § 72c, so oft auch jetzt
noch.
4. Vorname aus dem Rufnamen: d'Adolf^l'iUter, Frau des
Fiscideradoff, d'Xw'zcfheres, von Xan(lt:nm*'ze; d'Jione-
litrtlie von RonewUJuim!, d' Stachcmarei von Stacheaddf:
vgl. Anhang No. IS. In den beiden letzten Frauen-
namen erscheint also der Name des Schwiegervaters!
5. Berufsname aus dem Rufnamen : d'PoscJUfuis von I^cht-
fram, früher und jetzt noch mitunter d' }i a'^Utiitii^
d' Hafneniannc von HafnencilMm; U'uher d'Jlmsenannc
so auch jetzt noch ; d' Kisslerf'rnmd von KessUrkrumm
d' Vogelkiitter von Vogdantone; s'Ziägtertttareile; s'Zinjfler-^^
kiäh-rle. von Ziaglerjiemuk.
6. Geschlechtsname aus dem Rufnamen: d'HaibHros^
HaiMfram; d' Biff'skäiter von Riff.ydkk; d'SchuM)
früher d' Hiiiutiiiibttr^hei-es von Scharetvilhefm.
/ülksUlinliflieii rLTsoiifniimnpn cjii.t oUerlHirlisrlicn Sl»ilt 215
<V. Sonstige Bestandteile des Mannsrufnaniens : d'dersrasi**
Ton de GtY, für ihn ein Schimpfname; vor der Heirat
= d' Berhssfrosif^ ; d'Sekmitt-imarUse: s'fkhmiiMJwresiie,
der Name ihres Manns ist niclit mehr beknnnt; ihr
Schwager war i/j SchmittJhiia : d'Sj)n-l;>idone = Antonie
— Done war früher, wie da und dort noch Jet7t, auch
männlich; s. 1697 ITionj S. — , Frau des SprckatiUis,
früher Ä'MWMJrfoHe; (rWnstiJfrhecIcaiütICffJrin; d'Lnnäoner-
l-ilU3r.
1. Mad vgl. flaniit die ahnliche ahd. Erscheinung, x. II ^WaltrttmnMS
T, Wallrata mater" hei Sooin S. 203.
ä. d'Bloaker>iai\nt, Witwe Aea Blonkemax, wurde oft auch d'Moie»-
,u {lenniint. Vd. S «3.
g 60. Hovierte Frauennamen werden, manchmal mit Um-
:, gebildet ans allen vorkommenden männlichen Rufnamen,
lind zwar durch Anhängung von -e. geschlossen und kurz, nach
-ff, also .>jv, und -in, d. h. tm überall sonst. Vgl. Socin XXXII
Abschn. II. Wenn es zu einem zusammengesetzten Mannsnamen
den entsprechenden Frauennamen gibt, so ist damit erwiesen,
dass jener wirklich als Kompositum empfunden und gebraucht
d'AIfi-iflhi, iT EngiVietiin, d'ifalnare, dl ult Hansin usw.
— D' Burfptiuxfstäre, d'Do/däre, d'h'ärh^e, dt uU JägJre oder
Konati^H, d'Megsire, d'BachmiUärc, d'Rofschrihare, d'Stadi-
incgs^re. — D'Äliedm, d'EUisre, d'Drexl^e, d'Dummin (s. An-
hang No. 14J, d'Frankin, d'Grofin = Graf und d' Gräfin i^ 36,1),
iCKriiglin, Knifgle Diminutiv von Krug, d'MarJonin = Mariy-
noni, d'Bi»gare. ~ Di aU Na"zin aus Xandeniazi; iTUonin von
fiaiiiss^rmie. — If SottUrleohi('), Schtimdkonrndim. — IfFiseld-ir-
itddlUn, d'llaitjeßui-m, d' Koci^wähdmin, d' Sehate3karlm, nicht
'katii** = Karolina. — H Maierheck'm, d'C'dsas-ikinfere, d'Schmied-
tHtgtin. — D'Schmied AlKiiin, d'Meffs^r AberUn, d'Lchrer SkMin,
tti alt Hirseliäwirtin. — D' Hamburtpie, d'FissÜ^rin, d'Ga>'s-
hirin, d' SpithmixUn.
1. Diese Betit«!ung Eeigt sich sognr oft in urkundlichen Namen :
1702 „Madlcns Guotin". ITO:{ , Knlberhllrt Maria Rebmfinin genaiid
>'iaclierweiMiu': Hariu äussaunin: ITIO Margarete KugelamlUinin i 1823
. M. Anna Heitliu; 1834 Unterschrift: funleaetlich) Heilerin.
I 2. Wendet niaii in diesen Fällen auanahrosweise einmal den Titel
L Vttn 4Mt, 8u hOrt mnn hisweilctn. wie noch allgemein im 18. Jahrhundert.
lüWbMt imtrt, d'Froii Fraiih'u sagen.
816
Ktrtai'lie
§ 61. Auf die eben behandelte Art und Weise können
und werden tatsächlich auch alle andern Frauen bisweiten be-
nannt. Wie der umgekehrte Schrit'tnanie {g 28), so ist auch
diese Art der Benennung die einfachste und bequemste, wes-
halb sie oft die Retterin aus der Not machen muss. Manchmal
aber weicht man aucli dieser Form absichtlich aus; dann näm-
lich, wenn sie zu lang und unschön ist. In diesem Falle hilft
man sich dergestalt, dass man sagt: (l)nt Kochten jedmatt s(i'>t
Will oder (i)»i KruJtjmiJwise sine.
Vereiuielt ist die Form : 4'MariHeheban», Fran des sogenaiint«ii
g 62. Es kommt vor, dass eine Frau, die mehrmals ver-
heiratet war, immer den Namen ihres ersten Manns bekommt,
und zwar dann gewijbnlich, wenn die erste Ehe die längste
war, und die andern Jiänner dazu nocb Pantoffelhelden gewesen
sind (s. bereits g -18); z. B, iflHntare oder Giitfarthens, d'Katä-^
(ferbcre, dNepplin, langjährige Witwe von auswärts, deren erster
Mann (t> Muremep^v war, sTroS-imible, mehr ein Spitzname
von Troll; s. § 70.
§ 63. Witwen {auch junge) von Beamten und sonstigen
Angestellten werden mit dem Zusatz „aif gewöhnlich bez^clinet:
di alt Äl-zisart, auch = (TBixhin und iVFron Bock ; dt alt Barg-''
■tamsl^re. Desgleichen; di alt Kiitsihrtin, di idt Snnn^Hiiiiin.
Dieselbe Benennung erfa< aber auch die Frau eiiie& Be-
diensteten, der in Ruhestand getreten ist: di alt ATtziaere oder
meist zur Unterscheidung van der ebengenannten: tTScIiiimmin;
di (dt Postagentin. Dazu auch: di alt Hirschamrtin ; tU alt
Oxawirtin.
Di alt Apithtkire, alte Witwe, hat diesen Namen von ihrem Schwieger-
sohn, der die Apotheke schon lange besitzt, vor Jahren Übertragen V-
kommeD, sogar ohne dass flie bei ihm irohnte. Vorher ^ d'BloakeTHonaf
oder d'Maxananne, auch Öhlemmime, da sie die Frau den sogenuuien
Öhlermax war, der die ehemalige Ölmühle aowie die alte Bleicbp
= Bloiike heaasa und auch d» Bloaker oder da öhler hieU (vgl. g 4ö).
% 64. wahrend bei den Männern kaum je einmal in iIpkS
Anrede, und auch da sehr selten, das Prädikat „Herr" verliehe»
wird — höchstens manchmal beim „Pfarr", solange man ih"^
noch nicht recht kennt, d. b, er sich nicht pj/iMw/«" = geineir -
allgemein = leutselig, gemacht hat — , genieüen dagege-s
mehrere Damen aus besseren Familien die Ehre, meist bei d»*i
■ Die volkBlümlicIien Ppi
V oliPrbaiiischeiL Sta.lt 217
Nennung ihres Namens mit dem Epitheton Fron bzw. FipHi'
ausgezeichnet zu werden, nämlich; d'Frou Fischltr = Frau des
sogenannten Leo Fischler! (s, g 39); iI'Frou Hellsehe, aber auch
ifHariett, Witwe Henriette des sogenannten Edwin Bertsche.
Hier seien nachträglich der Übers ichtlicliieit wegen auch an-
geführt: s', d'Frritr Emm-', 75jährige, ledige Schwester des
Hermann Leiber, auch A' Hr-rr L. (genannt (vgl. § 39); d Freue
Sofe, 80jährige alte Jungfer; d'Frctlr Griif, Lehrerin und
Lehrerstochter; die Bezeichnung wurde hier erst durch die Schul-
kinder allgemeiner; (f Freue Hanm, Johanna, ledige Schwester
des f Dekans; dFreile Secger, ledige Schwester des Stadt-
pfarrers. Der Name wird mit kurzem ii, wie der gleichlautende
Berufsname, ausgesprochen.
Die sogeoauntc Madamm Jäger lebte 30 Jahre lang als Witwe obes
Apothekers in der Stailt und war elieufalls eine Schwester des genannten
Herjnnun Leiber. Madam galt frliLer als der nobelste Titel für eine hesaera
Dune; jeUt mehr verächtlich, da Madam auch ^ Puppe.
Sflii 111 pf minien.
§ 65. Die Schimpfnamen der Frauen seien im Änschluss
aa deren Rufnnmeu vorweggenommen. Das in g 54 Gesagte
gilt im allgemeinen auch hier. Die Frauen sind mit einem beträcht-
lichen Prozentsatz an den selbständigen, persünlichen Spottnamen
beteiligt, die bei ihnen wol meist noch aus der Schul- bzw.
I Mttdchenzeit stammen. Oft auch bringen sie des Vaters oder
t der Mutter Übernamen mit in die Ehe und behalten ihn
I allein oder neben dem movierten Spitznamen des Manns. Es
{ trifft also hier dasselbe wie bei Rufnamen zu. Unter den
gleichen Verhältnissen und Umständen wie dort bleibt nicht
selten der vfiterliche Spottname, besonders wenn man ganz all-
gemein ihn gebraucht (g 53), der Tochter auch als Frau stets
haften, zumal dann, wenn ihr Mann keinen karakteristischen
Namen hat: d'Schrr.>niimte,d'Stibh-mnrie, d'Trullemae/d^e", d' Wis-
fiOpf'iann' u. a., wie sie auch da und dort gelegentlich im fol-
genden, besonders in gg 1U7 — 112, angeführt sind.
S 66. HoTierte Franeniibemamen. Meist aber wird der
„Schletterling'-, den man dem Mann anhängt, auch auf seine
Prau angewendet, es mlisste denn nur sein, dass sie inbezug
^^^ JCarakter und Ansehen in ganz besonders vorteilhafter Weise
J
Dertsche ^^^^^^^^H
von ihm absticlit. Dabei wird der Vorname der Frau nnr an
Holcbe Schimpfnamen angefügt, die schon lange eingebürgert
Bind und mehrere Vertreter in der Verwandtschaft haben, be-
sonders aucti dann, wenn schon im Schimpfnamen des Manns
sein Taufname steclit {§ 59). Sonst haben wir einfach movierte
Feminina.
d'HibutiamK von </.) HOrr, di giinl VUtor oder tTGiiJ/j-
cittor, Frau des sogenannten Giwl^: d' Stachemarei von Stache-
udolf; d'Stihlchmri, Frau des StiUe oder StOjlcjohan». —
d'Adiifiin zu s'Aihifle, d'Grossparisfre zu Grossparis, d'l)i?r-
stämlere, d'Fünffisssl^re zu Fiinffti^ss, iTJ-'unkhi; d'Hoifrbiidin
( Hofeheislf), d" Kuaträdlin von Ku^raad; d'PrimJglascre; d'Sintä-
dMUn;d'Tsch'ipp-)re.d'Vifior9schnidi>re;d'S'ellH'tilareod.erd'Well^ie:
d^ZundeOudneri' oder d'ZundUn von Zunddhainer oder ZuntU.
EigenarligerweiHs kam s'Kampeibwffele. frtther »"Färberburgäe, >a
ihveni Namen. Ihr Mann, ein FftrlieT. stahl einst eine Anzahl von Eämnum
^ d> Kampel oder Sträl, verschwand aber nach Anterilta. bevor er gt'
fnaai wcrilen konnte, und hinterließ seiner Strohwitwe nicht viel niebr ak
.lieaen Sclunipfiiuiijeu.
g 67. Übersicht über die Schimpfnamen. Da für di<?
Tlnnamen annähernd dieselijen Prinzipien der Bildung und die
gleichen Gesetze der Vererbung gelten wie für die bisher
behandelten Rufnamen — entstehen sie doch meistens ganz
parallel und analog diesen — so werden sie im folgenden mehr
dem Inhalt und der Bedeutung nach betrachtet als nach der
Form.
Danach sind sie auch eingeteilt in solche, deren Entstehung
veranlasst wurde durch
l, körperliche Mängel und Eigenarten im Äußern,
'2, Fehler der Aussprache und Redeweise,
3. geistige Eigentümlichkeiten, sittliche Scbwücben uqiI
Fehler,
4. zufällige Ereignisse, darunter besonders Begebenheiten
von 1848 und Paatnachtssclierze,
5. Art und Weise der Beschäftigung,
6. Abstammung und Verwandtschaft — Vererbung ani
Übertragung von Schimiifnamen — ,
7. eigentümliche Wohnungsverbältnisse, endlich
8. Namens verdrehu ng en .
Di^ VülkstiimlidnT IV-rsoneuiiamen einer ciljcrbaiiischeii f^tfldt ^19
Begreif licberw eist umfassen ilie drei ersten Abteilungen, die iwch
■lic Hanptgruppen bÜdi'ii, die nieialeii und interessantesten äpottnamen-
§ 88. Übernamen der ersten großen Masse entbaUen und
bezwecken also, wie die Mehrzahl der römischen Geschlechts-
namen (vgl. Claudius, Naso, Plautus) eine neckische Karakteri-
sierung der Bezeichneten nach ihrer äußeren Erscheinung.
Dabei ist das Augenmerk gerichtet auf das Ganze wie auf ein-
zelne Teile des Menschen,
§ 69. Kine auffallend kleine Gestalt wird stets durch
.\nhängung der Verkleinerungssilbe -le = kin an die verschieden-
artigsten Hufnamen, deren Bildungsweise im ersten Teile dieser
Arbeit behandelt wurde, verspottet. Oft tritt auch noch ver-
stärkend der Umlaut, sogar bei Geschlecbtsnamen, ein. Diminu-
tivs kommen indessen auch sonst vielfach vor, ohne dass sie
einen gehtLssigen Beigeschmack an sich haben, sei es, dass der
damit bezeichnete kleine Mann ein gemütliches Wesen, eine
fröhliche Sinnesart besitzt, und den Namen allgemein zulSsst, oder
dass sich im Diminutiv noch die Koseform der Eltern erhalten
hat. Man kann ferner beobachten, dass Verkleiner ungeformen
auch oft erst dann gebraucht werden, wenn der Betreffende
durch das Alter gebeugt ist. Hier sind nur die allgemein nnd
stets gebrauchten Diminutivschimpfnamen aufgeführt.
a) Zunamen: iJ^ Munilli' oder Rothmundle (von Rothmund;
1702 und 17.S4 Rotenmundt; vgl. auch 1704 Mundus Giioth),
welch letztere Form die gelindere ist; tUBajerh oder meist de
Scluvr^bajerl'- — J. Baier, dessen Vater Scherenschleifer war;
lU Hü^ncädelf oder d^(s)HiU>'^iradfV»rlf, der ins Hüe^ruadels'
Hus wohnte — ein früherer Besitzer desselben hieU HUnerwadel,
er selbst heillt jedoch Johannes Renn, s. § 41 — ; s'((l^) Sä-
toorlc — dJ Xaior in g 101 = Xavrr Salor, kleiner Kamin-
feger, s'FiTlr, Schützen Wirtin, geb. Fuchs, von Esslingen; zu-
gleich Anspielung auf ihr „verschmitztes", schlaues Wesen.
b) Vornamen: da (s') Herinänn{d}le = EermaTiTi S.; wol
analog diesem: s'Kaileniün(d)lc = Karl (vgl. mhd. Metile bei
Socin); dj MitcMc = Nnuticlc, der zudem buckelig ist; rf»
Xiivnif = Xai'eere, der sich besonders hohe Absfitze auf die
Schuhe machen Hell ; <?.* Jakefit^e oder f/j Bri^fjakehde, der lange
, Briefträger war — gleichsam Diminutiv, von Kindern besonders
^«K^iuicht, vom Diminutiv JiikeMe; df Fetetie oder d-t Geer^
■iL
peterle, dessen Frau aus der sogenanuten Geer^ stannit«; rfs>
GeräwiUk(le) = Ed^icatt, Sohn des Vorigen; dieser Käme
ist wo] auch stark beeiDflusst von dem des Großvaters: Ger^-
tvadl (s, g 96, 2); (/j Glaserjergle.
c) Berufsnamen: da BasJnienterle = Posaniattirr; cl»
^yebetie, der früher Weber war, dJ Sctim»derle; da GwiJibbiilc.
der Bauer in eioem Hause namens s'Gin'ilb war; tiJ Schae-
mäcJwfle, bei dem auch noch die i^Iagerkeit auffällt, daher auch
= MSgerle; di WatdäschiUle = Waldschütz.
1, Bei Fraai^imamen kommEn VerkleineningsformeD Doch hSufiger
vor, w^Tiieti Aber ^wohnlich oicbt ala .Seh im|)&i amen aufgefasst.
i. Man vgl. auch, die Üimiiiiiti%'a in § 7, i.
% 70, Diminutive dienen ferner zur ironischen Benennung
von ausnahmsweise großen uinl starken Personen, deren ein-
zige Art der Verächtlichmachung dies ist. s' Getrbcrseppfie —
Sfj}p^f ist Kinderdimiuutiv oder gleichsam doppelte Verkleine-
rung von Seiip — Si'pjil — ; s'Biile, welcher der größte und
stärkste Bauer tier Stadt war; lU Tii-icliir = Tu-^chfr = Tuch-
macher; dieses Wort hat im Laufe der Zeit wol verschieden-
artige Gefühle zum Ausdruck gebracht; denn der Betreffend-?
wurde rasch sehr reich und vornehm und wollte Herr B. be-
titelt sein, und nicht ib Tu-^chei; da er sich seines Handwerk*,
das er ja doch selbst kaum noch mehr betrieb , schämte. AU-
mKhlich verarmte er infolge seiner vielen Prozesse und starb im
Spital; da (s')W<'ingeile = Wagner; il^ Hafim-hiii^c, spKter
= d^ Bfiebe, jetzt dJ OuM, s. §g 89, 1U6, Sohn eines Hafners.
5Iit diesem Spitznamen sollte wol zugleich auch die übertriebene
Zärtlichkeit seiner Mutter kritisiert werden. s'TrolUwible, un-
geheuer große Person, die dreimal verheiratet war, zuerst mit
einem gewissen Troll, desseu Name ihr auch fortan blieb;
s' Scho^swibli' , Frau des obenerwähnten kleinen Scheeiitbajer^i.
Vielleicht ist ähnlich eutstanden 17Ü2 „Maria RebmSnnin, ge-
nannt FischcrwiUin^"
S 7L Eine in die Augen fallende dicke oder magere Ge-
stalt ist ebenfalls oft Gegenstand der Verspottung, die sich in
einem Spitznamen niederschlägt;:
a) (tä dick Wilfiehn, (?■* dick Johann oder da Dick noch gAM
aligemein gebraucht, obgleich „Monte» i-nt omen'^ jetzt kaum mehr
gilt bei ihm, der schon ia der Jugend s'Färbemiartis Dich
hieß; da ScMcffeldick = K. Schlegel, zatn Unt
ini'v 'iiierl)H,liaclifn SIndt. 221
dkl- = E. Riff, der jedoch ganz abgemagert ist., weshalb sein
Name auch aus der Jlode kam; ffe KochMick oder s'Korlu
Dicl-B, rfJ GlicMkk, eine kurze, gedrungene Gestalt = Überall
gleich dick; da Edlwag'*, eine plumpe Frau, deren Gang zu-
gleich gekennzeichnet ist durch den Vergleich mit einem schwer
beladen en Materialwagen.
b) di Magerh, hei dessen Namengebung man wol an den
bekannten Geschlechtsnamen MegiTle dachte. Der gewähnliche
Name für einen dürren Schwächling ist sonst Miiij^räss. Schon
ajwrd. s. „Helt/i maffH', Stark S. Iö3. Do St^eyUs, de Gitz,
Sohn der sogenannten StMemarjagot s. § 112, i, vgl, auch die
Redensart: „er ist so mager wie eine Geili", der zudem in seiner
Jugend Übermütig war wie eine Geiü = Gits, besonders von
Rindern gebraucht als Gitzele neben Hiittele. In seinem Ge-
burtshause besass man auch viele Ziegen. !)•> Disrsfünder, wie
der allgemeine Ausdruck lautet für einen abgestandenen, dürren
Baum. Vgl. alid. C. Diirro, Diitref))luü bei Socin.
% 72. Ein gauK besonderes Augeniuerk richtet man auf die
Gangart und die BeschnAenheit der Fülle und Beine, was die
folgenden verschiedenartigen und zahlreichen Spitznamen erweisen.
1. Gang: it* Gliinhanton , ein Geistesschwacher, wol von
Olonker, glonks = schlotterig, wakelig gehen (warum nicht das
gewöhnliche Atdone, ist unerfindlich); d-t Zenziglunk, dessen
Vater rfj Zetie = Vinzenz war; rfj Gah'ippprneiiiile = Nepple, der
im Gegensatz zu seiner langsamgehenden, stitrk hinkenden Frau
übertrieben rasches Wesen zeigte; dJ Goass-fgcdoiipcr, der dazu
noch m^er war wie eine Geiü; d^ Schasetr, der trippelt wie
ein Jagd- oder Dachshund, oft = C'lasseur; d-> SiigetriU. oder
frUher meist Sügdrtmmd, auch S'igdmckel, eine aus der Sägerei
stammende alle Jungfer mit wakeligem Gang; dazu trank sie
oft noch gerne Schnaps — Trimm 1er, iimmHrimttü'^ = herum-
lungern, stolpern, trimmlig = schwindlig. Tribl — ein Hebel
zum Treiben eines Rads, auch in einer Sifgerei gebräuchlich.
0- Beine: d'Korh^galA = K. Koch — eine Gabel machen
= die Beine spreizen; vgl. ahd. '[V.debfüi Socin — ; d'Speck^-
gab/. Sohn des sogenannten Speck (g 50j; d-f GabdebiM, der
stets ledig blieb, datier Biut (s. § 9ö), d'Hci^angj, eine be-
kannte (iälierin, deren Fuüspitzen nullerdem sich fast berührten.
■■ Doppelzange zum Heuaufziehen.
J
X-Beine: df Läs^ilJfuess , trLeid; PI- iTLäsofa sind vier
gekriiminte Träger aus Holx, welche (üe Leitern aufrecht und
an der Wagenaclise festhalten = Wagen leiste, mhd. Iluhse, vgL
den Familiennamen Leiiclisenring.
Ein zu kurzes oder verkrüppeltes Bein (Hinkender): ih
Kesskrkrujnm, dessen Vater Kesselflicker war; da Zntt'sekrutnni.
dessen Vater = d» Zenise = Senis B.; da Bofxerh-unttn , oder
ila krumm Bdzrr = Jak. Bolzer; rfa hntmm Sebni^der. Vgl.
ferner Anhang No. 10.
Sonstwie niiasgestaltete Beine oder FHße: da Stonrch,
der auOergewUhnlich lange Storchenbeine hatte (s. mlid. Storkv-
Stoercfili(n), Socin : da Htelsaeacher = Zacliarias, der einen Stelz-
fuli hatte. Birlinger U S- 431: J. M. „der Stelzenlmb ge-
nannt, von Üppingen aus dein FUrstenbergischen, Oberamt Möh-
ringen' ; da BuutafMss, eine Frau, die sehr verdrehte, aber kleine
Piiße hatte. Ihre überaärttiche Mutter soll einst su ihr geäugt
haben, sie habe FUile wie eine Dame.
Schon im Mhd. gibt es mehrere Cheinamen . die des Gehänselten
Fflße zur Zielscheibe hatten, so z. Ü. bei tjocin: Ftiosa, VumU, Seftu, 3i>-
gar Geüfuox und Rntfuoi. Bei Bück uud Mouei Tanw&nn, Storaetiftui,
Wutfuoz 1417, Permfmss, Leiehtfuaa, .Sloltei'loth, Einbcin. Krummbtin,
iMngbein. Die letzteren aiDd jetzt noch fnat alle als üeschlechtsnamen
erhalten. Huntfuo», Sapptff'ua«, Ockrnfuos und Hoggtnfusa von auca
'Jans, liintfua 1310. Schragfmg^Ha 13U0. SlrekkfiuM imb, Krumpfut»
1336, Gtüdinvuos. Im anord.: Bargifulr = Knimrafuss. VilhUgfr
= BolBfiiß, Halfdan kiUeggr = der Hochbeinige. Stark S. l.V). Vgl.
auch Pott S. .'iW— 600.
% 78. In die Augen springende, abnorme Bildungen anderer
Kürperteile, besonders des Rückens, des Schädels, der Augen
usw. werden benOtzt ?m allerlei Spottnamen.
Rücken: dd Srigefmckel , alte Jungfer, die Wohnungsrecht
in der SKgmUhle vulgo Si'igc besaas ; rf.* Üunnchuchfl, der täglich
die Wirtschaft zur Sonne besuchte; d-t Soalrrliuck^ oder W'
BtickJlsoaln' = Seiler; d>> Hess^huckal, alte Jungfer namens Heb;
da Filerbrck^hiickl, Sohn des Peter Beck; daBiickiie, oder Buckeli-
kttrJe, der zugleicii zwerghaft klein war. Vgl. mhd. Pitg^i;
Btichti, Bukil usw. kommt öfters vor bei Socin; vgl. auch Bir-
linger 11 S. 431r „Schnizhukels .7ule" ; d^ Buckeibvck oder di*
BacUjohonnäs. Kur sein Vater war BScker. Der erste Name
ist daher wol nur ererbt, d. h. sein Vat«r dürfte auch schon
!lig gewesen sein,
volksliiinlichi'ii Poi
oberliudi sehen Sin dl
>S3
Schädel: <i* Wasserkopf: lU Fieehki^f; s'S/iiiihhti, oder
(/j Spilskopf, Schuiapitznftiue, später mehr = s'l^pinnhinj (sielif
g 110); ds Zifimder, der einen sehr dicken, zylinderfönnigen(!i
Kopf hat, (/.) Kopße, der bei kleinem Körper einen unrerhültnis
mäßig grollen Schädel besass — mbd.: Schedd, Schedetin(?J.
ferner Bo/tim, Bockshitiü, Bocsclicdd, Socin; DuUenkopf, im
Hegau noch bekannter Geschiechtsnanie , von Doble; Kwkopf:
Ganslopf 1492; Mitck<-n.hirn, Gw/rfkim: bei Bück, vgl. Gttgef-
fritz, ein Schimpfnamen in der Zimmerschen Chronik; Gross-
lopf, Jiosskopf, Mone S. 83.
Augen: s'PfiuJt/rndle, die auffallend hervorstechende An-
gen (so groll wie ein Pflugrädchen !) hat; d-i SibiÜig Knt-fj
= J. Krug; ds schülif} Ed^wait, das eigentlich kein Schimpf-
wort ist, denn er wurde allgemein bedauert und bemitleidet.
Vgl. ahd, Otto der scMlekenta, Socin S. 458; sogar schon
anord. Finur slialtfl. Stark S. 15b; femer „der einäugige
Fidele', berüchtigter schwäbischer Gauner; die Bock äugig, Bir-
linger tl S. 430.
Sonstige Körperteile: d'Spccl^ta»s3, der von Geburt auf
eine dicke, häsaliche Nase hat, wol Schnlname; vgl. Anhang
No. 22; dj Kurshaah (mhd. Hartwich Cliurzfuds Stark S. 153
Anm. No. 2); rfj Lnngohr, 1435: Langmtihrli bei Ruck, d.i
Lätschmnrir, weil er weit vorspringende, r(isselartige Lippen be-
sass — Latsch allgemein = verzerrter Mund — da Liitschjosej)p.
nach dem Tode des erateren meist einfach = rfj Lutsch: (/.'
Fidilfwirt , ein sehr magerer Wirt mit schmalem Podex; rf;>
Firdsdiek, das Gegenteil vom Vorigen; d> Fidhhirle, Sohn des
letzteren; s'dkk FidiJ, eine ganz besonders dicke Frau (vgl.
Mttendkkb, Mone S. 83).
!• In diesen PSIIen haben wir meist die Metapher pars pro totn !
i. Die Kühne gaben bexeichneuclerweise keine Veranlassung xu »chent-
liaften He in innen.
§ 74. Die Beschaffenheit und Farbe des Gesichts
und der Haare sind auch Schuld an gar manchen Spottnamen,
die daher ein eigenes Kapitel verdienen. Dabei mag auffallen, dass
der Bart aber nur eine bescheidene Rolle spielt, während er
doch nnsern Vorfahren manchen Stotf zu Übernamen lieferte.
Bei Socin z.B. kommen vor: Bart, IJcrtlin, Geizebart, Hechelbart,
Sterzfilitirt, Bosstitirtio, Rofpaii; s. auch Pott
'echelhart, Jj
224 Bertsche
1. Gesicht: d9 Gä<d, der die Gelbsucht hatte; (U Maser
von Masern = Mäs9r^; vgl. Maser im mhd., Socin; d'Larv^
= wüste Maske, der nicht bloß schwarze Haare, sondern auch
einen ganz dunkeln Teint hat — auch Name einer gelben Kuh
mit schwarzen, brillenartigen Flecken um die Augen — ; d<f
Neger oder Riffdneger = dd Bonjur, alter Junggeselle mit
rabenschwarzem Haar, dazu mager und unsauber, hiteslich (wol
Schulname; vgl. mhd. dictus Mor.); dd Schwa(r)z (ebenso; auch
= d<^ Mohr^wirt, obgleich er nur kurze Zeit bloß Kellner war;
1703 „Jakob Guoth, schwarz Jokch", im Gegensatz zum gleich-
zeitigen sogenannten Gehrenjoicch (§ 33, la).
2. Haare: dd Korddfux, rothaarige Tochter des sogenannten
Korddengdf die zudem als schlaue Händlerin und Bettlerin un-
beliebt war (mhd. öfters FuchSy FuchseUCn)^ Socin; vgl. ferner
Anhang No. 17, 1 u. 2); da Nepplerapp, eine Frau Nepple,
auch = d'Napplin mit schwarzen Haaren, Rapp = Rabe; vgl.
mhd. di<itis Rappe; d^ Wiskopf, der schon in seiner Jugend
schneeweiße Haare hatte, daher wol Schulspitzname; ddWishärle,
ein kleines Männchen, wie vorhin; vgl. mhd. Wisherlin, und
öfters Wisso und Albus, Socin; Weysshauptly Mone S. 83; d»
SclmaujzhaHkaschper, mit ungeheurem Schnurrbart = Schnautzbarr.
Man vgl. die Gaunernamen bei Birlinger H S. 411 ff.: Der braune
Nikolaus, ,J. L. vulgo der Blaue; der Rothe, der rothe Hechel spitzer:
„des schwarzen Martins Theres*, der schwarze Mattis, . . . habe schwarze
Haare und einen Zopf, ... ein schwarzbraun Angesicht, . . . trage schwarz-
lederne Hosen und Schu**, „der gehle Maties; Jakob E.. so sich sonst
schwarz Jäkle nennt**.
(Fortsetzung folgt.)
Preibnrger Bniclistück
einer mitteldeutsclieii Stephanuslegende.
Von Fridrich Pfaff.
Unter vielen im Laufe langer Jahre von wurmstichigen oder
sonst schadhaften Bucheinbänden abgenommenen Handschrift-
bruchstücken der Universitätsbibliothek zu Freiburg im Breisgau
fand ich neben dem in dieser Zeitschrift, N. F. IV S. 192, an-
gekündigten Willehalmbruchstück auch den folgenden Text, Es
ist der Rest einer Pergamenthandschrift etwa vom Jahre 1300,
die in der Breite 13 cm maß, deren Höhe nicht festgestellt
werden kann, da nur der untere Abschnitt eines Doppelblatts,
6 cm hoch, erhalten ist. Und auch von dem ersten Blatte (unten
1 und 2) sind nur 8 — 8,3 cm in der Breite vorhanden, der äußere
Teil ist abgeschnitten. Jede Seite enthält sechs Zeilen und Spuren
einer weiteren. Das Doppelblatt war wol das innerste einer Lage,
wie sich aus dem Text zu ergeben scheint. Die äußere Seite
war mit Leim auf dem Buchdeckel angeklebt, ist jedoch, wie
die ganze schöne, große Schrift überhaupt, gut lesbar, trotzdem
das Pergament auch viele Wurmlöcher aufweist.
Die Sprache des Bruchstücks ist mitteldeutsch. Bei dem
geringen Umfang des Texts werden sich bestimmtere Schlüsse
nicht ziehen lassen, ü bezeichnet nur m, und zwar u und md. n
= hd. no\ düginde 1, 2, gedultic 2, 5, fürsprechin 4, 3, umhe 4, 6,
firmü 2, 4, (femütis 2, 6.
Der Wortschatz weist einige Altertümlichkeiten auf. So
^miankunne 1, i, schinie 1, 2 intehitln 3, i. Der Text ist demnach
"weit älter als die Handschrift.
Der Inhalt des Bruchstücks entspricht etwa den Haupt-
stücken 5 — 7 der Apostelgeschichte. Da auf der ersten Seite
offenbar auch die Vorgeschichte des Auftretens des hl. Stephan
erzählt ist, könnte ich das Ganze wol auch ^Bruchstück einer
Alemannia N. F. 6, 3. 25
226 Pfajff
altdeutschen Bearbeitung der Apostelgeschichte" nennen. Eine
solche ist jedoch nicht bekannt; wol aber gibt es eine Anzahl
von Bearbeitungen der Stephanuslegende, und zwar stets als
Teil von Heiligenlebensammlungen. Nach diesem Beispiel kann
auch wol die Handschrift, der unser Bruchstück angehört, eine
solche Sammlung enthalten haben. Jedenfalls hat die Erzählung
durchaus Stephan als Mittelpunkt.
Keiner der mir bekannt gewordenen Stephanustexte stimmt
zu dem Bruchstück. Vor allem nicht die Apostelgeschichte.
Sie erzählt nur, dass die Zwölfe aus der Mitte der Jünger unter
sieben bewährten Männern auch den Stephan us, einen Mann voll
Glaubens und heiligen Geists, voll Gnade und Kraft, als Pfleger
aufgestellt hätten. Und dann folgt die Erzählung seines Wunder-
wirkens, seines Auftretens vor dem Synedrium und seines Be-
kennertods.
Dasselbe berichtet der lateinische Text des Jacobus a
Voragine^
Das wie unser Bruchstück mitteldeutsche Heiligenleben des
Hermann von Fritzlar beruht in dem Stephan gewidmeten
Abschnitt auf der Apostelgeschichte, die es noch bedeutend
kürzt*.
Auch die Predigten vom hl. Stephan, die Schönbach ver-
öffentlicht hat, zefgen keinen Zusammenhang mit unserem Text'.
Ferner ist auch der Abschnitt 4 „von Stephanus einem
mertirer" des Passionais nicht verwandt*.
Wie es scheint, ist auf Seite 2 unseres Bruchstücks Stephan
dem hl. Paul gegenübergestellt. Von Stephan wird sein sanftes,
geduldiges Gemüt gerühmt, während Paul — damals ja noch
der Verfolger Saul — zu dessen Füßen nach der Apostelgeschichte
die Steiniger des ersten Märtyrers ihre Kleider niederlegten,
„eines brennenden Gemüts" war. Die Erzählung ist fließend
und schön. Dies macht es besonders bedauerlich, dass nur so
geringe Reste erhalten sind.
Das Bruchstück trägt jetzt unter den Handschriften dex
Universitätsbibliothek zu Freiburg im Breisgau die Nummer 5ftV).
* Legende auroa. Rec. Graesse. Ed. II. Lipsiae 1850. S. 49— 5fi-
* Deutsche Mystiker hg. v. Pfeiffer. 1. Leipzig 1845. S. 84 — ^6.
* Altdeutsche Predigten, herausg. von 8chönbach. Graz 1886 — löV'I.
I. UX; II, 19; III, 14.
Hinsgeg. vonKöpke. Quedlinb. Bibliothek XXXII. 18o2. S.87 — ^^S.
i
Freibarger Bruchstück einer mitteldeutschen Ötephanuslegende 227
1. mankunne. vn irluhte dif . . .
[chime d^ heiligen düginde. u . . .
unzirgendichem lihte. Ru . . .
wände un dir gotif [un wol . . .
himele zu unf in den kerkir . . .
daz er unf irloHe uon d' geu[a] . • .
2.
[Sfe [feph] ^
uPuzwendic dar kum. zu
n beide edile. nach dir weite.
[n] sitin harte miflich und' ein an-
han d' waf ein! femftin gemü-
gedbltic. So waf fanti pauluf
[n] pn ein! brinnenden gemfttif.
[zichite] ein bo-
e ende, daz Fie (ich intebitin drane. So waf in
ab' fanti pajil^ alliz wid'e. Do die zwelf bo-
tin do u^nam fanti ftephanf rede, do befantin
si in. vn undir rihtitin in des gelobin. pn ge-
touftin in pii wart ein irweltiz uaz des hei-
ligen geiftef. pn irweltin fie in zu ir dienifte.
4. d a[iuda7] . . . [h]
uerlifen danne and' meindetere. Do q^men fie def
in groze angift pn irkurn fante ftephan. zu eim
für fprechin. daz er fie folte intredin wid' den
h'rin. daz fie niht hetin folichif getan, wi er ein
driger were. pn hete diz lant Pir kerit. Do sp^ch
fante ftephan. daz fie einef hriftef g'ten ümbe
15
Noch einmal der Name Achalm.
Von Jnlius MiedeL
Auch mich hat der seltsame Name Achalm schon mehrfach be-
schäftigt. So gut nun Dr. K. Uibeleisen im V. Band (1904) dieser
Zeitschrift auf S. 141 ff. seine Herleitung von einem altdeutschen
Personennamen Achalm verficht, so hat sie mich doch wenig
befriedigt, und ich erlaube mir daher, einen andern Versuch der
Öffentlichkeit zu unterbreiten.
Mit Recht weist Uibeleisen die landläufige Deutung „Alm
an der Ach" sowie die Bacmeisters aus einer unerklärten vor-
germanischen Form Äcallum und Bucks „Achluilden^ u. ä. zu-
rück. Aber auch Ludw. Laistners Annahme, der Alem. X, S. 67
an das mnd. ecJcel = Beule jdenkt und meint, es könne die Vor-
stellung der Anschwellung auf den Berg übertragen sein, ist
gar zu weit hergeholt \ H. Fischer im Schwab. Wörterhucli
I, S. 89 neigt bei der Sichtbarkeit des Bergs auf weite Ferne
neuestens wieder dazu, den Namen für vordeutsch zu halten.
Und doch hat er entschieden deutschen Klang. Darum ist
wol auch Uibeleisen auf seinen Personennamen Achalm gekom-
men. Nun sind freilich Berge, die scheinbar Namen von Per-
sonen tragen , nicht gerade selten. Eine alte Bildung wie die
des mons qui vocatur Eburharti mons (im Saargau, trad.
Wizenb. bei Zeuß 204, i. J. 851) ist so leicht verständlich wie
manche ähnliche neue, etwa Wilhelmshöhe. Andere wie Hans-
jörg, Patrich (nur so lautet der Name in der Umgegend) e^
klären sich als Übertragungen von einem daran liegenden Hof-
^ Der Euriositit halber aeMii hier noch die andern mir bekaonteo
älteren Erkli«^ ^uit: AMwlm = Achhelm, d. i. Helm,
Schutz d*^ = Agd, d. i. Ähren — , dann Berf'
gpitce
NocL einiiiBl der
p Aülialm
229
nnnien: der Berg über dem Hof des Hansjörg. Ähnlich iata
mit solchen, wie Roseuegger, Blender (bei Kempten), an deren
Abbang die Höfe Rosenegtr, Blenden gelegen sind und zu denen
also einfach „Berg" zu ergänzen ist'. Der Torhelm und der
Oerstenhalm sind einstweilen noch zu schleierlmft, als dass
sie irgendwelche Beweiskraft haben könnten, Madersalm ist
kein Berg, nur ein Weiler, und den Bucksehen Gotbalra ver-
mag ich nirgends zu finden. Diese Gattung von Namen ist
aber offensichtlich neueren Ursprungs, und schon dieser Umstand
macht es zweifelhaft, ob bei Achalm ein Personenname ange-
nommen werden darf.
Dazu kommt aber noch die Form. Von alten Vollnamen
männlichen Geschlechts werden tatsSchlich nur die auf boilo —
Socin gibt jetzt auch noch zwei «uf liero an — schwach ge-
bengt. Allein gerade die Formen mit Beugungsendungen sind
bei der Achalm die alteren.
Halten wir uns daher die Entwicklung der Namensform
noch einmal vor Augen: um 1. 100 AcIk^ min, 12. und 13. Jahr-
hundert Achalmcn, dann AcMnir, Achaln und Achalm, die Achai
fd'Achl), auch Acheiberg; in der Schriftsprache hat sich das
vollere „die Achalm" behauptet, überall marschiert an der Spitze
ein deutliches Acli.
Hat nun am Ende der Zwiefalter Chronist Ortlieb mit
seiner Bemerkung „mons a praeferfluente rivo Achalinin voca-
tur" doch nicht so unrecht?' Hat er den Sinn des Bergnamens
doch noch, wenn auch vielleicht nui' teilweise, verstanden, weil
er ihn an ein Wasser anknüpft? Aber die Echatz kann er da-
bei freilich unmöglich gemeint haben; auf die hat man die An-
gabe — vielleicht verfuhrt durch das wol ungenaue praeter-
fiiiente — auch erst in neuerer Zeit bezogen. Noch Gratianus
in seiner Geschichte der Achalm (Tübingen 1831) schreibt
S. 7: „Der Name wird von einem vorbeifließenden Bach ab-
geleitet. Dieser Bach, gegenwärtig ohne Namen, entspringt in
' Ho hnt auch det vcrstDinmelte ächarfrelter an der bairiach-tiro-
litchen Oreiize, iler im Vnlkemuad Schafreiter und bei Apian noch i^chaS-
nitt«r heiUt, Beiaeu Nunen von einer unterhalb liegendeu .Scliafreute.
' DuH Bedenken, ilass er von einer urbs apricht, die Graf li^ioo ge-
t habe, lOHt sich cinfauli, wenn man annimmt, dasB urba wie auch oft
X Sinn von Burg gebinucht ist: heitlt es ja bald hernach cum
tf'AdMlmin diclo.
J
230 Miedel
der Nordseite der Achalni, in der Waldschlucht Dobel, fließt an
der Wurzel des Bergs nach Sondelfingen herab und erhält dann
erst den Namen Reichen- oder Reihenbach." Dieser Reichen-
bach , . der seinem Namen nach zu schließen , reichlich Wasser
haben muss, entsteht übrigens — ich kenne die Örtlichkeit leider
nicht und kann daher nur nach der Karte urteilen — aus zwei
Rinnsalen, die sich kurz vor der Straße Reutlingen — Metzingen
vereinigen. In Sondelfingen kommt noch ein zweites Bächlein
hinzu, das östlich unterhalb der Kalten Herberge vorbeifließt
und gleichfalls der Achalm entquillt. Gen Osten geht sodann
der Eninger Bach, der dem Arbach (einst Marcbach) zueilt. Süd-
westlich finde ich zwei Wässerlein herauskommen, die Reut-
lingen zufließen, und auch nach Nordwest zieht sich ein Rinn-
sal dem bekannten Heilbrunnen zu, der 1713 gefasst wurde.
Über den letzteren sagt Beger in den Gesamieten Nachrichten
von dem vortrefflichen Gesundbrunnen bei Reutlingen (1761)
S. 31: „Das von langer Zeit auf der wegen ihres binsigten
Grases verschreyten . . . Wiese stehende, wegen seines Ge-
stancks übel berüchtigte Wasser fand man aus hartem Schiefer
hervorquellend ... Es waren zwei starke Quellen, welche
sprudelnd und wallend eine Menge Wasser über sich heraus-
gurgelten. Vier Monate darnach wurde in einer Entfernung
von ungefähr 200 Schritten ein dritter Ursprung gefunden.*"
Und in der Reutlinger Oberamtsbeschreibung (1824) heißt es
S. 35 bei Erwähnung der Schwefelquellen auf den Ried wiesen:
„Auch sonst dringt noch an vielen Orten und beinahe in jedem
tiefer gezogenen Graben Schwefelwasser mit aufgelöstem Schiefer
hervor."
Also Fließwasser genug an den Hängen des Bergs, die
eine Benennung danach rechtfertigen könnten. Es scheint, dass
sie meist dem oberen Rand der Opalinustone, der untersten
Schicht des braunen Juras, entquellen.
Was ist aber dann der zweite Teil des Worts? Die ^All-
mende" wäre doch nicht, wie Uibeleisen meint, sogleich von
der Hand zu weisen angesichts der im Schweiz. Idiot. I, S. 190
dafür auch nachgewiesenen Formen Aümein, Ällm^df Allm^j so
dass ein Äch-aUmein, Ach-alm^ wol glaublich erscheinen würde.
Auch das SchwSb. Wörterbuch verzeichnet je einmal Älman uod
J^mat ^^iHiB mundartlich neben überwiegendem alm9d „auch"
einmal eine Spur eines dentalen Auslauts bei
Nocli einmal rter Nnme Achfllm 231
der Aclialm beurkundet, so würde ich keinen Anstand nehmen,
die Attmende als Grundwort anzusprechen.
So aber muss noch ein anderes Grundwort gesucht werden.
Ein solches verfolge ich schon länger in dem auf ahd. u-allan
wallen, sprudeln zurückgehenden waliii = die Wallung, der
Sprudel, die Quelle. Es steckt ziemlich sicher in den nassaui-
schen Flurnamen Waime, tt'almsfiom , \VaBniena4^h , in der
branden burgischen Walmntr, in dem Waliii»od des Uod. trad.
Formhac. I, S. 747 von 1180, die also etwas Ähnliches bezeich-
nen wie der Name Wnllenttenbrunitfi von 1012 bei Fürst. II ',
1544: femer wahrscheinlich in Watbim-od (Nassau), 1313 Wal-
metiroyäe und Wcdmshelm, abgeg. (trad. Formbac. S. 788), viel-
leicht auch in dem Bergnamen Ahnen, der volkstümlich TVn/m«»
heiüt (Kant. Zürich), und dem WuQenlxich, der an einer H'wfl-
hcäde hinflieüt (bei Pfäffikon). Wer weiß, in wie vielen der
zahlreichen Wallbrunnen und Wallbäche es sonst not^h versteckt
ist! Zweifellos ein Wort, das so recht geeignet ist zur Bil-
dung von Gewässernamen.
Nimmt man also die Urform Aclueahnin au, so bedarf zu-
nächst der Ausfall des te einer Begründung. Wie schon die
Entwicklung von ahca zu nira und oiia neigt, wich bei der
Lautverbindung hiv bald der erste, bald der zweite Laut, wie
denn bis ins späteste Mittelalter herein Formen wie Ampferarh
— Ampffraite {beides noch im 15. Jahrhundert!), Kai^ahe —
Xassawe, Scluntacb ~ Schonawe, AhiwincHn — Auwinkel u. dgl.
I nebeneinanderstehen. So sehen wir einerseits Vlacii-ilTe zu
tlaivU (St. Gallen», Ahewilhre zu Aehicihr werden (jetzt Ehn-
weier im Elsass geschrieben); anderseits verklingt das te z. B.
in der Eichel (Nebenfluss der Saar): 713 Aquila, schon 788
Aehiüu, deren Gau 84(5 Athilgouiui genannt wird. Bekannter
ist die letztere Erscheinung in Wörtern wie eihltorn ^actvern,
tnorhala < »lorhwnlu, burgaerc < hargware, Echart < Echvart, oder
ifi/iati^leihvan, si'hun (_ saUtvan usw. Nach Braune ahd. Gr.
§ 109 A. 4 schwindet im Anlaut des zweiten Teils von Kompo-
eiten das ir überhaupt gern; ich erinnere nur an die Personen-
namen auf (cöW, H-dlf. Grund hierfür mag der halbvokalische
ICarakter des w sein, der in der Form Achunlniin über Achutd-
I min, Achoulmin von selbst zu Adialmin fuhren musste.
L Die Endung des Namens ist wie allenthalben in Ortsnamen
b^^pfttiv, und zwar Inder Mehrzahl: *en Achuhiihi ~ bei den
232 Miedel — Noch einmal der Name Achalm
Wasserquellen; ob damit nur eine der angeführten oder alle
zusammen (also „der an Quellen reiche Berg") gemeint sind, ist
gleichgültig. Das i der Endung erklärt sodann den zuweilen
im zweiten Teil erscheinenden Umlaut, der aber gemäß der
Mittelstellung des Schwäbischen zwischen fränkisch und ober-
deutsch vor l + Kons, nicht durchdrang. Dass sich bei der
Lage des Haupttons auf der ersten Silbe die letzte verflüchtigen
musste, ist weiterhin auch einleuchtend und der Wechsel von
m und n im Auslaut gleichfalls eine häufige Erscheinung (vgl.
tagum > tagun, tum > türm u. fi.). Der Volksmund ging noch
einen Schritt weiter und warf auch noch diese Laute ab: die
Achel. Und das Geschlecht? Mit dem ists gegangen wie bei
Ähre, Sitte u. a. : aus der Mehrzahlform entstand, als man sie
als solche nicht mehr fühlte, die weibliche Einzahlform.
Nun bliebe nur noch übrig zu erörtern, ob denn eine
solche Benennung sich auch anderwärts findet. In Deutschland
kenne ich keine; aber was ich beim Studium der ausgezeichneten
Schrift Dr. H. Middendorfs, Altenglische Flurnamen, nach
engl. Urkunden vom 7. bis 11. Jahrhundert (Würzburg 1899
und 1901, Halle 1902) vor einiger Zeit fand, machte mir die
Richtigkeit meiner Deutung zur Gewissheit. Dem ahd. aha
entspricht ags. oe, dem ivalm ags. wylm ; nun lesen wir a. a. 0.
S. 9: ao 726 tse^ian cewylm, 798 Craeges ceuudmn, aeicdmts
hangray 932 (HerdweUys) aewylm und 931 crf Awilme als Flur-
und Ortsnamen — also eine ganze Anzahl englischer Achalm!
Ein neuer Beitrag zu den oft überraschend nahen Beziehungen
zwischen den alten Sachsen und den Schwaben, hinaufreichesd
in jene graue Vorzeit, da sie noch Nachbarn waren.
'fr.
Sprachliclies aus den Senatsprotokollen
der Universität Freiburg.
(17. Jahrhundert.)
Von Hermann Mayer.
Sehr häufig kommt im 17. Jahrhundert vor: NN soll mit
einem gehörigen Filzen^ bestraft werden. Nach Grimm,
Deutsches Wörterbuch III S. 1633, ist es soviel wie Verweis,
nach Sanders, Deutsches Wörterbuch I S. 443, derber Ver-
weis. Übrigens kommt es schon in früherer Zeit vor. Lex er.
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch III S. 351 zitiert aus der
Zimmerischen Chronik III S. 584, 19: einem einen gueten filzen
lesen = den Marsch machen. Der Bedeutungswandel ist aus
den angeführten Wörterbüchern (s. oben) zu ersehen und voll-
ständig klar.
Dagegen finde ich in keinem der bekannten Wörterbücher
einen andern Ausdruck, vielleicht von demselben Stamm. Am
13. Mai 1675 findet sich folgender Eintrag: Andreas Müller
metaphysice Studiosus bittet vmb ein Beifils ad gradum magi-
sterii halten (?) pro convivio. Was das Wort bedeuten soll, ist
aus dem Zusammenhang klar. Es ist bekannt und wird gerade
in jener Zeit häufig Klage darüber geführt, dass die Kosten der
Feierlichkeiten bei den Magisteriums- und andern Promotions-
festen für ärmere Studierende meist unerschwinglich groß waren,
80 dass von solchen oft um Erleichterung (Erlassung eines
Teils des Aufwands, Einschränkung der zum Festmahl zu laden-
den Ofiste u. ä.) oder um einen Beitrag als Unterstützung
' Mitunter auch mit tz gcschrieb(»n, z. 1^. 18. Dezember 1675 : Weilen
Torkommen, dass ettlichc studiosi nuch nit immatriculiert, da doch solche
gwmahnt, conclasum: sollen mit einem Filtzon bestraft werden.
234 Mayer — Sprachliches aus den Senatsprotokollen etc.
gebeten wird. Zum Überfluss stehen a. a. 0. im Senatsprotokoll
die Worte „vmb ein Beifils" anstelle eines durchgestrichenen an-
gefangenen pro stip[endio].
Aus der Studentensprache scheint der Ausdruck nicht zu
kommen. Ich finde bei Kluge, Deutsche Studentensprache,
Straßburg 1895, nur Filzität, offenbar im Sinn von Kargheit,
Geiz (S. VIIL auch bei Grimm erwähnt III S. 1637), und
zwar im 17. Jahrhundert; und Filz als Biername in der Trunken-
litanei vom 16. — 18. Jahrhundert (S. 23).
Vielleicht weiß einer der Leser dieser Zeitschrift Aufschluss
über die Etymologie des Worts zu geben.
Notiz über Heinrich Louflfenbergs
Gesundheitsregiment (1429).
Von Karl Baas.
In seiner Monographie über Heinrich Lo u ff enberg schrieb
Ed. Richard Müller, dass das von jenem 1429 zu Freiburg
verfasste Gesundheitsregiment, welches handschriftlich in Mün-
chen aufbewahrt wird, bis jetzt nicht gedruckt sei. Da Müller
die ganze Literatur über den Dichter verarbeitet hatte, die der
gleichen Meinung w^ar, so forschte auch ich nicht weiter da-
nach, ob unter den vielen von dem Mittelalter überkommenen
und am Ausgang desselben zum Teil gedruckten Regimina sani-
tatis sich nicht doch eines finde, das auf Louflfenberg zurück-
ginge. — Ein glücklicher Zufall ließ mich nun die letztere
Frage im bejahenden Sinne beantworten.
Auf dem hiesigen Stadtarchiv wurde mir jüngst eine bis
dahin nicht weiter beachtete Inkunabel vorgelegt, die den Titel:
„Versehung des leibs" trug und welche nach Angabe des letz-
ten Blatts war „Gedruckt czü Augspurg in dem LXXXXI. jare".
Schon die der Überschrift folgende Inhaltsangabe der Ein-
leitung machte mich stutzig; als ich dann das in Versen geschrie-
bene Werk überlas, sagte ich mir sofort, dass dasselbe Hein-
richLouffenbergs Gesundheitsregiment sei, welches mir ja
durch das Studium der Münchener Handschrift und das teilweise
Abschreiben derselben gut im Gedächtnis haftete. In der Tat
bestätigte der Vergleich der beiden Texte alsbald meine Mei-
nung: von unwesentlichen Unterschieden abgesehen, erwies sich
der Augsburger Druck als völlig übereinstimmend mit
dem uns in der einen Handschrift bekannten Regimen
sanitatis unseres Freiburger Dichters.
236 BaaB
Wolfg. Panzer hat in seinen Annale» der älteren deut-
schen Literatur, 1788, die Inkunabel verzeichnet und beschrieben;
in seinem Repertoriiim bibliographicum wiederholt Hain ledig-
lich dessen Angaben. Dass beide aber den Verfasser nicht an-
geben konnten, hat darin seinen Grund, dase der unbekannt«
Drucker das Schlussrütsel des Qedichts weggelassen hat, in
welchem als Akrostichon der Name Heinrich LoufTenbergs ge-
nannt ist. Vielleicht verstand er diesen Sinn der letzten Verse
nicht mehr oder aber er wollte die Herkunft seines Werks
nicht nennen; lediglich die Jahreszahl 1429 melden noch die
Endzeilen des Drucks.
Als durchgehenden, gußerlichen Unterschied des letzteren
Ton der Hünchener Handschrift bemerke ich die lautlichen Ver-
schiebungen in Konsonanten und Vokalen, wie sie der Sprach-
entwicklung zuzuschreiben sind, so dass z. B. steht; „auch,
dein, säumen, one, lassen, zum, arczet, blut, apritl, monat'
statt: „ouch, din, sumen, ane, lossen, zem, arczot, plut, abvrelle,
manot" u. dgl. m.
Ferner hat der Druck an Stelle der in der Handschrift nur
mit Worten angedeuteten Bilder diese selbst in mit wenigen
Ausnahmen genauer Übereinstimmung derselben mit jenen An-
gaben. Zur nachträglichen Illustration der Textproben aus
Louffenbergs Gedicht, welche ich in dieser Zeitschrift (XXI
S. 41 ff.) gegeben habe, setze ich hier die Darstellungen der
vier Temperamente her.
Sang«i.,ic„..
loh bin von Art ein frSlicIi im
" KAttem blAt das ich ban.
ilW Hpiiiricli Luiifffiibcrss lli'sniiJheitarpgimciit (1429) 237
Ich hin von lortn ein gathor man Ich bin ein «iättig traurig tuan
□b irh jncb nitze und list^ han. anA kdn niütt nodi frSde han.
Die erklärenden Verse unter den Bildern sind auch Zusätze
des Drucks, der im übrigen nur im ersten, astrolopisch-astro-
nomiBchen Teil von der Handsclirift dadurch abweiciit, tlass ea
manche Tabellen nicht hat, wfthrend andere in den Zahlen ge-
Andert und dazu mit Erläuterungen zur Benutzung und dem Ver-
ständnis derselben verseben sind.
Von Interesse ist schließlich, daas sich im vierten Haupt-
teil, in dem Abschnitt: „Hie merke, wie , . .', welchen ich auf
S, 43 abgedruckt habe, ein Vers findet, den das Sllinchi
Manuskript ausgelassen hat. Nach
„Der mfntschen Iphen stat uar lijil*
heint es im Augsburger Druck:
.Es kost haut und ui
Wie ich an anderer Stelle
zeigen werde, so beweist diese Aus-
lassung gleichfalls, dass die Mün-
cbener Handschrift eine Abschrift
des verloren gegangenen Original-
tnanuskripts ist; wir sehen abei
ferner aus dieser Abweichung des
Text«, der zur Zeit der Herstellung
des Drucks des GesundheiCsiegi
ments Heinrich Loutfenbergs in
mehrfachen Exemplaren vorhanden
gewesen sein muss, Ton denen
Jedoch nur die eine, in der Hof- und Staatsbibliothek zu Münciien
aufbewahrte, Abschrift bis auf unsere Tage gekommen
d
Die Pflege der Volkskunde in Baden.
Von Oskar Haffner.
(Fortsetzung.)
Nachstehend folgt ein Verzeichnis der Orte, von denen Be-
antwortungen des Fragebogens eingegangen sind. Die Gemeinden
sind nach Kreisen, von Konstanz beginnend, geordnet, die andere
Reihenfolge ist alphabetisch..
Die Beurteilung der einzelnen Beantwortungen soll lediglich
den Zweck verfolgen, anzugeben, in welcher Weise über die
einzelnen Orte berichtet ist, soll also keine allgemeine Zensur
enthalten.
Folgende Abkürzungen sind verw- endet: Abergl. = zeigt,
dass hier im allgemeinen über Aberglauben berichtet ist; allg.
= allgemein; Ausdr. = Ausdrücke; ausf. = ausführlich; ausgez.
= ausgezeichnet; Bearb. = Bearbeitungen; dürft. = dürftig;
Kirchl. — Kirchliches; lückenh. = lückenhaft; Nachtr. = Nach-
trag; Pfr. = der Verfasser ein Pfarrer; reichl. = reichlich;
s. = sehr; spr. = sprachlich; teilw. = teilweise; v. Lücken
= viele Lücken; (!) wichtig.
Die einzelnen Ziffern beziehen sich auf die Nummern des
Fragebogens (Blätter 1, S. 6 u. 7).
I. Ereis Eonstanz.
1. Amtsbezirk Engen.
1. Hilzingen. 1; 2.
2. Riedheim. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, c; lim; 12 ab, ac, ae— ah, ca,
cd, d; 13 a, d — f, i, 1, m; kurz.
H. Thengen. 1; 2; 4; 9 b, c; 11c, f, n; 12 ae — ag, cd; 13 e, g, i; dürft,
u. ungeord.
Aus dem Hegau. 9 b; 12 d.
8. Amtsbesirk Eonstans.
1. AUenabach, 1—4; 6; 8; 9 b, f; 11 i (spr.) vgl. 13 c; 12 ae, cc, cd:
13 a, m; kurz.
2. Allmannsdorf. 1 — 4; 6; 8; 12 ab, ad, d; 13 a, b, d, f— 1; alles s. kan.
3. BoMingen. 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, f, g; Ha, b, e, g, h-k, m;
12 ad, af — ah, ba — bc, ca — cd, d; 13 a — l; gut,
4. Freudenthal 1—4; 7; 8; 9 a; 11 d, f, m; 12 ab; s. unvollst u. dürft.
5. Goitmadingen. 1—4; 0—8; 9 a (allg.), b (allg.), f ; IIb, f ; 12 ab, ad, d;
8. dürft.
Die Pflege der Volkskunde in Baden 239
6. Konstanz. 1—8; 9b— d, f: 11 (allg. Abergl.); 12 af— ah, bh, d;
13 a — m; s. gut.
7. Markelfingen, Nur 9 b, aber reichl.
8. Badolfszell 2; 9 b, c; 12 bb; 18 i, 1: v. Lücken.
9. Bandegg. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, f; 11 a; 12 ab, ad-ab, bb, cb,
cd; 18 a— m; gut, z. kurz.
10. Beichenau. 1—4; 6 — 8; 9 a (allg.), b, d, f; 12ad— af, bc, cb, cd;
kurz, V. Lücken.
11. Singen, 1 — 8; 9 a— c, f; 12 d; teilw. gut, v. Lücken.
12. Überlingen am Bied, 1; 3; 6; 9a (allg.), b; s. dürft.
18. Wollmatingen. 1 — 4; 6 — 8; 9a, b; IIb, i (spr.); 12aa— ah, ba — bc,
ca— ce, d; 13 a— n; alles s. kurz.
8. Amtsbezirk Messkircli.
1. AUheim, 1 — 4; 6—8; 9 a (allg.); 11 b, c, f, k, m; 12 ab, ae, cb, cd,
CO, d; 13 d, e, i, m (vgl. 9); teilw. dürft., 11 gut.
2. Bietingen. 1—4; 6—8; 9 a; 11 (allg. Abergl.); 12 d; höchst dürft.
3. Bdl 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, c, e, f; IIa; 12 ab, ac, ae— ah,
ba— bc, cc — ce, d; 13 a — f, h, i, 1; s. kurz.
4. Engelvcies, 1 — 4; 7; 8; 9a (allg.), b, f, 11 a, i (spr.); 12 ab, ae, af,
ce; 8. dürft.
5. Gutenstein, 1 — 4; 6 — 8; 9a, b; IIb, d, i (spr.), k, m; 12 ab, ae — ah,
bb, bc, ca, cb, cd, d; 13 a — i, 1, m; s. gut.
6. Hartheim, 1 — 4; 6 — 8; 9a (allg.), b, f; IIa, c, d, k; 12 ab, ae — ah,
cd, d; 13 a, d — f, h, i. k; Lücken, mittel.
7. Hausen i. Th. 1 — 4; 7; 8; 9a, b (reichl.), g; IIa — c, i (spr.), m;
12 ab, ae — ah, ca, cc, cd, d; 13 a — i, m; mittel.
8. Hainstetten, 1—8; 9 a (allg.), b, d— g (!); 12 ab — ae; 2 Bearb.; gut,
aber Lücken.
9. Krumbach, 1 — 4; 6 — 8; 9 a, b: 11 a, b, i (spr.); 12 aa, ab, af, ag,
bb, bc, cd, ce, d; 13 a — f; gut.
10. Langenliart, 1—4; 6—8; 9a (allg.), b, f; IIb, i (spr.), k, n: 12 ab,
ae, af, ah, cb, cd, d ; 13 f; dürft.
11. Leiberdingen. 1 — 4; 7; 8; 9 a (allg.); 12 ab, ae, af, ah, cd, d; 13 a,
d, e; s. dürft.
12. Menningen, 1 — 4; 7; 8; 9 (allg.), b, c; IIb, d: 12 ab, ae— ah, ba— bc,
ca — cd, d; 13 a — m (reiclil.); gut.
13. Messkirch. 1—4; 6— S; 9 a (allg.), b-d, f, g: IIa— f, i, k. m; 12 aa,
ab, ad — ah, ba — bc, ca — ce, d; 13a— i, 1; alles s. gut.
14. Oberglashütte, 1—4; 6—8; 9 a (allg.); 11 b, d. e, k, m, n; 12 ab, ae— ah,
bb, cb, d; 13 a — 1 (reichl.); ^ut.
15. Bast, 1—4; 6— H; 9 a (allg.), b-d, f; 11 a. b, i (spr.); 12 ab, ad— ah,
bb, bc, cb — cd, d; 13 a, b, d, h, i, m; mittel.
16. Bohrdorf, 1—4; 6— S; 9 b; 12 ab, ac. ae- ah, ba— bc, d; 13 a— i (s.
reichl.); gut.
17. Sehwenningefif 1: 3; 4; 6—8; 9 b, f; 11 d, m; sonst fehlt alles, kurz.
18. SetOmhart. 1; 3; 4; 6; 12 ae, ah, ba, cc, d; 13f, i; überaus dürft.
240 HaflTner — Die Pflege der Volkskunde in Baden
19. Wasser. 1 — 4; G— 8; 9 a (allg.),.b; 12 ab, ae, ag, ah, ba (spr.). ca,
d; 13 a, b, d, f; s. dürft.
20. Womdorf, 1—4: 6—8; 9b, f; IIa, b, m; 13a— e, g— i, 1, n (gut):
mittel.
4. Amtsbezirk Pfnllendorf.
1. Bethenbrunn. 1 — 4: 6 — 8; 9 a (allg.), b, c; 12 ab, ac, ae^ah, ba,
bb, cd, d; 13 a, b, d — 1; mittel.
2. Grossschönach. 1 — 3; 7; H; 9 b, c, f, g; 11 c, d, f (Abergl.); 12 aa,
ab, ae, af, d; 13 a, d — m; gut.
3. Heiligefiberg. 1 — 4; 6 — 8; 9a (allg.), b, f; IIa (Beilage, gedruckt):
12 ab — ah, ba; 13 a, d, e, g, h, i, k, 1; kurz.
4. Herdwangeii. 1 — 4; 7; 8; 9 a (allg.), b, d, f; 12 ae — ah; bb, cc. cd,
d; 13 a — d, i — m; mittel.
'). Pfnllendorf. 1 — 8; 9 a, b, c, f; 11 d; 12 ab, ae — ah, bb, cd, d; 13 a,
b. d, f, g — 1; mittel.
6, Röhrenbnch. 1—4; 6—8; 9 a (allg.), b, c; IIa, b, f (Abergl.); 12 ab,
ae — ah, ba — bc, cb — cd, d; 13 a, d, e, g — 1; kurz.
7. Zell a. A. 1—4; 7; 8; 9 a (allg.), b, f; 11 b, f, i (spr.); 12 ab— ag,
ba, bb, ca, cc, cd, d; 13 a — k, m; gut.
5. Ajntsbezirk Stockaoh.
1. Bodman. 1 — 8; 9 a — d, f. g; IIa, b, m; 12 ab, ad — ah, cd, d; 13 a.
b, d — k, m; gut.
2. Eigeldingen. 1 — 3; 9a (allg.), b, d; IIa — d, h, i (spr.), k (spr.), m,
n; 12 ab, ad, af, ah, ba — bc, cd; gut, a])er Lücken.
3. Espasingtii. 1 — 8; 9a, b, f, g; IIa, b, f, i, m; 12 ab — ah, bb, cb
bis ce, d; 13a — n (dazu einz. Wörter); alles s. gut; Nachtr.
4. Gallmannstceil. 1—4; 7; 8; 9b, e, f; IIb, d; 12 ab, ae — ah: cb, cd,
cc; 13 a — e, i; kurz.
r>. Liptingeyi. 1 — 4: 6 — 8; 9a (allg.), b — d; lim; 13a, n; alles kurz.
V. Lücken. Nachtr.
6. Ludwigshafen. 1 — 4: 6; 8; sonst fehlt alles.
7. Mänchhöf. 1; 2: 4: 8: 11 a, i (spr.); 12 ab, ae, af, d; 13 a — f, k;
alles s. dürft.
8. Nenzingen. 1—4; 6 — 8; 9a, b, d — f: 11 a, c, m (Abergl.); 12 ab, ad
bis ag, d; 13 a, c-f, i, m; gut.
9. Orsingen. 1; 4—8; 9a (allg.), b, c, f, g; IIa— c, f, g, m; 12 ab, ac.
af — ah, ca, ce, d; 13 a. c — f, m; s. ausf.
10. Beuthe. 1: 3; 4: 7; 8; 9a (allg.), f; 12 d; 13 a, d, m: s. unvollst,
u. dürft.
11. Stahringen. Nur 12 ae.
12. Steissingetij Verweist auf eine andere Sammlung.
(Fortsetzung folgt.)
Die volkstümlichen Personennamen
einer oberbadischen Stadt.
Ein Beitrag zur Geschichte der alemannischen Namengebung
von Karl Bertsche.
(Schluss.)
§ 75. Ein männliches Aussehen und dementsprechen-
des Betragen bei Mädchen oder Frauen wird folgendermaßen
originell gekennzeichnet :
a) cb SchatzBseppl oder (U 3I(irsfsepply statt cV Schatzdscpp9
oder -seff*) = Josepha — Sep^ü ist ein verächtlicher Name für
Joseph — Tochter des J. Schatz vulgo Marse, die sich erst mit
40 Jahren verheiratete; do Ma^bno, in der Schule == s'Miaiterle
= Mtitterlein, s. § 76, die bis zu 37 Jahren ledig war; da
Paultis, eine alte Jungfer, Paulina R. = d^ Kna^cl'j § 85, die
, Meister" ist in einer Familie von Geschwistern, ledigen und
verheirateten, auch verwitweten; do GocMjohann = d9 GocM,
s. 92, 8, eine böse Schwätzerin, Johanna Seh. ; d^ Bcdhutz, die
als Mädchen ihrem Vater = d) Bachwanger^ balbieren = rasieren
half, ebenso ihre Schwester Balbina; daher wol die Scherzbildung.
Sie war sehr ausgelassen und dafür stadtbekannt, weshalb sie
auch mit dem folgenden kuriosen Fastnachtsvers aus den 40er
Jahren verspottet wurde:
Ex domini pace!
S^Bachwangers Schtca(r)ze = schwarzgelookte Tochter des
Wagners am Bache.
B'Millerknädcht und d'HafnergaelU (die in ihrer Nähe
wohnten)
Ikmdr (tun ihr) d» Win uff d'Steg» stelle.
D9 Moäett^ Vielleicht ist hier der männliche Artikel nur in An-
Uiu^^iig ai^ ihren wol ersten Spottnamen do Schmisett gesetzt,
AlemMnia N. F. 6, 4. ] (j
242 Bertsthe
bei dem er grammatisch geboten ist; ihrem Karakter entspricht
er indessen vollkommen (vgl. § 76).
b) D^ UnifnBry ungeheuer großes und herrschsüchtiges Weib
aus Seitingen, Württemberg, gebürtig, wo man mnm9r statt
umder = immer, dafür jetzt aber mehr iSbivil^ sagt; d^ Jo^^bo^il
= jawohl, starke Frau eines Pantoffelhelden, die auch stets
näselte und durch vieles und undeutliches Schwatzen auffiel.
In den beiden letzten Fällen sind also, wie auch sonst öfters, zwei
Momente, Aussehen und Sprache, eigentlich drei, auch Karaktereigenschaft,
maßgebend gewesen bei der Namenbildung.
§ 76. Im Anschlüsse an die auf Grund des allgemeinen
Aussehens und der Körperbeschaffenheit entstandenen Unnamen
mögen die in Anbetracht der besondern Art der Kleidung
gebildeten nun aufgeführt werden:
Do Gräd^schnrz, der als Schuhmacher stets, auch außer-
halb des Geschäfts, eine grüne Schürze = der Schurz trug; di
side Fron, Witwe eines geschickten Seidenhutmachers; jetzt
Näherin, die sich früher stolz meist in Seide kleidete. Das Mhd.
hatte schon einen Sldherrc, bei Socin; rfcV Kocli^ahe, der als
fürstlich-fürstenbergischer Jäger einen mächtigen Schlapphut ge-
tragen haben soll. Wie an seinen Nachkommen, von denen nur
einer diesen Namen geerbt — auch noch = KochoffaU — er-
sichtlich, mag er auch einen wackeligen Gang und eine läppische
Haltung gehabt haben. Vgl. mhd. Lapo, Lape, Socin; Laffc ist
sonst der Name von Kühen mit einem weit herabhängenden
Hörn. J)cf(!) Modett, früher auch do Finett oder d^ Schmisett.
(wol von einem Fastnachtsspottgedicht herrührend), die sich als
ledig stets hochmodern, d. h. nach der „Modde** kleidete. Endung
ett wol nach den bekannten Bahett, Hariett = Henriette; Finett
vielleicht von ^Finess<> , Faxd mach^" ; Schmisett(le) oder
Schmis = Mädchenkragen; s3IiHtBrle, später rf.> McO^uo, weil
sie sich in der Schule so altmodisch kleidete, wol auch so aus«
sah und sich danach betrug (1697: Jakob Stambler genannt
Vätterlin; s. auch Attila); do Starai^^ — die Nasalierung haf
sich allmählich verloren — der als Schuhmacher in Wien war,
in ein österreichisches Heer unter General Starein eintrat und
dann in Möhringen ins Quartier kam. Er soll nun wie sein
General stets Lederhosen, rote Schnallenschuhe u. s. f. getragen
haben.
Man Vfd. hiermit unsere metaphor. Bezeichnungen wie Rotkäppchen.
Bkmii fc(rner: Qrawrock, !Silberpawr(?j, Mone S. h3; Isenhuot
Dil. volkstQniliclu'ii l'ersuneiinnmen piiicr i-berljndiBflipn ^^tuiit 24J
„Jupptn llSTi, £/o(/ mit rfer Juppwi' bei Bnck; Stninipflioaen -Lorenz, der
alte schvnrze Hoaen trug; Üirlinger II l^>. 4211; Duiil<!iik]ttdlinnneBl<?
S. 43".
% 77. Kinet» selir betröchtliciien Anteil an der Fülle von
übernanipri habeu die mehr oder weniger auffallenden Fehler
der Aussprache. Die Entstehunctsart und Bildungsweise ist
eine mannigfaltiKe. Es werden Personen, die mit wirklichen
Sprachfehlem behaftet sind, einen Laut nicht sprechen können,
oder solche, die nur undeutlich und mangelhaft reden, einfach
mit ihrem Vor-, Zu- oder Rufnamen, und zwar in der ihnen
eigenen Aussprache benannt:
(i) JMimim> = ThimiiM = Tliomaa; di Daüe oder Wangrr-
ilailc = lU yViififiPrhirh = Karl G., Wagner; und zum Unter-
schied von dieseni: (/.* GrwyiodtiUf vulgo Knug^harJe; rfj Kalfc-
Sepp = Karl Joseph aus Wiirmlingen; zudem eine fremdartige
Vornamenverbindung; d'Biirann von Marjan, — (fj Glattbba flir
Olauinßrer, aus Österreich um 1812 eingewandert, nicht wie sonst
o«.'; da Altee von MMerius ^ Matthäus; rfj IjcfJje = Beeile,
von ^'(J)/^, ein Schulspitzname; s'BleppeHn liir Sepperle (s- § 7,3).
Vielleicht ist es auch Anlehnung an ihres Manns Schimpfname
rfj Bhmp (§ 92, i), da man sie bisweilen noch s'JSempi'iii; mit
Hinweis auf ihre Verschwendung und leichtfertige Wirtschaft
= s'Geld verplemperlc, schimpfte.
g 78. Bei Stotterern wird dieser verdorbene Name dop-
pelt gesetzt und rascli hintereinander gesprochen. Der einfache
ist liier weniger beleidigend, daher allgemeiner. Vgl, Stark
S. 153: anord. Sigiirdr slr/'a = Stammler, rfj Aul-Aal von Paul,
absiclitlicli nicht oh: tTKukH oder Käkättr, Kätter = Katharina.
§ 79. Besonders «blich ist dann obige Art der Benennung
bei Eingewanderten, die ihre heimische harakteristische
Mundart nicht verleugnen und alsbald verlieren.
Geschlechtsnamen: (U Frankch = Frank, der vor
42 Jahren ans dem vier .Stunden entfernten Watterdingen ein-
wanderte. Heine Aussprache fiel also doch noch mehr auf als
sein fremder Vorname Lambert; da HalfhsrMer = Helfersried er,
Wirt aus Grunern bei Stsufen ; rf.) Golp (mit Übertrieben offener
Aussprache des o) = Kolb, aus Thüringen vor 25 Jahren ein-
gewandert, (/.* Brodlmail = Brodheil, vor 60 Jahren mit seiner
Frau eingewandert aus der Waldshuter Gegend; ffNiipjA'tn vulgo
^^faH^in, die. gebürtig aus StUhUngen, Amts Waldshut,
i.
d
^44 Bertsche
58 — 59 Jahren einen Möhringer heiratete namens J. Xepple;
iVBaUdre aus der Schweiz, verheiratet mit einem Beller.
Vornamen: cC GlöcUemänne vulgo Glöcklemanne = Anna
Glöckler, aus dem Amt Stockach gebürtig; d^Vronickch = Ve-
ronika, von Schienen, Amts Konstanz, vor 56 Jahren eingewan-
dert; sLisBhäiÜc vulgo Lis9beef = Elisabetha, aus dem nahen
Oberflacht, Württemberg, stammend.
Man vgl. hierzu auch § 7, 2.
§ 80. Auch werden Flachworte und sonstige, von einem
Menschen besonders häufig gebrauchte Redensarten, auffallende
Flick- und Scheltworte kurzweg in der ihm eigentümlichen
Aussprache als Spottname gebraucht, sei es, dass damit die
notorisch mangelhafte, undeutliche oder verkehrte Ausdrucks-
weise oder die Mundart eines Eingewanderten oder ferner die
von einem Einheimischen in der Fremde erworbene oder sonst
angeeignete hochdeutsche oder fremdsprachliche Redeweise karak-
terisiert und lächerlich gemacht wird, womit übrigens meistens
zugleich eine moralische Zurechtweisung Hand in Hand geht:
Auf diese besondere Weise sind viele Spitznamen gebildet
worden, und zwar meistens Satznamen (Socin XX).
1. Do Bagatt = bigott; dd Sa^pperment; (U Bh^x, dessen
ständige Redensart „Kotts Blix'* statt „Potz Blitz" w^ar. Durch
dieses Schimpfwort sollte wol auch sein hastiges, übereifriges
Wesen verspottet werden, vgl. „das geht wie der Blitz**, und im
Mhd. Viridis BUcchece, Socin. Derselbe heißt auch rfa San = so!
welches Wort er auch sehr oft gebrauchte bei seinem Rasier-
geschäft; cU Base = für Blase, ein allgemein übliches Schimpf-
wort = Tölpel, das er gern anwandte; d9 Trapf = Tropf, ist
der Vater des vorigen; dd Schn^^ = 5cAo« = schon, aus der
Redensart: „Jet^ han i scha^ wieder ebbos fertig!"; d^ Zage
= sage = sag ich, ein Vielschwätzer; d9 Margn = Morg^
= Guten Morgen, der auch noch hochdeutsch sprechen wollte;
dd Hole-Hde, der in seinem hitzigen, überflinken Wesen fast
jedes Wort doppelt aussprach. — Sein Enkel zeigt noch eine
ähnliche undeutliche Aussprache. Daher er zu seinen Arbeitern,
Zieglern, stets sagte: Hol(8)-Hol mir das und jenes. Vielleicht
auch Anspielung auf Hölehous = gefürchteter Mann = Schreck-
gespenst.
2. D^ Einigermaasso für ai^nigermassen = FrancJcch sieh^
§79; d9 Alowaü = nU^ml = immer, Ahzi-ser aus dem badischen
,'i)lkat<lmlii'ht.'ii l'e
r olierhaiiiscben ^taiit 245
TJnterlanii; rfj Buger, Lelirer und zugleich Mesaner, -j- vor
tiU Jaliren, der jedes böse Schulkind mit Böge}- titulierte, wel-
cher Name sich seit der Zeit zu einem allgemeiuen Schimpfwort
entwickelte (s. z. B. ^ ö8, i ). Biigir vom frz. bowf/rc.
3. A» Baigött = lii^gott, der lange in der Fremde, u. a, in
Wien iisw. war; rfj Nachhir oder iU Hernach = nolwsi; wel-
ches Wort er als langsamer, gemütlicher Arbeiter oft anwandte. Er
lernt« seinerzeit beim Militkr in Karlsruhe hoclideutscli sprechen;
lU Sdwissd^nirn = SchissiiJihi", der als wichtiger städtischer
Beamter, Feldhüter, sicli etwas Hochdeutsch aneignete und der
jede andere Arbeit als seinen Dienst für zu gering hielt und
noch hält, und deshalb darauf pfeift; da Mr'irse oder Marse-
.tcliui = Merci. der lungere Zeit in Frankreich war und Schatz
hiell; lU Honjour, der auch lange Jahre in Frankreich war.
% 81. Kosenamen flir die Eltern, die nicht ortsüblich
— fast nur Mutter und Vater gebraucht — oder schlecht aus-
g^-sprochen oder zu lange über die Kinderjahre hinaus gebraucht
worden sind, wurden ebenso zu bleibenden Schimpfworten fUr
das betreffende Kind verwendet:
(/■> Daildatc = Dtdi^, der auch als grölSerer Knabe noch so
seinen Vater nannte; dfa) Mu-tddnar = Miodder = Mutter.
g 82. Wenn jemand bei irgend einem Anlass ein be-
liebiges Wort, einen karakteristiachen Ausdruck in besondei-s
auffallender, schlechter, niissverstündlicher oder hochdeutsch
klingender Aussprache, dazu in eigenartigem Zusammenhang be-
nutzt, so wird der betreffende Ausdruck meist unverändert oder
auch mit kleiner Umgestaltung uls Spotmameu auf ihn an-
gewandt.
1. dd Thhants, für Spunten am Fass; aus der Jugendzeit
summender Name; die 50jäbrige ledige Trägerin des Namens
6|)richt jetzt noch das Juden-s; d.t Ff'udfi oder Ifudfieck, aus
}'fMl(e)wäbe f(ir Ff'aniüMite = Pfund Brot, ist genommen aus
seiner undeutlichen Anrede an seine Kunden, die heute noch
ganz zitiert wird. Es liegt im Worte auch noch ein Hinweis
auf seine Unsauherkeit, da pfude gleich pfui ist; sein Vater hin-
gegen war ein feiner Bücher, genannt da Wä^nnhech; ifo Berg-
iinddnal, der sich einst rühmte, er habe bei den Soldaten schöne,
weiße Berifiindnlene B.osen getragen, statt bergalenc (vom fran-
zösischen percah') Hosen aus feinem Sommerstoff. Er
^^U*t ein undeutlicher Sprecher, weshalb man ihn bisweilen
A
246 Bertsche
auch d^ Dud0r9s (allgemein) nannte, von dml9r9 = zitterig
sprechen; d^ Genadir = Grenadier. Nach seiner Entlassung
vom Militär sang er öfters das Lied: „Ich bin ein lustiger
Grenadier usw."; (d9) s'Sctiei^rdai<^r = Scheuettor = SchirtociTy
von Aulfingen, Amts Donaueschingen; d9 Kaisaare, der in
meiner Jugendzeit, einen starken Ziegenbock reitend, sich für
einen so strammen Reiter wie der Kaiser hielt.
2. S'Kornbrötle vulgo d«> Hamburger, der, im Walde Korn-
brot essend, voll Stolz einst sagte, solch gutes Kornbrötle, statt
Koarnbrot, habe er das ganze Jahr. (Vgl. Bück: Wissbrötdhi,
welcher Name aber wol mehr zu § 93, 6 gehört, da er Ess-
gelüste andeutete.) Dcf Ja-Ja^ weil er beim Verhör anno 1849,
als er wegen Beteiligung am Heckerrummel angeklagt war, sich
geistesgestört stellte und auf alle Fragen immer mit ja, ja ant-
wortete; d^ Aufrecht' Auf recM, wobei seine hastige Sprechweise
nachgemacht wird. So hörten die Gäste des vornehm tuenden
Wirts ihn oft zu seinem buckeligen Sohn sagen, der später ebenso
genannt wurde.
§ 83. Auf dieselbe Weise entstanden auch sonderbare Satz-
namen: d9 „'s wird sclian fescJU werd^'' ; so sagte der betreffende
Maurer einst zu einem fremden Bauführer, als dieser seine
lockere, mangelhafte Zementarbeit tadelte. Da die Mauer aber
bald einstürzte, wurde er entlassen, worauf sein Meister, ein
bekannter Spassvogel, d<f Stacheadolf, ihm diesen Spottnamen
gab; dö» Stlr2(d)bach, aus stirz(i)n Bach, in Anlehnung an den
ortsbekannten Geschlechtsnamen Schutzbach, der einst, nach-
dem er kurze Zeit auswärts war, einen Betrunkenen vor dem
nahen, angeschwollenen Bache warnen wollte, mit den hoch-
deutschen Worten: „Stürz' nicht in den Bach", statt kei, aber
kurz darauf mit diesem selbst hineinfiel; d9 Seckl9rali€in, der,
nachdem ihm sein Weib nach Amerika entgangen war, resigniert
sagte, jetzt sei rfi> Säckler = Kürschner eben allein, statt ^loa*^.
§ 84. Jemandes schlechte Aussprache oder hochdeutsch
sein sollende Ausdrucksweise wird ferner dazu benützt, um ihn
nach seinem Handwerk oder Beruf spöttisch zu benennen:
d^ Hieber oder Holzhieber = Holzhauer; denn er wollte
nach der Rückkehr aus der Fremde gebildet reden und sagte
für hauen hieben, wol nach Holzhieb, auch mundartlich, er hieb,
der Hieb; d^ Schuster = Schu^schter; jetzt dafür allgemein
mehr Schimnaclv^r^ der eiil besserer Schuhmacher sein wollte;
[ Die volksi
nli.-lien Pi-r
uberbiiaiHtliHH Suiit 247
'J Schlosser, Schlosser,
seine Tochter heißt aber tl'Sfhti-^scIiderso/'t!.'; i
der IVIann der I{a"si''n-> = Rosina.
Eine ähnliche Bildung zeigt: di Boiler = Booler =' Pole, denn er
nar einst in Polen; vgl. d> Hamburger u. h. Seioe Nach kommen heiUtm
s'Bolirs (nicht na«aliertl. .Sonst sagt mau gewühnlich ein Bool. Boler
kommt wol von Bolerjakob, spinem gewöhulichen Rufnamen, dann Bol»(nJJ.,
wie hei Bu»U meiiile von {Suhl.
g 85. Mit einem eigens zur Kennzeichnung der Aussprache
u;ebildeten Worte (Ononiato poesia oder Metapher) sind
nur wenige Personen verspottet.
ßj Hätt^hr von Häftfl = Ziege; man sagt auch oft i.t
hiUtdi^t, d. h. er lacht wie eine Ziege, meckert; da Jh-Ih, ein
starker Stotterer und Lump; Ha Kna^ck oder Knack, alte
.Tiingfer, die mit einer sogenannten Hasenscharte (s. Hasrnschart,
Eigenname, Mone S. 13} liehaftet ist und deshalb stets durch
die Nase spricht. Im nnlien Tuttlingen heilit eine solche Frau
iVHutsä(n)schaart. Warum di Kuack? Vielleicht nach An.alogie
der häufigeren münnlichen Namen dieser Art, oder wegen des männ-
lichen Betragens als junges Mädchen. Zum Unterschied hiervon;
da Knickknack orter nasaliert, vulgo rfj Posthaüer; (Ut Bur3-
knanrk, oder mit reinem a, eine langjährige Witwe, deren Vater
= s'Iiirh und Mutter = s' ßm-^nia rede (s. § 95 Anm.).
Dieses sind meist Hitc Seh ulspitzn amen, da aicli der Fehler schon
Trflh at^rk geltend macht und den Mitschülern leicht auffällt.
§ 86. Oft ist der Träger eines Schimpfnamens nicht ein-
mal selbst schuld daran, dass er einen so unliebsamen Begleiter
bekommen hat. sondern andere, meistens seine nächsten Ver-
wandten. So wirrt liisweilen der Name, mit dem die Mutter
\ ihr Kind zu nennen pflegte, diesem später zum Spottnamen und
bleibt ihm bisweilen für immer; dann nämlich, ^venn die Mutter
bezüglich der Aussprache eben eine jener drei Eigensclmften
und Untugenden besitzt, die, wie soeben erwiesen wurde, einem
einen Übernamen einbringen können.
1. ])■> Kita**raail = Konrad, dessen Mutter eine Schwäbin;
ffo ChtMi^h, dessen Mutter an der schweizerischen Grenze zu
Hanse ist; d'Marlise ^ MnrUsi- = Maria Elisabetha, verheiratete
Tochter der sogenannten Xajiplin von Stühlingen (s. SJ 79»).
' 2. [h Wulf oder th Ea-ait = Eiidicatt, Sohn der sogenannten
Bftrann = Maria Anna (s. § 77, i), und dessen zwei Brtider:
lU Gscbtaff ^ Gustav; iLi Gei'i» oder rfa Sevi» = Sevenn; d3
^=s Leo, Sohn der sogenannten An'sdin = Anrtreßlin in
248 Bertsche
§ 88, i; d<f Dscheniäl = Emil; die Mutter soll ihn als Kind
Dschemil gerufen haben, was durch den Umstand erklärlich und
wahrscheinlich erscheint, dass eine Schwägerin dieses Dschemel
Dschidian = Juliana, und deren Sohn Dschalhert genannt wird,
wenn auch nicht gerade allgemein, sondern nu^ von ihrer Nach-
barschaft. Als Dschemil von Böhmen zurückkehrte, wo er mit
Glöcklein handelte, sagte er zu seinen Landsleuten, in der
Fremde habe man ihn als DscJicmiäl angeredet.
g 87. Der von der Mutter gebrauchte Kosename wird
ebenso zu einem Unnamen verwertet: do Beebe, mit welchem
Worte ihn seine überzärtliche Mutter, aus Bargen, die lange
im Auslande war, stets liebkoste. Wol = engl. Baby oder franz.
Bebe. Man vgl. hierzu §§ 70, 106.
Vereinzelt steht der folgende Fall, wo der Vater dem Kinde ftlr
einen Namen sorgte: d» Anton statt Antone, dessen Vater aus Preußen
einwanderte. Man ging wol von der Meinung aus, ein solch schöner, vor-
nehmer Name passe nicht für einen armen Geißhirten: darum sprach
man auch später ihn nasaliert aus. Er heißt übrigens auch noch d^ faule
Siech, wie ihn sein Vater oft schalt, statt d9 ful Si^ch,
§ 88. Der Schimpfname eines Manns wurde bisweilen mit
Hilfe der schlechten oder eigen- bzw. fremdartigen Aussprache
seiner Frau gebildet, und zwar aus seinem Vor- bzw. Zunamen
oder einem Kose- bzw. Scheltwort. Der umgekehrte Fall kommt
natürlich bei Frauen auch vor.
1. De? Heiner statt Hainer = Heinrich, dessen Frau aus
Ippingen, Amts Donaueschingen, stammt; d^ Aress(le) = AndreÜle
= Andreas, dessen Frau auch die Mutter des Zleo ist; rfe liaUer
= K. Beller, dessen Frau eine Schweizerin = d^BoIl^e: d^
Stiarnsiach oder Stiarnbuijer, ein Lump, der von seiner Frau,*
einer Schwäbin, oft mit dem ersten Schimpfwort bedacht wurde.
Si^ch ist ortsübliche Schelte; Stiarn statt Stä^rn = Stern. In
der Schule wurde der BetreflFende von dem Lehrer E. vulgo
Bager (s. § 80, 2) besonders oft JBuger geschimpft; d9 DätU
— Vater, wue ihn, der auffallend früh heiratete, seine Kinder
und auch seine Frau lange anredeten.
Es ist wol nicht bloß Zufall, dass alle diese Männer mehr oder
weniger Pantoffelhelden sind oder waren.
2. D' Rasine = Rosina, deren Mann d^ Scidasser ist;
d' Kellermaar — Kälermaartf) == Martha Keller ; d'Brigaat stÄtt
Brigot = Brigitta, Frau des sogenannten Abti^^ (§ 99), daher
auch d' Abn3'BrigM ; s'Mammele, womit die Kinder und auch
vulkKllimlii-hcn Pi-rsuncnnanioti finer «WiljnJi.wbcn Sl«clt 24)1
der viel liltere Mann die Behr zärtliche Mutter liebkosten.
M. allgemein = Püppclien, Diminutiv von Mamm^ — Puppe,
aui.'h Maditm '. Als Kosenaijieii flir die Eltern sind Mamma iin<l
Papft nicht gebräuchlich. S'HiTZr^r. wie die sehr junge Frau
von dem überzSrtlichen, alten Manne bezeichnet wurde.
8 89. Ähnlich sind auch die folgenden Namen durch Über-
tragung bzw. eine Art Vererbung entstanden: rfii thiM, ein alter
Junggeselle, der von den Kindern seines Koatgebers und Freundes
stets so, statt Vetter, wie sonst itblich, bezeichnet wurde; rf.'
Bahnlaitr, dessen Stiefmutter iVliabi (§ 113| war, und der unter
viel jüngeren Stiefgeschwistern gleichsam als Ikiüp, ungewöhnlirli
und fremdartig für Vater, erschien.
Diese aus Koaofornien entstaudenen .Spitzimmen (a, auch noch § 9'i, i)
richtiin wol ihre Spitee mehr gegeD die rauhen und vielgeplagten Land-
leute u im aUgemeiaen unbekaante Affenliebe und ^'(.Thiitecheliuig dei'
Kinder als gegen die iingebräiichlichea Ausdrucke an shU. Trotüdcm aiud
sie der Bequemliclibeit und Übersichtlichkeit wegen hier eingereiht. Dus-
salbe gilt auch fOr die aus hochdeutschen Worten und Redonsart«u ge-
funnten Sputtnanion. womit hauptsichlich der Stolz und die meist ver-
iinglQekte Vornehmtuerei gegeilielt werden sollun.
9 90. Krankhaftes Zucken in den Gliedern und ner-
vöses Wackeln mit dem Kopfe — beim Sprechen oft nur — .
Stummheit und Geistesgestörtheit haben leider ebenso Stoff
za Schimpfnamen geliefert, Diese mögen, ihrem Wesen ent-
sprechend, den Übergang bilden zu der neuen Gruppe.
!>•) Bajass, eine alte Jungfer, die besonders Zucken in den
Gliedern hatte. Bnjas^, von Bajaccio, italienisch, bedeutet eine
Kastnachtsfigur, dann allgemein närrischer Kerl; s' Gloci-^sjiirl
der auch noch sehr kurzsichtig war und beim Lesen den Kopt
immer hin und her bewegte, Glockenspiel = Schellenbauu; (Ij
S^Hitppei; der hauptsächlich den Mund verzerrte und stets nach
etwas zu schnappen schien; rfa niirrscli Addf (närrsch = über-
spannt, halbverrückt = sehr närrisch); dazu ds Stumm, ein
■Stummer, der aucb halblaub ist.
% 91. Eine große und weit verzweigte Gattung von
Schimpfnamen bilden diejenigen, welche mehr oder weniger
starke geistige (moralische, soziale) MSngel und Fehler,
oder auch einzelne Handtungen und sittliche Taten eines Men-
schen aller Art verspotten sollen. Natürlich greifen auch diese
' iSfanimtli diigc!;
: Kindei-niilchflanohe.
250 Bertsche
oft noch in andere Gebiete über, und so werden dann mehrere
verschiedene Eigenarten und Untugenden mit einem einzigen
»^Ausdruck gegeißelt.
§ 92, Absonderliche Gewohnheiten, lächerliche Eigen-
tümlichkeiten, menschliche Schwachheiten und seltsame An-
sichten bieten eine beliebte und willkommene Handhabe zur
Übernamengebung, wobei bisweilen der Vor- oder Zuname oder
der Berufsname, kurz der gewöhnliche Rufname des Betreffenden
zu Hilfe genommen, oder aber meistens ein eigens gebildetes
Wort benützt wird:
1. Trägheit (bei der Arbeit): d^ SatÜerlanpd, oder d'La^^p^.
eine langsame und faule, alte Jungfer, deren Vater Sattler
war; La^p9, allgemein Schelte; d^ Mistjoseppj der als Bauern-
knecht so j^ftU wi Mischt" war; (fo Bletnpp — Blenipp^ ein
lahmer und ungeschickter Drescher, der den Takt nicht ein-
halten konnte, wol Schallnachahmung; s. ebbis verplempt?rU
= Wasser usw. verschütten, Zeit vertrödeln.
2. Überspanntheit, Übereifer, übertriebene Zärtlichkeit:
d9 Ger9schneck oder d9 Ger^tvadrl, K. Schneckenburger, der in
der sogenannten Ger^ wohnte. Schneck deutet ironisch sein
flinkes Wesen und seinen Übereifer als Waldhüter an, als
welcher er nicht beliebt war, wie fast alle seine Kollegen;
Wadd kennzeichnet sein kriecherisches Schmeicheln vor seinen
Vorgesetzten, von iiädls, umm9 = „tvädlB U (fe Herr9^; d'Nagl-
lieXj ausnahmsweise flinker Bursche, guter Schwimmer, der mit
^7 Jahren nach Amerika auswanderte. Der Name, wol aus der
Schulzeit stammend, hatte deswegen etwas Schimpfliches an
sich, weil dessen Träger, von seiner ledigen Mutter verzogen,
auch zu allen schlimmen Streichen seine Gewandtheit missbrauchte.
Worterklärung siehe bei diesem Kinderschimpfnamen, § 119.
d^ Gigg9digägg9de, ehemaliger überfleißiger und doch armseliger
Weber, der mit einem nervösen Zucken in den Armen behaftet
ist: Nachahmung des Webstuhlgeräusches; cfe wild Hä^depfd,
wol Schulname, wilde, zähe, „haarboschige", rackerige Frau,
d. h. ein Wildkiiuder = Wildkatze, und so rund und dick und
klein wie eine Frankfurter Kartoffel; di Wild, von ähnlichem
Karakter wie ihr Mann: da Wüd BiO, der noch bedeutend
schlimmer war wie sie, s. § 97, 5, im Ahd. „Wädfafic manci-
pium^\ Socin; ^Wildeman (von Wildenegg bei Weingarten),
H, Tndomitus'' , Huck; d<) Ringsumnarr ^ eine hochmütige, über-
Die Yolkstümlichen Personennamen einer oberbadi sehen Stadt 251
spannte und hoffärtige, „närrsche" Person, die lange ledig blieb;
— Ringsum wo! vom vielen Drehen des Kopfs; Narr = all-
gemeines Schimpfwort für männliche und weibliche Choleriker
— d9 Schmidebur, ein allzuzSrtlicher Gatte, Schmiele = Kuss.;
s'HäaMe oder s'Buss^gaggele, eine Frau, die, besonders in ihrer
Jugend, gern Hühner liebkoste. Von ihren Großeltern, die im
sogenannten Bußen wohnten, wurde sie lange verhätschelt und
verzogen. In der Kindersprache ist Gaggele = Ei(er), Häa'^le
= Hühnchen; d^ Karl Albert =^ do Sohn vom Vater, s. § 99, der
wirklich so getauft und nicht wenig stolz darauf ist, dass sein
Vater, der Revolutionsheld — (fe Äia^^ma^^r in § 100, ihm einen so
noblen, einzigartigen Namen gegeben hat. Wer denselben aber
anwendet, will damit die Eitelkeit, die Protzerei mit dem sel-
tenen Doppelnamen verspotten. — Hierher gehört wol auch:
1696 Jakob Stambler gen. Vätterlin.
3. Eitelkeit, Hochmut, Prahlerei: dd sch^^ Lang —
J. Lang, der sich für den schönsten Mann der Stadt hielt ; efo gdde
Taglöhner oder d^ Golde, ein Mann, der unverschuldet Amt und
Vermögen verlor, und dann, als armer Taglöhner heimgekehrt,
immer noch nicht von seinem vornehmen Wesen abließ, son-
dern fortwährend noch goldene Ringe trug u. dgl. Vgl. Silber^
pawr, Mone S. 83; Gvidimant Giddinjörg, Giddinvuez bei
Bück; tfo Sti^rsim7}i^ , Simon L., der stets sehr stolz war auf
seine wirklich schönen und großen Stiere; d«> Hot Gross,
= G. Groß, ein „Wichtigtuer" ; dd rieh Tr^fter, ein Groß-
sprecher, der immer sehr reich sein wollte; de Gucld, eine
stolze, freche und bösartige Person, alte Jungfer, die schon als
Mädchen „wie ein Gockd'' einhergeschritten sein soll: auch
= (fo GocMjohann. Vielleicht von einem Fastnachtsscherz; vgl.
§§ 75, 114. Warum nicht ffo Gid<i oder do Gickl, welches die
gewöhnlichen Namen für Hahn sind? Gockl klinge auch schon
vornehmer und kühner, sagte man mir!; di> Frimaaglasei' oder
(fo Müliondglaser^ ebenso ein Prahlhans, der immer nur Prima-
arbeit zu verrichten glaubt; d') Nettwetter, der als gewesener
erfahrener Schiffsjunge sich früher gern als kundiger Wetter-
prophet aufspielen wollte, aber stets nur nettes Wetter vorher-
sagte'; de> Kodex, auch do Näpdeo^, vermeintlicher Gesetzes-
kenner und Kurpfuscher, der tatsächlich den Code Napdeon be-
' Jetzt oft nur lU Wetter genanut.
252 Bertsche
sessen hatte, und sich auch als Winkeladvokat aufspielte. Vgl.
Anhang No. 13; d^ JBaro*^, welcher sich für den reichsten
Mann am Platze hielt und darnach sich betrug ; rfc> Speyerhafner,
der nur kurze Zeit in der Fremde war und bloß in einer Stadt,
Speyer, aber doch stets sich damit „wichtig machte" ; do Stab-
haalter, der vor 45 Jahren einige Zeit Vertreter des Stabhalters
in Bachzimmern war, und sich dessen nachher allzusehr rühmte;
d') TafhdecJcef', der als Taglöhner damit renommierte, früher als
Kellner feine Tafeln gedeckt zu haben; d3 Servm\ „Er war Sol-
dat bei den Grenadieren in Karlsruhe und hat nach seiner Rück-
kehr vom Militär den Leuten in Möhringen erzählt — in seinem
Stolze, er habe im Offizierskasino serviert. Da den Leuten die
Sache unglaubwürdig erschien, weil er ein ungeschickter Mensch,
eine steife, lange Figur war, hat man ihm eben den Namen
Servtts aufgetrieben." Es ist wol auch Anlehnung an seinen
Vornamen Severii^ und an den, vielleicht von ihm aufgebrachten
Gruß Serviis! anzunehmen; d^ Nathan: „Er war Waldhüter, sehr
groß und gefürchtet. Da haben ihm einmal Hattinger Männer
mit verdeckten Gesichtern — es waren Holzfrevler — Angst
eingejagt. Er soll dabei gesagt haben, er fürchte kein Satan
und kein Nathan; zugleich soll er aber davongesprungen sein.
Von dort an wurde er mit dem gelinderen Namen Nathun^
nicht Satan, bedacht." D^ oder d' Madammddatur, ein Schuh-
macher, der sich damit brüstete, bei der Mme. de la Tour in
Paris beschäftigt gewesen zu sein — zugleich Verspottung
seines stolzen, dämlichen Gangs; s AusschiissmiUjlied^ der be-
sonders stolz darauf war, einmal in den Bürgerausschuss ge-
wählt worden zu sein, wo er aber „rein gar nichts" leistet«.
Hier ist die außerordentliche Menge von Namen beachtenswert.
§ 93. 4. Schwatzsucht, Rabulisterei: d'Bolj2:erschnäd^r^i
geb. Bolzer, die bis zu ihrem 40. Jahre ledig blieb. Schnäd^rd
von schnattern, allgemein = Schwätzerin ; do Mutil^wanger^ ein
großer, berühmter Spassvogel und Witzbold, sonst Wagner.
Dieser Name ist mit der Zeit sogar zum allgemeinen Schimpf-
wort geworden, nachdem sein erster Inhaber längst tot. MiM^
= welsch reden, im Spasse lügen; da Mamm3futt, ein Märchen-
und Geschichtenerzähler, Schwindler; allgemeine Schelte für
Lügner, von Maivdu€k>
5. Lächerlich häufige Wiederholung von Lieblingsredens-
arten und Liedern: ^ "^j der bei allen Vorfällen und
[Die volkstfiiiiliclicn PtrsouKiinaiiiL-ii i
)l)erbrt(li>n-h*'ri Stadt 253
Ereignissen sagte: „Es ist dafür und ist auch dawider", d. h.
es ist ein Unglück und doch keins; il<i Ojrgerh ( — Goö), ein
„kiiminerhäftiger" Mann, der sich über eigene und fremde Un-
fälle übertriebener weise kränkte und beklagte, daher oft diesen
allgemeinen Ausruf taf, s. Jasomirgott; bei Bück: Gotterbartn;
Mone S. 83 Grmilirh; tV Kumnmahn^ , Tochter des Vorigen,
die ein ku ihrem Webklagen und Seufzen gut passendes, jammer-
volles Organ hat. ^Uino = Großmutter ist im nahen Tutt-
lingen, Württemberg, allgemein üblich. Das Scheltwort ist nun
auch ortsüblich geworden; (U HaUand, eine ledige Karten-
schlägerin, die oft den am Platze seltenen Ausruf gebrauchte:
,0 du lieber Heiland" ; tU Tndiomuu ein entlassener Feldwebel,
guter Sänger, der allzuoft mit zwei Genossen dasselbe Lied
leierte, „Tralionim-Traliomm-Tralio-lio-liomm"; lU Hii-Hn, ein
leidenschaftlicher F h stn ach ts narr, der aber nichts konnte, als
fortwShrend nur diesen einen Ausruf tun.
6. Allzugroße oder etwas eigenartige Esslust: d-/ IßiyJ-
gUidi; ein Uhrenniacher — Glode allgemein = Nimmersatt; im
ahd. Frasal, Socin S. 222 — ; rfj Wahbawjel , f um 1850,
der iin Breisgau das Schuhmacherhandwerk gelernt haben soll,
und dann zu Hause wol gelegentlich von ^Wallabangeln" statt
Reiswellen sprach. Übrigens nennt man ja heute tatsächlich
die Einwohner von Kenzingen spiittisch noch so. W. ist in-
dessen neben GliJik' heute zu einem allgemeinen Epitheton für
einen Vielfrall, wie er einer war, geworden; (fo Knöpfhbun, ein
geistesschwacher Junggeselle, der überall um ein Essen, be-
sonders sein Leibgericht, Knöpfte = Spätzle, bettelte. Vgl.
ahd. Adalbret ChasibUsze, Vorator lardi, Socin S. 458; KhnödA,
Wurst Mone S. 83; Eintfleische 137-1 Bück; rfj PfmdläaUc-
bi^fer, der, weil er als Küfer meistens nichts zu arbeiten hatte,
oft als Tagliihner in den Wald ging und sich dann immerfort
nur von „Pfundbroten" nShrte, die er jeweils bei seiner
Schwiegermutter holte, nach welcher er auch gewöhnlich ge-
nannt wurde (^ (l> Cdsas^kiafir, s. g 47).
7. Unreinlichkeit: rfj HaharliÜle , ein Schulnanie, der
sich stets den Mund leckte — läRit = d'häüe, Zunge, heraus-
strecken, von lallen — und zu Hause fast nichts wie Suppe und
Habermus zu essen bekam; d'Sclioderbirin oder (/j Schoder, die
als junges Mädchen immer eine schone, saubere Haarfrisur trug,
aber später zum ,Schoder" = abenteuerlich :!erzauste
254 Bertsche
Haartracht, Strobelkopf, wurde, als sie nämlich doch noch einen
Bauern nehmen musste. Im Mhd. Strubel, Socin; Straubhar,
Bück; Zopf, Mone S. 83; dr^ Triller, der als leidenschaftlicher
Pfeifen rauchet fortwährend seinen langen Bart und den Mund
beschmutzte (Trl9Ur, auch = Kinderserviette), weshalb er sogar
seine Kundschaft als Hafner teilweise verlor. Schmutzmul, Mone.
8. Sonstige Marotten: (fo TräwaUe, der seines Vaters
Hund Traball (?) besonders gern hatte. Dieses Wort, jedenfalls
Schulspitzname, ist jetzt allgemein geworden zur Bezeichnung
eines plumpen „ungattigen" Menschen, wie der erste Träger
desselben einer war. D9 Hos9spanner, der alle Vergehen mit
Prügeln = Hosdspanner, bestraft wissen wollte; rfo Uossiäde,
ein fauler Mann, der seine Hände unaufhörlich in die großen
Taschen — sing. Lado — der alten Bauernhosen steckte. Vgl.
im Mhd. Bniochschel, Socin ; d^ Meidlejäger, der ewig auf die
Brautschau ging; d^ Sozialdemokrat, der erste Sozialdemokrat
im Ort; s Magdtveh, eine alte Jungfer, die stets über Magen-
weh usw. klagte, aber wenig Glauben fand. Vgl. Anhang No. 12;
s SchUgeltrischle, Walburga Schlegel, vulgo ScUegelburgde , eine
kleine, langjährige Witwe und schlaue Schmeichlerin, (d^Trisch
= eine Art Aal); rfo» Dokometiter, der allen Leuten Klagschriften, .
Dokumente, aufsetzte, da er als geriebener Prozesskrämer sich
darin eine gewisse Übung erworben hatte.
§ 94. In eigenartiger und treffender Weise werden Pan-
toffelhelden geneckt. Sie werden nämlich nach ihren Her-
rinnen benamst, und zwar auf verschiedene Art: dd Amm^reile'
seppdtone, Mann des sogenannten Toarb€ck9(n)amm9reile; d^
BärUjoliann^ dessen Frau allgemein s* (Emminger) Bärhde hieß;
sBahttt9inän(d)le, kleiner Mann der sogenannten Babett; <fc
Hel€n^män(d)le, Mann der Helen^ einer bekannten Obsthändlerin
und Bötin; dd Bussogagge, Mann des Bussogaggele § 92, 2; d^
Feevdesüttler, s'Fevele = Genoveva; d^ OlivdtUus oder sogar
bisweilen dd Ohlpfifcr, dessen Frau dJOlivd oder mit ihrem
Schimpfnamen d'Ö/dpfifd heißt, s. § 99. Beachte hier auch
die interessante Wechselbeziehung zwischen dem Spitznamen der
Frau und dem des Manns. Dazu wol auch dd Itosdbene i^
g 103'.
* Beim SclmU^mayer, der s. Zt. von auswärts kam, ist diese Bc
zeichnuug allmählich zum allgemeinen Rufnamen geworden. Im benach-
Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 255
1« Auf ähnliche Weise sind solche Helden schon in § 88, i gekenn-
zeichnet.
2« Als Frauen von Pantoffelhelden können d^ Ummer und d9 Jo^bo^^l
in g 75b betrachtet werden, bei deren Benennung indessen noch andere
Umstände mitwirkten.
8. Vgl. bei Pf äff in ,Zeitschr. des Allgem. d. Sprachv.«* 1900, S. 112:
der Jakobiner, dessen Frau Jakobine heißt.
§ 96. Hartnäckige Hagestolze und alte Jungfern
werden folgendermaßen gehänselt, falls sie keine andern Karak-
teristika zeigen. Es wird nämlich der Kindername mit spöttischer
Betonung absichtlich noch immer angewandt: do aalt Bu^; ch
Schmittifbud, in einer Schmiede = Schmitto, geboren, sehr spät
verheiratet; rf?> Seppe/biio oder dt> Zcttdhuif = Joseph B., dessen
Vater auch Joseph hieß. Seppe! ist schon an sich verächtlich,
s. noch § 7, 2. Er war eine Zeitlang Weber. Zettel, genau
geschieden von Zedl mit offenem e = Papierzettel, bedeutet das
aufgespannte Rohgarn: d»> Feterlebu^, Sohn des sogenannten
FeterIc — s' Fotdemeidle, Tochter des Paul; sJhlermeidle, Tochter
des Bot^ler; s'Kord9tiieidU', 80jährige Tochter der ledigen Kor-
dula D. vulgo d'Kardo; s' Hassomeidle, auch = d<f HessAtucld,
Hess vulgo d' Hesseiwindle; sKellermeidle^ 65jährig.
1« Hierher gehört auch sYalt) Bur^meidle, eine Xantippe, mit dem
Rufnamen Burinuireile, die für sich allein hauern und wirtschaften musste.
weil ihr Mann nach ganz kurzer Ehe sich vor ihr nach Amerika flüchtete.
Vgl. Anhang No. 19.
2« Vgl. 1784: „Casper Heiß (der Hagastolz)' ; dazu , Andres M. vulgo
der Buob*, Birlinger 11 S. 485: der Esslingerbue, der Fridlihue, Beckebuo
im Kalender ,Der Wanderer am Bodensee ** vom Jahre 1867.
{ 96. Es ist leicht begreiflich, dass man jemand, der
übergroße Verehrung für einen Kriegshelden oder sonst
berühmten Mann öffentlich zur Schau trägt und ihm vielleicht
«thnHch sehen will, zum Spott und Hohn den Namen des Ge-
feierten anhängt. Hansjakob ^ erzählt von einem solchen Falle
in seinen „Wilden Kirschen**, wo ein Mann in llaslach stets
Jiinkeldey geheißen wurde, und zwar im Ernst, nicht spöttisch,
Xveil er nämlich unter einem General gleichen Namens ge-
Vjnrten Tuttlingen werden solche Namen (z. B. Trommcr- Müller, Storz-
-^uesa^f die aus dem (JeHchlcchtsnumen der Frau und des Manns bestehen
— — also umgekehrt wie in der »Schweiz — sogar amtlich gebraucht.
* An dieser Stelle sei überhaupt auf Hansjakob hingewiesen, der in
meinen Werken viele solcher Ruf- und Übernamen bietet und sie teil-
^nreise auch erklärt.
256 Bertsche
dient hatte. Dd Btsmark, der dem Reichskanzler ähnlich s^hen
wollte und sich damit oft brüstete; tfe RothecJc, der 1812 Soldat
in Russland war unter einem General namens Rotheck, dem
gleichzusehen er stets behauptete; denn er habe u. a. ebenso
einen roten Bart wie dieser; d9 Fafre, ehemals großer Ver-
ehrer des Jules Favre. D9 Elachc, welcher Name nicht hin-
reichend und sicher erklärt werden kann. Der Großvater — ein
Hüne an Gestalt — des Manns, der jetzt noch so genannt
wird, soll den russischen Feldzug mitgemacht haben und nach-
her oft vieles begeistert erzählt haben von seinem Feldherm
Elache, vielleicht Jelachich de Buzim, f 1859; d«> Slarai in § 76;
(U Kossuth und d^ Sonnetnann § 100.
{ 97« Zu den stärksten und ehrenrührigsten Schimpfnamen
gehören diejenigen, welche einen mehr oder minder groben sitt-
lichen Defekt (Karakter fehler) zur Grundlage haben:
1. Diebstahl: (TMaus, ein gefährlicher, schlauer Dieb, der
auch einige Male aus dem Gefängnis entkam, also Ein- und Aus-
brecher. Maus statt Mus, da er vor 20 Jahren aus Tuttlingen
einwanderte; cU Hoiiptma^, ein geriebener Dieb von großer,
strammer Gestalt. Man dachte an einen Binaldini = Räuber-
hauptmann. Nicht identisch mit dem sogenannten Hauptmann
in § 100; d^ Behglaser, ein gefürchteter Wilderer, sonst Glaser.
2. Habgier: siteff oder Schmitt^reff oder -ross, ihres
]i[anns Bruder war Schmied, d^ Schmitt3bu9\ sie wollte über-
all, in Wald und Feld, alles. Erlaubtes und Verbotenes, zusammen-
raffen. Reff = Sense mit Rechen, um das Getreide zu mähen;
f/'> ewig Jud, der aus Habgier Tag und Nacht arbeitete, und als
reicher Mann dann noch großen Wucher trieb.
3. Ti-unksucht: dJ Schnaps forde; do Ha'^hn9f}iedei' oder
'Drucker, Wirtssohn, der als lediger Bursche den Bierhahnen
allzu oft und gerne öffnete.
4. Streitsucht und Roheit: d'Zedlmarei, eine händel-
und prozesssüchtige, lang ledig gebliebene Frau, die oft mi*
einer Klageschrift = Zettel, aufs Rathaus ging. Vgl. Anhang
No. 25; d' Giftpflanz ^ eine gefürchtete, hadersüchtige ledige
Person; d9 Krawaümurer, früher ein streitbarer Mann, nach
dem sogar die von ihm einst bewohnte Straße getauft wurde,
nämlich Krawallstraße; cJ^ ifoJ^ti^, ein grober, finsterer Mann.
HoUhaus ^'^ i^ty womit man die Kinder schreckt; O^
22iii( mer Betrüger und Grobian. Das I^i^^
Die volkstüraliclien Personennamen einer oberbadischen Stadt 257
vom Rinaldini ist ja stadtbekannt; (Ij Glache, ein langer, un-
flätiger und vierschrötiger Mensch, allgemeines Scheltwort. In der
Schule hieß er da Longin-)s oder Latschaare, allgemein = Kaifer.
5. Ausschweifung: rfy WUd liw), ehemaliger Wirt „zum
Wilden Mann", der ein ausschweifendes, wildes Leben führte, ein
bubenhafter Lump. Seine Frau = do wild- Herdäpfel; dYdi) Main
Li9d€rlikait = dB Traüommy ein leichtsinniger, liederlicher Mensch,
jedoch nicht klein von Statur; d^ Luft, eine windige alte Jung-
fer, die zudem noch in einem hochgelegenen luftigen Häuschen
wohnte. Vgl. ahd. Sturm, Försteman; ferner s. Anhang No. 12.
§ 98« So haben auch gröbere einzelne Vergehen un-
nachsichtlich zu schweren Schimpfnamen geführt: r/«y Funi:, der
sein Haus in Brand steckte, von Funh^ = Funken; hier wol
Anlehnung an Geschlechtsnamen ; d^ FiriooMIer, der wegen Brand-
stiftung 100 Tage eingesperrt war. Firio = Alarmruf bei einer
Feuersbrunst; d^ HrnlcCf der sicli einst selbst hängen wollte;
mundartlich henlc<f. Henke ist ein im benachbarten Tuttlingen
häufig vorkommender Geschlechtsname. S. Anhang No. 23; d<>
Wu^scJäki^pry ein wüster und grober Mensch, Geizhals, allge-
mein = \Vu9scht. — Vgl. das Wneschtrcnm'n an Fastnacht in
Villingen, Birlinger II S. 32 — , der als Besitzer eines eigenen
Kastens = Heu- und Fruchtlagerhaus, in den teuren 40 er Jahren
des 19. Jahrhunderts seine Landsleute stark ausbeutete und be-
trog, d. h. zuviel forderte für seine Frucht, sonst war er Küfer;
tl) Meister Langfinger — § 43, 2: Meister Hanserg! — der
als Postgehilfe in Stockach sich Unterschlagungen zu Schulden
kommen ließ. Der berüchtigte Müller B. § 3 ließ dann an einer
f^astnacht eine Zeichnung herumtragen: ein Beamter, als „Meister
Langfinger'' bezeichnet, greift mit überlangen Fingern in die
f^ostkasse zu St(ockach) ; d^ Schoofgroof, A.Graf, der 1875 ein
^Schaf stahl.
J 99. Zu einer Menge von gelinderen Spottnamen geben die
Verschiedenartigsten sonderbaren Begebenheiten und lächer-
liehen Handlungen oder gelegentlichen Äußerungen,
oft ganz harmloser Natur, Stoff und Veranlassung.
Db Lwizifdler = A. Felber, ein Wahrsager, der ins Lunzis
Sierkeller im nahen Wurmlingen einen Geist erlöst haben will
^nd soll; efo BrootosniMcr, der seinen Hochzeitsschmaus = Broot^is
s= Braten, nicht bezahlen konnte, und zur Abtragung der Schuld
cleshalb von dem betreffenden Wirte als Mäher = Müder ange-
Alemannia N. F. 6, 4. j7
258 Bertsclie
stellt wurde. D^ KaseJcIejtper, zweiter Bruder des KasejaJcob in
§ 47, der verarmte und dann nur noch einen alten Klepper
besass. Dieses Wort hört man sonst am Orte nicht. Der Spitz-
name wurde wol von einem Eingewanderten, Beamten, aufge-
bracht. Ih) Spio*^Ifij ein Zwerg mit Höcker, der 1870 als Spion
sich in Frankreich herumtrieb; s'Schliffde, früh ledig gestorben
= Josepha ß. Ein bei deren Eltern einquartierter russischer
Soldat soll gesagt haben, sSeffde dürfe bei ihm srhliffm, statt
schlafen. D^ Hafnerknitz, ein fauler, verschmitzter Taglöhner,
Sohn eines Hafners, den 1858 der Straßenmeister Eberhard aus
dem badischen Unterland einen „knitzen Kerl" schalt. Knltz,
eigentlich gnitzt = abgenützt, ist, wie ich von einem Fachmann
hörte, ein Schäferausdruck — und die Schäferei, Schafzucht
wurde früher ja hauptsächlich im badischen Unterland betrieben —
für Schafe, die „nicht mehr zulegen" und deshalb dem Metzger
übergeben werden, weil sie die „Sucht" haben, alle Pfützen
auszusaufen und dann krank werden. Vgl. noch Anhang No. 20;
(fo Hafnerguguck, der um die Mitte des 1 9. Jahrhunderts aus der
Fremde die sogenannten Kuckucks einführte = Kinderokarinos.
aus rohem Ton mit nur einem Tonloch. Bald hallte das ganze
Städtchen von diesen Kuckucksrufen wieder, die aber allmählich
einem zur Last fielen. Der Name hat sich nun allmählich zu
einer allgemeinen Schelte für Hafner ausgewachsen. Do Oa^falt
= Einfalt, allgemein für Dummkopf, ein grober Mensch namens
Dumm, der lieber mit seinem Taufnamen genannt sein wollte.
Als er einst einem Manne, der ihn bei seinem Zunamen rief,
mit Absicht kein Gehör schenkte, forderte ihn jener mit dem
gleichbedeutenden Oa^falt heraus — Alnfaldt, Mone S. 83.
D<f Kammärde, der einst aus der Fremde seinem Freunde schrieb:
„Lieber Kammarde" statt Kamerad, oft = Johrgänger = Alters-
genosse; d'Öhlpfifj vulgo d'0liv<*, deren eingewanderter, unge-
schickter Mann ebenso schlecht schreibt wie spricht. Als Bräu-
tigam konnte er einst nicht einmal den Namen seiner Braut recht
schreiben. Ein bekannter Witzbold, do Latsch , benützte zuerst
diese, von ihm wol noch veränderte und zurechtgestutzte falsche
Schreibweise zu einem Spitznamen für die Braut (s. § 94). X^
Abuu, ein Viehhirt, der in der Schule nicht einmal das ABC
recht lernte und deshalb eines Tages ABU sagte; d9 Zundd
oder d9 ZundeUiainer, den der Lehrer einmal für „so dumm wie
Zundel*' «= Zunder erklärte; d9 Hos^gMe, der in der Schule
Die volkstümlichen PerMoneunainen einer oberbudiscrhen Stadt 259
«inst seine Hosen verunreinigte, früher ein alljremeiner Aus-
druck; (/t? Schwizer, der sogar in der Schweiz um Brandgeld
bettelte, deswegen dort aber eingesperrt wurde; dt S(xh1rh'cl\
früher Bäcker, dessen Frau sich von ihm einst wegen gewisser
Mängel scheiden lassen wollte und sich später wirklich auch von
ihm trennte ; ih Fünffuess, ein Schlosser, der einmal fünf Fülie an
«ine Pfanne machte; do SuUnulU der als Kaufmann sich um
1870 damit brüstete, das beste Mehl zu haben, nämlich, wie der
<iamals aufgekommene Ausdruck lautete, „00 Mehl", gleich dem
früheren Semmelmehl oder „Vorlauf". Im Laufe der Zeit bekam
der Titel einen hässlichen, beleidigenden Beigeschmack = Nichts-
nutz und wurde so zum ortsüblichen allgemeinen Scheltwort; df
Sohn vom Vatier, auch = (h Karl AUtert (s. g ^9, 2), der sich
ll^ern wichtig macht und dessen •{• Vater so viele Stücke auf
ihn hatte. Vom Vater wie vom Sohn sagte man ja ^l)äif(r) hat
'f Gsch . . . (Sach) ;;/// .s/w«/ Kind". Der Name ist auf ihn über-
tragen worden von einem früheren Inhaber, der aber jetzt einen
andern Titel bekommen hat. Dieser wurde einst von seinem
Vater, welcher die Maurerarbeiten des Kirchenfonds zu besorgen
hatte, zum neu angekommenen Pfarrer geschickt, um sich auch
vorzustellen. Dabei vergass er aber in seiner Beschränktheit
seinen Namen zu nennen und gab auf Befragen die Antwort,
«r sei der Sohn vom Vater. J),f Kord^oufe/, eine alte Jungfer
Kordula D. vulgo (TKord^J, die ihren großen aus Holz geschnitzten
Engel jährlich mehrere Male feierlich am Bache wusch, daneben
Anspielung auf ihre Scheinheiligkeit ; d' limio^nnarn oder d'Frri-
Ju^tsniarei, die anfangs des 10. Jahrhunderts wegen Ermordung
ihres Manns .,geköpft" werden sollte vom Scharfrichter von
Möbringen. Sie wurde aber in letzter Stunde vom Fürsten zu
Fürstenberg begnadigt. Noch jetzt kann man Einzelheiten dieser
Begebenheit aus vieler Munde hören.
§ 100. Hervorzuheben sind verschiedene denkwürdige Be-
gebenheiten und Ereignisse von ^ano ^/.s"*, die nämlich auch
in manchen Schimpfnamen ihre Spuren hinterlassen haben; denn
damals gingen, wie manchenorts, auch in Möhringen die politi-
schen Wellen ziemlich hoch, wohnte doch hier der später in
der Schweiz verstorbene J'irilkommissiu"' Dr. Tissot. IhAchtt-
n0rzg9r, der provisorische Revolutionsbürgermeister der Stadt:
dtf Kas^tnatter, der als Revolutionär in den Kasematten von
Paris eingesperrt wurde; d* lMn(mat1is) = Mathias E., der
260 Bert sehe
damals mit einem Böller = Beehr auf das Haus des alten
Bürgermeisters, Abg. Fischler, schoss; (1j Hauptmann , der das
in der Umgegend gesammelte revolutionäre Heer befehligte und
deshalb nach Amerika flüchten musste. Nicht zu verwechseln
mit dem sogenannten Houptma^^ i"^ 8 97, i. Do Gmeinderlc^
kleines Männchen, der eine Revolutionsgemeinde haben und
bilden wollte; rfo Kosiit, der sehr für Kossuth schwärmte; (l,f
Sonnemamiy Wirt zur Sonne, der seinen Gästen oft und gern
aus der Zeitung vorlas, und zwar mit Vorliebe über die Revo-
lution, dabei auch von dem Frankfurter Abgeordneten Sonne-
mann. Der damalige Arzt Gageur hat ihm diesen Namen ver-
schafft. — Sonst tragen die Besitzer oder Pächter der zwölf
Wirtschaften gewönlich keine Übernamen, w^as einigermaßen
auffallen könnte. Der Grund ist der, dass bei ihnen der Wechsel
zu groß ist. — D^ Sehelschnidor^ ein großsprecherischer Schneider,
der sich anno dazumal mit zwei Säbeln, einem kleinen und
einem Reitersäbel, bewaffnete, um sich besser verteidigen zu
können; d^ Ja- Ja in § 82, 2.
§ 101. Von einzelnen Fastnachtsspielen und -scherzen,
die früher am Orte sehr beliebt waren — s. Einl. § 4 —
rühren die folgenden Spitznamen direkt her. Dazu d<f Meisirr
Langfinger in § 98; do Vi(c)tori<^vogel, ein lustiger Schneider,
SL\xc]\Vi(tori9schnider — seine Mutter war r/' Viftoor — Victoria —
Freund und Besitzer von Vögeln, der einst, um seinen früheren
Schimpfnamen d<) Gäol Sehnider, als Sohn des Gü^U^ loszu-
bekommen, einen Gäulits = Hänfling vgl. Stieglitz = Distel-
fink in einem Käfig herumtrug und ihn den Viktoriavogel nannte.
Vgl. d.y Ga^^sbur sj 431, i, rfo SchneHleiffer, der bei einem sipge-
nannten Sacklaufen an der FasmH, wobei man, bis an den Hals
eingenäht in einen Sack, um die Wette laufen musste, den
ersten Preis errang; sSpinnJilrn, der prozesssüchtige, verleum-
derische Müler B.t früher = sSpUMrn — s. Spinnenhirny
Bück unter SpfmnenmaHin — dessen Name von einer vor etwa
30 Jahren öffentlich aufgeführten „Schnitzelbank" = Hobel-
bank: „Ist des niH d Spinn am Hirn"' usw. herrührt; difWahoory
Schiddomachory Weber, ein großer Spassvogel und Verschwender,
,,halb verruckt '*, der einst in einer Winternacht um Fastnacht,
mit zwei Zylinderhüten auf dem Kopfe, im hochangeschwollenen
Bache herumgelaufen sein und dabei gerufen haben soll: „Wa-
bor, Schuldenmachor*" usw.; dcf Xaror = Xaver Sator, ein
Die volkstümlichen Peisonennameu einer obcrbadischen Stadt 261
humoristisch veranlagter, kleiner Kaminfeger, auch = s'Satorle
§ 69 a, von dem jetzt noch viel erzählt wird, obwol etwa 1780
geboren. Diese Veränderung seines Vornamens wurde wol auch
in einem Fastnachtsvers oder sonstigen Spottgedicht vorgenom-
men, um Tauf- und Zuname reimen zu lassen.
§ 102, Zu einer neckischen Benennung gibt oft Anlass die
nachlässige und schlechte oder missbräuchliche Ausübung
des Berufs, die bloße Handhabung eines wenig einträglichen
oder verachteten Geschäfts, oder die Ausführung einer
Lieblingsbeschäftigung. Vgl. Ausdrücke wie die Regierung,
der Herr Rat u. a.:
1. 7fe Nii^hafner oder Frimahafner, der fast nie „hafnerte'',
und dann auch nicht gerade Primaw^are lieferte. Vgl. Pritna-
glaset' in § 92, 3, d^ SelUivanger, der selten und wenig wagnerte.
Schon im Mhd. dictus selten werc bei Socin; do Elaumeenfig'
(schu^naclierj, der oft „Blauen" machte und überhaupt nicht
viel „leistete" ; rfa Klal^wcnggdeweber, fauler Arbeiter, fleißiger
Schwätzer, der früher, als er noch wob, öfters gesagt haben
soll — nach einem langen Gespräche — jetzt müsse er aber
noch „i^ Tdebnvenggde^ weben = ein klein wenig; da Bdilivebr,
der jetzt noch als armseliger Weber hausiert, wie ein Bettler;
do rieh Weber oder auch do yliclde Weher = glückliche, der in-
folge einer Erbschaft sein Handwerk nicht mehr ausüben zu
müssen glaubte; d^ Bise-(Bise) = Lockruf für eine Katze
==: JBnsiy Diminutiv Bisele, ein Metzger, der allerlei Unerlaubtes
g-eschlachtet haben soll; do Jidlc, ein klein gewachsener Kauf-
tnann, der den überschlauen, verschmitzten Handelsjuden, die
-auf den früheren großen Viehmärkten von Möhringen stets zu
Sehen waren, etwas stark nacheiferte; do Broafschu^, der meist
Schlechte, zu große, breite Schuhe verfertigte; do Niuüohecl\
fiäcker nur im Nebenamte, der unförmige Wecken, wie Nudeln,
tjoachte; do Bischof, ein umgesattelter Theologe, von dem sein
A/'ater prophezeit haben soll, er bringe es noch zum Bischof bei
Beinen Kenntnissen. Auch unter den mhd. Übernamen bei
Socin kommt ein Bischof vor! Bo Vogt oder do Strcklr-^Wird^f-
'^ogt, der die Grenzen seiner Macht eines Waldhüters, als welcher
^r einen besonderen Stock, zum Beil hergerichtet, trug — daher
Steckte — , wol manchmal überschritt und das von ihm be-
"Vrohnte Stadtviertel, do Wirdo, ordnete und musterte. Vielleicht
Renommierte er auch gerne mit seiner Herkunft, da sein Vater
262 Bertsche
aus dem Hause des ehemaligen Vogts von Konzenberg im nahen
Esslingen stammte, s'alie Vogts Hus.
2. D9 Bafz^marte, der einst als Amtsbote Briefe, die damalig
einen Batzen kosteten, zu Fuß nach dem drei Wegstunden ent-
fernten Engen tragen musste (vgl. Phenninchschuester 1327,
Bück); (fo A^'oiichkopf, der, wie schon sein Vater, berühmter
und vielbegehrter Pfeifen kopfan rauch er war; s^Schnapsmareile»
eine langjährige Witwe, die einst eine verrufene Schnapskneipe,
vulgo d'Lafeet^, betrieb. 1)9 Tschäpper, der in seiner Jugend
oft bei der Schafschur behilflich sein, und besonders die Woll-
bündel = Tschäpper, tragen musste; s'Blä^mle oder s'JBIoani^*-
tiuireile, alte, ledige „Blumenmacherin"; d^ Kesslerjimd — vgl.
§35 Anm. — , dessen Vater ein Kesselflicker, und er selbst
unermüdlicher, allbekannter Trödler, Lumpensammler und Korb
macher war.
3. D^ gross Giger oder do Breeselegiger , ein guter, abe r
kein großer Geiger, von hoher Gestalt, der aber als Landwi i ^-t
nur wenig, nur y Breesele = Diminutiv von Broos9m9 = Br r v
Samen (vgl. Brösamlengeiger , Birlinger II S. 429) Ze it
hatte für seine Kunst; d9 Bummerhdler^ der früher bei da^a^r
fahrenden MusikkapeUe war, die gelegentlich, bei Jahrmärkte n»
Tänzen usw., da und dort spielte, und dabei die große Tromn^^Hel
schlug. Allmählich kam diese Zunft in Verruf, daher das v(
ächtliche des Titels. Wol auch Anspielung auf die magere,
drungene Gestalt. Ortsüblich ist „kurzer Bumtner*'.
§ 103. Eine interessante Gruppe von Spottnamen bild. -^n
jene, welche nur auf die eigenartige Verwandtschaft u ^~^d
Herkunft des Namensträgers hinweisen. Unnamen können nä^ ^ni-
lich aus Worten und Namen bestehen, die, wie fast jeder hai — ni-
lose Rufname, lediglich jemands Abstammung andeuten, an
welche aber der Betroffene aus gewissen Gründen nicht erinn -^rt
werden möchte. Nicht immer haben jedoch solche Benennunj
von vornherein einen bösen, beleidigenden Sinn, — haben
sich doch meistens aus den Rufnamen entwickelt — , sond«
nur dann, wenn die Vorfahren, ohne allgemeine Spitznamen
habt zu haben, — wenigstens hat sich keiner vererbt —
schlechtem Rufe standen, oder Schuld der Verarmung ihrer N«
kommen waren, oder auch dann, wenn die letzteren, gewö-
lieh aber erst die Enkel, als Bessergestellte oder Sichbes!
dünkende — offen sich ihrer Ahnen zu schämen anfam
Die volkätttinlichen Persoiienniimt?!! einer uberbadischen IStadt 263
U Sclnndcrsoffe.^ alte Jungfer, deren Vater Wasenmeister = Schin-
det' war; s'StncheammJrcilr, uralte Jungfer, deren Vater Eusta-
chius vulgo (li Stäche hieß; rf<> Vant oder s' Davits Hermann^
in der Schule auch =- d9 Dufinl: nach der Finkenart dieses Na-
mens, die für sehr dumm gilt und unangenehm riechen soll,
der nur «Hennann Beck" genannt sein will, da sein Vater, rf.?
Davit., sehr arm war (s. § 39); (TRos^henvmarjafpt, alte Jungfer,
deren Großeltern mütterlicherseits s' liosabf^iies hießen; Rosa
und Benedikt Rohrer; vielleicht zuerst d^ lior^bene von Bord^r-
ttetxe, also ein Pantoifelheldenname, wie Nagli>fer(le neben XaghJr-
ferde. Die Frau soll ein großes Vermögen „verputzt" haben.
(V Sch't'i^nanyu*., deren Großvater Scherenschleifer war; d^y Schin-
der, dessen GrolSvater mütterlicherseits Wasenmeister war.
§ 104, Ähnlich verhJilt es sich mit der boshaften Benenn-
ung eines unehlich Geborenen nach seiner ledigen Mutter
oder gar nach dem bekannten oder mutmaßlichen Vater: d<) Jit-
dittcr, dessen Mutter Judith hieß; d') Stach<)hH^, Sohn des Stache-
franzele, lediger Schwester des ebengenannten Stacheamnureile.
Vgl. Anhang No. 18. de Tnttlc(jo)hanrws oder einfach d^Trutlr^
welcher, da sein Vater viele Kinder hatte, von einer verwandten
alten Jungfer namens Gertrud M. = sTndle auferzogen wurde,
so dass es wenigstens schien, als ob diese seine Mutter wKre.
Seine zwei Töchter heißen teilweise jetzt noch, obgleich ver-
heiratet: d'Truflvatma und -magdr*Ien\ Früher hieß er auch
d^ Suchifrcsser, wol Schulname. Sndd = Schnuller, d. h. ein
kleines Säckchen mit weichem, verzuckertem Brot gefüllt, zum
Smig*) = SucI'Ik — Jh Muserphilippy dessen Vater Maulwurfs-
(= Schermaus)fänger, d. h. = Miiuser in Geisingen war. Hier-
bei soll auch noch dessen verächtliches Handwerk verspottet
werden, di) Fddchysch nieder, der von einem .,Polacken" ab-
stammen soll; d'y Schlesinger, der, wie man sagt, von einem zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts in der Stadt einquartierten
Soldaten aus Schlesien stammt. Vgl. Möhringer, Immendinger
u. s. f. Es heißt übrigens auch, er habe Bosinger geheißen.
De (jangj Jäclc — übrigens noch ein Kind, dessen Vater ein
gewisser Jäck. Diese ganz junge Bildung lag wol deswegen
nahe, da der Name auffiel, weil auch ein bekannter Vogel so
heißt, nämlich der Häher.
§ 105. Ebenso wird die Mutter eines unehlichen
Kinds manchmal benannt nach dem Vater des Kinds. Dieser
264 hertsclie
Name bleibt ihr auch dann noch, wenn sie später einen andern
heiratet.
lyHuugdro, alte Jungfer, nach einem gewissen Hauger in
Donaueschingeu, bei dem sie in Dienst war; (TJächin von Jäck,
einem fremden Bauführer.
Hierher gehört auch der folgende eigentümliche Fall:
iVMan,?, „ein großes, verdorbenes, freches Mädchen Franziska X.,
vulgo (VFranzl, aus roher Weberfamilie, das einen Gesellen
seines Vaters heiraten wollte. Es sei, so hört man allgemein,
ein außergewöhnlich großer, hagerer und gebeugter Mensch,
Manz mit Namen, gewesen. Dieses würdige Pärchen soll ver-
traut miteinander verkehrt haben; allein der Webergeselle ver-
schwand kurz vor der Hochzeit auf Nimmerwiedersehen, und
von dort ab nannte der Volksmund das Mädchen spöttisch Frau
Manz. Als sie aber später einen andern Burschen genommen
hatte, sagte man ihr nur noch d'Munz, oder im Reim auf ihren
Mädchennamen Franzi einfach (VManzl"",
§ 106. Auf die Abstammung von einer überzärtlichen
Mutter weisen nachstehende Ausdrücke hin, die wol meist
Schulspitznamen vorstellen. Vgl. § 86 Anm. und §g 81, 89.
dp(s)Addflc; .v'üTa^/je/teW^, dessen Vater Kaspar hiess ; s'Maj'f-
biMe, GOjährig, dessen Vater wie er Max hieß; s'Hnplnehh\
82jähriger Junggeselle "J", Hafner w4e sein Vater und sein Bru-
der — nicht zu verwechseln mit dem viel später lebenden
Hafn^rbi^lde in § 70 — ; sFadMoUe = K. Faden, der zudem
noch ziemlich klein und Junggeselle war.
Auffallend ist, dass es sich hier nur um Männer handelt.
§ 107. Schimpfnamen vererben sich fast ebenso hartnäckig
wie die allgemeinen Rufnamen, kommt es doch nicht selten vor,
dass sie fast die ganze Hinterlassenschaft ausmachen. Für sie
gelten auch annähernd dieselben Gesetze der Vererbung wie
für diese. Vgl. daher §§ 44 — 51. Fast durchweg werden
sämtliche Kinder von vornherein durch Komposita benannt, be-
stehend aus dem Übernamen des Vaters, oder der Mutter, und
zwar, abgesehen von unehlichen Kindern, dann, wenn sie auch
so einen „Schletterling" besass und dazu die Hauptrolle im
Hause spielte, und dem eigenen Taufnamen als zweitem Bestand-
teil; denn die ganze Familie und gewöhnlich auch das Haus
wird spottweise nach dem Schimpfnamen des Hausherrn bzw.
der Hausfrau bezeichnet; z. B. s'NiidUb€ck9(hus), s'TrawaUes-
Dio volkstüinlichon PersoueniiHiiit'ii einer oberbadi^clieii 8tudt 2()5
oder s^lUiht(hus), sUmmers (Familie). In cuinulo heißen die
Kinder also z,B,\ s' Ffudehcclc^ Bu^Uk sBüJh^ Meidlc, s'Trufles Kind,
PL; ein einzelnes dalier: a' H'dters Johami , s' Bühf Battisty s'Wh-
JiOpp(n) Anne, oder wenn nur ein einziges Kind überhaupt vor-
handen ist, meist: s'WiskapfohU'f bzws -meidle* Dasselbe pfilt
auch, wenn bloß ein Kind seines Geschlechts da ist. Dieser
Kindemame kann nun an dem Betreffenden haften bleiben bis
ins Alter, und zwar dann, wenn kein Schulspitzname und auch
später kein anderer, persönlicher Spottname ihn vertreibt. Ohne
Beachtung der bei den Friesen geltenden Primogenitur behalt
für immer den Eiternunnamen von mehreren Kindern stets das-
jenige, welches ihn am ehesten verdient, weil es dem betreffen-
den Elternteil am meisten nachschlägt, und zwar besonders in
den durch den Schimpfnamen hervorgehobenen Eigenschaften.
Über Frauenruf- und Schimpfnamen vgl. übrigens §§ 54 ff..
65 ff. Verloren gehen kann er indessen dem Kinde später doch
auch noch, nämlich dann, wenn es sich etwa längere Zeit in
1er Fremde — Militärdienst, Wanderschaft usw. — aufiiält,
ider auch durch seinen Karakter oder besseres Wirtschaften in
inem eigenen Heim bald sich besonderes Ansehen zu erringen
ennag. So kann der elterliche Spitzname ganz verschwinden
id aussterben, oder aber nötigenfalls auf eines der andern Ge-
hwister übergehen. Der Form nach macht ein solcher Name,
chdem er sich einmal bei einem Kinde festgesetzt hat, mit
n Leben seines Trägers einen bestimmten Wandel durch.
^ genetivischen Ausdrücke s'Hihns Biio und s'Ilibers Mcidlr
dichten sich bald, wie die zusammengesetzten Rufnamen
nttheres s. § 14 — zu wirklichen Kompositen: d^t HihrhU't
8* Uibenneidl^ oder später d^ Hd)erpaid'o^, Aus dem Hidter-
l kann sich dann leicht, besonders wenn er der einzige Sohn
I d9 jung Hiber entwickeln, welches solange üblich ist, als
■ 't Hiber noch lebt, oder auch noch geraume Zeit nach dessen
B GMtung hat, bis wir einfach wieder einen Hiltcr haben.
mj letztere Erscheinung kommt bei Rufnamen jedoch seltener
^ Meistens aber ist der ererbte Unname irgendwie moditi-
K. d. h. auf den neuen Träger zugestutzt. Mit dem HHjcr-
^^ verhält es sich aber ganz anders. In ihrem Namen
1^ 3 man nicht wie bei ihrem i^ruder das zweite Element
band weglassen; denn dann bekäme man ja die Form
Qovierten Femininums: d'Wh'h'r^ wie die Mutter als Frau
266 ßerteche
des Hiber hieß, oder wie die Frau des jungen Hibers mit der
Zeit heißen wird — jetzt noch = di jumj Hib^re — . Die
Schwester des Hiberhw) wird man demnach bis zu ihrer Verhei-
ratung und wahrscheinlich noch nachher eben cCHiberpauli^
nennen.
§ 108. Es seien nun die bekanntesten Beispiele bloß
ererbter Spottnamen, zur Erläuterung des eben Gesagten,
aufgeführt und zwar nur gangbare Namen älterer Personen, denen
noch viele andere beigefügt werden könnten, besonders von
jungen Leuten im Alter von etwa 15 bis 25 Jahren, größten-
teils Fabrikarbeitern, bei welchen diese Art von Bezeichnung di<
gewöhnliche oder fast ausschließliche ist, da sie meist nocl
keine eigenen, persönlichen Beinamen oder nur Schulschimpi
namen besitzen. Die Formen mit -bif^ und -mekUe erhalten siel
meistens nur solange, als die Betreffenden ledig bleiben.
Reine Erbnamen: <b ]3aigott, do Base, do Pfude, d9 HätMn
d^ Hibcr, d^ Bone, d9 Soniiemann, d^ Wislopf, ohne tatsächli(
weißes Haar geerbt zu haben, rf^ Rinaldini, tfo Hos^läde, (
Funk; do Kochdaht und d" KochogaU, in der Jugend = sKocl
Krumme, dann d<) Koch^Jcnimm, welch letztere zwei Brüder sii
und von ihrem mit zwei Namen bedachten Vater je einen erbt(
Hierzu gehört auch de) Modetf, unehlich, nach der Mutter, ui
d^Modett<)min(t, eheliche Tochter des (alt^) Modelt; s'Bur^meid
Vgl. § 95 Anm.
Modifizierte Erbnamen: s' (di)) Starai^na^ze, Sohn c^-^ies
Starai; d<) Hanneaugust, erst 35 Jahre alt, und sein Bruder (h
Hannewülwlm, BO jährig, deren Vater rf«> Hanne noch lebt; d»
Bäsehui), dJ jung Base und d9 Bäseleo, bei dem noch sämtli( i^he
vier Benennungsarten im Gebrauche schwanken; d'Kodexdhäi
ledige Tochter des Kodex, s. Anhang No. 17, i; d' Gockelamnu
— A. M. Finus geb. Seh., unehliche Tochter des GocJcd =
hanna Seh., die schon in den 30 er Jahren des vorigen Ji
hunderts starb. S' Gockels sind ein altes, weitverzweigtes
schlecht, denn schon Ende des 18. Jahrhunderts — das näl
Datum des betreffenden Salbuchs ist nicht mehr zu ermitteli
kommt das bekannte, noch unter diesem Namen vorham
Gogglsdälle = Tälchen vor. Aus dem Alter erklärt sich di
wol auch das auffallende offene o in Gockl (vgl. § 92, 3
>§ 111); d'JIihrrpanlifi, ledige Tochter des Hibr; s'Zundlpt
Diminutiv von Paula; d^Boolenianne oder s'Bolerfneidle,
I
Die volkstttiulicken Personennamen einer oberbadiächeu Stadt 267
sehr lange ledig war (abgeschwächte Form von Bo^^ler); il^
Schu^sclUerfran^:, bei dem sich ebenso das eigentlich beleidigende
Kriterium des Vaternamens = ASrhustr verlor, sonst sagt man
aber gewöhnlich Schuhmacher; d) gross Sclnrizer = langer Sohn
des Schiriger; d'f Udeheisle, Sohn des Holebaus in § 97, 4; rA>
Bäh oder d) Bäh)fjattist, ehlicher Sohn der l?//to § 113; (1(1)
fjross GtffO, Tochter des Grossffign', auch sehr groß; di Grloi,
früher sGlisinwidle von s'iriloU Mridle, Vgl. Anhang No. 17, 3,
und d; gäal Sehu^machrr oder df gäal Bfo), Bruder der Vorigen
und Sohn des Gä(d<f; d^f gäal Schnidcr, Bruder des Vorigen, jetzt
meist d'^ ViUoriovogd oder -schnider s. § 101; d' Muttlekwfh , un-
geschickte Tochter des sogenannten MuttUwangers in g 93, 4,
die erst spät nach auswärts heiratete. Da sonst kein Übername
vorkommt, welchem jemandes Beschränktheit und Dummheit im
allgemeinen Sinne zu Grunde liegt, wie bei Schulspitznamen der
Kinder, z. B. Grr<ßga^Sy Brotesd usw. (vgl. g H^j, so dürfte
dieser hauptsächlich als Gegenstück zu dem ihres überpfiffigen
Vaters geschaffen worden sein, da der erste Teil des Namens
eigentlich ja nur die Abstammung bezeichnet. Das Ganze, ur-
sprünglich wol noch als Oxymoron gefühlt, bildet dann auch noch
ein offensichtliches Gegenstück zu einer sogenannten 3Iutthgo(fsSf
eine Geiß ohne Hörner; vgl. auch Anhang No. 18.
§ 109. Nicht selten geht uin Schimjjfname sogar auf Enkel
über, was wieder aus den Namen mancher junger Leute, die
hier jedoch nicht berücksichtigt sind, zu ersehen ist. Wenn bei
den Söhnen der ererbte Schimpfname durch andere verdrängt
oder aus irgend einem Grunde — Ansehen, Auswanderung
u. s. f. — nicht angewendet wurde, so tritt er mitunter bei
den Kindeskindern wieder auf. I)J Funk, df Ktx^hdiabr, d^
Jläserbu^, Enkel des Maser. Sein angesehener Vater hieß aber
nur ffo Koler oder d'^ FlscklrrnnHUcJc, denn er war Köhler;
iTSvhivizersophe, 70jährige Tochter des obigen grosse Schwi^cr,
1« Es sei hier daran erinnert, dass UunaintMi auch dann noch als
solche gelten nnd wie ein«* Beleidigung aufgefasst werden, wenn deren
Bedeutung fast allgemein, selbst für den He.scli impften, nicht mehr be-
kannt ist.
2. Eh kann sich treffen, dass der Elternname sich nur durch ein
Mädchen erhält und fort])flanzt : dann nämlich, wenn, wie im letzten Falle,
«lie Brüder desselben alle besondere, eigene Schimpfnamen erhalten haben:
d^ Baron, (U Xudhberk und d^ liiueldine sind die ((jrossej Schwizerhu^fh^y
also die Brüder der Schiviiersophe.
268 Bertsclie
g 110. Ebenso kommt es vor, dass Geschwister Schimpf-
namen voneinander erben, d. h. bekommen.
D'Kord^^niarisepp<^, f 1860, 80 jährig, ledig, deren ältere
Schwester = rf«? Konhengel; s' Biichelheck^niagdMen^ Schwester des
Buckelbeck ; (V) gross Booler, größerer Bruder des Boder, eigent-
lich = Boiler; d<) Goclcelbattist, dessen Schwester d3 Gockel war,
deren Name sich seit 100 Jahren noch in verschiedenen Ruf-
namen, die den ursprünglichen Schimpf verloren, erhalten hat,
z. B. d^ Gockelandres. Der Stammbaum des alten Geschlechts
kann aber auf mündlichem Wege nicht aufgestellt werden.
§ 111. Vereinzelt steht der folgende Fall — vgl. jedocl
§ 50 — d^ jung Jtlotlieck, benannt nach seiner Mutter Bruder.«,
bei dem er aufwuchs, zumal da er auch rote Haare hatte un
ein Lump wurde wie dieser. Nach dem Tode seines Onkels wa
er einfach selbst d<f liotheck,
g 112. Sagen uns die im vorstehenden betrachteten Spot
namen, von wem ihr Inhaber abstammt, so verrät die folgen
Gruppe, wo er zu Hause ist.
Manche Spitznamen enthalten nämlich einen indiskrete
verächtlichen Hinweis auf die armselige schlechte Wo h nun
das alte verfallene Haus, aus dem der Gemeinte stammt oder zr
dem er zurzeit wohnt. — Damit ist jedoch gewöhnlich noi^^h
eine andere beleidigende Anspielung verbunden.
1. D^ Geerj früher Da Gerahur, aus der sogenannten Ge^
einem uralten Hause, früher eine Art Armenhaus. Da s
einigen Geschlechtern das Haus in Privatbesitz übergegangn
ist, empfindet man die vielfach vorkommende Benennung n»fc-cli
der Ger<) nicht mehr als Schimpf. S. Anhang No. 24; d^ Tut^- 'ti-
hann9sle, dessen verarmte Eltern einige Zeit im Adlertortu^ Tm
ihre Wohnung hatten, eigentlich = Mangertor vom nahen An ^^ er
vulgo d<^ Manger von im Anger; die Tore samt Türmen wurc^en
etwa 1815 abgebrochen; d9 Turnapostel = StacJicbu^y des- sen
ledige Mutter eine Zeitlang im Judentorturm wohnte, auch <=^ine
Art Armenhaus. Er selbst war ein lustiger, überspannter ILj ^erl
und Spassmacher, der überall Reden halten, predigen wo ^llte.
Jh Spitlhuo, dessen Mutter als Witwe um 1860 den ehemal^Sgen
Ortsspital — der neue heilk da Spitd — gegen Wohnungsir- «cht
verwaltete; da Kapdzhnr (s. § 104 = d9 Trut4Üe)^ wetelMV «Hl
einer alten Jungfer erzogen wurde, deren Häuscbe
Itlslr, früher ein Kapuzinerkloster, er später i
m
]
Iliilidii'ii reiBoiioniiainen einer oberbadischeD Stadt 269
[[ingfer, HOjälirig, deren ledige Mutter eine
^ sogenannte Bierhütte — Brauhäuschen, die früher
f Wirtshaus ^'etrennt gebaut wurden — bewohnt hatte;
unelilich , 55 jährig, verheiratet, geboren im so-
wdb, ein baufälliges Haus mit einer gewölbten
1 altes Röinerbad sein soll; s' Gtcäbmeidle, ehiiche
Schwester des Vurigen, jetzt verheiratet.
. D'Slihletnrnjiiy^t, die, weil stets ledig geblieben, in» Hause
Ares Bruders das Wol i nun gs recht besass und zwar im sogenann-
ten Siilile = Stübchen. Im Kaufbuch von 1825 S. 76 wird
auch „das sogenannte hintere StUble am Hausgibel gegen den
Adler" bei einem Kaufe erwähnt. Der Sohn räumte seinen El-
tern dabei das Leibgeding darin ein, wie es früher allgemein
geschah. — J/Gvellmainif. verheiratet; il' HislevUtoor, die dns
kleinste Häuschen — selbst gekauft — am Platz inne hatte;
d3 Jiitekwetier, der sich ein Haus auf die kleine Anhöhe = Bück,
— vgl. den Flurnamen uf'm Schiljäbticlc — beim alten Juddtor
bauen liell, bei dessen Abbruch auch die Straße tiefer gelegt
wurde, weshalb das Gebäude dann ziemlich hoch zu liegen kam.
1. Bei il«n unter 1 ticiiannten kommt auch das im vorher-
gebendvn Ka|iit«l über <lie Abstnmniung AuegefOhrte in Betruclit und
Geltung.
2. Die bi-idcn Formen d» üer und d» Stible zeigen, dass und wie
auch die HJtcn liistoristlien Ueschlechtsnanien, die in nackten Namen vuo
WohnstUtten besteben, wie z. K. Hrunnen. Itiich.i. (lasa, seinerzeit wahr-
scheinlicb niia znaammengeuetzten Namen entstanden sind. Vgl. Suciu
XVIII, B, auch die uietaphor. Bedeutung vun: Kammer, Liedertafel u. s. f.
% 113. Die letzte Gruppe unifasst diejenigen scherz- und
ernsthaften Beinamen, welche entstanden sind durch oft witzige,
hnmorvolle sprachliche Umformung eines Vor- oder Zunamens oder
auch eines sonstigen Rufnamens, deren Orund indessen vielfach nicht
recht ersichtlich ist — Kurzformen, Namensverdrehungen. —
D» Bone, später da B(msha(r)t = Bonifazius K. vulgo rfj ]ioni>-
faze, ein unbeliebter, grolSsprecheriseher Maun, der aber bald
Verarmte, also ein Khnliciies Schicksal erduldete wie sein ent-
fernter Namensvetter Bonaparte. So entstand Ende der 50 er
Jahre das Fastnachtslied -.
.da Bonabaa(r)t ist nimm» stulz.
<)3 handlet jetz(t) mit Schweflholz,
Louft d'Gaassn uf und ab;
,liouf3 mar ou .Schweflh.ilz ab".
270 Bortsche
D9 HannJ oder (1j Hattinger Hanne = Johann Sp., vor 60 Jahren
aus dem nahen Hattingen, wo diese Form auch nicht gang und
gäbe, wenigstens zurzeit nicht ist, eingewandert; früher liörte
man oft: ^di) nissUj oder d,) hsch . . .^ Hattinger H.*", da er für
boshaft und hinterlistig galt. Vielleicht wollte er nicht ver-
wechselt sein mit dem nachstehenden Namensgenossen: d<^ Hann,
sonst GintBrhunne = Johann Günter, und d'Xann vulgo Ginter-
nannc, zwei ledige, reiche, aber geistesschwache Geschwister,
70 jährig; d' Wanger ann(o), verheiratete Tochter des sogenannten
Wanger Johannes ; d'Bäh> = Barbara L., die sich mit einem
Pantoffelhelden verheiratete, nachdem sie lange ledig gewesen;
eine böse, gefurchtete Schwätzerin ; d'BuW^(n^fJ oder d'Jidi''^(w)
statt Julian = Juliana, wol nach Fauli''^, KarJp^ usw., eine et-
was exzentrische „unri^sc}it9rUclte'' , zweimal verheiratete Frau,
die aber stets mit ihrem Mädchennamen bezeichnet wurde; rf^
Bobbl vulgo d'Behbe oder sBehbek = Josepha B., schon 35 Jahre
Witwe, bekannte Näherin und Stadtbase. Boppel = Wollknäuel,
dazu der Diminutiv = r) Bebbele. Bebbe ist generis communis.
— IXHoa^^ = J. Hühnle vulgo d<^ Häufle — Hühnchen, daher
Hoa^ = Henne, da der Betreffende ein großer Mann war. Seine
kleine Frau hieß sHäa^^le oder d^HänHin. Diese haben nichts
zu tun mit jener viel jüngeren Frau genannt sHäale in § 92, 3.
d<> lieerowanger = A. Röhrenbach, Wagner, ein grober, sehr
unbeliebter Wichtigtuer, der die Verstümmelung seines Namens
als Beleidigung hinnahm. Dazu d*> Ger<^schnech = Schnecken-
burger in § 92, 2, und s'Fixle, Schützenwurtin, geborene Fuchs
aus Esslingen, klein, schlaue Heuchlerin und Klatschbase, in
§ 69a. — Dd Gadir, der ein magerer, hässlicher und dummer
Schüler war und von seinen Mitschülern d*^ Geer, weil ans dem
armseligen Hause d'Ger<f stammend, geschimpft wurde. Sein
späterer Meister — Maurer W., s. § 112 = d<) Turnapostd —
ein Erzspässlemacher, der ^jähnisch** sprechen zu können vor-
gab, veränderte Ger in Gadir. De Fise, jetzt mehr (U Sozial"
demoTcrai, dessen Bruder aber benannt wird mit seines -j- Vaters
unverändertem Rufnamen : FisM^^r = Füselier. Die Abkürzung
mag wol zusammenhängen mit seiner, jetzt noch bemerkbaren,
hastigen, undeutlichen Aussprache während der Schulzeit.
!• überhaupt sind wahrscheinlich auch die andern, nicht befriedigend
erklärten Namensänderungen, wie frühere ähnliche Fälle zurückzuführen
auf die schlechte („Kuder welsch") oder fremdartige Aussprache entweder
Die volkstttmliclion PtTsoiicniiamcn riner oherbadisobfn Stadt 271
lies Betreffenden selb::«t oder seiner Eltern u. a.. was sieb aber nicbt nielir
ffststellen ließ.
im Vgl. hierzu: 17u7 ,<ter>rg sebniied. atniHten faber genannt''.
§ 114. Wer bekommt keinen Schimpfnamen? Da die
Mehrzahl der Erwachsenen, etwa 70 ^,o, ge^yenwärtig — und
früher dürfte der Prozentsatz eher noch höber gewesen sein —
unnachsichtlich bedacht ist mit einem zweifelhaften Epitheton
Omans, sei es mit einem ererbten oder selbst erworbenen, so
mag die Frage nicht unberechtigt und unmüliig erscheinen, wer
denn nun eigentlich unberührt gelassen wird vom Dämon der
Satire. Es konnte an vielen Beispielen beobachtet und fest-
gestellt werden, dass gewöhnlich dann jemand frei ausgeht bei
der Spottnamenverteilung, wenn er 1. eingewandert ist und sich
bald eingewöhnt hat. es sei denn, dass er durch seine Mundart
auffallen musste, oder 2. in seiner Jugend längere Zeit in der
Fremde weilte, oder auch dann, wenn er H. wegen seines tadel-
losen Lebenswandels und seines friedlichen Karakters — nur
ganz ausnahmsweise schützt bloßer Reichtum vor einem Spitz-
namen — sich Ansehen und Beliebtheit zu verschaffen vermochte
und sich auch fernhält von lächerlichen Gewohnheiten, oder
endlich 4. einen recht karakteristischen, auffallenden Rufnamen,
wie z. B. (Vj\Inrj(f\ <l> üffcnhurger, df Dragovrr, dt Xmuler'
na^ze, besitzt. — Wenn der Betreffende dann noch das Glück
hat, von seinen Eltern keine solch anrüchige Hinterlassenschaft
übernehmen zu müssen, oder doch den überkommenen Schimpf
ein günstiges Geschick an ihm ausgelöscht bzw. auf irgend eine
der in dem Kapitel über die Unnamenvererbung erwähnten mög-
lichen Arten getilgt hat, dann erst darf er sich glücklich
preisen, dem Schicksal der meisten seiner Mitbürger entronnen
zu sein.
Kinderspitznanieii.
§ 115. Möhringen hat bei seinen 1200 Einwohnern
durchschnittlich 240 Schüler. Von diesen konnten im Win-
ter 1903/04 nur 85 ausfindig gemacht werden, die mit einem,
mehrmals sogar auch mit zwei Übernamen gekennzeichnet
sind. Sie verteilen sich ungefähr hälftig auf Mädchen und
Buben. Die Trennung ist aber hier begreiflicherweise nicht
vorgenommen. -(7<y" ist dabei meistens der Artikel eines
Knabennamens, ^^9** zu einem Mädchennamen. Ausnahmsweise
hat aber auch das grammatische Geschlecht über das natürliche
272 Hertsche
den Sieg davongetragen. Das ist besonders bei der sehr be-
trächtlichen Anzahl von Verkleinerungsformen der Fall. Im
ganzen und großen sind diese Schülerschimpfnamen ziemlich
durchsichtig und wurden daher nicht so ausführlich erklärt.
Dabei ist auch zu beachten, dass hier viele allgemeine Schelt-
worte zur Anwendung kommen. Es ist dann interessant zu be-
obachten, wie da annähernd dieselben Gesetze herrschen, dass
die gleichen Grundsätze maßgebend waren wie bei der Schatfung
der Unnamen für die großen Leute, wenn auch ihre Wirkungen
und Ergebnisse hier nicht so mannigfaltig sind. Es gilt also
die nämliche Einteilung wie bisher. Der Kürze und Einfach-
heit halber wird sie jetzt nur nicht so ins einzelne hinein aus-
geführt.
§ 116. Körperliche Eigentümlichkeiten und Gebrechen
aller Art geben Anlass zu vielen Neckereien: d<) Ma^^ebu^, der
den andern Schülern so groß wie ein Mann erscheint; daher
wol zuerst s'Ma^'h., dann rfj Ma^^e; sirustele = Gustav, sehr
klein; s'Xiuleley ein Mädchen, „klein und dick wie eine Nudel"*.
Vgl. im § 71 (t> GUchdkJc. sSchhnmcle — vgl. im Mhd.
Sehimmiii(n)^ öfters bei Socin — , der schnell wuchs und des-
halb jetzt mehr do Si'hlmnwl heißt; d<^ liötcl oder d ff rot Herme I
(Rötel ist auch Bezeichnung einer roten Kuh, Katze; ferner
= roter Kieselstein; Hermd ist sonst nicht ortsüblich für Her-
mann); s^XopfwiUrj das schon einen langen Zopf trägt, dazu
ein saures Gesicht macht und deshalb sehr alt aussieht; df*
Schoder, ein Mädchen mit wirren, rauhen und gelbschmutzigen
Haaren = Schodcr, das auch unsauber ist. Schoderhosch^ ist
ein allgemeines Scheltwort. Vgl. Schodcrbiirin in § 93, 7. (/.y
Xwewrlei^ der ein graues und ein blaues Auge hat (!); d<*
Zu'izcrlr, der mit den Augen oft zuckt, „zwitzert" ; d9 SchiUnger,
der stark schielt. Vgl. d^f scIi'dUg Edvwatt. Vielleicht Anleh-
nung an den Geschlechtsnamen Schilling, der in der Umgegend
vorkommt, dazu an Bildungen wie Möhringer, Tuttlinger; d't
Latsch^ der stark vorspringende Lippen besitzt, und dazu ein
loses Maul. Vgl. d^t Latsch in § 78. 17 Dollühr/c, schwerhöriges,
kleines Mädchen. Tollohrig, ein Tollohr — allgemein für hart-
hörig; s*Lan<iöhrh'\ d'f Zinl'<^, hat eine hervorragend lange Nase.
Schon im Mhd.: B. dictus ZinJce, bei Socin; rt> Sto9rchdhaxds \
d') llotzlmsch')^ ein unsauberer Bursche, der besonders Nase und
Haare stets vernachlässigt. Vgl. dJ Schodcr > R. ist Appellativ-
Die volkätttralichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 273
name = soviel wie liotztias^. d9 Dickkopf) Appellativ ; s' Heckerle,
ein Mädchen mit einem kleinen Buckel = Buckele, Höckerle;
s'Dam^händle, ein zartes Mädchen mit stets schmutzigen Hän-
den, zu dem der Lehrer einmal sagte: ^Du hast Hände wie
eine Dame, nur sind sie nicht sauber**. Vgl. § 72 d^ Damen-
fuss; (fo GäMe, der mit krummen Füßen behaftet ist. Vgl.
oben (FGaM § 72. S' Hopperle, das stark hinkt, „hoppert";
(l9 Hoppixer, desgleichen; Endung auffallend; de Langfiosder
oder d^ Gallopp — Lopjf, der lange Füße besitzt und guter
Springer ist; sFidcle, ein kleines Mädchen mit besonders star-
kem Hinterteil. Vgl. d9 FuHodick u. s. f. in § 73. dr? Mizd-
rieh, ein Knabe von 13 Jahren, der, für sein Alter viel zu
klein und schwächlich, ein sehr spitziges und mageres Gesicht
zeigt, sonst auch allgemein gebraucht; do Gä^louch oder Grä^-
noitch. ein Bube mit gelblich-grünem, magerem Aussehen, ge-
bräuchlicher Appellativname ; d^f BramMffm^er, der einen Brand-
fleck im Gesicht hat. Vgl. d'^ Hantburger usw.
§ 117. Zur Spottnamenbildung gaben auch reichlich Ver-
anlassung eigentliche Sprachfehler oder bloß kindlich-un-
geschickte Ausdrucks weise, oft nur gelegentliche falsche Aus-
sprache, oder unrichtiges Lesen eines Namens, oder eines be-
liebigen Worts. Dabei ist zu beachten, dass manche Kinder
ihre so entstandenen Spitznamen schon in die Schule mit-
brachten.
Do Hafnergifßax, unehlich, böser Schüler, der bei seiner
Großmutter, d* Hafnernanne = Witwe eines Hafners, (v)erzogen
wird, und „im Galopp spricht", vielmehr stottert — „gaxt"
= gackert; d^Wize. ein Bube namens Fritz, oft = Fritze', d^
( Flitze)' rtze, oder he-Äcke, der sich heute selbst noch /^e nennt,
sein Bruder hieß Jakob; d'f AttJ^ ein sehr schlechter Sprecher, der
allzu lange ^Attd" zu seinem Vater sagte; dt) Fmpele, der seinen
Gölte = Paten namens Albert so genannt haben soll, von den
Schülern wol angeglichen an HEiupele = Diminutiv von Ampel
= kleines Ohllicht*, s'Dottele. das zu seiner Patin = Gott*^
Dottd sagte; d<f Watte, der den Namen seines älteren Bruders
Eduard = Eddivatt oder auch Watt so aussprach; d'Jiuiepin^y
ein Mädchen, welches ihre Nachbarin Josephina derart anredete;
d^ Hureeso, der einmal beim Aussprechen des mundartlichen Worts
für Hausgang, Hiisrero, eine Metaihi^sc vornahm; d^GaUino, deren
Schwester Karolina von ihr so betitelt wurde; s Lfdzfntsle, das
Alemannia N. F. 6. 4. |^
274 Bertsclie
die Ratte, vulgo Matzmus, Lazwus nannte; s'lJmzeley das ebenso
das R nicht sprechen konnte, als es schon den Schülerranzen
tragen musste; d' DecJdebluck , desgleichen, als es von der so-
genannten i)ecÄ;/^6rwcZ: = gedeckte Holzbrücke sprach; cU Dtiipp,
desgleichen, von Strupper; d9 Lossstaal, desgleichen, von Ross-
stall; d<) Hähepfl^ ein Mädchen, das jetzt noch eine schlechte
Aussprache zeigt — Hä<^rdepfl = Kartoffel; rfr? Ho^^lig oder
s^Biable, das seine Mutter verzärtelte und als großen Burschen
noch ihr BiMc nannte, und welcher an einer Fastnacht beim
Singen des uralten, allbekannten Verses „Hörig, hörig, hörig
ist die Katz" — s. Birlinger II S. 32 — durch seine Aus-
sprache auffiel; s BlämämmeU'=^^\e\^c\\^ ein Mädchen, das noch mit
zwölf Jahren in der Metzgerei statt Hammelfleisch nach Kinder-
art ^Blämütnmeh^Fleisch^ verlangte; d^ Bässebass, ein Knabe,
der das ch nicht sprechen konnte im Worte Bächebach, orts-
üblicher Name des Krähenbachs; rf<> Baal = Stall, vulgo Stdal ;
d^ Eigaar, der sich einmal damit brüstete, sein Vater habe ein
ganzes Kistchen FAyarren\ d^ Gähnnss, der eines Tags so das
Wort Genuss las ; die Schüler dachten dabei wol an gäh = jäh
und Nuss!
§ 118. Manche Spitznamen der Schüler entstehen dadurch,
dass die Schimpfnamen ihrer Eltern auf sie übertragen
werden, mit oder ohne bestimmenden Zusatz und irgendwelche
sonstige Veränderung, oder dass die verderbte und schlechte
oder kindische Aussprache derselben auf den Namen der Kinder
angewendet wird:
1. S'Gai^sle = Gänschen von Ga^^s, PI. Gai^s, wie schon
ihre Mutter in der Schule hieß ; s. mhd. Ge^isle, Socin ; s'Meisle
(dialekt. aber = Mus, Diminutiv Mislc), ein Mädchen, dessen
Vater = d'Maus genannt wird — s. § 97, i; vgl. Mmeli
bei Socin im Mhd. — , dessen Bruder aber den Vaternamen
nicht erbte, da er die betreffenden Eigenschaften, die seinem
Vater den Spottnamen eintrugen, nicht in solchem Maße zeigt;
s'Hdibelscle, ein sehr kleiner, wilder Knabe, dessen Vater = d^
Hdiheisle^ Sohn vom HdUjaus^ m § 108; s Scinvizorlv , ein
Mädchen, dessen Großvater dr* Schitizei' (s. § 99) war, dessen
Vater aber d^ Bincddini hieß.
2. Dd Sappl oder s'Sapple = .Joseph, vulgo Seppl, dessen
Mutter, eine Schweizerin, vulgo d^Ball^re, verheiratete Beller,
s. § 79, seinen Namen sehr lange nicht richtig, d. h. ortsüblich
Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 275
aussprechen konnte; s^Novih, dessen Mutter alle ihre Kinder,
von denen jedoch erst dieses eine in die Schule geht, mit auf-
fallenden Kosenamen versieht. Novd und Schosel sind übrigens
■allbekannte Kurzformen für Josephina, auch = Schosi^fi^^j vom
Französischen; dt> (s^JSeppeky ebenso von seiner Mutter. Kindliches
Diminutiv von Seppl(e). S'Dorle, sonst nicht gäbe und gang,
von seinem Großvater so betitelt = Dorothea, vulgo Durodre,
•ein seltener, etwas verächtlich gewordener Taufname; d9 (jriUjgä
= Eigen in der Aussprache seines Großvaters; Eugenie = d'Eige^^.
Es mag auffallen, dass gerade der Großvater nicht selten seinen
Enkeln Übernamen verschafft hat, da doch sonst die Großmutter
bei Kindern eine größere Rolle spielt und deshalb auch nur sie
•einen besonderen, stets üblichen Kosenamen erhalten hat, nämlich
<r Grossde oder d'Grossl; s' FiY/örfe = Victoria, vulgo Vittor, von
■der Großmutter; d^ Boo — Buif, von seinen eingewanderten
Eltern; d^ Garall = Karl — in der vermeintlichen Aussprache
seiner Mutter, die aus München-Gladbach stammt; S'lii<fhile,
Diminutiv von Buüe oder d^ Beehe, welchen seine ledige Mutter
aus Affenliebe, und, wie mein Vater in solchen Fällen stets
meint, auch aus dummem Stolz und Hochmut mit dem fremd
und vornehm klingenden Bebe liebkoste. Vgl. übrigens in
§ 86 Anm. d^ Bebe, mit dem dieser nichts zu tun hat. S'Bä-
schele, Diminutiv von Busclie = Sebastian, welcher alte Name
am Orte allmählich fremd geworden, im Diminutiv jedenfalls
noch nie vorkam. Seine Mutter ist aus dem nahen Emmingen
ab Egg gebürtig. Di> Franz, dessen Vater die umgelautete Form
aus seiner Heimat, Württemberg, mitbrachte.
§ 119. Kinderspitznamen verdanken endlich ihre Entstehung
allerlei einzelnen Begebenheiten, geistigen und moralischen
Eigenschaften und Eigenheiten: d^ Hänsele, der einst am
Tage der Kinderfastnacht, d. h. am Donnerstag vor dem Rosen-
montag = d9 schniotzig Dunschtig, früher auch di klei*^ Fasn^t
— vgl. Birlinger II S. 30, 40, 49 — einen Hansel oder ein
Hansde = Narr mit einem ganz bestimmten Kostüm und Gang,
«dem sogenannten Hansdeschritt , machte, was sonst nur Er-
wachsene tun ; d^ Bäor, der bei einem Kinderfastnachtsspiel den
BSren darstellte. Ahnlich ist oft wol auch die p]ntstehung von
Oeschlechtsnamen wie Papst, Bischof, Kaiser, Graf zu denken.
^Sdinifde, zu dem der Lehrer einmal sagte, es ^ schnüffle "*
übejrall herum, d. h. es schreibe von andern stets ab. Ih^
IS*
276 Bertsche
Schnifel = Schnüifel, Diminutiv. Schnifele bedeutet auch einen
verzogenen Mund, gelinder als Latsch; dtf Sunnobrei^r, ein Mäd-
chen, dessen Vater, Bierbrauer zur „Sonne**, sich einen Sohn
als Erstgeburt wünschte, jedoch vergebens. Dieser gelungene
Spitzname rührt jedoch kaum von Kindern her. DS('t'$tink<fiy\
zu welcher der Lehrer, da sie stets übelriechende, schmutzige
Kleider trug, einmal sagte, man solle sie in den See = Boden-
see tauchen, dann würde sie nicht mehr so st . . .; dtt Moder-
stinher, unsauberer Malersohn, s'GilUfirU^, ein dickes Bauern-
mädchen, das auch fortwährend mit Kleidern in die Schule
kommt, die nach Jauche = Gill'^ riechen; (rBrigottosun, ein
sehr unreinliches und dabei faules Mädchen, dessen ebenso
unsaubere Mutter = (TBrigM = Brigitta — mhd. Suli, Socin — ;
(1^ Aufrecht, zu dem sein stolzer Vater oft sagte, er solle schön
laufen, aufrecht gehen. Nicht identisch mit dem in § 82 ge-
nannten Aufrecht und dessen Sohn, die beide schon tot sind,
tfo SchnalMruckiT, der als der „größte Esel" in seiner Klasse
in der vordersten Bank sitzt und deshalb bei Schulschluss die
Türschnalle zuerst drücken katin; iVGeeh^ya'^s, ein ganz un-
geschicktes Mädchen aus der sogenannten Geehrt] iU Brootesl,
dessen Vorname Brotasius vulgo Brotasl oder Brotase mit Be-
ziehung auf seine Dummheit verändert wurde; s' (cU) Glasirlv,
der auf Anordnung seines großsprecherischen Vaters = vulgo
Prifnaglaser § 92, 3 schon seit 3 Jahren — jetzt lOjährig —
ewig einen grünen „Glaserschurz" tragen muss; d^ Fresskoiif,
der seinen Kameraden immer Brot, Apfel u, dgl. abbettelt.
Allgemeines Scheltwort für einen Nimmersatt, auch = Fress-
sack; s'Zp^sh', ein zartes Mädchen mit einer schwächlichen,
leisen Stimme, Zv^slv = Zeisig, reimt auch auf lAf^sle, z. B.
li^sle sprechen; sWlndspieL leichtsinniger Knabe, unruhig wiet
ein Windspiel = Windhund; d' Nagelhex, ein sehr geschicktes -
flinkes Mädchen, das seinen Mitschülern oft Spielsachen, z.
die altbekannten sogenannten Nagelhexen macht = alter Hose
knöpf, durch dessen mittleres Loch ein Streichholz = Nagel gc^^^*
steckt wird, was dann als primitiver Kreisel dient; rf'SpiYWÄ^'-^*^
ein ebenso flinkes, „abgewichstes", d. h. schlaues Mädctm^n
= Hex, dessen Vater d^ Spüdmax ist; cfo Oacher, ein behen€5i^''
Bursche, der klettern kann wie ein Oacher oder Oacherle = Ei<^*^-
hörnchen im benAchbarten Walde. Vgl, mhd. Eicham^ Soofii*
Endlich sind noc i^heiide, interessante BildunfET^^
Die volkstümlichen FersoueDnamen einer oberbadischen Stadt 277
aufzuführen: d^ Kordax = Kordula, vulgo s'Kordüe, welche, wie
der erwähnte Brotase(I), Kind eines wUrttembergischen Bahn-
warts ist; $' Freue Bodc, dessen Vater als Farrenwärter oder
= (fo Hag9fiJfMt^r9r auch die Gemeindegeißböcke pflegt und hegt.
Namen wie Frau Bock — hier ist Bock wirklich Geschlechts-
name — und Fräule Graf, Lehrerin, waren hier wol maßgebend. —
§ 120. Es ist bemerkt worden, dass zur Bildung mancher
Schülerübernamen einfach ein ortsbekannter Appellativname be-
nützt und auf einen besonderen Fall angewandt wurde. Diese
kindlichen Wortbildungen verraten doch schon eine ordentliche
Mannigfaltigkeit und Abwechslung, eine nicht unbedeutende
Kraft und Weite der jugendlichen Phantasie und eine Fülle
kindlichen Humors, wenn auch — zum Teil — das Schimpf-
wörterlexikon der Alten vorbildlich gewesen sein mag. Manch
einen wird sein Schulname, nachdem dessen Stachel sich
vielleicht mit der Zeit etwas abgestumpft hat, ungebeten durch
das ganze Leben begleiten, wenn nicht ein etwas gröberer und
weniger harmloser Geselle ihn später verdrängt.
Anhang. Fastuacbtsverse.
I. Verse, die den auch jetzt nicht mehr bekannten Namen der
Verspotteten nicht direkt verraten (meist alt):
1. Es ischt an Ma» im Voararlbäarg,
(= Vorarlberg Hehlname für Vorstadt)
hat d'Widg9 z'fria verkouftJ-
o halbs Johr isch's nu aogschtanda,
no hat m* im wider touft!
2. Es sitzt an Bur im liaarte und seh
ar putzat sTidIa mit Brennesla — sbisst!
Ai! hett da Bur des Kritle kennt,
no hett ar s'Fidla nlt verbrennt.
3. Wenn on uf de Wibat (= Brautschau) will,
und hat an Sigel im Hemb (= verunreinigtes Hemd, Schand-
fleck = , Dreck am Stecka*);
no man (= mag) ar riba wia(n)ar will,
jo-jö, ma siaht'a halt a wengg. (Polka, 185U.)
4. Wenn on ebbas (= etwas) wÄara will,
no wixt (= spendet) ar Biar und Speck,
und wenn ar grad an Simpal ischt,
no wurd ar's voraweg. (1850.)
278 Bertsche
5. Wenn on im Andere d'Wohrhat seit,
no kunnt er in Arrescht,
und wenn es grad en Burger ischt,
fascht no de ällerbescht. (Aus den 60 er Jahren.)
f>. Es ischt e Meidele hier (sonst: hie),
es hat nint vil Manier,
e Mile we e Sile
und Ouge we en Stier. (1857.)
7. Im Adler hät*s horrente Schixe (= Menscher, Dirnen),
si dond de Kerle (= Liebhaber) d'Stifel wixe. (1865.)
8. I de mittlere Gass, do ischt en Ma",
däe bind't sin Wib a d'Kuehkripp a«. (1883.)
II. Verse, die den Geneckten mit Namen nennen oder ihn doch
sonst hinreichend kennzeichnen. Dazu noch § 75 und § 113.
9. d'Fetertheres und d'Paulezibill
sind beide ni^t vil. (Polka.) Später sang man:
D'Petertheres ischt nimme so bes,
dTaulezibill frisst nimme so vil.
10. S'Schurysattlers krumm» Stoarch (= hinkender Bote, Sohn des-
sogenannten Schuresattlers),
hat z' Tuttlinge vor's Rothus gs . . cht ;
no ischt er kumme bis zur Poscht (= Gasthaus zur Post
am Marktplatz),
no hät's e scho 3 Batze koscht. (1840.)
11. Konschtanz ligt am Bode-Bodesee,
griesa mer s^Kases JenQ-Jen^fe. (Sonst = d'Kasejenefe = Ge-
noveva, die lange irgendwo am Bodensee diente. Tanz-
vers, 1845.)
12. S^Magdweh, s'Mageweh
und d9 Luft sind dehoam (= daheim, d. h. diese beiden
alten Jungfern tanzen jetzt nicht mehr wie früher!
In den 50 er Jahren beliebter Tanzvers).
13. D9 Napoleon und sein Sohn (= de Gebhaard)
gingen am frühen Morgen schon
in den Birkenwald hinaus (= Gewann in[n] Birchen)
zu graben Hexenwurzen 'raus,
um zu vertreiben einem Mann,
der fast nicht mehr gehen kann,
eine Krankheit an dem Leib
durch des Naglerferdis Weib. (De Napoleo» = da Nagler-
ferde. 1«48.)
Die volkstümlichen Personennamen einer oberbadischen Stadt 279
14. D^ Dummin mit em stinkiga Za^ (besass im Alter nur noch
einen übergroßen Zahn)
leert da Schlitter d'Sch . . . kibel a« (d. h. den vor ihrem
Hause schlittenfahrenden Kindern).
Vk Jakob Maier f Donnerwetter, fest auftreten! halt!
Und so geht der bayrische Marsch, Marsch, Marsch! (Tanz-
vers.) *
16. D9 Murernepple hat nint gwisst,
dass d^ Bel^karle d*Milz ni^t frisst (welche dieser, als sein
Greselle. einmal statt Gröschts oder Gliber = Herz,
Lunge, Leber, Nieren zusammen, bei einer Megsata
vorgesetzt bekam. 1850).
17. 1. Wenn i nu di Rot het (= d'Naglorferdekätter oder
= d'Kodexakätter)
wenn i ou ko Brot het!
1 wet (^= wollte) mi scho« verumma tumma,
bis i Brot tat übarkumma.
2. Wenn i nu di Schwaa(r)z het (= d'Greratheres),
wenn i scho ko Schmalz het!
i wet mi scho verumma tumma
bis i Schmalz tat übarkumma.
3. Wenn i nu di Gä9l hat (s'Gäala Meidle)
wenn i scho ko Mäal het!
i wet mi scho verumma tumma (== tummeln, nicht mehr
bekannt),
bis i'Mäal tftt überkumma! (1860.)
18. Dd StacJi€bu9 und d' Muttlfktidh
gond (= gehen) mitanand (i)m Hege zua (= Hegau).
D'Marei dia rennt hinna dri
und seit, da Stachebua ischt mi^. (d\Stachemarei ist des
Stachebua Frau. 1861.)
10. S'Bur9meidle hat Strou verkouft
und macht da Kerle (= Verehrer) Brotas (= Braten) drous
(sonst druus). (1H64.)
20. Da Kniiz und da Aar,
des sind ou zwei rar (rar = absonderlich gut, fein, oder
ironisch = Nichtsnutz; Aar ein Bahningenieur, dessen
Diener, oder wie man damals sagte „Indicateur*^, jener
war. 1865.)
' Darauf wurde 1><60 schon getanzt. Die betreffende Persönlichkeit
ist aber nicht mehr bekannt.
280 Bertsche — Volkstümliche Personennamen einer oberbad. Stadt
21. D9 Budäscher und cb Manger sind nit so dumm.
si fangat d'Ratzmis (= Maulwürfe) mit Morphium. (1H70.)
22. D'Speckna89 hat an Brief iif s'Sch . . . hus gleit,
no ischt a brave Jungfar kumma
und hat a wider mit ara gnumma. (18^7.)
23. S' wohnt an Henke i da Stadt,
ar ischt an richa Ma";
ar git da Dechter (= Tochter) zehatousad Mark,
drum kunt se ou guat a".
24. Geer, Ger! Juck, juck, juck
über a rächt lang Lattastuck. (Wol älter.)
25. D^Zedlmarei hat a Gscharei fdafür jetzt Gscherfescht = Wich-
tigtuerei = a Gsch . . . = a Sach. Hier ist jedoch das
noble Himmelbett dieser sauberen Magd gemeint!);
si langat in Sack
un(d) nimmt an Tuback. (Schon alt.)
26. Hagafleisch und alte Beiner (sonst Bäaner oder Boa«)
ka° ma han bim Megserheiner.
S. 201, 5. Z. V. u. lies: Sohn des Haftwunibald.
S. 220, 5. Zeile v. o. Zu Basdmenterle vgl. frz. passementier.
Zur GescMclite und Statistik der Universität
Freibnrg i. Br. im XVII. Jahrhundert.
Von HermanB Mayer.
In Weiterführung eines schon 1897 in Conrads Jahr-
büchern für Nationalökonomie und Statistik 3. Folge Bd. XIII
erschienenen Aufsatzes hat Dr. Franz Eulenburg als No. II
des 24. Bands der Abhandlungen der philosophisch-historischen
Klasse der königlich sächsischen Akademie der Wissenschaften
gegen Ende des Jahrs 1904 sein großes Werk: »Die Fre-
quenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung
bis zur Gegenwart" veröffentlicht. Dasselbe fußt auf einer
ganz staunenswerten Fülle von Material ^ und behandelt in der
scharfsinnigsten Weisef deren Ergebnisse der Wirklichkeit jeden-
falls bedeutend näher kommen als alle bisherigen Berechnungen
— soweit überhaupt von solchen die Rede sein kann — die
schwierige Frage, wie aus den uns fast durchgehends allein
erhaltenen Inskriptionsziffem, d. h. also der Zahl der jeweils
in einem Semester Immatrikulierten die der wirklich zu gleicher
Zeit insgesamt am betreffenden Ort Studierenden, also die
eigentliche Frequenz einer Hochschule, berechnet werden
kann. Sieben Tabellen und acht Figuren im Text veranschau-
lichen das Ganze.
Das Eulenburgische Buch hat vor allem den gi'oßen
Wert, einmal endgültig und schlagend jene Annahmen von
' Galt es doch, wie wir aus dem Vorwort 8. VIL entnehmen. f,i^ein
bis 1830 ein Material von anderthalb Millionen Inskriptionen, die sich
auf einen Zeitraum von mehr als vier Jahrhunderten erstreckten, zu sich-
ten, zu ordnen, zu gruppieren und mit Leben zu versehen" !
282 Mayer
•
geradezu fabelhaft großen Zahlen^ Studierender an deut-
schen Universitäten früherer Jahrhunderte als durchaus will-
kürlich und vollständig unrichtig nachgewiesen und hoffentlich
für immer aus dem Weg geräumt zu haben, nachdem schon
Paulsen (Gründung, Organisation und Lebensordnungen der
deutschen Universitäten im Mittelalter, in von Sybels Histori-
scher Zeitschrift Bd. 45, 1881, S. 251—440) und andere auf
diese Überschätzung hingewiesen haben.
Für die früheren Jahrhunderte, bis ins 18. und in den An-
fang des 19., sind uns nur in ganz seltenen Ausnahme-
fällen unmittelbare Zahlenangaben über die in einem
bestimmten Jahr an einer Hochschule Studierenden überliefert.
Erst das Ende des 18. Jahrhunderts bringt eine Reihe von
Frequenzziflfem, gedruckte Studentenverzeichnisse gibt es erst
seit 1830.
Aus der ganzen früheren, vor dem 18. Jahrhundert liegen-
den Zeit weiß Eulenburg, abgesehen von Dillingen, wo 80 Ca-
talogi studiosorum aus den Jahren 1607 — 1774* vorhanden
sind, nur ganz wenige, meist zufallige Funde (S. 10), darunter
nur drei wirklich brauchbare Aufnahmen (S. 31) anzuführen.
Ich bin in der Lage, diese Funde um einige, mehr
oder minder brauchbare Angaben zu vermehren, und zwar
für die Universität Freiburg.
* Noch 1903 liat z. B. Pfarrer Oergel auf der General versaminlang
des Gesamtvereins der deutschen Geschichte- und Altertumsvereine in
Erfurt in einem Vortrag üher das Bursenwesen der mittelalterlichen Uni-
versitäten (Protokolle S. 174 ff.) für Erfurt um 1520 nicht weniger als
1800 Studenten angenommen, während nach Eulen hu rg S. 55 es nicht
viel über 500 (541) waren. — Über 1000 Studenten haben vor dem
19. Jahrhundert nur einzelne wenige Hochschulen erreicht;
die Höchstzahl wol Halle in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit
ca. 1500 (Eulenburg S. 273 und 146, vgl. Tab. VI). Man muss dabei
inmier bedenken, wie klein die damaligen Bevölkerungsziffern deutscher
Länder im Gegensatz zu heute waren. Darüber Eulenburg S. 269 und
270. — Auch für die italienischen Universitäten hat sogar noch G. Kauf-
mann (Geschichte d. deutschen Universitäien) ganz märchenhafte An-
gaben (Eulenburg S. 128 AnnL 8).
' Vgl. Th. Speoli* ^ der UiUTeraitAt Dillingen. Freiboi^
1902, s. xvn w
Zur Geschichte und Sutistik der UniTersiUt Freibur^ i. Br. 2S3
Wie überhdiapt die Gegend am Oberrheiu. so war auch
unsere schöne Breisgaostadt in den ersten Zeiten des Dreibig-
jahrigen Kriegs unbehelligt geblieben. Erst mit Beginn des
Jahrs 1632 — infolge der Schlacht bei Breitenfeld und der
dadurch auch den Landern am schönen Rheinstrom sich nahen-
den Gefahr eines schwedischen Einfalls und schwedischer Be-
sitzergreifung — nahte das Unheil. Schon am 16. Januar
dieses Jahrs wird im Senat beraten, .ob den studiosis anzu-
zaigen. wehr sich in sicheren ortt begeben wolle, der möge
es thun. oder ob noch vmb etwas eingehalten werden solle*.
Und auf eine Anfrage bei der Stadt hin wurde am 3. Februar
beschlossen .weil die gefahren des schwedischen Über-
falls je länger je gröber \Tid näher. . . . dab man die iugendt
vnd sonderlich die vomembsten in stille auisiren soUe. daß
sie die gefahr vor äugen sehen, deswegen sich selbsten nach
vermögen \Tid belieben versichern sollen . . .* Aus denselben
Gründen fragt sodann am 8. März der Conunissarius Ossa beim
Rektor an. .weil die schwedische einfalls gefahren zu be-
sorgen, also begehre er zu wissen, ob nit die studiosi
kundten gemustert werden. Item ob sich dieselbigen nit
vff soffort gebrauchen lassen wolten. Doch wolle er es herm
rectom hingestellt haben. Decretum: Herm Ossa soll ange-
zaigt werden, daß vormabls ihr durchlauclit [der Erzherzog]
selbst im land gewesen vnd an die universitet und studiosi
begehren lassen, daß die musterung vorgenonunen werde,
worauff denn die studiosi sich selbsten anerbotten. So haben
aber anietzo ihr durchlaucht geschriben. daß die lectiones
continuirt werden sollen, also ohne ihr vorwissen vnd be-
fragen khein musterung beschehen khünde, weil man
immediate von derselben dependiren khünde".
Für diesmal also lehnte man, da die Gefahr doch noch
nicht nahe schien, eine Musteiiing ab. Tatsächlich gingen
auch das Frühjahr und fast der ganze Sommer ohne unmittel-
bare Kriegsgefahr vorüber. Im Spät jähr aber wurde es anders.
Diaher verlangte der Gemeinderat der Stadt (senatus ci-
▼imn) am 3. September einen Catalogus civium academi-
oronu Eß wurde beschlossen, ein solcher solle ,in nexter
284 Mayer
convocation abgelesen \Tid der stadt übergeben werden**. Das
erstere geschah dann auch eine Woche später, am 10. Sep-
tember; das verlangte Verzeichnis wurde abgelesen, nament-
lich da man bei einigen Pei'sonen noch im Zweifel war, ob
sie zu „inserieren'* seien oder nicht, offenbar weil man teils
nicht wusste, ob sie noch hier weilten oder schon fortgezogen,
teils auch wol, ob sie als Cives academici — wie wir sehen
werden, hier in weiterem Sinn zu nehmen — anzusehen seien.
Von einer Übergabe des Verzeichnisses an die Stadt ist dies-
mal nicht die Rede. Vierzehn Tage später aber, am 24. Sep-
tember, wird im Gegenteil beschlossen, „bis vff den nothfall
den catalogus nit zu übergeben".
Viele waren übrigens am 10. des Monats sicher noch
nicht fortgezogen, denn am 14. September wird darüber be-
raten, „ob man die studiosos erlassen [statt entlassen]
solle*, und beschlossen, „soll solliches ihnen privatim ange-
zeigt werden, möge sich ieder saluieren so gueth er
kinde". Nun erst begann die Flucht einen größeren Um-
fang anzunehmen, sowol der Professoren als der Studenten,
selbst der Rektor „saluierte sich" am 15. dieses Monats mit
Weib und Kind nach Obenibaden (= Baden in der Schweiz):
und an demselben Tag wurde festgestellt, dass schon viele
Studenten weggezogen und noch Willens seien fortzuziehen,
„allso außer den huesigen Kindern [also Freiburgern]
wenig verbleiben werden".
Blättern wir etwas im Protokollbuch des Senats weiter,
so finden wir nach dem Eintrag des 2. Oktober 37« le^r^
Seiten, und nach diesen folgt (S. 599) ohne irgendwelche Über-
schrift ganz unvermittelt ein Verzeichnis von Studieren-
den. H. Schreiber (Geschichte der Stadt Freiburg IV. Bi
S. 8 Anm.) bemerkt offenbar in Bezug auf dieses Verzeichnis:
„2. Oktober Musterungszettel mit 193 Namen der Studieren-
den.** Das ist aber sicherlich falsch. Am 2. Oktober waren,
wie wir soeben gesehen, fast alle bis auf die Freiburger aus-
gewandert und gewiss nicht mehr 193 Studierende zur Ver-
fügung. Mit einer Mustenmg haben aber überdies die Ver-
handlungen und Beschlüsse des Senats vom 2. Oktober gai'
Zur Geschichte und Statiatik der Universität Freiburg i. Br. 286
nichts zu tun. Richtig ist viehnehr offenbar, dass dieses
Verzeichnis sich auf den oben erwähnten Beschluss
vom 3. (und bzw. 10.) September bezieht. Bestätigt wird
diese Annahme überdies noch durch eine Bemerkung, die
von anderer (späterer) Hand an den Rand des ersten Blatts
jenes Katalogs geschrieben ist imd welche lautet: „Scheint
zu pag. 585 concl[usumJ 1 zu gehören.* Dort (S. 585) steht
eben der genannte Beschluss vom 10. September des Jahrs.
Dieses für uns sehr willkommene Verzeichnis nun
enthält im ganzen 190^ (nicht 193) Namen*. Unter
diesen sind 26 als Magistri, einer am Rand als Miles be-
zeichnet. Im ganzen finden sich darunter 77 Freiburger,
also zwei Fünftel.
Leider sind von diesen 190 Namen nur 106 mit
solchen im Matrikelbuch sicher zu identifizieren.
flinige sind unleserlich oder wenigstens in der Form nicht
ganz sicher festzustellen, andere sind Namen, die in der Ma-
trikel sich sicher nicht voi*finden. Letzteres hat wieder seinen
Grund teils darin, dass leider die Matrikelbücher — für jene
unruhigen Zeiten ja einigermaßen zu erklären — nicht ganz
zuverlässig geführt wurden, teils darin, dass — wofür auch
sonst direkte Beweise vorliegen — trotz aller Vorschriften
und Mahnungen mancher sich nicht inskribieren ließ; teils
^ Die Zahl erscheint uns, an den heutigen Ziffern gemessen, klein.
Wir brauchen aber, um uns an bescheidenere Ansprüche zu gewöhnen, nicht
viel über ein halbes Jahrhundert zurückzugehen. In den Jahren 1H42
bis 1849 ist — ohne dass (abgesehen von der Revolution 1848/49) krie-
gerische Verhältnisse obwalteten und ungünstig einwirkten — nur zwei-
mal diese Zahl erreicht oder etwas überschritten worden. Ich schreibe
zam Vergleich (aus meiner „Geschichte der Universität Freiburg in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts III. l^eil 8. 99) die Zahlen hierher:
1841/42: 195 1844: 1«8 1846/47: 175
1842: 179 1H44/45: 18« 1847: 178
1842/48: 182 1845: 1(52 1847/48: 200
1843: 167 1845/46: 171 1848: 156
1843/44: 175 1846: 146 1848/49: 195
' Nach Eulenburgs Berechnung (Tab. IV S. 112) kämen in Frei-
burg für die Jahre 1631 — 1635 nur durchschnittlich llx Studierende auf
<a t *t Tant*
286 Mayer
endlich sind dabei eben viele, die nur sogenannte Cives aca-
demici^ nicht eigentliche in die Matrikel eingetragene
Studenten waren, worüber noch weiter unten zu handeln
ist. — Von jenen 106 scheiden aber für unsere Untersuchung
noch zwei weitere aus, die erst nach 1632 in die Ma-
trikel eingetragen sind: der Jesuit Joannes Theobald Bieler
Altkirchensis, der erst volle sieben Jahre später, am 26. No-
vember 1639, und Martin DuflFne.r Neustadtensis, der am 5. Fe-
bruar 1635 sich immatrikulieren ließ.
Es bleiben uns also noch 104 Namen von Stu-
dierenden, die anfangs September 1632 in Freiburg
waren und von denen wir genau nachweisen können,
wann sie immatrikuliert wurden, wie lange sie also
damals schon in Freiburg, mithin an ein und derselben
Universität weilten. Wir werden also dann eine mittlere,
durchschnittliche Aufenthaltszeit, den sogenannten Aufent-
haltskoeffizienten oder -faktor finden, der in der Eulen-
burgschen Berechnung der Frequenzzilfei*n eine so gi'oüe Kolle
spielt.
Es waren, um zunächst einen Überblick zu gewinnen, hier
34 Studierende 1 — 3 Jahre
31 . 4— 6 „
26 „ 7—10 „
12 „ 11-16 ,
1 Studierender 31 „ (immatr. 5.Märzl601)!
* Wenn oben (in den Senatsprotokollen) öfters von einem Cata-
logus civium academicorum die Rede war, so ist also dort dieser
Ausdruck im weiteren Sinne gebraucht, indem die inskribierten eigent-
lichen Studenten auch miteinbezogen sind. Oder aber der Senat ist in
der Aufstellung seines Katalogs über die Forderung hinausgegangen nixl
hat — der eigenen Kontrolle halber — auch die eigentlichen Studenten
aufgenommen. — Die Ratsprotokolle der Stadt Frei bürg sprechen
nur von Cives academici im engeren Sinn (= UniversitÄtsverwandte). Am
2. September 1632 wird daselbst referiert, dass der Rektor sich erklärt
habe, ,den cathalogum der universitet verwandten fürderlichs 2U
tiberschic khen". — Solche Verzeichnisse der Cives academici wurden
später, in den fünfziger und sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts, &1I'
jährlich an die Stadt abgeliefert. Leider hat sich aber bis jetzt kein
weiteres vorgefunden.
Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 287
Cber zwei Drittel der Studierenden hielten sich demnach
schon mehr als 3 Jahre an der Universität auf!
Genauer verhält sich die Sache so: es weilten hier
15 Studierende — IJahr, und zwar insgesamt 51 Monate
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104 Studierende also zusammen 6722 Monate.
Auf je einen der 104 Immatrikulierten kommen
also durchschnittlich (6722 : 104 =) 64,63 Monate
= 5 Jahre 4^h Monate oder, da w4r bei jenem, der nach
31 Jahren noch (oder wieder?) da war, ganz außerordent-
liche Verhältnisse annehmen, ihn also aus der Berechimng
ausscheiden dürfen (6344:103 =) 61 7« Monate = 5 Jahre
17« Monate. Jedenfalls also betrug die durchschnitt-
liche Dauer des Aufenthalts eines Studenten an der
Universität Freiburg damals, im Jahre 1632, in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwas über 5 Jahrel
Das ist ein so außerordentlich großer Aufenthaltsfaktor,
dass er jeden bis jetzt angenommenen weit hinter sich lässt.
Berechnet doch Eulenburg a. a. 0. S. 31 ff. auf Grund ähn-
licher direkter Angaben, freilicli für das 15. und 16. Jahr-
hundert, für Heidelberg im Jahr 1401 nur 19,6, im Jahr 158^v
21, für Wittenberg 1592 23 Monate, also durchschnittlich nur
17* Jahre; für Di Hingen freilich (a. a. 0. S. 36) im Zeitraum
1665 — 1700 sclion 2,46, für das ganze 17. Jahrhundert — so-
288 Player
weit Zahlen vorliegen — 2,34 Jahre, ähnlich Paulsen (a.a.O.)
auf direktem Weg 2^/s Jahre. Mit Berücksichtigung aller in
Betracht kommenden Erwägungen entscheidet sich Eulenburg
für einen „generellen Aufenthaltskoeffizienten ** von 1,8 Jahren
für das 15. bis 17. Jahrhundert.
Wie erklären sich nun demgegenüber unsere auffallend
hohen Zahlen? Zur Beantwortung dieser Frage muss etwas
weiter ausgeholt werden.
Als Zeitdauer des Studiums waren ursprünglich in den
Statuten der Artistenfakultät vorgeschrieben: für den Scho-
laren (bis zur Baccalaureatsprüfung) IV* Jahre, für den
Baccalaureus (bis zur Erlangung des Magistergrads) weitere
17« Jähret Die nach Einführung der Jesuiten, welche be-
kanntlich 1620 die Artistenfakultät übertragen bekamen, auf-
gestellten Statuten schreiben nur allgemein drei Jahre
philosophischen Studiums bis zur Erlangung des
Magister grads vor. Über die Zeit des Studiums bis
zum Baccalaureat enthalten sie, soviel ich sehe, nichts, wahr-
scheinlich fiel die Erlangung desselben in die Mitte des ganzen
Studiums, also nach IV« Jahren*'^.
^ Statuta antiqua (ohne Angabe des .Tahrs) cap. XI: Praelectiones
eomm, qui ad gradum haccalareatus aspirant. Praelectiones vero pro-
priae complentium aut candidatorum primae laureae sunt, quarum audi-
tionem vno anno et quadrantem defininuis et circumscribimus . . .
Von den Baccalaurei aber heißt es cap. IX: Partitio praelectionum philoso-
phicorura: Baccalaurei ergo, sive in nostra academia creati sive in alii<».
nostrae tanieu facultatis niatriculae legitime inserti, qai philosopliiae rar*
riculum^ quod vno et dimidiato anno defininuis, conficere cupinut. bas
praelectiones ut sequentur assiduo diligenter et studiose per annum
et dimidium audieudas pracscribimus. — Ahnlich bestimmen die
Statuten des Jahrs l(i08 in dem Kapitel, das überschrieben ist: Ad
quas lectiones siut astricti qui gradus in facultate artium affectant. et
quamdiu easdem audire debeant. Nach Aufzählung der einzelnen vor*
geschriebenen Vorlesungen heißt es dort: hanc literariam operam con-
tinaabit Scolaris per annum integrum et quartam unius. bacca-
laureus vero per annum et dimidiatum, nisi ob urgentem et ra*
tionabilem causam facultas habeat alicuius rationem iuxta statuta desnper
condita.
' Di« Stetnto aova sea condita post introductionem p. p. societiiti»
magisterimn, vigesimum primum annum complevcrit
Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 289
Wenn nun damals alle in der vorgeschriebenen Zeit die
akademischen Grade sich erworben hätten, müssten von jenen
104 Inskribierten 69, also ^/s schon magistri gewesen sein.
Nmi hatten aber nur 26, also nur 7* sämtlicher diesen Grad
erlangt. Wie viele unter den 104 Studierenden Baccalaurei
waren, ist leider nicht angegeben, es war aber sicher etwa
die anderthalbfache Zahl. Den damaligen Universitätsverhält-
nissen entsprechend ist nun jene Zahl 26 (bei einer Gesamt-
zahl von 104) durchaus nicht klein, denn es erreichten über-
haupt nur sehr wenige die akademischen Grade, vorab die
höheren des Magisteriunis. Was insbesondere die Universität
Freiburg betrifft, so führt ein Vergleich der Inskriptionen mit
den Promotionen (erhalten in den Promotionsbüchern der Ar-
tistenfakultät) zu dem Ergebnis, dass in dem Quinquennium
1630 — 1635, also in der Zeit, um die es sich hier handelt,
nur 237o aller Inskribierten den ersten Grad (das
Baccalaureat) und 15,67o im zweiten (das Magisterium)
erlangten. Es hing dies zusammen mit den allgemeinen aka-
demischen Verhältnissen jener Zeiten. Der eigentliche Zweck
des Universitätsbesuchs war nicht wie heute die durch VoU-
endung eines vorgeschriebenen Vorbereitungskurses erzielte
Erreichung bestimmter Kenntnisse, die zur Erlangung irgend
eines staatlichen o<ler kirchlichen Amts erforderlich sind, son-
dern man blieb eine Zeitlang an einer Universität, um sich
der zahlreichen Privilegien derselben zu erfreuen und in die
Geheimnisse einer oder mehrerer Disziplinen einigemiaßen ein-
führen zu lassen und eine höhere allgemeine Bildung (etwa
wie bei uns in den Oberklassen des Gymnasiums oder in den
englischen und amerikanischen Colleges) zu erreichen, und
zwar immer zuei-st in der Artistenfakultät. Diese allgemeine
Bildung war freilich z. B. für die höhere Geistlichkeit eine
Empfehlung ^ vorgeschrieben aber zur Erlangung eines Amts
necesse est, atque idem tribus annis philosopbiam inore iani consueto
andiuerit. In priore tarnen conditione poterit faculta» dispensare.
' Oft mochte schon das bloße Iinmatrikulationszeugnis als Empfeh-
lung dienen. Näheres über diese Verhältnisse bt»i Panlsen, Die deut-
schen Universitäten und das UniversitHtsstudium, Berlin 1902, S. 28 ff..
Alemannia N. F. 6, 4. 19
290 Mayer
ursprünglich jedenfalls nicht. Dementsprechend sind also
auch die akademischen Grade nicht etwa mit unsern Staats-
prüfungen, die Anspruch auf Anstellung geben, zu ver-
gleichen.
Die größte Zahl derer also, die sich immatrikulieren ließen
an einer Universität, gingen nach kürzerer oder längerer Zeit
wieder ab, ohne einen bestinunten Abschluss ihrer Studien er-
leicht zu haben. Andere kamen überhaupt erst, nachdem sie
schon in Amt und Würde waren, daher jeweils z. B. viele
Presbyteri, Canonici u. a. eingeschrieben sind.
Durch diese Verhältnisse erklärt sich also die verhältnis-
mäßig geringe Zahl der Magistri. Jene Zahl 26 ist aber doch
noch um ein unbestimmtes zu vergrößern. Gerade so wie
in unserem catalogus die Gradbezeichnung der Baccalaurei weg-
gelassen ist, so fehlt leider auch zum größten Teil die Angabe
der Zugehörigkeit zu den höheren Fakultäten, die meistens
den ganzen philosophischen Kurs schon hinter sich hatten,
also auch Magistri artium waren. Nur eine Angabe weist
auch in dem Catalogus darauf hin. Nach dem 16. Namen
steht als Überschrift für die folgenden Namen: Juris tae.
Wie viele aber der nun Folgenden Juristen sind, ist leider
nicht ganz klar. Wahrscheinlich sind es 27, denn unter dem
27. Namen von da ab (dem 43. der ganzen Reihe) ist ein
Strich gemacht, der offenbar einen Abschnitt bezeichnen soll.
Wie viele Theologen aber vorhanden waren und wie viele
Mediziner, ist leider nicht ersichtlich. Letztere sind ja da-
mals fast tiberall noch am wenigsten zahlreich gewesen. Die
Theologen aber dtirfen wir als mindestens ebenso zahl-
reich berechnen wie die Juristen ^ Nehmen wir einmal nur
und in Sybels Histor. Zeitschrift a. a. 0. S. 391 if. Kaufmann,
Geschichte d. deutschen Universitäten Bd. II S. 349 fF. Eulenburg
a. a. 0. S. 190 und 213.
^ In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, genauer seit 1661.
liegen auch für Freiburg Angaben über die Fakultätszugehörigkeit vor.
und da ersehen wir (vgl. Eulenburg S. 201), dass von 1661— 1700 die
Theologen 22, die Juristen 21 Prozent der Gesamtzahl ausmachen. In
Dillingen, das in seinen Verhältnissen ■ — entsprechend dem streng katho*
Zur Geschichte und Statistik der Universitftt Freibarg i. Br. 291
-das Mindestmaß, nämlich auch 27 an, und lassen wir die
«twaigen wenigen Mediziner sogar ganz außer acht, so ergibt
«ich doch, dass (26 -f 27 -|- 27 =) r. 80 jener 104 Immatri-
kulierten entweder den Magist^rgrad und damit den Abschluss
ihrer philosophischen Studien erreicht oder sogar in die höheren
Fakultäten übergetreten waren.
Wir sehen also, dass Freiburg zu denjenigen Universi-
täten gehörte, an denen keine fluktuierenden Verhält-
nisse herrschten, sondern mehr Sesshaf tigkeit zu fin-
den ist und fleißig gelernt und gestrebt wurde,
ganz im Gegensatz zu den namentlich größeren Hochschulen
jener Zeit, an denen das Wandern in weit gi*ößerem Maßstab
damals Sitte war, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt
ist und worauf Eulen bürg a. a. 0. S. 119 — 129 in einem
besonderen Kapitel „Die peregrinatio academica'' hingewiesen
hat. Wir finden diese Verhältnisse, wie wir sie für Freiburg
«oeben festgestellt haben, damals an fast allen katholischen
Anstalten, namentlich an den unter dem Einfluss der Jesuiten
stehenden, sowie auch in Tübingen. Der Grund dafür liegt
«inmal „in dem schulmäßigen Betrieb der An-
stalten und der Beaufsichtigung der Studien,
wodurch der Fleiß der Studenten dauernd über-
wacht wurde'* (Eulenburg S. 220).
Dazu kommt aber noch ein anderes. Gerade in Freiburg
war schon damals mehr als an vielen andern Orten durch
zahlreiche, zum Teil recht bedeutende Stipendienstiftungen \
sowie Kontubernien und Bursen mit ihrem billigen
Leben für den Unterhalt und das Fortkommen auch der
Ärmeren Studierenden reichlich gesorgt, so dass sie nicht
so leicht genötigt waren, anderswohin zu wandern oder ihre
lischen Karakter und dem jesuitischen Zuschnitt — Freiburg sehr ähn-
lich ist, beträgt die Zahl der Theologen im gleichen Zeitraum etwa V«*
-die der Juristen nur ^ji der Gesaratzahl.
* Von den jetzt 62 [1875: 51] Stipendienstiftungen der Universität
bestanden damals schon 84, und zwar gerade die bedeutendsten. Vgl. die
Urkunden über die der Universität Freiburg zugehörigen Stiftungen.
Freiburg 1875.
19*
292 Mayer
Studien aufzugeben. Anderseits waren gerade die Stipen-
diaten ganz besonders angehalten, fleißig zu studieren und
die Vorlesungen zu besuchen, um sieh so ihrer Stipendien
würdig zu zeigen. Wie die Dozenten über Vorlesungsabhal-
tung, so mussten in Freiburg alljährlich auch die im Gemiss
von Stipendien Befindlichen Rechenschaft über Vorlesungs-
besuch ablegen, d. h. genau angeben, wie viele Vor-
lesungen und aus welchen Gründen sie solche
versäumt („geschwänzt") hatten. Daher in den Senats-
protokollen unserer Hochschule die regelmäßig wiederkehren-
den Rubriken „Defectus legentium" und „Defectus stipendia-
toiaim" (letzteres auch für Jena bezeugt. Eulenburg a. a. 0.
S. 85 — 86). So nahe es gelegen wäre, gerade bei dieser
Gelegenheit — der Kontrolle halber — Frequenzziffeni anzu-
geben, finden sich leider keine solchen vor.
Fenier ist folgendes zu beobachten. Während im lo. und
16. Jahrhundert die Zahl der aus der Universitätsstadt
selbst Stammenden, der Freiburger, durchschnittlich nur 4^^
aller Inmiatrikulierten betrug', machte sie im 17. Jahrhundert
schon 137o aus^, genauer in den Jahren 1625— 1()30: 13%,
1680—16:^5: 23^0. 1635— 164Q: 28%, 1640 — 1645 soiiar
55%, um dann rasch wieder zu fallen. Ist es doch auch nur
zu erklärlich, dass gerade in den stürmischen Zeiten des
Dreißigjährigen Kriegs die Einheimischen noch mehr als sonst
den Stamm bilden: so haben wir denn auch oben schon ge-
sehen, dass von den UH) nach dem Catalogus im Jahr iiy-^
Anwesenden nicht weniger als 77, also 40*/ä% Freiburi^er
sind ^.
* Vgl. inoint' ^Mitteilungen aus den Matrikelbüchern der Universität
Freiburg •* in der Zeitschrift der (Tesellscbaft für Beförderung der ^y^'
schichts-, Altertnms- und Volkskunde in Freiburg 1897, Bd. Xlil S. •^'•
« Vgl. ebd. 1901, Bd. XVII 8. 43.
« Auch 1638 heißt es im Senatsprotokoll vom 20. Mai: soll der
Stadt communiciert vnd notificiert werden, was der universitet vnd ^I^to
Studenten von herrn obristen zuegemuehtet werde, damit sye. a'^'^
^ie maiste- iugendt darbey habe, dessen . . . wisseiis^rhatt
weiter: Weil wir aber die irewehr ersxriffen. ist vrsflf"-
Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 293
Ferner bestand in Freiburg seit dem Ende des 16. Jahr-
hunderts ein aus dem 1572 gegründeten sogenannten Päda-
gogium hervorgegangenes Gymnasium, das, mit der Universi-
tät in naher Beziehung stehend (daher Gymnasium academi-
€uni), seit 1620 von den Jesuiten ausgebaut und geleitet war
und dessen Zöglinge, wenigstens die der oberen Klassen, auch
in die Matrikel der Universität eingetragen wurden ^ Dieser
Umstand hat sichei- auch zur VergröÜenmg des Aufenthalts-
koeffizienten beigetragen. Und dass die Zahl der (immatriku-
lierten) Gymnasiasten nicht klein war, zeigt eine Bemerkung
in dem Senatsprotokoll des freilich einige Dezennien zurück-
liegenden Jahrs 1599. Doii heißt es (5. Februar), von den
Angehörigen der philosophischen Fakultät seien es nicht
weniger als 83, die nicht in den Bursen wohnten, davon 64
classici, das sind eben Gymnasiasten.
Endlich sind unter den 104 seinerzeit Immatrikulierten
wol auch manche C i v e s a c a d e m i c i im strengen Siim,
<1. h. Uni versi tat SV er wandte, die ihre Studien abge-
schlossen haben, aber der Privilegien halber oder aus andern
Gründen noch weiter bei der Universität verbleiben; wenn
dieselben gewöhnlich auch nicht inskribiert wurden*, so kamen
doch auch Ausnahmefälle vor, wofür ich Beispiele anführen
könnte. Wie viele es deren waren, lässt sich leider nicht
feststellen. Groß ist die Anzahl jedenfalls nicht gewesen^.
ilass der mehrere thail burgers kinder gewesen, welchen es zue-
gestanden. patriam zu defendieren. was aber die ausländische betrifft,
(derer doch gar wenigl . . .
^ Vgl. meine Mitteilungen a. a. O. Bd. XVII 8. 27 flf. Schreiber,
4reschichte der Universität Freiburg Hd. II 8. 181 ff.
« Vgl. die Statuten von 1581 Kap. 32 fun«! ähnlich die von 1624
Kap. 81): De laicis. qui in album studiosorum non [d. h. nicht not-
wendiglj sunt inscripti. Ut graviora committendi scelera auferretur oc-
casio, necessarium iudicavit senatus observatu : ut cum persona aliqua
laica, quae oh famulitium apud academicos privilegiis gaudet
iisdem. flagitium aliquod committat, dignum infamia publica ant sup-
jdicio extremo, . . . protinus omni gratia academicorum privilegiorum
oxcidat poss(>que liunc a civil i magistratu in eam impune animadverti.
^ Was die Zahl der Cives academici überhaupt betrifft so scheint
294 Mayer
Mag es mir nun gelungen sein, den auffallend hohen Auf-
entHaltskoeffizienten für Freiburg genügend zu erklären oder
nicht, bestehen bleibt die Tatsache: Freiburg gehört mit
Tübingen sowie mit den mehr oder minder von Jesuiten ge-
leiteten Universitäten Dillingen, Paderborn, Bamberg, Inns-
bruck, Graz und der Benediktineruniversität Salzburg, also-
namentlich geistlichen (und mit Ausnahme von Tübingen ka-
tholischen) Anstalten (vgl. Eulenburg S. 204), zu den Uni-
versitäten mit geschlossenem, schulmäßigem Gepräge
und dem Karakter der Sesshaftigkeit seiner An-
gehörigen.
Erst im letzten Jahre des Dreißigjährigen Kriegs er-
fahren wir nochmals etwas über Frequenzverhältnisse K
Am 29. Januar 1648 trägt der Prorektor im Senat vor.
„was gestalt herr obrist leitenampt (Oberstleutnant) von hen^n
rector [Wilhelm Freiherr Rinck von Baldenstein, für den ein
Professor als Pro- oder Vizerektor die Geschäfte führte] mag-
nifico den numerum vndt nomina studiosorum begert,
welches er rector gleich ohne vorwissen senatus academici
indebito gleich zugesagt, weilen aber dabei allerhandt be-
denckhen vorgefallen, auch die schwerlich zuo concediren, habe
eine bestimmte Grenze nach oben angenommen worden zu sein, über die nicht
hinausgegangen werden durfte. Dafür nur zwei Beispiele. Am 16. De-
zember 1650 begehrt ein gewisser Joseph Wirtner, „weil er vor diesem
civis academicus gewesen, quinquennium aber fürüber, ihne nochmahl für
ein civem academicum auifzunemmen**. Es wird aber geantwoi-tet : Weilen
nunmehr numerus acad. zimblicher maßen complet, zugleich nie-
mahl bräuchig geweßt, dass univ. ein priester pro cive acad. so vill
bewußt ahngenommen, also wirdt h. J. W. senatui academico nit ver-
denckhen, dass mit auffnemung ihme nit kan willfahrt werden.
Umgekehrt wird am 21. Januar 1651 einem Jo. Balt. Buechlin auf ein
gleiches Ansuchen geantwortet und beschlossen, „weilen numerus ci-
vium academicorum noch nit complet, selbiger ahnzuenemmen . . •'
^ Abgesehen von dem ganz unbestimmten Ausdruck im Senatsproto-
koll vom 25. Juni lf)85 „ob die caniculares vacantiae (Hundstagsferien)
imtecipando. weil die wenig vorhandenen studiosi ohne das willens
fortzuziehen, ihren anfang vff negstkhünfftige wochen gewünnen solle*.
Zur Geschichte und Statistik der üniversitÄt Freiburg i. Br. 295
er es bis heuth diflferirt, wolle also der herren Senatoren vnd
vbriger professorum uota vememen**. Man beschloss, ^herm
obristen leutenampt durch herrn magn. rectorem ahnzuozeigen,
dass mit Übergebung des numeri studiosorum ihme
willfahrt, aber aus ehi-hafiften (?) vnd erheblichen rationibus
die nomina nit khönnden geuolgt werden, dess-
entwegen dan sie [sc. wegen] Übergebung der nominum senatus
academicus wolle gepetten haben zuo verschonen". Der Rek-
tor (der als Ehrenrektor dem Senat nicht regelmäßig bei-
wohnte), wurde sodann ^ad senatum vociert vndt ihme obiges
decretum abgelesen, darauf h. rector geandtwortet, weilen man
nit wiß, was khünftigen frühling wegen belagerung möchte
vorgenommen werden, also begehr h. obristleitenampt
allein den numerum civium et studiosorum su-
periorum facultatum zuo wissen, welche ihme rectori
gleich angezaigt, nemblich daß 2 cives academici, 8 theo-
logi, 18 iuristen, 20 philosophi**.
Was zunächst die Cives academici, hier im engeren Sinne
als Universitätsverwandte im Gegensatz zu den eigentlichen
Studiosi zu fassen, betrifft, so galt die Zahl 2 doch für auf-
fallend klein. Wenigstens wird kurz darauf, am 18. Februar
dieses Jahrs, u. a. die Frage aufgeworfen, „ob es beliebe,
dass cives academici, deren pro nunc nur zwen, mit
wachten sollen belegt werden".
Eigentliche Studenten also waren es in diesem
Winter (1647/48) 46, eine sehr bescheidene Zahl, welche
die traurigen Zustände der Universität gerade in den letzten
Jahren des großen Kriegs widerspiegelt und eine Folge des
oft fast gänzlichen Aufliörens der Inskriptionen in jenen
Jahren ist^ Mediziner gab es gar keine, was immerhin
etwas auffällt, wenn auch ihre Zahl in jenen Zeiten, wie
schon oben bemerkt, nie groß gewesen ist. Auffallend klein
ist auch die Zahl der Theologen, die sonst im allgemeinen
* Vj^l. meine Auseinandersetzungen im erwähnten Aufsatz in der
Zeitschrift der Freiburger Gesellschaft für Geschichtskunde Bd. XVII S. 35
bis 37.
296 Mayer
eher zahlreicher als die Juristen waren (vgl. oben S. 290 Anm.).
Ein Problem bleiben die 20 „philosophi**. An einen Schreib-
fehler zu denken, derart, dass es für medicini stände, weil
nur die Superiores facultates gezählt werden sollen, ist des-
wegen kaum angebracht, weil die Zahl für die Angehörigen
des medizinischen Studiums viel zu groß (verhältnismäßig)
wäre. Es bleibt nur ein Ausweg, dass wir nämlich Superiores
facultates für höhere Studien allgemein im Gegensatz zu
den Gymnasialstudien fassen, Philosophi also die eigentlichen
Universitätsstudenten des oberen philosophischen Kurses sind
im Gegensatz zu den Classici des Gymnasiums, die — wie
schon erwähnt — damals auch inskribiert wurden ^
Eine dritte direkte Angabe über die Frequenz der
Albertina findet sich für das Jahr 1674. VV^iederum drohte
Kriegsgefahr, diesmal von Frankreich her. Daher begehrte
die vorderösterreichische Regienmg durch ein Schreiben, das
am 19. März im Senat verlesen wurde, zu wissen, „wessen
die universitet auff bestehende feindtlichen einfall vnd attaqiie
bedacht, ob selbe durch ihre bediente vnd Studenten
(deren liste sie regierung begeii) auch sich in devension vnd
postur stellen wolle, oder wessen^ man resolviert. Conclusum:
Dass vorderist die studiosi zusammen zue ruffen vnd
ihr intention zu vernemmen, auch deren nemen auff-
notiert werden, zu disem ende die studiosi per mandatum
auff morgen vormitag zu convocieren vnd per deputatos
(Rektor, Decan fac. art. und Notar) zu vernemmen**. Tags
darauf, am 15. März, bericlitet der Rektor, dass „die stu-
diosi sich heut secundum mandatum eingefunden vnd
deren namen auffnotiert, so sich ad 128 befun-
* Dies die Ansicht Eulenburgs, der mir brieflich mitteilt, dass er
einen derartigen Fall auch für Graz gehabt habe , wo die Mitglieder der
Jesuitenschule „studiosi inferiorum facultatum* hießen. — Vgl. auch
die Unterscheidung der Philosophen und Artisten in den Tabellen fflr
WOnbnrg bei Ealenburg S. 312.
Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. 297
den . . ." Es wird sodann beschlossen, die Studenten noch-
mals zu zitieren, anzuhören und aufzunotieren, und dann »ein
ohngefarliche [d. h. ungefähre] numerum reginiini bei
100 oder mehr zu übergeben".
Die angegebene Zahl von 128 anwesenden Studenten
im Winter 1674/75 stimmt ziemlich mit der überein, die
Eulenburg (Tabelle IV S. 102) für das Jahrfünft 1671 bis
1675 als Durchschnitt berechnet hat, nämlich 110. Ein neuer
Niedergang in der Zahl der Inskriptionen seit Beginn der
siebenziger Jahre erklärt sie.
Dieser Niedergang wai' aber nur der Anfang von noch
Schlimmerem , bis schließlich Freiburg 1677 von Marschall
Crequi eingenommen wurde und unter französische
Herrschaft kam. Die Folge war dann bekanntlich ein
akademisches Schisma, indem eine französische Uni-
versität in Freiburg entstand, während die deutsche nach
mehrjährigem todesähnlichen Schlaf in Konstanz, wohin
man geflüchtet war, sich neu organisiertet Das Matrikel-
buch allein sagt uns genug. Die Zahl der Inskribierten be-
trug 1675/76: 17, 1676: 7, 1676/77: 6, 1677: 31, 1677/78: 2;
dann hören die Inskriptionen ganz auf, um erst wieder am
10. November 1686, also nach fast 9 Jahren, in Konstanz zu
beginnen. (Auch Senatsprotokolle fehlen für diese Zeit.)
Unter diesen Umständen muss es uns fast noch wundern,
dass am 7. September 16 7 6 der Rektor im Senat berichten
und der Regierung mitteilen konnte, es hätten sich 24 be-
waffnete und 45 nicht bewaffnete Studenten, im
ganzen also 69 vorgefunden! Ziemlich zuversichtlich
beschloss dann auch der Senat, „auflf den ohnuerhoflfendlichen
fahl ein haubtleiinen vorfüle (I), solle ein mandatum ahnge-
schlagen werden, auflf daß die herren studiosi auflf der aca-
demia sich einfänden sollen**. Am 11. September hatten sich
dann sogar 35 Studiosi armati und 46 Non ar-
» Vgl. Schreiber, Geschichte der Universität Bd. II S. 439 und
meine Ausführungen in Zeitschrift der Gesellschaft für Geschichtskunde.
Freiburg, Bd. XVI S. 231ff., sowie K. Gröber, Geschichte des Jesuiten-
kollegs und -Gymnasiums in Eonstanz. Konstanz 1904 S. 104 — 126.
298 Mayer — Zur Geschichte der Universität Freiburg i. Br.
mati, also 81 eingefunden, von denen 6 als Ofäciales
bezeichnet werden, nämlich 1 Leutnant, 1 Fähnrich, 1 Feld-
weibel, 2 Korporale und 1 Führer.
Leider sind — außer für diese 6 Officiales — in den beiden
letztgenannten Zählungen von 1674 und 1676 die Namen
der Studierenden nicht angegeben, so dass an eine Identi-
fizierung mit den Inskriptionen und weitere daran zu knüp-
fende Betrachtungen über Studiendauer und ähnliches nicht
gedacht werden kann.
Abergläubisches aus Heidelberg.
Von Ludwig Sfitt^rlin.
Abergläubische Vorstellungen sollte man den Bewohnern
einer größeren Stadt wie Heidelberg und besonders einer üni-
versitätstadt nicht zutrauen. Dennoch findet sich auch hier
noch manches lebendig. Kürzlich habe ich Umfrage gehalten
in einem Kreis von 20 etwa 14 — 15 jährigen Mädchen, die alle
den besseren Schichten der Gesellschaft angehören und min-
destens auch schon längere Zeit hier wohnen, wenn sie nicht
gar hier oder in der nächsten Umgebung geboren sind; dabei
habe ich nicht nur einzelne Züge wiedergefunden, die ich seit
meiner Jugend als Anschauungen der kleinen Leute kannte,
sondern auch verschiedenes Neue entdeckt, was nur dem weib-
lichen Geschlecht eigen zu sein scheint. Wirklich geglaubt wird
das zwar nicht mehr; dazu sind meine Mädchen zu aufgeklärt.
Sie kennen die Bräuche, reden von ihnen, deuten auch die eine
oder die andere Erscheinung, legen ihnen jedoch einen Wert
nur im Scherz zu; wenigstens tun sie so. Ihre Vorstellungen
finden sich aber auch in den umliegenden Dörfern. Wenigstens
war einem Studenten aus dem südlich von der Stadt gelegenen
Sandhausen ein großer Teil des von mir in der Stadt Gefundenen
ohne weiteres bekannt.
Selbstverständlich triflFt man vieles von dem hier Gefundenen
auch in andern Gegenden Deutschlands an*. Darauf kommt es
hier nicht an; denn ohne den gesamten StoflF hat ein Vergleich
wenig Wert, und eine solche Sammlung liegt ja noch nicht vor.
In der Form schließe ich mich möglichst eng an meine
Quellen an; nicht nur die Ausdrücke, sondern auch der Satzbau
sind so merkwürdige Beweise volksmäßiger Denkart und Sprech-
* Vgl. im allgemeinen: Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der
Gegenwart 3. Bearb. von E. H. Meyer. Berlin 1900.
300 Sütterlin
weise, dass man sie nicht antasten darf. An der „syntaktischen
Ruhelage" wird jedenfalls ein Syntaktiker wie Behaghel (Idg.
Forsch. 14, 438 ff.) seine helle Freude haben.
Meine Ergebnisse sind beinahe ausschliefilich Vorzeichen
der Zukunft; sie geben ein Mittel an die Hand, das Kommende
vorauszusehen oder es geradezu herbeizuführen. Meistens handelt
es sich um etwas sehr Wichtiges, das man entweder sehnlichst
herbeiwünscht oder sehr ängstlich fürchtet: Glück oder Unglück,
Heirat oder Tod. Gleichgültigeres kommt nur vereinzelt in
Betracht.
a) Glück hat überhaupt, wer am Sonntag geboren ist, aber
auch der, der einem Heu wagen begegnet; und Scherben weisen
allgemein hin auf Glück. Darum hat auch die Braut Glück,
der der Brautschleier zerreißt, und die, bei deren Hochzeit etwas
zerbricht. Auf Glück und Unglück lässt auch ein entgegen-
kommender Schornsteinfeger schließen: in voller Ausrüstung be-
deutet er Glück, sieht man ihn ohne Leiter, dagegen Unglück.
b) Das Unglück spielt überhaupt eine wichtige Rolle in
diesem Vorstellungskreis. Nicht nur der 13. ist ein Unglücks-
tag; Unglück hat auch, wer in die Neujahrsnacht (Silvesternacht)
hineintanzt, oder wer nachts kein Brot im Hause hat; wer mit
dem linken Fuß morgens aus dem Bett aufsteht, hat an dem
Tage Unglück, wer einen Spiegel zerbricht, dagegen sieben
Jahre lang.
Was man sonst auf den Jäger Bezügliches glaubt, gilt auch
von Heidelberg: dass er kein Glück auf der Jagd habe, wenn
man ihm beim Auszug „Gut Heil" zurufe, oder wenn ihm Sonn-
tags eine alte Frau begegne.
Nach einer meiner Quellen darf man auch das erste Viertel
des Monds nicht rückwärts über die linke Schulter durch das
Fenster ansehen; sonst Erfährt man Unglück. Aber es ist
zweifelhaft, ob das wirklich für Heidelberg gilt, ob nicht viel-
mehr fremder, sogar ausländischer Einfluss (aus Neapel) vorliegt.
Andere Zeichen weisen auf besondere Arten des Unglücks.
Wenn der Himmel abends ganz blutrot ist, bedeutet es Krieg;
wenn man Salz ausschüttet, bekommt man Streit; und wenn
man jemand eine Stecknadel gibt, muss man lachen und darf
sich nicht bedanken, sonst sticht man die Freundschaft entzwei.
c) Aber weitaus die meisten Zeichen weisen hin auf den
Tod. Wenn ein Toter lange noch eine warme Hand hat, so
Abergläubisches aus Heidelberg 30 1
stirbt noch jemand von der Familie; wenn ein Rabe auf dem
Dach sitzt, stirbt jemand in dem Haus (auch in S.). Wenn 13
bei Tisch sitzen, so stirbt zuerst, das dem Spiegel gegenüber-
sitzt, und wenn auf dem Geburtstagskuchen ein Licht vergessen
ist, so stirbt das Betreifende; das gleiche gilt, wenn die Photo-
graphie jemandes herunterfällt (auch in S.). Ebenso stirbt
jemand (auch nach dem Glauben von S.), wenn ein Holzwürmchen
im Holz nagt, oder ein Kfiuzchen schreit, oder wenn das Holz
des Möbels kracht; in Sandhausen sagt man in letzterem Fall
„es meldet sich was". Auch auf Zähne kann man gehen. Wenn
man träumt, es sei einem ein Zahn ausgefallen, muss man sterben
nach Heidelberger Glauben ; ebenso lässt der Mannheimer Dichter
L. Lewy in einer seiner Erzählungen (Fauler Zauber S. 34: „Die
schwarze Zunge'*) eine Magd sagen: Mein Mutter hott aach emol
vuneme Zahn gedraamt, wo 'r ausgange war, unn acht Dag
schbäder iss meiil Großvatter gschtorwe." Und eine Frage hat
man sogar frei an das Schicksal in der Neujahrsnacht: denn
wenn man in der Neujahrsnacht seine Stiefel hinter sich wirlt
und die Spitzen zeigen nach der Tür, so kommt man in diesem
Jahr noch heraus aus dem Haus.
d) Der gerade Gegensatz von Tod ist — anscheinend wenig-
stens für weibliche Gemüter — die Heirat. Auf diese bezieht
sich eine ganze Menge von Anzeichen. Wenn einem ein Taschen-
tuch heraushängt, ist man heiratslustig (auch in S.). Wenn
einem Mädchen ein Schurzband aufgeht, denkt der Verehrer an
einen (auch in S.). Wenn man dagegen eine Haarnadel ver-
liert, verliert man einen Verehrer. Wie viele man dann noch
hat, kann man leicht erfahren : „Wenn man einen Apfel durch-
bricht, so viele Kerne drin sind, so viele Verehrer hat man."
Wenn man sich nachts im Traum im Sarg liegen sieht, ver-
heiratet man sich bald. Wenn sich vier Leute die Hand übers
Kreuz geben, gibt es nur nach Heidelberger Auffassung eine
Verlobung; in Sandhausen ist das ein Zeichen des Unglücks.
Wenn endlich ein echt goldener Ring in der Mitte durchspringt,
so verlobt man sich in den nächsten fünf Jahren; wenn man
beim Nähen an einem Kleid sieben Nadeln abbricht, so verlobt
man sich in diesem Kleid. Aber es heißt auch: Wenn man
sich beim Nähen eines neuen Kleids in den rechten Daumen
sticht, so wird man in diesem Kleid Braut — oder bekommt
einen Kuss.
302 Sütterlin
Andere Zeichen sind wieder ungünstig. Wenn man beim
„Aus wergein" von Kuchenteig Löcher reinmacht, so muss man
mit dem Heiraten so viele Jahre warten, als Löcher drin sind.
Wenn man ferner zuerst Milch in die Kaifeeschüssel tut und
dann Zucker, oder wenn man einen Brotlaib auf die verkehrte
Seite legt, oder wenn man sich an eine Tischecke setzt, muss
man sieben Jahre warten mit der Heirat; dieses letzte gilt auch
für Sandhausen. Ganz leer geht aus und bekommt überhaupt
keinen Mann, wem die Gänse nachlaufen, wer einen Apfel nicht
ganz schälen kann (so dass die Schale ein einziges langes Band
bildet), oder wer das letzte Stück Kuchen von der Platte weg-
nimmt. Aber auch die Natur des Zukünftigen wird vorher-
bestimmt. Wenn man ganz weiches zartes Haar hat, bekommt
man einen reichen Mann; freilich in Sandhausen wird man ge-
rade umgekehrt reich, wenn man rauhes Haar hat. W^enn man
arbeitet (putzt, wäscht) und sich dabei nass macht, bekommt
man einen Lump, wenn man pfeift, einen Dummen (das letzte
auch nach dem Glauben von Königsberg in Preußen).
Endlich lässt sich auch die Person des Zukünftigen selbst
näher bestimmen. Wenn man einen Apfel rundum schält (in
einem Band) und die Schale über die linke Schulter wirft, dann
gibt es einen Buchstaben, damit fängt der Name des Verehrers
an. Ganz bestimmt, aber auch verwickelter, lautet folgendes:
„Wenn man 99 Schimmel gesehen hat und einen Schornstein-
feger und begegnet einem Mann, dem man die Hand gibt, den
bekommt man zum Mann."
Endlich wird auch der Schwiegermutter gedacht. Wenn
man noch Kaffee in der Tasse hat und schüttet frischen dazu,
so bekommt man eine böse Schwiegermutter.
Für die Herren kann ich nur ein hierhergehöriges Vor-
zeichen anführen : wenn sich ein Herr an seiner Krawattennadel
sticht, bekommt er einen Kuss von seiner Geliebten.
e) Verhältnismäßig vieles bezieht sich auf die Erfüllung
eines Wunsches und gibt ein Mittel an die Hand, wie man in
dieser Hinsicht die Zukunft erfragen oder unter günstigen Um-
ständen gar das Schicksal zwingen kann.
Wenn man einen Nusskeim (das Herzchen am Nusskern) in
den Stiefel steckt und wünscht sich was und es ist abends noch
drin, so geht es in Erfüllung; und wenn man irgend eine
barmherzige Schwester sieht und an einen Kleiderknopf an seinem
Abergläubisches aus Heidelberg 303
(eigenen) Anzug fühlt, darf man sich etwas wünschen, und es
geht in Erfüllung. Wenn man Stemschuppen fallen sieht, geht
nach Heidelberger Auffassung auch ein gerade ausgesprochener
Wunsch in Erfüllung; in Sandhausen ist das dagegen ein Zeichen,
dass jemand stirbt. Auch wenn man jemand zum erstenmal im
Monat wieder sieht und drei Knixe macht, soll ein dabei aus-
gesprochener Wunsch erfüllt werden; ob das aber wirklich in
Heidelberg Glaube ist, erscheint mir fraglich.
Anderes ist verwickelter. Entweder schreibt man zehn
Wünsche auf einzelne Zettelchen und legt sie in der Neujahrs-
nacht unter das Kopfkissen; das, welches man morgens hervor-
zieht, geht in Erfüllung. Oder man hält sich an folgendes:
Wenn zwei Personen zu gleicher Zeit dasselbe sagen, dann geht
es in Erfüllung; sie müssen sich aber dann den kleinen Finger
geben, sich beide leise etwas wünschen, dann auf drei zählen
und einen Dichter gleichzeitig sagen : ist das der gleiche Dichter,
dann geht es in Erfüllung.
f) Aber auch gleichgültigere Dinge werden so angezeigt.
Wenn man morgens einem Kaminfeger begegnet, bekommt man
einen Brief; wenn einen die Nase beißt, so erfährt man etwas
Neues (nach Sandhäuser Glauben kommt ein Jude auf die Welt) ;
wenn man beim Nähen drei Nadeln abbricht, dann kommt man
zu einer Hochzeit. Besuch dagegen bekommt man, wenn sich
entweder die Katze putzt und sich dabei übers Ohr fährt, oder
wenn eine Feder oder eine Schere fällt und sich die Spitze in
den Boden steckt; merkwürdigerweise deutet aber die gleiche
Erscheinung beim Messer sicher auf Unglück. Wenn man femer
den Kukuk schreien hört und schlägt auf den Geldbeutel, so
wird man reich; ähnliches berichten meine Quellen von dem
Fall, dass man eine Butterblume unter das Kinn hebt und es
schimmert gelb; nach meiner Jugenderfahrung ist das nur ein
Zeichen dafür, dass man gern Butter isst. Wenn ein Gerücht
verbreitet ist, jemand sei gestorben, so lebt dieses noch einmal
so lang, als es schon alt ist. Und ähnlich gibt der Schrei des
Kukuks die Zahl der Jahre an, die man noch zu leben hat.
Verwickelter sind folgende zwei Beispiele. Wenn einem
die Ohren klingen, das rechte bedeutet dann Schlechtes, das
linke Gutes ; dann lässt man sich von jemand zwei Zahlen sagen
und zählt die am Alphabet ab; der Buchstabe gibt den Anfangs-
buchstaben des Namens des Lästerers (oder Lobers) wieder.
304 Sütterlin — Abergläubisches aus Heidelberg
Und wenn man unwillkürlich einen Vers sagt und zählt die
Silben und zählt im Alphabet nach, so gibt der Buchstabe den
Namen einer Person an, die an einen denkt.
g) Einiges weitere bezieht sich auf einzelne menschliche
Schwächen, Unsitten oder kindliche Unarten und hat etwas Lehr-
haftes an sich : manches darunter erinnert geradezu an das, was
Weise in seinen drei Erznarren (Kap. 26) von derlei Anzeichen
dargelegt hat.
So heißt es: Wenn ein Mädchen einen Herrn zuerst grUlit,
bekommt es einen Schnurrbart (so auch in Königsberg in Preußen);
wenn man Brot schief schneidet, hat man gelogen. Wenn man
ein Paar neue Schuhe anhat und sie „gerren" (graunzen), so
sind sie noch nicht bezahlt. Wenn man Haare zum Fenster
hinausfliegen lässt, bekommt man Kopfweh, weil sich die Vögel
daraus Nester bauen (auch in Weimar zu Hause).
Wenn man sich die Haare schneidet bei abnehmendem Mond,
so wachsen sie nicht mehr; Haare muss man schneiden bei Voll-
mond. W^enn man ein Kind zum Fenster „hinaushebt" (z. B.
in den Garten oder Hof), anstatt es zur Türe hinauszutragen,
wächst es nicht mehr, es sei denn, dass man es wieder zum
Fenster hereinhebt. Man darf auch nicht zu Häupten eines
Kinds stehen , sonst schielt es später. Und endlich darf ein
Erwachsener ein kleines Kind nicht zwischen den (gespreizten)
Beinen hindurchlaufen lassen und das Bein auch nicht über das
Kind hinwegheben, sonst wächst es nicht mehr. — Wenn man
die Hand gegen die Eltern erhebt, so wächst die Hand einem
zum Grab heraus. Wenn man abends in den Spiegel sieht, so
steht nach Heidelberger Überlieferung der Teufel dahinter, nach
Sandhäuser Auffassung aber gucken Hexen heraus. Und wenn
einem kleinen Kind ein Zahn wackelt und es lässt ihn sich nicht
herausziehen, dann sagt man ihm, eine Krankenschwester komme
nachts und ziehe ihn heraus.
Ganz scherzhaft endlich ist es gemeint, wenn man von
einem großen Loch im Brotlaib sagt, der Bäcker sei da mit
seiner Frau ^ hindurchgeschlupft". Dagegen der Satz „14 Jahre
7 Wochen, ist der Backfisch ausgekrochen^ ist zwar in Heidel-
berg bekannt, aber wol kaum volkstümlich.
Pflege der Volkskunde in Baden.
Im 21. Band der Alemannia (1893) S. 301—304 ist der etste
Fragebogen der älteren Badischen Vereinigung für Volkskunde
abgedruckt. Diesem folgte eine ausführlichere Fassung, die im
ganzen Land verschickt wurde und durch deren Beantwortung
der Stoff zusammen kam, von welchem die von Dr. 0. Haffner
verfasste Übersicht (Alem. 33, n. F. 6, 238 ff.) Kunde gibt.
Die nun hier vorliegende Fassung ist eine Abkürzung des aus-
führlicheren Fragebogens und soll im wesentlichen dazu dienen,
die Zahlen und Abschnitte der Haffnerschen Übersicht, die im
nächsten Band fortgesetzt wird, zu erklären.
Fragebogen des Badischen Vereins fftr Vollisknnde.
1. Ortsname. 5. Hausmarken oder Hofwappen.
2. Flurnamen. 6. Volkstracht.
3. Familien- und Taufnamen. 7. Nahrung.
4. Hausbau und Dorfanlage. 8. Gewerbe.
9. a) Volkslieder, besondere Sänger, b) Kinderreime, Kindersprttche,
Kinderspiele, c) Volksschauspiele, d) Sprichwörter, Inschriften.
e) Schwanke und Schnurren, f) Ortsneckereien, Nachreden auf Ge-
werbe, Dorfsprüche, g) Rätsel.
10. Märchen.
11. Sagen, a) Gespenster, b) Alpdruck, c) Gespenstische Tiere, d) Zwerge,
Nixen, Feld- und Hausgeister, e) Riesen und Teufel, f) Hexen,
Zauberer, g) Wildes Heer, wilde Jäger, h) Fronfastenweib, weiße
Frau, Venus, i) Sagen von Naturerscheinungen, k) Volksglauben
von Pflanzen. 1) Von Steinen, m) Sagen von bestimmten Orten,
Bildstöcken , verborgenen Schätzen, n) Heiligen- , Freimaurersagen,
geschichtliche Sagen.
12. Sitten und Gebräuche.
a) Das Leben des Menschen betreffend, aa. Schwangerschaft, ab. Ge-
burt (Storch, Gichter, Taufe), ac. Schul- und Hirtenleben,
ad. Spinnstuben und Liebesleben, ae. Hochzeit (Beschau, Ein-
ladung, Brautwagen, Verlauf der Hochzeit, Spiele, Tänze und
Alemaniiia N. F. «. 4. 20
306 Pflege der Volkskunde in Baden
Neckereien dabei, Nachhochzeit). af. Krankheit und Tod (Mittel
gegen Krankheit. Anzeichen des Todes, Leichenwache, Beerdigungs-
gebräuche, Totenmahl, Trauertracht), ag. Haus- und Hofsegen
(Reise-, Feuer-, Diebs- und Kriegssegen), ah. Rechtsgebräuche
beim Dingen von Dienstboten, verschiedene Ordnungen, Volks-
ansichten über Vergehen und Gebrechen.
b) Tiere (Krankheiten, Schmuck, Weide, Segen, Schutzheilige),
ba. Rosse, bb. Rinder, bc. Schweine. Gänse und Hühner, Bienen.
c) Äcker, ca. Ackern, cb. Aussaat, cc. Schutz vor Feldschaden.
• cd. Ernte, ce. Weinlese, Obsternte.
d) Verzeichnis der Tage, an die sich Gebräuche knüpfen.
13. Sprachliches, a) Zeiteinteilung, b) Naturerscheinungen, c) Farben-
bezeichnungen, d) Familie, e) Begrüßung, Segenswünsche, Flüche,
Schimpfworte, f) Körperteile des Menschen, Krankheiten, Stimme
des Menschen, g) Nahrung, h) Ackerbau, Scherznamen für Hand-
werker, i) Tiere, Lockrufe und Eigennamen der Tiere, Schreien
der Tiere, Hirtenrufe, k) Pflanzen, Beerleseverslein. 1) Zahlworte,
m) Eine kurze Erzählung oder Schilderung in der Mundart des
Orts, n) Wie unterscheidet sich die Mundart von der der Nach-
barorte.
Mitteilungen aus dem Unterland bis Karlsruhe werden erbeten an
Prof. Dr. B. Kahle ^ Heidelberg, solche aus dem Oberland an Prof. Dr.
F. Pfaff, Freiburg i. B.
Landsgemeindetag in Appenzell.
Von Wilhelm Groos.
Das Appenzeller Ländchen ist durch seinen Säntis weiter-
hin bekannt. Er leuchtete im Neuschnee ab und zu hinter den
Vorbergen herauf, als wir am Sonntag den 30. April von Kon-
stanz über Rorschach und St. Gallen fuhren; in der offenen
Vorhalle des Gasthauses beim Bahnhof Waldstadt hatten wir
ihn greifbar nahe vor Augen in der herrlichen Morgensonne,
die nach einer Regen- und Sturmnacht unerwartet folgte. Ohne
Unterlass strömten die Appenzeller Landleute gruppenweise vor-
bei, meist neben dem Regenschirme mit einem Säbel oder Degen
bewaffnet, dem Ausweise des Staatsbürgerrechts. Durch eine
jener malerischen, tiefeingerissenen Schluchten — Tobel, wie man
sie hierlands nennt — pilgerte alles das Stündchen nach Hundwil,
einem kleinen auf der Höhe gelegenen Ort, in welchem, mit
Trogen abwechselnd, alle zwei Jahre die Landsgemeinde des
Kantons Appenzell Ausser-Rhoden tagt.
Der große, auf drei Seiten von Gebäuden umgebene Rasen-
platz füllte sich immer mehr, bis schließlich Mann an Mann,
Kopf an Kopf sich drängte; es pflegen sich etwa 12 000 Stimm-
und Wahlberechtigte zu versammeln; ein Gasthausfenster gab
bequemen Überblick über die an dem Hang ansteigende Menschen-
masse. Einstweilen spielte auf einer Bühne, der „Stuhl** ge-
nannt, die Musik; ein Umzug in Landsknechtstracht, zwei mit
Hellebarden, dann sechs Pfeifer und Trommler, um 10 V*»
lOY» und lOV* Uhr bereitete auf die feierliche Handlung
vor. Sie schritten auch auf den Glockenschlag 11 Uhr dem
durch Geläute eingeleiteten Aufzuge der Regierungsbehörden
voraus: in schwarz- und weißgestreiften Wämsern und Pluder-
hosen, das linke Bein schwarz, das rechte weiß — den Landes-
farben; der Landammann in schwarzem Mantel und Schiffhut;
der Landwaibel in weiß und schwarzem Mantel und Schiffhut
mit zwei Gehilfen, große Metall buchstaben A. V. R. („Appen-
20*
308 Groos
Zell User Rhoden") an der Brust; die Regierungsräte in einfachem
schwarzem Gehrock und hohem Hut.
Da sie zum „Stuhl" heraufsteigen, entblößt wie auf einen
Schlag die ganze große Menge das Haupt — die Rauchwölkchen
waren schon vorher verschwunden, als das Landsgemeindelied
angestimmt worden, eine feierliche, ursprünglich wol kirchliche
Weise, mit der bekannten Schweizer Schulung gesungen. Nun
lautlose Stille. Der Landammann, in der Mitte zwischen den
beiden zweihändigen Schwertern stehend, gedenkt in kurzer
Eröffnungsrede der für Kanton und Eidgenossenschaft wichtigeren
Geschehnisse des umlaufenden Amtsjahrs und der Vorlagen der
Regierung und schließt mit Aufforderung zu einem stillen Gebet,
welche mit einem Ruck die Hüte der Tausende vor die Gesichter
führt; man fühlt den Geist Zwingiis, dessen Kirchenverbesserung
einst zur Scheidung von dem katholisch gebliebenen Innerrhoden
führt. Aus jener Zeit müssen auch die festgegossenen Formen
stammen, in welchen sich diese Selbstregierung des Volks ab-
spielt: „Liebe und getreue Mitlandleute und Bundesgenossen!"
ist die Anrede des Landammanns an das Volk, damit die Bürger
des Kantons und die in ihm wohnhaften andern Eidgenossen
unterscheidend. — „Herr Landammann, Herren Regierungsräte!**
schickt der Waibel dem voraus — nichts von „Geehrte Herren,
Hohe Versammlung!", wie das bei uns immer weiter hinab üblich
wird. — Die Bürger haben den gedruckten Bericht der Regie-
rung schon seit Wochen in Händen, es bedarf daher keines
Eingehens ins einzelne durch den Leiter der Verhandlung.
Die pünktlich fertiggestellte Rechnung für 1904 wird ge-
nehmigt ohne Bestellung eines besondern Ausschusses für diesen
Zweck; ein Meer von Händen hebt sich dafür, keine dagegen
bei der Gegenprobe. — Doch das suveräne Volk besteht nicht
aus bloßen „Jasagern": die Hauptvorlage der diesjährigen Lands-
gemeinde-Bestellung einer ständigen Regierungsvertretung mit dem
Sitz in Herisau, einem der Hauptorte, weist es ab mit großem
Mehr der Hände, kaum ein Viertel hebt sich dann dafür. —
Nahezu einhellig wird weiter eine außerordentliche Landsgemeinde
im Herbst für Beratung einer Verfassungsänderung abgelehnt,
mit deren Ausarbeitung in der vorjährigen Tagung die Regie-
rung betraut worden war; wie zuvor keine Empfehlung, so auch
jetzt kein Wort des Bedauerns des Aninianns über das Misslingen
eines Hanptteils der von den leitenden Persönlichkeiten als nötig
F.il3 I:Hllllä>!
u'ijulotae i
A !,].<-■-
aoö
_ , JIUU
erkannten Auijasaiing aD die AnforderuDgen der lieut.igeii Zeit —
der Bauer ist bedäditig, fürchtet sich vor dem Schreib er tum,
zahlt nicht gern; mit 10000 Fr. Jährlich wurden bis jetzt die
Küsten der Verwaltung bestritten; freilich ist es unbequem das
Aufsuchen der Regierungsräte iu ihren verschiedenen Wohnorten,
das abwechselnde Tagen der Behörde bei einem von ihnen —
aber ein Amthaus in Herisau bauen, stitndige Hilfsbeamte dort
anstellen? — Nein! Warum soll es nicht wie bisher weiter-
gehen? — Dabei geniellen die Männer der Regierung offenbar
allgemeines Vertrauen, wie aus deren einträchtiger AViederwahl
zu schließen; ihr haben sich Verwaltungsbeamte und Richter
alljährlich zu unterziehen, der Landammann mit der Beschränkung,
diiss sich seine Amtsdauer nicht über drei Jahre ohne Unter-
brechung erstrecken darf. — Der Landammann, bei seiner Wahl
der älteste Regierungsrat, verliest die Kamen der bisherigen
Inhaber der Ehrenämter und fordert zu etwaigen andern Vor-
schlägen auf, die aber nicht gemacht werden, — Dann fragt der
Waibel: ,Wem's gfallt, dass Herr Landammann Lutz von Lutzen-
berg auch für dieses Jahr wieder bestätiget werde, der bezeuge
es mit seiner Hand!"' Und zur Gegenprobe, obwol augenschein-
lich so gut wie alle der Aufforderung gefolgt sind: „Wer den-
selben entlassen will, der hebe seine Hand auf!" so weiter dann
auch bezüglich der fünf anwesenden Regierungsräte; für den
sechsten, der gestorben, bittet der Vorsitzende, wenn man so
sagen darf, denn es wird die ganze Zeit gestanden , um Vor-
schi itge-Zu rufe — Regierungsräte vermerken die Kamen, der
Landammann verkündigt sie, fragt, ob etwa weitere genannt; der
Waibel lässt dann wie vorher abstimmen, schließlich noch ein-
mal über die drei, welche die meisten Stimmen erhalten hatten;
der Gewählte, von den Umstehenden durch Em porstrecken ihrer
Degen bezeichnet, wird durch die Landsknechte aus der Menge
auf den „Stuhl" geleitet. Schneller vollzieht sich dann wieder die
Wahl der Oberrichter und ihres Vorsitzenden. Die Gewählten
leisten den Amtseid und ebenso, auf die Verfassung und Gesetze,
die ganze Versammlung: „Das will ich halten ohne alle Gefährde,
so wahr ich wünsche und bitte, dass mir Gott helfet" Alle wieder
mit entblößtem Haupte; ein wunderbarer Anblick, wie drauf die
Wolke der Hüte sich wieder auf das Meer von Köpfen deckt. —
Die Regierung tritt, wieder in feierlichem Zuge, ab nach
knapp einstündiger Dauer der Tagung, und die Menge geht ruhig
310 Groos — Ein Landsgemeindetag in Appenzell
auseinander, meist alsbald den oft stundenlangen Heimweg an-
tretend; kein Wirtshauslärm, kein Rechten oder gar Streiten,
nicht einmal eine sichtliche Erregung unter den noch bleibenden
Gruppen. Nach einer so wichtigen politischen Entscheidung
undenkbar bei Romanen; die Landsgemeinde hat sich auch nur
in einigen kleineren deutschen Kantonen erhalten — außer in
den beiden Appenzell — in Ob- und Nidwaiden (am gleichen Tag)
und in Glarus (Anfang Mai). Sie ist eine urgermanische Ein-
richtung, die leider, wo nicht bodenständig, sich nicht wol ein-
bürgern lässt, obwol es für nicht zu große Gemeinwesen nicht
gerade unmöglich wäre. Aber vielleicht könnte man doch etwas
aus dem geschilderten Vorgange für andere Verhältnisse lernen,
und jedenfalls dürfen wir mit einem gewissen Stolz aus ihm auf
unserer Ahnen Art schließen — wie ein Abendrot aus ger-
manischer Vorzeit leuchtet dieser Abglanz noch herauf, die
Landsgemeinde in ihrem Verlaufe und manchen Einzelzügen.
Diese Selbstzucht eines freien deutschen Bauernvölkleins —
das offene Auftreten mit gehobener Hand bei Abstimmung und
Wahlen, nicht gedeckt durch geheime Zettel und Absonderungs-
raum — die schlichte und knappe Art der Verhandlungen in
den einfachen und doch würdigen Formen der Vorfahren —
die kerndeutschen Worte der Ansprachen und Angelobungen,
die alten deutschen Amtsnamen und Trachten der Würdenträger,
das Zeichen der Wehrhaftigkeit in der Hand der Bürger und
nicht zuletzt das Tagen des ganzen Volks unter freiem Himmel
um den erhöhten Standort der Häupter, den „Stuhl"!
All das beschäftigte auf dem Heimweg lebhaft unsere Ge-
danken, die zurück in die Geschichte und weit über den einstigen
Boden germanischer Stämme von Süd nach Nord schweiften:
mir kam die Erinnerung an die jedenfalls in ihrem Ursprung
longobardische Verfassung des kleinen Freistaats San Marino
mit ihrem „Arringo** (Ring), der Versammlung sämtlicher Fa-
milienhäupter, ihren „Gastalden** u. a. m.
Und einem andern fiel die Stelle des Gesangs der Frithjof-
sage von der Königswahl der Normannen ein:
,Sie sammeln sich zur rechten Stund
Mit Waffcnschlag
Zu offnem Ting; des Himmels Rund
Das ist ihr Dach/
Anzeigen und Nachrichten,
iindertij, Fit^iburg, Bnehilr. Gebr.
■. J. KiUIil, Vram Ouil
der Wende des U
Fragniiire, IWi. XIII, 224 Ö.
Von diesem mehr genanut«n als gekannten Geachichtsdireibcr ans
^■Äem weitverbreiteten, auch heute noch zu Freibarg und im ganzen Ureis-
gau in zahlreichen Ästen blnhenden Geachlecbte derWillmann erhaltea
wir hier zum erstenmal ein näheres und getreues Lebens- nnd Kamkter-
bild. Frau« Giülliraann. wie sein Name in welscher ächreibnrt lautete,
gehört den beiden zllb ringischen Freiburg fast zu gleichen Teilen an: dem
schweizerischen durch seine dort um I5S8 erfolgte Geburl, dem breis-
gauisehen durch seinen Tod am 14. Oktober 1612 in der VoUkraft der
.talire. ,nber aufgerieben von Sorgen und Arbeit im Dieusta des Bauses
Habebiirg, Toll bitterer EnttSaschang", ein Opfer seines widrigen Schick-
sals. Als armer Schulmeister zu Solothurn hatte er 1,^90 seine Laufbahn
begonneu, war 1.59.) wogen politischen .Praktizierens' von dort verbannt
worden nnd dann zehn Jahre lang Bekret&r bei Alpbone Cosate, dem Bot-
ficbaflijr des Kflnigs von Spanien zu Lnzem. Im Dezember 1005 kam er
nach Freibui^ im Breisgau und ward hier Professor der Geschieht« an
der Univemitat, Übte jedoch sein Lehramt nur wenige Jnhre aus, da er
im Auftrag dea Erzherzogs Maximilian zur Bearbeitnng der Österreichischen
Genealogie und Geschichte meist nnswflrts, namentlich in Innsbruck weilte.
Seine historische Erstlingsarbeit hatte der Schweiz gegolten, indem er den
protestantischen Werken von Stnmpff und Simmler L'i98 seine fQnf Bücher
„De rebus Uelvetiorum sive antjqnitatum' entgegensetzte, damit aber
nicht den erhofften Anklang fand. Desto größeren Beifall und Gewinn
erhielt er. wenn auch nicht in der Schweiz, mit seinen 1605 vollendeten
.Habeburgiaca sive de antiqua «t vera origine domus Austriae*,
worin er mit scharfer Kritik die baltlosen Fabeleien flbor rjtroischen,
trojanischen oder andern klassischen Ursprung des Hauses Habsburg
beseitigte und erstmals auf der Grundlage der Acta Murensia zeigte,
dasB die Habsburger ans dem Stamme jener Edeln hersuleiten
welche seit dem frühesten Mittelalter gräfliche. Herrschaft um Altenburg
nburg i
312 Anzeigen und Nachrichten
bei Brugg an der Aare und die Landgrafschaft im Elsass besassen. Kaiser
Rudolf II. verdoppelte den ihm ausgesetzten Jahresgehalt, ohne freilich
damit die finanzielle Not des wenig haushälterischen und rechnerischen
Gelehrten zu beheben, der neben Arbeiten kleineren Umfangs aus der
deutschen Reichs- und Bischofsgeschichte rastlos an der Ausführung des
1607 gefassten Plans einer Geschichte der habsburgischen Her-
zoge Österreichs in zehn Büchern arbeitete, dessen Vollendung ihm
aber nicht beschieden war. Seine abgeschlossenen Werke wurden wieder-
holt gedruckt und zeichnen sich durch Selbständigkeit und Gründlichkeit
der Forschung sowie durch ein elegantes, oft nur zu gedrängtes Latein
aus. Man verglich seinen Stil demjenigen des Sallust, so dass 1623 der
Verleger einer neuen Titelausgabe der ,Res Helvetiorum* als Druckort,
unter Anspielung auf Sallusts Geburtsort, auf den Titel «Amitemi" setzen
ließ. Für seine kritische Begabung ist ein Brief von ihm an Goldast vom
27. März 1607 bezeichnend, worin er die Geschichte Teils für eine
reine Fabel erklärt, weil diesen keine ältere Quelle erwähne, und die
Umer über seinen Wohnort nicht einig seien, noch auch über seine
Familie Aufschluss zu geben vermöchten.
Diesem bedeutenden, vom Felde der wissenschaftlichen Arbeit allzu-
frühe abgerufenen Forscher hat Johannes Kälin in dem vorliegenden
Buche ein würdiges, Licht und Schatten gleichmäßig und gerecht wider-
spiegelndes Denkmal gesetzt. Mit Liebe und Sorgfalt ist er allem nach-
gegangen, was irgendwie zur Aufhellung seiner bis dahin noch vielfach
dunkeln Lebensumstände beitragen konnte, mit Scharfblick und feinem
Verständnis hat er das innere Wesen des Manns zu erfassen und dar-
zustellen gesucht, den Geist und Wert seiner Werke untersucht und ent-
wickelt und ihm so seinen rechten Platz in der deutschen Historiographie
angewiesen und gesichert. Das Gesamtbild, das Kälin von ihm entworfen,
wird schwerlich mehr in irgend einem wesentlichen Punkt eine Um-
gestaltung erfahren; er scheint uns durchaus das Richtige zu treffen,
wenn er sagt: ,Guillimann war keine genial veranlagte Natur; wol aber
besass er hervorragende Talente, hellen Verstand, eine seltene Willens-
kraft und ein weiches, empfängliches Gemüt; seine Seele schwang sich
in idealem Flug empor über die Niederungen des gemeinen Lebens. Aus
kleinen Verhältnissen war er durch verständnisvolle Gönner emporgehoben
worden in höhere Kreise, in denen er sich aber bald so heimisch fühlte,
als wäre er darin geboren. Aber eben diese Herkunft und der Mangel
an Glücksgütern lasteten wie Blei an seinen Sohlen und drohten ihn mehr-
mals wieder in den Strudel des Gewöhnlichen, Vergänglichen hinabzuziehen.
Wenn er es doch bis zum Kaiserlichen Rat und Historiographen brachte,
80 verdankt er das seiner unverwüstlichen Schaffenslust, seinem starken
Wilkn, der unter tausend Schwierigkeiten unwandelbar sein Ziel ver-
* Unrecht würde man ihn ,£mporkömmling* nennen. Sein
^ «eiilichem Wolsein, sondern den höchsten idealen
An/fison und Navhrichlen 313
F'Ofltem der Menschheit. Si> starb er zwar reich ^n iieiM iinit Wisai-a,
F aber arm, b«UelanD an (Jeld und Gut.* Die Wissenschaft wird es Klüin
I xn Dank wissen, dass er uns Guillimann den Üelehrton vOlli); erschlossen,
I GDillimann den Menschen menschlich niher gebracht hsL
i. Br. P. Alhert-
B>fen Balier, Cbcrblick Über die Geachichte dur Stadt llräu Il-
lingen. Ein Beilrag »iir Ueachichte VorderÖstomichs. Dcinau-
eschingen, 0. Mory, 1903. 134 S. 8". 1,-^0 M.
Seit längeren Jahren hat der Verfasser seine Mußeicit eifrig dem
I Stadiam der BrSnnlinger GoschichCe gewidmet und sich eine gaas vor-
I :xllgliche Kenntnis des gedruckten und ungednickten Materials erworben.
[ 8a ist er auflerordentlich gerastet an seine Aufgabe, den BrSuiiiiugern die
I irichtigatcn Ereignisse ana ihrer Vergangenheit im Zusammenhang vot-
t, intragen. herangetreten. Die Darstellung ist populAr nnd so gehalten.
? ausfuhrliche Bearbeitung der Brfiuulinger Stadigeschichte, die
r Miit Jahren in Vorbereitung ist, dnrch den Torliegenden Überblick, tu
I' dMsen VerSßentlichnne sich der Verfasser auf DrHugen von verschiedenen
■ Seiten entschlossen hat, nicht UberflÜBsig gemacht wird. Jener ausführ-
lichen Bearbeitung werden auch die Betreise und Quellenangaben, auf die
der Verfasser hier begreiflicherweise verzichtet hat, vorbehalten. Ent-
behrt somit die Darstellung des kritischen Apparats, so ist sie duch
durch und durch von wissenschaftlichem Geist getragen.
Beannders lehrreich ist das Wnrkchen fUr die neuere Zeit. Der lang-
jährige Streit mit FUrstenberg, dessen Beamte mit gruller Zähigkeit für
die alten Gaugrarengerechtsame k&mpften. wird gut «iiaeinander geaetit;
manche uns jetzt humoristisch anmutende Erscheinung brachte dieser
Streit hervor, bis er 16S6 durch ein Schiedsgericht seine Erledigung fand.
Zum Zweck der Landesverteidigung war Brftunlingen dein Villioger .I.and-
fahnen* zugeteilt, zu dem es nach einer Kepartition von Id^'i 78 Mann
EU stellen hatte, ülier den Anteil an (inind und Boden erfahrt man, dass
1703 sÄmtiicho Borger zusammen (wie viele?) nur 556 Jauehsrl Acker
und 141 Mannsmahd Wiesen Privatgrund besitz hatten. Kirchen und KlAster
beeassen 649 Jauchert und 210 Mannsmahd, und die eine Familie Gumpp,
die aber damals in mehrere Zweige ges|)a!tun war, 645 Jauchert und
180 Mannsmahd; das Öbrige, was die Bürger bebauten, war Gemeinde-
eigentnm. Almeude. Diese Alnienden waren aber mit der Zeit so gut wie
Eigentum geworden, sie waren vererhüch und verküuftich, nur lastete auf
ihnen eiue uralte Abgabe an die Stadt, der t^tockzina, der offenbar bis
in die Zeit der Rodung hinaufreicht. Er wurde gleich den Zehnten erst
im 19. Jahrhundert abgelöst. Die badische Zeit bracht« Überhaupt der
Stadt die wichtigst«n Änderungen, besser gesagt Reformen. 1846 fand die
Teilung der groflen Gemarkung unter die Stadt und ihre nach und nach
entstandenen Dependenzorte statt; nach dieser Teilung iimfassl die Go-
il^ .Uaeigen nnd Nachrichten
üücä jiun<r :ö3y Hektar, darunter 1858 Hektar, d. i. rund 5160
MtirzHL (^meindewald.
Besonntere Anfinerksamkeit hat der Autor der städtischen Verfassung
^wiftnu^ :in«t »ia Bt er im stände, auch für das Mittelalter unsere Kenntnis
ra -r^n»£t«*ra mid bisher noch unbekanntes Material zu verwerten. Die
mrrn Herz»« Leopold von Österreich erfolgte Verleihung des Dießen-
aoRger B^ckts an die Stadt Brftunlingen (vgl. Fürstenb. Urk.-Buch VI
!^>. V? und meine Abhandlung: Verfassung der Stadt Brfiunlingen in Baden,
in ier Westdeotschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst 16 [1897],
l-y^i tL kann er nach dem in zwei späteren Freiheitsbriefen von 1557 und
in^^T angegebenen Datum auf das Jahr 1813 21. August bestimmen. Auch
tue Bor in einer Abschrift von 1502 erhaltene Stadtordnung von 1398
(1576 als «altes statbuch und recht* erwähnt) war bisher nicht bekannt.
Die ältest« Ratsverfassung, wonach der Rat aus zwölf Bütgliedem bestand,
blieb bis zum Jahre 1756 bestehen, da kam eine neue Ratsverfassung, die
sich aber nicht bewährte und schon 1785 einer dritten Platz machte. — Die
S. 42 erwähnte bemerkenswerte Gerichtsurkunde (Fürstenb. Ürk.-Buch IV
No. 128) ist wol dahin zu erklären, dass ein Kompromiss zwischen dei
Stadt und dem Landgrafen Wolfgang zu Fürstenberg vorliegt. Der Tat-
ort des Verbrechens war die Stadt Bräunlingen. der Täter ein adeliger
Einwohner der Stadt. Der Graf zu Fürstenberg, damals auch Pfandinhaber
der Stadt Bräunlingen, der «als ain lantgraff des hailigen richs das und
ander unrecht und übel nach kaiserlichem rechtem zu strafen hette*, zog
den Totschlag vor sein Landgericht an der freien Landstraße. Das Ge-
richt besetzten aber der Schultheiß und die Zwölf des Stadtgerichts zu
Bräunlingen und fertigten das Urteil unter dem städtischen Siegel. Einige
andere Fragen, die sich ergeben, können erst erörtert werden, wenn das
Quellenmaterial ganz vorliegen wird. S. 111 findet sich in dem Namen
des französischen Generals, der 1806 die Stadt für Baden übernahm, der
Druckfehler Mouard statt Monard.
Der Verfasser hat dem Werk auch eine Tafel mit sieben städtischen
Siegeln beigegeben. Die Ausstattung des ganzen Büchleins macht dem
Gemeinderat, der bereitwilligst die Kosten übernahm, wie dem Verleger
alle Ehre.
Donaueschingen. Georg Tumbült.
Engen Balzer, Die Freiherren von Schellenberg in der Haar.
Hüfingen, Revellio, 1904. (Sonderabdruck aus den Schriften des
Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der an-
grenzenden Landesteile in Donaueschingen. Heft XI.) 148 S. 8®.
Eine treffliche Arbeit, durch die eine fühlbare Lücke in der Geschichte
der Baar ausgefüllt wirtl! Obschon die Herren von Schellenberg lange
Zeit nach den Landgrafen das mächtigste Adelsgeschlecht der Gegend
waren, existierte doch nicht einmal ein zuverlässiger StÄmmbaum von
Anzeigen und Nachrichten 315
ihnen, bis nunmehr Balzer nach sorgfältigen Studien einen solchen auf-
gestellt und gleichzeitig die wichtigsten Nachrichten über einen jeden
Angehörigen des Geschlechts gesammelt hat. Eine ganz bedeutende Per-
sönlichkeit ist Hans der Gelehrte (t 1609), von dessen wissenschaftlicher
Korrespondenz mit dem Schaffhauser Chronisten Rüeger die Universitäts-
bibliothek zu Basel noch 158 Briefe aufbewahrt. Im 17. Jahrhundert
ging es mit dem Geschlecht rapid abwärts, bis der letzte seines Stamms,
Johann Joseph Anton, 1812 in ärmlichen Verhältnissen in Httfingen sein
Leben beschloss. Der Arbeit sind zwei Stammtafeln sowie ein Lichtdruck
(Ölbild eines ungenannten Freiherrn von Schellenberg (wo! Sigmund
Regnatus] im Rathaussaal zu Bräunungen) und zwei Siegel- bzw. Wappen-
abbildungen beigegeben.
Donaueschingen. Georg TumbOlt.
Dr. Max Fischer» Oberarzt in lUenau, Unser Schwarzwald-Bauern-
haus. Freiburg i. B., Speyer & Kaemer, 1904. 38 S. 8°.
Dies warmherzig geschriebene Büchlein kann als Zeugnis für die
wachsende Ausbreitung der richtigen Auffassung von Volkskunst, als
Helfer auf dem Gebiet der Volkskunde und im praktischen Leben will-
kommen geheißen werden. Der Verfasser geht von der wundervollen
Zusammenstimmung von Menschenschlag, Wohnart und Landschaft im
Schwarzwald aus, findet mit Recht, wie Justus Moser im niedersächsischen,
im Schwarzwälder Bauernhaus den Ausdruck vollster Zweckmäßigkeit und
hohen Kunstsinns. Er sieht in diesem Holzbau die Kunst, die wahre,
bodenständige, durchentwickelte Baukunst, die sonst unserer Zeit fehlt,
und beklagt mit demselben Recht ihren Rückgang. Er gehört löblicher-
weise nicht zu den armen Wichten, die, die Hände in den Taschen, mit
hochgezogenen Brauen die fadenscheinige Weisheit vom „unaufhaltsamen
Zug der Zeit** vorbringen ; deshalb gibt er Mittel an zur Abhilfe, zur Ab-
wehr der kidturfeindlichen, durch falsche Leitung erzeugten Entwicklung.
Zunächst empfiehlt er ernsthaftes Studium der Bauemkunst. Er meint
wir seien ja nicht so schlimm daran, da das Schwarzwaldhaus in Koss-
manns Schrift (Zeitschrift für Bauwesen 1894) eine mustergültige Be-
arbeitung gefunden habe. Auch ich habe diese Schrift freudig begrüßt
(Alem. XXII 285—288); aber ich halte sie doch nur für einen Anfang,
oder vielmehr für eine recht hübsche Fortsetzung von F. Eisenlohrs
bedeutungsvollcrem Anfang aus dem Jahre 18.58, den Fischer merkwürdiger-
weise nicht erwähnt, obwol er sich in Sinn und Wort mit ihm berührt.
Von andern einschlägigen Veröffentlichungen scheint Fischer nichts zu
wissen. Er schlägt vor, im Schwarzwald über die von ihm und vielen
andern vor ihm dargelegten Anschauungen Vorträge zu halten. Nun, es
ist ihm wol nicht bekannt, dass dies mehrfach geschehen ist; aber er
wird Gelegenheit haben mitzumachen, wenn es in nächster Zukunft noch
öfter geschieht, und zwar mit Hilfe des neuausgobauten, rasch empor-
316 Anzeigen und Nachrichten
blühenden Ihidischen Vereins für Volkskunde. Freilich muss dahin
gewirkt werden, das Vorhandene zu erhalten und in Bild und Beschrei-
bung zu sammeln. Aber das Erhalten ist schwer: unsere dem Alten, be-
sonders wenn es so brennbar ist, gefährliche Zeit räumt schrecklich damit
auf. Erst vor wenig Wochen stand ich mit tiefer Bewegung an dem
dampfenden Grabe eines solchen prächtigen alten Schwarzwaldhauses, des
Kotterlehofs ,Zur Tanne'' in Neuhäuser bei Kirchzarten, in dessen glühen-
dem Schöße der ganze große Viehstand umgekommen war und aus dem
die Einwohner nur mit Mühe das nackte Leben gerettet hatten. Nicht
umsonst bleibt, wenn ein Gewitter am Himmel steht, kein Schwarzwald-
bauer im Bette. Solche Holzhäuser mit Stroh- oder Schindeldach in der
alten Weise neu zu bauen kann kein Mensch ernstlich empfehlen. Für
das Strohdach ist noch kein vollwertiger Ersatz gefunden : seiner Gefähr-
lichkeit halber wird es verschwinden müssen. Aber die äußerliche Er-
scheinung sowol wie die zweckmäßige Einteilung des Hauses wird sich
darum doch erhalten lassen. Zunächst aber werden die Bauleute an den
alten Vorbildern neu lernen müssen. Dazu mögen Fischers Vorschläge
im Abschnitt V seines Schriftchens nützlich sein. Was an diesem jedoch
unangenehm auffällt, ist der Mangel an anschaulicher Vorführung und
Beschreibung seines eigentlichen Gegenstands, eben des Schwarzwald-
Bauernhauses. Ist das Büchlein für Sachkenner geschrieben, nun die be-
dürfen der Anregung nicht; ist es für Femstehende, Anzuregende, dann
fehlt gerade das Nötigste. Der Grundgedanke ist gut und richtig und für
viele beherzigenswert, wenn auch die Ausführung nicht gerade geschickt.
Ich will verraten, dass ein anderer längst mit der Zusammenstellung von
etwas Ähnlichem, jedoch auf breiterer Grundlage, beschäftigt ist. Einst-
weilen kann die vorliegende Schrift, die sich durch Gefühlswärme und
Kunstsinn erfreulich auszeichnet, empfohlen werden.
Freiburg i. B. Fridrich Pfaff.
Huldreich Zwingli, Sämtliche Werke. Unter Mitwirkung des Zwingli-
vereins in Zürich herausgegeben von E m i 1 E g 1 i und Georg Finsler.
Berlin, Schwetschke & Sohn, 1904fr. (= Corpus Reform. 88.) 8^
Im Anschluss an die im Corpus Reformatorum vereinigten Werke
Melanchthons und Calvins beginnt eine kritische Ausgabe der Werke Ulrich
Zwingiis zu erscheinen, so dass jetzt zugleich mit Martin Luther auch
der schweizerische Reformator und in ihm der bedeutendste SchriftsteUer
alemannischer Zunge eine abschließende Ausgabe erhält. Es ist eine reiz-
volle Aufgabe, an den bisher erschienenen fünf* Heften, die Zwingiis vier-
zehn früheste Schriften enthalten, die Initia Zwinglii zu verfolgen und
daran die großartige Sachlichkeit zu bewimdem, mit der der geistesstarke
* Inzwia ootit acht Heften Yollstfiiidig geworden.
Anzeigen uiwl Nnchriclitfn
317
Held tief nnd klar seiner ^nßen Aufgabe iane wiri] nod sich ihr groß
und tapfer hingibt.
Dos im Herbst« 1510 entstandene Fabelgediclit vom Ochsen zei^
ihn DDch gflnz als Kleriker iiu Banne der papstlichen Politik, die anschnu-
lich lebhafte Relatio de geatis intcr Quilos et Helvetios gibt eine
Probe davon, was Zwingli als Geschichtschreiber geworden wOre, das
Gedicht vom Labyrinth lenkt die politische Betrachtung schon mehr auf
allgemein ethisches Gebiet hinQber, persSnlichstes Leben and Gefühl gibt
das Gebetslied in der Pest, das Ende 1519 anf dem Krankenlager ent-
standen ist und zum ersten Haie Zwingli den Dichter xeigt, aber erst im
April 1522 tritt Zwingli als Reformator hervor. Die wichtige Schrift Von
Erkiesen und Freiheit der Speisen zeigt sogleich die volle Eigenart der
schweizerischen Reformation: es ist nicht so sehr die zu modernem Leben
erwachende Eiuzelpersanliclikeit, der Geistliche, der die mittelalterliche
BeligiositSt in Kampf und Not abstreift und jubelnd zu neuen Idealen ge-
langt, sondern sogleich entrollt sich das Bild der sich befreienden Gemeinde,
das grolle Werk vollzieiit sich nicht in Gedankenarbeit und Seelenk am pfen,
BOndem Tonugaweisc in Wort und Tat, es ist nicht so sehr innerlich
religiJÜs als ethisch, sozial, politisch. Dabei verliert es nicht an Kraft
und Tiefe, gewinnt aber an Farbe und FUlle. ÜedeutungsvoU folgen der
Schrift Von Erkiesen und Freiheit der Speisen' noch im gleichen Monat
die Acta Tignri, die Rechtfertigung der Neuerung vor der geistlichen Be-
Iflrdo, die notwendig zugleich den Bruch mit jener bedeutet. Und wenn
«ich nun Zwingli in der göttlichen Vemiahnung an die Eidgenossen zu
Schwyz aufs neue politlsclien Aufgaben widmet, ist er ein anderer ge-
worden, er verlangt jetzt volle L'nsihtogigkeit vom Ausland und inneren
Frieden fUr die Schweiz. Dass er solche Ziele aufstellen und erreichen
konnte, war zugleich ein erater groUer Erfolg seiner evangelischen Predigt.
In raschem Schritt gebt Zwingli auf der Bahn der evangelischen Lehre
voran, die Snpplicatio ad Hugonem episcopum und mit ihr etwa
gleichen Inhalts die Freundliche Bitte und Ermahnung an die Eidgenossen
verlangen freie Fredigt und Aufhebung des Zölibats und bringen damit
den eigentlichen Anfang des Glaubensstreits. Im Apologeticus Arche-
teies hofft Zwingli, die Gegner wlkrden von weiterem Kampfe abstehen,
in der Fredigt von Klarheit und l.iewissUeit des Worta Gottes sichert er
der Heiligen Schrift in umfassender, geistvoller Beweisführung ihre zen-
trale Stellang in Gottesdienst und Lehre.
So weit ist die neue Ausgabe bisher gelangt, so weit begleitet sie
Egii mit kirchcngescfa ich tli eben Einloitungen, die schlicht und knapp, dabei
mit umfassendster Sachkunde und an neuen Auffassungen reich die ein-
zelnen Schriften in ihren Zusammenhang stellen, Zeit und Anlas.-« ihrer
Entstehung bestimmen, ihren hauptnjichlichen Inhalt und ihre Bedeutung
umachreibeu und sich, wo dazu Anlaas ist. zu Ausblicken von echt histo-
rischer Weite erheWn.
318 Anzeigen und Nachrichten
Finslers Anteil umfasst die Fülle der bibliographischen und text-
kritischen Aufgaben, er hat den Text hergestellt und mit reichen An-
merkungen erläutert. Beide Herausgeber kommen von der theologischen
und geschichtlichen Seite an das Werk, von dieser Seite her ist es seit
Jahren umsichtig und gründlich vorbereitet worden, nicht zum mindesten
durch Vorarbeiten der beiden Herausgeber selbst, und so mag es sich er-
klären, dass die wenigen Zweifel und Bedenken, die sich dem Benutzer
aufdrängen und die zu äußern Pflicht der Kritik ist, philologischer
Natur sind.
Wenn es Aufgabe des kritischen Herausgebers ist, den letzten Willen
des Schriftstellers zu vollstrecken, so hätten bei der Schrift Von Erkiesen
und Freiheit der Speisen und der Von Klarheit und Gewissheit des Wortes
Gottes die Texte C, nicht A zu Grunde gelegt werden müssen, denn zahl-
reiche Zusätze und Verbesserungen, bei der zweiten Schrift auch eine neue
Einleitung, zeigen, dass Zwingli die Schriften neu durchgesehen hat. Bei
der Predigt von der ewig reinen Magd Maria unterscheiden sich Text A
und B lediglich dadurch, dass B auf dem Titelblatt einen Druckfehler
hat, A nicht. Daraus schließt Finsler mit Recht, dass B einen früheren
Abzug desselben Satzes darstellt, dann hätten aber die beiden Ausgaben
die Siglen tauschen sollen. Bei dieser Gelegenheit und noch mehrfach
begegnet der Ausdruck 2witterdruck, statt dessen besser und treffender
Zwillingsdruck stünde. Begrifllich nicht anfechtbar ist der neuerdings
unternommene Versuch, für Wörter mit schwankendem grammatischem
Geschlecht den Namen Zwitterworte einzuführen, unentbehrlich oder gar
schön ist der Zwitter auch da nicht. Doch das nebenbei. Eine Begrün-
dung der zweifellos richtigen Beurteilung der Text Verhältnisse vermisst
man beim Fabelgedicht vom Ochsen und beim Pestlied, im Fabelgedicht
setzt B gegen den Vers neunmal leopard statt lechpard ein, das wäre
wol besser in einer zusammenfassenden Vorbemerkung gesagt und damit
der Lesartenapparat entlastet worden. Dreimal im Fabelgedicht, mit Vers 24
hanget, 80 dich doch von, 178 gselschafft stellt Text B durch eine
leichte Änderung gegen hangt, dich von und geselschafft in A den
Vers her und erfüllt damit doch wol die Absicht des Dichters, so dass
seine Lesarten Aufnahme in den Text verdient hätten. Auch damit, dass
die Fehler 58, 168 inngsten statt iungsten, 131, 30 mereen statt
mereren, 235, 9 dinstiction statt distinction im Text stehen bleiben,
leidet dieser etwas unter dem konservativen Sinn des Herausgebers, der
sich natürlich sonst hundertfach als zuverlässigster Führer bewährt. Die
Fundorte der einzelnen Drucke wünschte man vollständig, nicht nur bei-
spielsweise verzeichnet zu sehen, was sich gewiss nicht mühelos, aber
durch eine allgemeine Umfrage doch mit Sicherheit erreichen ließe.
Die spraclüichen Vorbemerkungen wollen keine Grammatik von
l>« bieteBi Bondern wesentlich zur Entlastung der Lesarten-
n« aber doch nach granmoatischen Gesichtspunkten
Anaeij^en und Xaritriclm^a 319
geordnet sind imd sräi mftasvn. hMxtit irol der Wandel Ton büv m iiev
1. ST. Ton bnweii zn baven und tmiren zu traven 1. 1^ zu den
Fällen Ton Diphthonsirnuig gestellu nicht als Wan«lel Tt«n fi zu e oder
UV zu aw selmcht weiden sollen. 1. >^ ist man überrascht« den Wandel
Ton nnwTssenheit zn Unwissenheit als Cbeipftng von a zu i anf-
seCasst zn seilen, denn t ist mit i dnrchaas gleichwertig. Unhistonsch
ist 1, ^> das e in belvben. gelaoben. eelrch. eenade als Ein-
schiebsei zwischen b oder g nnd folgendem Konsonanten anfgefasst. Er-
freulich ist dasesen. dass die Schreibung der alten Dmcke nirsends an-
getastet, sondern bnchstabentren wiedergegeben ist, fttr die Vorschläge
Francks\ der fnr Texte des 16. Jahrhonderts eine Aosgleichong wOnscht
etwa im Sinne der Lachmannschen Orthographie des Mittelhochdentdchen.
ist doch wol so lange die Zeit noch nicht gekommen, als die iinmie
zwischen Bedeotongslosem and irgendwie Beachtenswertem nicht überall
mit Sicherheit gezogen ist. Zudem ist die Schreibung bei dem größten
Teil der Zwing] idrucke, bei denen Christoph Froschauer in Zürich, im
ganzen leidlich maßvoll und gerade in ihren Besonderheiten von Zwingiis
schriftstellerischer Eigenart kaum abzulösen. Zu weit geht alier wol die
Ausgabe in der Bewahrung dos Alten, wenn sie auf dem Titelblatt dem
Vornamen des Reformators die Form Huldreich lässt. im Grunde doch
nur einer falschen Etymologie des 16. Jahrhunderts zuliebe.
Bemerkenswert ist. dass die neue Zwingliausgabe überall außer in
den Titelbeschreibungen lateinische Lettern anwendet, sie entfernt sich
damit weiter von der Art der alten Drucke als bei Anwendung deutscher
Schrift, gibt aber, da sie das ß der Vorlagen nachahmt, von besondem
Schriftzeichen nur das Schluss-s auf und diese Einbuße ist zu gering, als
dass ihretwegen jemand den Übergang zur Antiqua, der ja gewiss die
Zukunft gehört, lieklagen dürfte.
Wir scheiden von der neuen Ausgabe mit dem Wunsche, dass sie,
von Stockungen und Überraschungen verschont, rasch und sicher fort-
schreiten möge, 80 wie der Held, dessen Denkmal sie werden soll, einst
seines Ziels gewiss und frischen Muts seine Bahn durchlaufen hat.
Freiburg i. Br. Alfred Götze.
' Beiträge zur Greschichte der deutschen Sprache 27, 3G8 ff.
330
Vnlkstraclit^nfest in Olierpreclitnl
Beim Volkstrachtenfest in Oberprecbtal am 3. Juli 190S^
das leider als missgtückt. bezeichnet werde.n muss, hat Ober-
amtmann Dr. Klotz in Wnldliircli in einer ermüdend langen,
neue Gesicblspunkte nicht bietenden Festrede, die sowol im
.Freibiirger Tagblatt" als auch in den Monatsblättem des Vereins
fUr ländliche Wolfnhrtpflege in Baden ,Dorf und Hof abge-
druckt und demnach einer weiteren Verbreitung würdig erachtet
worden ist, unter den , mittelbaren Erfolgen" der Trachten-
vereine, oder wenigstens in einem Zusammenhange, der nur
diese Deutung zulässt, auch die Gründung des Badischen
Vereins für Volkskunde erwähnt. Diese Verknüpfung der
Tntsfldien muss zurückgewiesen werden. Wer die Geschichte der
Volkskunde in Baden kennt, weiß auch, dass bereits 1893. also
vor der Gründung der Trachten vereine zu Ende 1894, eine
Badische Vereinigung für Volkskunde mit ihren Aufrufen, Vor-
trügen und dem ersten an weite Kreise hinaus gegebenen Frage-
bogen an die Öffentlichkeit getreten ist, dass diese bis zur Neu-
gestaltung des „Badischen Vereins für Volkskunde" am 16. De-
zember 1904 bestanden hat und dann in diesem aufgegangen
ist. Die Trachtenvereine, die nach uns kamen, hatten auf unsere
Bestrebungen nicht den mindesten forderlichen Einfluss; weit
eher kann vom Gegenteil die Rede sein. Auffallen muss auch,
dass ganz gegen allen Brauch in Jener Festrede neben allbe-
kannten volkstümlichen Schriftstellern nur die Verfasser einiger
neueren kleineren volks- und heimatkundlichen Schriftchen ge-
nannt sind, während die Menge volks kund lieber Schriften, die
gerade durch die Badische Vereinigung fUr Volkskunde her-
vorgerufen sind, überhaupt ungenannt blieb und das ebenfalls
dahingehörige Hauptwerk, Prof. Dr. E. H. Meyers , Ba-
disches Volksleben im 19. Jahrhundert" nur in einer Anmerkung
erwähnt wird. Fridrich Pfaff.
Am 17. Novoiiilior I9ü:> IM ein btTTorragt'ndiT Mihirbi.iter
.\lcniatiiiin,
Gelieiiiirat Dr. Friedrich von Weech,
Direktor des Gr. Bad, General- Landesarchivs in Karlsri
nach schwerer Krankheit versciiiedcn.
Sein Andenken bleibt auch in unserm Kreise in Khren und
demuftchBt in dicitcr Zellscbrift eiugeliendcr gewOrdigt wi'i'Ji'Ji.
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SOS-ffiiuL«fflfi|
STANFORD UNIVERSITY
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Sbmiord, California
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